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Arbeitsrechtliche Verwarnung: Ablaufdatum unbekannt

Die arbeitsrechtliche Verwarnung ist eine jederzeit zulässige allgemeine Disziplinarmassnahme, um das Fehlverhalten von Mitarbeitenden zu rügen. Insbesondere im Falle einer Kündigung stellt sich oftmals die Frage, wie lange sich der Arbeitgeber auf eine Verwarnung berufen kann.

23.05.2023 Von: Nicole Vögeli Galli
Arbeitsrechtliche Verwarnung

Allgemeine und besondere Disziplinarmassnahmen

Vertragsverletzungen von Arbeitnehmenden können vom Arbeitgeber mittels Disziplinarmassnahmen geahndet werden. Dies ist insbesondere bei Verstössen gegen Anordnungen und Weisungen des Arbeitgebers im Rahmen seines Weisungsrechts sowie bei Verstössen gegen Verhaltenspflichten der Fall. Bei der Ahndung solcher Vertragsverletzungen unterscheidet das Gesetz zwischen allgemeinen und besonderen Disziplinarmassnahmen:

Allgemeine Disziplinarmassnahmen – insbesondere Verweis, Verwarnung, Kündigung, fristlose Entlassung und Schadenersatz – können vom Arbeitgeber unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen jederzeit vorgenommen und geltend gemacht werden.

Besondere Disziplinarmassnahmen sind die sogenannten Ordnungsstrafen, wie Bussen, Verlängerung der Probezeit, Versetzung und Suspendierung. Diese Massnahmen setzen zwingend eine angemessene Regelung in einer Betriebsordnung nach Arbeitsgesetz voraus .

Regelung von Ordnungsstrafen

Besondere Disziplinarmassnahmen dienen einzig der «Bestrafung», womit sie reinen Strafcharakter haben. Die Strafen dürfen nicht zu einer Bereicherung des Arbeitgebers führen. Eine angemessene Regelung von Ordnungsstrafen beinhaltet die Beschreibung der Tatbestände, Angemessenheit der Strafen, Anhörung des Beschuldigten und ein Beschwerdeverfahren. All dies muss in der Betriebsordnung festgehalten werden, die vor Inkrafttreten zudem der Kontrolle der kantonalen Behörde untersteht.

Will ein Arbeitgeber also zum Beispiel bei unentschuldigtem Fernbleiben von der Arbeit neben der Buchung von Minusstunden und/oder einem Lohnabzug zusätzlich eine Busse verlangen, muss er eine Betriebsordnung aufgestellt haben, worin die gewünschte Ordnungsstrafe – in diesem Fall die Busse – angemessen geregelt ist. Da eine Betriebsordnung jedoch lediglich für industrielle Betriebe zwingend vorgeschrieben ist, dürfte in der Praxis kaum je ein nicht industrieller Betrieb über eine rechtskonforme Betriebsordnung verfügen.

Wichtig ist, dass sich Arbeitgeber gut überlegen, welche konkreten Disziplinarmassnahmen bei welchen Vorkommnissen ein- und umgesetzt werden sollen. Arbeitgeber müssen sich bewusst sein, dass sie letztlich an ihren Entscheid gebunden sind. Die Disziplinarmassnahmen sollten deshalb möglichst einheitlich und konsequent gehandhabt werden. Dazu gehört auch, dass Arbeitgeber bei weiteren Vorfällen oder bei nicht gebesserter Leistung erneut Disziplinarmassnahmen ergreifen, da ansonsten deren Glaubwürdigkeit verloren geht.

Kündigung ohne oder mit Verwarnung

Die arbeitsrechtliche Verwarnung wird im Gesetz nicht geregelt. Rechtlich liegt eine negative Verhaltensanweisung vor. Die Gerichte setzen sich mit der Verwarnung vor allem im Rahmen von fristlosen Entlassungen auseinander, wobei für geringfügigere Verstösse tendenziell vorab immer eine Verwarnung verlangt wird. Eine ordentliche Kündigung kann grundsätzlich ohne Anhörung oder Verwarnung ausgesprochen werden,solange die Kündigung nicht missbräuchlich oder diskriminierend erfolgt sowie die Sperrfristen beachtet werden. Es besteht Kündigungsfreiheit.

