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Nachbargrundstück: Das Hammerschlags- und Leiterrecht

Urbanes Bauen ist siedlungspolitisch vernünftig. Aber die engen räumlichen Verhältnisse bieten beim Bauen Konfliktpotential. "Verdichtetes Bauen" erlangt auch ökonomisch immer mehr Bedeutung. Tiefere Baugruben sind zu sichern. Eine Konsequenz davon ist, dass beim Bauen nicht selten das Nachbargrundstück benutzt werden muss. Um nachbarschaftliche Differenzen zu vermeiden, soll die Benutzung des fremden Eigentums frühzeitig geplant und geregelt werden.

01.02.2022 Von: Matthias Streiff
Nachbargrundstück

Begriff

Baut man und muss dazu das Nachbargrundstück benützt oder zeitweise belegt werden, so  spricht man rechtlich vom  sogenannten Hammerschlags- oder Leiterrecht. Dabei wird dem bauenden Grundeigentümer gestattet, das Nachbargrundstück zum Zwecke der Bewirtschaftung oder Vornahme von Ausbesserungen und Bauten zu betreten. Gestützt auf das Hammerschlags- und Leiterrecht ist es dem Grundeigentümer beispielsweise erlaubt, auf dem Nachbargrundstück sinnbildlich eine Leiter hinzustellen, damit er darauf stehend auf seinem Grundstück einen Nagel einschlagen kann. Auf Bundesebene ist dieses Recht in Art 695 ZGB unter dem Titel Beschränkungen des Eigentums geregelt. So wird das Eigentum des Nachbarn durch das Hammerschlags- und Leiterrecht eingeschränkt, wenn auch nur vorübergehend. Art. 695 ZGB gibt den Kantonen die Möglichkeit, dieses Recht weiter zu konkretisieren bzw. weitere Vorschriften dazu aufzustellen. Somit wird es nicht in jedem Kanton auf gleiche Weise gehandhabt. Teilweise beruht das Hammerschlagsrecht auch auf Gewohnheitsrecht und ist in keinem kantonalen Gesetz explizit erwähnt, aufgeführt oder näher geregelt.

Gesetzliche Grundlagen

Art. 695 ZGB

Exemplarisch:

  • § 229 PBG ZH
  • Art. 155 EG ZGB Wallis
  • § 61 EG ZGB Schwyz
  • § 111 EG ZGB Zug (per 11. Juni 2016 revidiert)
  • Art. 144 oder 186 StGB

Eingriffe während Bautätigkeit

In der Praxis bedeutend ist die Frage, welche Eingriffe sich der Grundeigentümer während der Bautätigkeit des Nachbarn gefallen lassen muss. Hat der Grundstücknachbar einen physischen Eingriff in sein Grundstück zu dulden, damit der bauende Nachbar seine Baugrube erstellen kann? Und wie sieht es aus mit sogenannten "Erdankern", die der Bauherr für die Sicherung seiner Baustelle allenfalls benötigt? Erdanker werden regelmässig nicht im eigenen, sondern im Nachbargrundstück befestigt (…) und teilweise dort «gespannt» für die Sicherung des Bauwerks - oder «entspannt» als nutzlose Anker - belassen.

Bei der Problematik der Baugrubensicherung stellt sich zudem die Frage nach der vertikalen Ausdehnung des Grundeigentums. Beispielsweise werden Erdanker regelmässig erst einige Meter unter Boden in das Nachbargrundstück gerammt oder gebohrt. Gemäss ZGB 667 erstreckt sich das Grundeigentum nach oben und unten soweit der Eigentümer für die Ausübung seines Eigentums dazu ein Interesse hat. Unter Umständen tangieren Erdanker, welche sich mehrere Meter unter der Erdoberfläche befinden und nach Erstellung des Neubaus entspannt werden, das nachbarschaftliche Eigentum nicht. Allenfalls jedoch schon, wenn unterirdisch ebenfalls mehrere Untergeschosse erstellt werden sollen. Massgebend ist immer der Einzelfall. Es gibt für den Untergrund (wie auch für den Luftraum) keine fixe Schwelle, bis zu welcher ein Ausübungsinteresse im Sinne von ZGB 667 ZGB angenommen wird. Erdanker in den oberen 10 bis 20 Metern, sind mutmasslich im Interessensbereich des jeweiligen Grundeigentümers. Vgl. dazu auch den jüngeren BGE 5A_245/2017 vom 4.12.2017. Für «befristete Erdanker» werden oft nachbarschaftliche Vereinbarungen und für «definitive Erdanker» Dienstbarkeiten vereinbart.

Der Schutz des Eigentums einerseits und die vorübergehenden nachbarschaftlichen Eingriffsrechte sind auch räumlich vielseitig. So sind unseres Erachtens auch Kranen, die über die Grundstücksgrenzen hinauskragen, Teil der Hammerschlagsrechte und deshalb vor Erstellung und Nutzung zu regeln.

