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Art. 216 OR: Formvorschriften bei Grundstückgeschäften

Grundstückgeschäften misst das Gesetz eine besondere Bedeutung zu. Es stellt daher (Art. 216 OR) strenge Formvorschriften auf. In diesem Beitrag werden Ihnen diese erläutert.

03.02.2022
Art. 216 OR

Öffentliche Beurkundung (Art. 216 OR)

  • Der Grundstück-Kaufvertrag sowie der Vertrag über die Errichtung eines Vorkaufsrechtes oder eines Kaufrechtes (auch in Form eines Rückkaufrechtes) müssen öffentlich beurkundet werden, das heisst, sie sind von einem Notar zu beurkunden, der in gewissen Kantonen ein Staatsbeamter, in anderen immerhin staatlich anerkannt ist.
  • Immerhin sind Vorkaufsrechte, welche den Kaufpreis nicht im Voraus bestimmen, auch schon in schriftlicher Form gültig.

Formfehler

Ein Vertrag, welcher diese Formvorschriften (Art. 216 OR) nicht einhält, ist nichtig, also überhaupt nicht zustande gekommen. Wichtig dabei ist, dass es nicht genügt, dass einfach irgendetwas öffentlich beurkundet wird, sondern

  • die öffentliche Urkunde muss das enthalten, was wirklich abgemacht wurde; wird ein falscher Preis beurkundet in der Meinung, der Restpreis werde ‹unter dem Tisch› bezahlt, so gilt weder der beurkundete Vertrag (weil so nicht gewollt) noch der tatsächlich vereinbarte (weil nicht beurkundet);
  • die öffentliche Urkunde muss den gesamten Vertragsinhalt enthalten; werden wichtige Vertragspunkte nicht beurkundet, so ist wiederum sowohl der beurkundete Vertrag (weil unvollständig) als auch der tatsächlich verabredete, vollständige Vertrag (weil so nicht beurkundet) ungültig.

Vollständigkeit der Urkunde

Vor allem die letztgenannte Regel gibt oft Anlass zu Schwierigkeiten. In seiner Praxis ist das Bundesgericht allerdings nicht kleinlich: „Zwar müssen alle objektiv wichtigen, also unbedingt zum Kauf- oder Kaufrechtsvertrag gehörenden Abreden beurkundet werden, dass aber Nebenabreden, die nicht direkt den Kaufvertrag betreffen, nicht beurkundet werden müssen", auch wenn sie subjektiv für die eine oder andere Partei so wichtig sind, dass ohne sie der Kaufvertrag nicht abgeschlossen würde.

Praxis-Beispiel: BGE 113 II 402 re Art. 216 OR
Im konkreten Fall ging es darum, dass beim Abschluss eines Kaufrechtsvertrages der Kaufberechtigte dem ‹Verkäufer› für die Laufzeit des Kaufrechtes ein Darlehen in ungefährer Höhe des abgemachten Kaufpreises gewährte, also in gewissem Sinne den Kaufpreis vorausbezahlte. Das Darlehen war normal zu verzinsen, sodass damit keine versteckte Kaufpreiserhöhung verbunden war. ‹Formbedürftig sind (aber) von vornherein nur Abreden, welche das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung des Kaufvertrages berühren›, sagt das Gericht; daran ändere sich nichts, wenn das eine ohne das andere, der Kaufrechtsvertrag ohne den Darlehensvertrag oder umgekehrt, nicht abgeschlossen worden wäre. Beide Verträge waren deshalb gültig, obschon in der öffentlichen Urkunde der Darlehensvertrag überhaupt nicht erwähnt wurde.

Vertragskombinationen

  • Kauf und Architekturverpflichtung
    Ist ein Grundstückkauf mit einer Architekturverpflichtung verbunden, so ist diese nur dann in die öffentliche Urkunde aufzunehmen, wenn sie eine zusätzliche kaufvertragliche Leistung einer Partei darstellt.

Beispiel:
Ist im Kaufpreis nicht nur das Grundstück, sondern auch eine bereits erstellte Planung abgegolten, welche der Käufer übernehmen kann, so stellt dies eine zusätzliche Leistung des Verkäufers dar und ist zu beurkunden. Hat der Käufer die vorhandenen Pläne aber separat zu vergüten, und ist der dafür angesetzte Preis marktkonform, so braucht dieser Teil des Vertrages nicht öffentlich beurkundet zu werden. Ist der angesetzte Preis jedoch unrealistisch hoch, so handelt es sich um einen (verdeckten) Teil des Kaufpreises, also um eine zusätzliche kaufvertragliche Leistung des Käufers; der gesamte Vertrag muss in diesem Falle öffentlich beurkundet werden (ist aber dann eventuell wegen Falschbeurkundung ungültig).

