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Kündigungsschutz Mieter: Die Auswirkungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung

Auch wenn ein Mieter ein Verfahren zum Kündigungsschutz bei der Schlichtungsbehörde eingeleitet hat, steht es dem Vermieter frei, seinen Ausweisungsanspruch gestützt auf Art. 257 ZPO im summarischen Verfahren durchzusetzen. Sind sowohl ein Verfahren betreffend Anfechtung einer Kündigung als auch ein Ausweisungsbegehren im summarischen Verfahren rechtshängig, rechtfertigt es sich, das mietrechtliche Verfahren bis zum Abschluss des Ausweisungsverfahrens zu sistieren. Im Ausweisungsverfahren steht dem Mieter die Einrede der Litispendenz (Rechtshängigkeit) nicht zu, d.h. der Ausweisungsrichter hat das Ausweisungsbegehren im summarischen Verfahren trotz eines rechtshängigen Verfahrens zum Kündigungsschutz zu behandeln.

19.02.2020 Von: Urban Hulliger
Kündigungsschutz Mieter

Kündigungsschutz Mieter: Vorherige Regelung im OR

Art. 274g aOR sah vor, dass der Ausweisungsrichter bei einer ausserordentlichen Kündigung auch über eine angehobene Kündigungsanfechtung zu entscheiden hatte. Im Falle, dass der Mieter die Kündigung bei der zuständigen Schlichtungsbehörde anfocht, hatte diese das Begehren an den Ausweisungsrichter zu überweisen. Es fand eine sogenannte Kompetenzattraktion statt. Der Ausweisungsrichter entschied mit voller Kognition, d.h. ohne die ansonsten für summarische Verfahren charakteristische Beweismittelbeschränkung (vgl. SVIT-Kommentar Mietrecht, 3. Auflage, N 8a zu Art. 274g OR mit weiteren Hinweisen).

Wichtig: Mit dem Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung auf den 1. Januar 2011 sind die Art. 274 ff. OR, also insbesondere auch Art. 274g OR, ersatzlos aufgehoben worden.

Kündigungsschutz Mieter: Regelung in der ZPO

Im Gegensatz zu Art. 274g aOR lassen sich der ZPO keine koordinierenden Anordnungen entnehmen für den Fall, dass Parallelverfahren betreffend Kündigungsanfechtung und Ausweisung eingeleitet werden. Das Vorgehen, wie die Gerichte die Verfahren zu koordinieren haben, hat sich daher nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen zu richten. Darauf wird nachstehend einzugehen sein.

Keine Einrede der Litispendenz zu Gunsten des Mieters

In aller Regel wird der Kündigungsschutz durch den Mieter aufgrund der 30-tägigen Verwirkungsfrist von Art. 273 OR bei der Schlichtungsbehörde beantragt, bevor der Vermieter überhaupt ein Rechtsschutzinteresse daran hat, beim zuständigen Einzelgericht im summarischen Verfahren die Ausweisung zu verlangen. Macht der Vermieter ein Ausweisungsbegehren im summarischen Verfahren hängig, stellt sich die Frage, ob der Mieter im Ausweisungsverfahren die sogenannte Einrede der Rechtshängigkeit (Litispendenz) erheben kann (vgl. dazu Art. 59 Abs. 2 lit. d ZPO). Dies würde bedeuten, dass der Ausweisungsrichter aufgrund des bereits hängigen Verfahrens zum Kündigungsschutz des Mieters auf die Ausweisungsklage nicht eintreten könnte.

Diese Frage ist zu verneinen. Zwar tritt nach Art. 62 ZPO die Rechtshängigkeit bereits mit der Einreichung des Schlichtungsgesuchs ein und sind die im Schlichtungsverfahren zu klärenden Fragen (insbesondere die Gültigkeit der Kündigung) als sogenannte Vorfrage auch im Ausweisungsverfahren zu prüfen. Dies genügt grundsätzlich dafür, dass der Streitgegenstand des Schlichtungsverfahrens zwischen denselben Parteien nicht bei einem anderen Gericht rechtshängig gemacht werden kann (Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO).

Hinweis: Entgegen dem Wortlaut von Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO, wonach der Streitgegenstand nicht anderweitig rechtshängig gemacht werden kann, ist trotz eines hängigen Schlichtungsverfahrens das Stellen eines Ausweisungsbegehrens im summarischen Verfahren aber möglich, weil die Sperrfrist der Rechtshängigkeit parallele Verfahren mit identischem Streitgegenstand betrifft, Ausweisung und Kündigung aber nicht in diesem Sinne identisch sind.

Während das Ausweisungsbegehren den Räumungsanspruch des Vermieters betrifft, hat das Anfechtungsverfahren die (im Ausweisungsverfahren Vorfrage bildende) Gültigkeit der Kündigung zum Gegenstand.

Dem Interesse des Mieters wird im Übrigen genügend Rechnung getragen, weil dem Ausweisungsbegehren im summarischen Verfahren nur entsprochen werden kann, wenn der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist und kumulativ die Rechtslage klar ist (Art. 257 Abs. 2 ZPO).