Vorübergehende Beanspruchung des nachbarlichen Grundstücks

Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung von Art. 695 ZGB lässt sich ableiten, dass dieses Recht nur bei nachbarlichen Grundstücken zum Tragen kommt. Das Grundstück, welches für die Bautätigkeit beansprucht werden will bzw. soll, muss demnach unmittelbar an das eigene Grundstück anstossen, ansonsten kann sich der bautätige Grundeigentümer nicht auf das Hammerschlagsrecht berufen. Klar ist, dass Art. 695 ZGB nicht eine dauernde, sondern nur eine vorübergehende, also befristete Ausübung der genannten Rechte erlaubt.

Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts aus dem Jahr 1978 (BGE 104 II 166) sei von Art. 695 ZGB nicht nur das vorübergehende Betreten erfasst, sondern in erster Linie sei an die Ablagerung von Baumaterialien oder an das Errichten eines Baugerüsts zu denken. Die Grenzen des "Leiterrechts" gemäss Art. 695 ZGB würden gemäss Bundesgericht überschritten, wenn erhebliche Veränderungen des nachbarlichen Grundstücks, wie insbesondere Abgrabungen oder die Zerstörung darauf befindlicher Vorrichtungen, ausgeführt würden (BGE 104 II 166, E. 3c). Datiert dieser Entscheid aus einer Zeit vor wirklich engen Verhältnissen?

Ein jüngerer Entscheid des Baurekursgerichts des Kantons Zürich (BRGE I Nr. 0054/2014 vom 25. April 2014) befindet diese Rechtsprechung als zu restriktiv. Das Hammerschlagsrecht wird im Kanton Zürich im Planungs- und Baugesetz (PBG) behandelt. Gemäss § 229 Abs. 1 PBG ZH ist jeder Grundeigentümer berechtigt, Nachbargrundstücke zu betreten und vorübergehend zu benutzen, soweit es, Vorbereitungshandlungen eingeschlossen, für die Erstellung, die Veränderung oder den Unterhalt von Bauten, Anlagen, Ausstattungen und Ausrüstungen nötig ist und soweit das Eigentum des Betroffenen nicht unzumutbar gefährdet oder beeinträchtigt wird. Dieses Recht ist dabei möglichst schonend und gegen volle Entschädigung auszuüben (§ 229 Abs. 2 PBG). Nach den Ausführungen des Baurekursgerichts Zürich sei es evident, dass die Realisierung einer Baute, welche (in jenem konkreten Fall) zulässigerweise bis an die Grundstücksgrenze gestellt werden dürfe, kaum ohne Eingriffe in die Substanz der benachbarten Parzelle zu bewerkstelligen sei. Allein das Erstellen einer Baugrubenböschung mache die Beanspruchung des angrenzenden Grundstücks unumgänglich. Abgrabungsarbeiten auf einem Nachbargrundstück würden daher, so das Gericht weiter, den Rahmen des Hammerschlagsrechts unter Verletzung der Schranken des Art. 695 ZGB nicht a priori verletzen. Vielmehr sei ausschlaggebend, ob der Umfang der Beanspruchung des Drittgrundstücks sich auf das absolut Notwendige beschränke und einer Interessenabwägung standhalte (BRGE I Nr. 0054/2014, E. 4.3). Die Nachbarn mussten sich im genannten Entscheid unter anderem Abgrabungen, ein Entfernen der Hecke, ein Entfernen des Drahtzauns sowie en teilweises Entfernen des Gartensitzplatzes gefallen lassen.

Das Bundesgericht hatte sich im Jahr 2009 (BGer 5A_176/2009, Urteil vom 5. Juni 2009) mit einem Fall von Verankerungen in das nachbarliche Grundstück zu befassen. Bei einem sich in Hanglage befindlichen Grundstück wurden zur Sicherung der Baugrube ein 7–13 m langer Eisenanker verwendet, welcher teilweise in das Terrain des Nachbargrundstücks hineinragte. Das Obergericht des Kantons Bern befand als Vorinstanz, dass sich aus Art. 695 ZGB das Recht, Verankerungen in das nachbarschaftliche Grundstück einzubohren, nicht ableiten lasse. Diese Auslegung bzw. Anwendung des Gesetzestexts schützte das Bundesgericht (BGer 5A_176/2009, Urteil vom 5. Juni 2009, E. 5). Leider ist unbekannt, wie tief diese Erdanker zu setzen gewesen wären.