Vor einer Kündigung kann der Arbeitgeber zu einer milderen Massnahme greifen. Dies wird er regelmässig tun, wenn es sich um geringfügige Verstösse handelt und/oder er an der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmenden interessiert ist. Letzteres kann aus unterschiedlichen Gründen der Fall sein, etwa aufgrund des ansonsten tadellosen Verhaltens, der guten Leistungen oder der Kosten, die bei einer Neuanstellung entstehen. Hat der Arbeitgeber eine mildere Massnahme gewählt, ist er daran gebunden. Allerdings sind allgemeine und besondere Disziplinarmassnahmen sowie die staatliche Bestrafung kumulierbar.

Konsequenzen genau spezifizieren

Dem Arbeitnehmenden wird mit einer arbeitsrechtlichen Verwarnung in klarer Form das gerügte Fehlverhalten mitgeteilt, und es werden ihm für den Fall der erneuten Widerhandlung Konsequenzen – meist die Kündigung – angedroht. Das Bundesgericht verlangt bei Verwarnungen für eine nachfolgende fristlose Entlassung nicht notwendigerweise die Androhung der fristlosen Entlassung selbst, sondern die unmissverständliche Äusserung, dass das beanstandete Verhalten nicht mehr toleriert wird. Mit anderen Worten muss die Verwarnung wohl das beanstandete Verhalten nennen, jedoch ohne für den Wiederholungsfall zwingend spezifizierte Konsequenzen festzuhalten. Im Fall der Nennung dürfen alle möglichen Konsequenzen vollständig aufgezählt werden. Werden gar keine Konsequenzen angedroht, sondern wird einzig eine Missbilligung zum Ausdruck gebracht, handelt es sich nicht um eine Verwarnung, sondern um einen Verweis.

Unabhängig von der Schwere des Vorkommnisses empfiehlt sich die unzweideutige Nennung der möglichen Konsequenzen im Wiederholungsfall, um Unklarheiten zu vermeiden.

Schriftlichkeit verstärkt Beweiskraft

Für die arbeitsrechtliche Verwarnung muss keine besondere Form eingehalten werden. Es empfiehlt sich jedoch in jedem Fall, zwecks Vermeidung von Beweisschwierigkeiten eine Verwarnung schriftlich vorzunehmen. Schriftlichkeit muss dabei nicht unbedingt im Sinne des Gesetzes vorliegen, mithin mit eigenhändiger Unterschrift oder qualifizierter elektronischer Signatur. Eine Verwarnung kann durchaus mittels E-Mail ausgesprochen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass auch der Empfang belegt werden kann, was bei E-Mail, SMS und Fax nicht immer möglich ist. Einfacher ist es demgegenüber, den Erhalt der Verwarnung – aber nicht das Einverständnis – vom Arbeitnehmenden auf der Verwarnung selbst mit Datum bestätigen zu lassen. Wird dies oder gar die Annahme der Verwarnung verweigert, sollte die Verwarnung unter Zeugen ausgesprochen werden. Die Schriftlichkeit hat jedoch eine zweite, ebenso wichtige Funktion: Es kann dadurch zu keinerlei Missverständnissen über den Inhalt der Verwarnung kommen.

Kein Freibrief für die Kündigung

Verhält sich ein Arbeitnehmender nach einer Verwarnung einwandfrei, darf der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung aufgrund der Kündigungsfreiheit dennoch jederzeit aussprechen. Kann er indes keine neuen bzw. anderen Gründe vorbringen, besteht das Risiko einer sachlich angreifbaren Kündigung. Kommt es zu weiteren Verfehlungen, ist der Arbeitgeber berechtigt, die angedrohten Konsequenzen umsetzen. Es muss sich weder um einen Verstoss gleicher Art noch von gleicher Schwere handeln. Ähnliche Verstösse und Verfehlungen nach kurzer Zeit fallen sicher stärker ins Gewicht. Zu beachten bleibt dennoch, dass selbst nach einer Verwarnung nicht jede Kleinigkeit zu einer fristlosen Entlassung berechtigt oder den sachlichen Kündigungsschutz aufhebt. Das Gericht wird dies nach wie vor unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden.