Achtung: Ist also die Rechtslage unklar oder der Sachverhalt umstritten und nicht sofort durch Urkunden beweisbar, kann auf das Begehren nicht eingetreten werden. Damit ist ausgeschlossen, dass ein Mieter im summarischen Verfahren ausgewiesen werden kann, wenn er gute Gründe vorzubringen vermag, welche gegen die Gültigkeit der Kündigung sprechen.

Auf der anderen Seite bleibt dem Vermieter die Möglichkeit erhalten, einen Mieter, der trotz einer unzweifelhaft gültigen Kündigung widerrechtlich im Mietobjekt verbleibt, im summarischen Verfahren ausweisen zu können. Diese Möglichkeit muss dem Vermieter unabhängig davon zustehen, ob der Mieter die Kündigung angefochten hat oder nicht, weil sich der Mieter ansonsten einer drohenden Ausweisung durch eine vollkommen unbegründete Kündigungsanfechtung über Monate entziehen könnte.

Keine Sistierung des Ausweisungsverfahrens bei hängigen Schlichtungsverfahren

Theoretisch wäre es denkbar, zunächst das Verfahren zum Kündigungsschutz durchzuführen und das Ausweisungsverfahren solange zu sistieren. Dies entspricht aber nicht der Praxis der Gerichte. Der Gesetzgeber hatte nämlich die Absicht, für klare Fälle ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, welches unabhängig von der Rechtshängigkeit eines Schlichtungsverfahrens eine rasche Verfahrenserledigung erlauben soll.

Wichtig: Das Ausweisungsbegehren ist durch das Einzelgericht im summarischen Verfahren also auch dann zur behandeln, wenn zuvor die Kündigung bei der Schlichtungsbehörde angefochten worden ist.

Sistierung des mietrechtlichen Hauptverfahrens?

Das Obergericht des Kantons Zürich hat in einem Fall erwogen, es spreche einiges dafür, dass bei einem pendenten Ausweisungsverfahren, in dem die Kündigung vorfrageweise geprüft wird, das mietrechtliche Verfahren sistiert werden soll (Art. 126 ZPO), bis über das Ausweisungsbegehren rechtskräftig entschieden worden ist. Die zumindest im Kanton Zürich angewendete Praxis der Sistierung des mietrechtlichen Hauptverfahrens bis zur Erledigung des summarischen Ausweisungsverfahrens ist also vom Obergericht des Kantons Zürich als zulässig bezeichnet worden. Dies macht Sinn.

Kognition des Einzelgerichts im summarischen Verfahren bei erfolgter Kündigungsanfechtung

Weil nach der seit 1. Januar 2011 in Kraft stehenden ZPO, wie erwähnt, keine Überweisung des Verfahrens betreffend Kündigungsschutz an den Ausweisungsrichter mehr erfolgen kann und eine Sistierung des summarischen Ausweisungsverfahrens nicht in Frage kommt, ist die Kündigungsanfechtung im Rahmen des summarischen Ausweisungsverfahrens als Vorfrage zu prüfen.

Im Gegensatz zum bis 31. Dezember 2010 geltenden Recht (Art. 274g aOR) erfolgt die Überprüfung aufgrund des summarischen Verfahrens nicht mehr mit voller Kognition, d.h. nicht mehr umfassend.

Achtung: Lässt sich die Vorfrage der Gültigkeit der Kündigung im summarischen Verfahren nicht beurteilen, weil entweder die Rechtslage oder die Sachlage unklar ist, so führt dies zu einem Nichteintretensentscheid (Art. 257 Abs. 3 ZPO). Der Vermieter hat diesfalls ein Ausweisungsbegehren im normalen mietrechtlichen Verfahren durchzusetzen, in welchem das Gericht zwar über volle Kognition verfügt, welches aber wesentlich länger dauert.

Die mit Ausweisungen im summarischen Verfahren befassten Gerichte gehen momentan teilweise sehr weit, indem sie erwägen, aufgrund des Wegfalls der Kompetenzattraktion des Art. 274g aOR und damit der Möglichkeit, Kündigungsanfechtungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen, bleibe auch bei ganz geringfügigen Zweifeln nichts anderes übrig, als einen Nichteintretensentscheid zu fällen. Wenn der Mieter die Kündigung innert Frist bei der zuständigen Schlichtungsbehörde anficht und die Missbräuchlichkeit der Kündigung auch nur behauptet, wird dem Vermieter damit faktisch die Möglichkeit genommen, seinen Ausweisungsanspruch im dafür vorgesehenen summarischen Verfahren durchsetzen zu können. Das Verzögerungspotenzial durch die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens zum Kündigungsschutz gegen eine an sich klar gültige Kündigung muss mithin als beträchtlich bezeichnet werden. Dies aber widerspricht der im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gebrachten und vorstehend schon erwähnten Absicht des Gesetzgebers, für klare Fälle ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, das es dem Vermieter erlaubt, rasch eine Ausweisung des Mieters zu erwirken.

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