Unterschiedlich weitgehende Rechtsprechung

Gemäss den Erwägungen des (erstinstanzlichen) Baurekursgerichts Zürich muss sich ein Grundeigentümer offenbar weitreichende Einwirkungen in sein Grundstück gefallen lassen, damit der Nachbar ein Bauprojekt realisieren kann. Nach den Ausführungen des Berner Obergerichts (und in der Folge des Bundesgerichts) werden zurückhaltender nur vorübergehende Störungen des Nachbargrundstücks akzeptiert. Inwiefern das Bundesgericht die Ausführungen des Baurekursgerichts geschützt hätte, bleibt unbeantwortet. Das ist für Praktiker ein nicht kalkulierbarer Zustand – juristisch liegt hier eine Rechtsunsicherheit vor. Inwiefern der Entscheid des Zürcher Baurekursgerichts als Massstab für Eingriffe in das Nachbargrundstück als Präjudiz gilt, kann nicht beurteilt werden.

Entschädigungspflicht

Sofern der bauende Grundeigentümer das Grundstück des Nachbarn für seine Bautätigkeit in irgendeiner Weise benutzt, ist der Nachbar dafür zu entschädigen. Diese Selbstverständlichkeit ist bei oberflächlichen Beeinträchtigungen kaum bestritten. Bei Erdankern stellt sich jedoch die Frage, ob die Kostenersparnis dem Bauherrn abzuliefern oder wie ein kaum erkennbarer Eingriff in das Nachbargrundstück zu monetarisieren sei. Es liegt auf der Hand, dass eine Entschädigung höher auszufallen hat, wenn ein Teil des Nachbargrundstücks abgegraben wird, als wenn lediglich für einige Tage eine Mulde auf dem Nachbargrundstück abgestellt wird. Der Nachbar ist aber grundsätzlich vollständig für die Benutzung seines Grundstücks zu entschädigen. Augenmass im Nachbarschaftsverhältnis.

Der Grundeigentümer ist zudem verpflichtet, vom Hammerschlags- und Leiterrecht einen für den Nachbarn möglichst schonenden Gebrauch zu machen. Eingriffe in das Nachbargrundstück sind nur soweit notwendig zulässig. Es kann jedoch sein, dass die Beeinträchtigung des Nachbarschaftsgrundstücks durch eine zeitweise Abgrabung schonender ausfällt als eine Rühl- oder Spundwand für die Baugrubensicherung.

Achtung Sachbeschädigung

Art. 144 StGB stellt das Beschädigen, Zerstören oder Unbrauchbarmachen einer Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, unter Strafe. Art. 186 StGB schützt den «Hausfrieden», der sich auch auf den umfriedeten Platz um Haus und Werkplatz erstreckt. Ungerechtfertigt ausgeübte ober- oder unterirdische Hammerschlags-, Tret- oder Leiterrechte können diese Tatbestände erfüllen, weshalb der beeinträchtigte Nachbar Strafanzeige gegen den bauenden Eigentümer anheben, allenfalls einen «Baustopp» erwirken kann. Ohne Einigung oder Urteil sind die Nachbarsgrundstücke in Ruhe zu lassen.

Pro Memoria sei erwähnt, dass auch berechtigtes Bauen zu Beschädigungen an nachbarschaftlichem Eigentum führen kann, ohne dass das Grundstück des Nachbarn betreten (etc.) wird. ZGB Art. 685 ist die entsprechende Schutznorm und ZGB Art. 679a regelt das Schadenersatzrecht. Es werden daher Rissprotokolle angefertigt, um später beweisen zu können, ob Risse (an Gebäuden und Anlagen) durch einen Bau erst entstanden oder schon vorher bestanden hatten (für die Beurteilung von Rissen einschlägig die SN 640 312a).

Vorgehen

Vor einem Eingriff in das Nachbargrundstück muss mit dem Nachbarn Kontakt aufgenommen werden mit dem Ziel, eine privatrechtliche Einigung zu finden. Eine solche wird am besten schriftlich festgehalten. Alternativ kann auch vor der Bautätigkeit auf Benutzung des Nachbargrundstücks geklagt werden. Der bauende Eigentümer darf aber in jedem Fall erst nach rechtskräftiger Entscheidung oder Einigung das erstrittene Recht ausüben, denn verbotene Eigenmacht ist strafbar. Insbesondere bilden die Hammerschlags-, Tret- oder Leiterrechte keine direkt anwendbare Rechte, sondern sie sind (bei Widerstand der Nachbarn) gerichtlich zuerst durchzusetzen.

Gericht oder private Einigung: in beiden Fällen sind die Einwirkungen bzw. die Beanspruchung des Nachbargrundstücks möglichst genau festzuhalten, zu bezeichnen, räumlich und zeitlich einzugrenzen.  Ein Gericht muss im Einzelfall beurteilen können, ob Eingriffe ins Nachbargrundstück zulässig sind / waren oder eben nicht.  Aber auch der Nachbar soll beim Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung wissen, welchen Eingriffen in sein Grundstück er zustimmt. Klare Kommunikation verhindert Streitereien.

Entscheide

BGE 104 II 166

BRGE I Nr. 0054/2014 vom 25. April 2014

BGer 5A_176/2009, Urteil vom 5. Juni 2009

BGE 5A_245/2017 vom 4. Dezember 2017

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