Eine Frage der Relevanz

Arbeitsrechtliche Verwarnungen weisen vor allem für Beförderungen, Lohnerhöhungen, Kündigungen und Arbeitszeugnisse eine Relevanz auf. Mithin stellt sich die Frage, wie alt eine Verwarnung sein darf, um diesbezüglich verwendet werden zu dürfen. Dies lässt sich nicht allgemein beantworten, sondern muss immer mit Blick auf den Einzelfall geprüft werden. Am Beispiel des Arbeitszeugnisses kann dies gut beschrieben werden. Dieses hat im Rahmen einer Durchschnittsbewertung ein faires Abbild der gesamten Anstellungsdauer zu geben. Negative Tatsachen dürfen erwähnt werden, sofern sie für eine Gesamtbeurteilung erheblich sind und/ oder gar den Kündigungsgrund bildeten. Geringere Einzelvorfälle und aber auch gewichtigere Vorfälle, die letztlich im Verhältnis zur Anstellungsdauer eine kürzere Zeitspanne betreffen, dürften sich daher kaum für eine Aufnahme ins Arbeitszeugnis qualifizieren.

In der Praxis werden Verwarnungen, die vor Jahren ausgesprochen wurden, oftmals hervorgenommen, um fristlose Entlassungen, Kündigungen oder schlechte Qualifikationen in Schlusszeugnissen zu rechtfertigen. Es ist jedoch fraglich, ob dies zulässig ist. Schliesslich handelt es sich bei Verwarnungen um Daten über Arbeitnehmende. Die Datenbearbeitung im Arbeitsverhältnis ist nur unter den Voraussetzungen von Art. 328b OR gerechtfertigt. Daten von Arbeitnehmenden dürfen insofern nur so lange bearbeitet werden, als sie deren Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses notwendig sind. Mithin ist zu prüfen, wie lange eine Verwarnung für einen der beiden Punkte effektiv relevant sein kann.

Es ist offensichtlich, dass die Verwarnung bei nachfolgendem Wohlverhalten laufend an Bedeutung verliert, je länger dieses anhält. Abhängig von der Art und der Schwere des ursprünglich gerügten Fehlverhaltens fällt die Zeitspanne der Relevanz unterschiedlich aus. Einfach ausgedrückt kann festgehalten werden, dass, je schwerer das Fehlverhalten war und je jünger die Verwarnung ist, sie desto eher noch vorgebracht werden darf.

Vernichtung nach «Verjährung»

Da es sich bei arbeitsrechtlichen Verwarnungen um Daten über den Arbeitnehmenden handelt, sind bei der weiteren Verwendung und Aufbewahrung die gesetzlichen Vorgaben des Datenschutzes im Arbeitsrecht zu beachten. Sobald im Einzelfall die Verwarnung für die Prüfung der Eignung des Arbeitnehmenden und/oder die Durchführung des Arbeitsvertrages nicht mehr relevant ist, sind diese und sämtliche damit zusammenhängende Unterlagen zu vernichten. Zu welchem Zeitpunkt die Vernichtung vorzunehmen ist, bestimmt sich im Einzelfall. Es gibt also kein allgemeingültiges Ablaufdatum für eine Verwarnung.

Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte empfiehlt eine regelmässige Überprüfung des Personaldossiers in einem Intervall von zwei Jahren mit anschliessender Vernichtung der nicht mehr benötigten Daten. Es trifft vermutlich zu, dass nach zwei Jahren die Mehrheit der Verwarnungen nicht mehr erheblich ist, es sei denn, es kam zu erneuten Vorfällen. Entfällt die Relevanz der Verwarnung bzw. des Fehlverhaltens, so sind die Verwarnung und sämtliche damit zusammenhängenden Unterlagen zu vernichten.

Wie im Strafrecht der Strafregistereintrag je nach Schwere des Delikts und der ausgesprochenen Freiheitsstrafe nach einer gewissen Zeit gelöscht wird, gilt dies mithin auch für die Entfernung von Verwarnungen aus dem Personaldossier. Dies erscheint sinnvoll, soll bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses doch ein Schlussstrich unter ein Fehlverhalten oder eine Vertragswidrigkeit gezogen werden können. Schliesslich hat sich der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Verwarnung bewusst gegen eine Kündigung und für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entschieden. Da die umfassende Löschung der Verwarnung im Personaldossier ohnehin nur dann zum Tragen kommt, wenn es zu keinen weiteren Vorfällen gekommen ist, gibt es auch keinen Grund, den Arbeitnehmenden durch das Aufbewahren der Verwarnung weiterhin zu «bestrafen».

Hinweis: Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine redaktionell überarbeitete Fassung des folgenden Fachartikels: Nicole Vögeli Galli: Ablaufdatum einer Verwarnung. Anwaltsrevue 5/2013, Stämpfli Verlag AG. S. 223–226; mit freundlicher Genehmigung durch die Stämpfli Verlag AG.

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