Kauf- und Werkvertrag

Ist ein Grundstückkauf mit einem Werkvertrag verbunden oder doch mit der Verpflichtung, einen solchen abzuschliessen, so gilt dasselbe: Der Werkvertrag muss nur dann mit dem Kauf- oder Kaufrechtsvertrag zusammen öffentlich beurkundet werden (Art. 216 OR), wenn damit eine zusätzliche kaufvertragliche Leistung der einen oder andern Partei verbunden ist. Das ist sicher der Fall, wenn (in der Absicht, Steuern zu sparen) der Kaufpreis zu tief, dagegen der Werklohn zu hoch vereinbart werden, was allerdings wegen Falschbeurkundung auch den öffentlich beurkundeten Vertrag ungültig macht. Es trifft aber auch zu, wenn im vereinbarten Preis auch gleich der Werklohn für die Errichtung des geplanten Hauses inbegriffen ist. Werden aber für den Grundstücksverkauf und den Werkvertrag separate, realistische Preise vereinbart, so muss nur der Kauf- oder Kaufrechtsvertrag, nicht aber der Werkvertrag öffentlich beurkundet werden.

Praxis-Beispiel: BGE 117 II 259
Ein kombinierter Kauf-/Werkvertrag ist bezüglich seines werkvertraglichen Teils sogar gültig, wenn (vorläufig) überhaupt nichts öffentlich beurkundet wird und demnach der Kaufvertrags-Teil völlig ungültig ist. Schwierig wird die Lage allerdings, wenn der Kauf mangels öffentlicher Beurkundung überhaupt nie zustande kommt: Das im Werkvertrag für den Besteller errichtete Werk gehört in diesem Falle nach wie vor dem Grundeigentümer.

Kauf ‹künftiger› Sachen

Wird ein Grundstück mitsamt einem erst noch zu errichtenden Haus verkauft, so liegt überhaupt kein Werkvertrag, sondern nur ein Kaufvertrag vor, der selbstverständlich als Ganzes der öffentlichen Beurkundung bedarf.

Praxis-Tipp:
In solchen Fällen wird in der Praxis meist darauf verzichtet, Baubeschrieb und Baupläne in die öffentliche Beurkundung mit einzubeziehen, obschon sie wichtige Vertragsbestandteile sind. Zumindest sollte im beurkundeten Kaufvertrag auf die massgebenden Definitionen des zu errichtenden Gebäudes (mit Angabe des Datums derselben) hingewiesen werden.

Es ist übrigens umstritten, ob hier überhaupt ein (reiner) Kaufvertrag und nicht eher eine Kombination von Kauf- und Werkvertrag vorliegt. Wenn sich der Verkäufer bindend verpflichtet, das vorgesehene Haus tatsächlich zu errichten, nimmt die Gerichtspraxis im Allgemeinen eher einen Werkvertrag an (mit der Verpflichtung, das fertige Haus dann auch wirklich dem ‹Käufer› zu verkaufen).

Kein übereinstimmender Parteiwillen

Nicht jeder nach Art. 216 OR formell korrekt abgeschlossene und öffentlich beurkundete Kaufvertrag ist übrigens auch gültig.

Praxis-Beispiel:
In diesem Falle hatte der Käufer vor dem Notar gewünscht, dass die Grenzziehung des fraglichen Grundstückes etwas zu ändern sei – und der telefonisch angefragte Geometer hatte zugesichert, dass das ohne weiteres möglich sei. Im Nachhinein hat aber der Verkäufer auf der ursprünglichen und beurkundeten Grenzziehung bestanden.
Ergebnis: Beim Vertragsabschluss war keine ‹übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien› (Art. 1 OR) über die Umschreibung des Kaufgegenstandes vorhanden, und öffentliche Urkunden gelten nur als Beweis, ‹solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist› (Art. 9 ZGB).

Folgen der Ungültigkeit

Ist ein Grundstückkaufvertrag nichtig, weil er Art. 216 OR entsprechend nicht, nicht vollständig oder nicht wahrheitsgemäss beurkundet wurde, so ist er eben ungültig, und keine Partei kann die andere dazu zwingen, die vereinbarte Leistung – Eigentumsübertragung des Grundstückes, Bezahlung des Kaufpreises – zu erbringen. Wenn der Grundbuchbeamte feststellt, dass der Kaufvertrag nichtig ist, darf er seinerseits die Eigentumsübertragung im Grundbuch nicht vornehmen. Hat er das aber nicht festgestellt und die Eigentumsübertragung im Grundbuch vorgenommen, so ist diese gegenüber gutgläubigen Dritten gültig. – Beruft sich dagegen eine der Parteien darauf, der Vertrag entspreche nicht dem, was sie gewollt hat, so ist dieser nur einseitig unverbindlich; nur sie kann durch das Gericht feststellen lassen, dass sie nicht gebunden sei.

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