«Die Schweizer Berufsbildung muss sich weiter internationalisieren», forderte 2013 Jörg Teusch, damals Präsident von Berufsbildung Schweiz. Anlass dazu war der Bericht der Austauschorganisation AFS Schweiz zum Thema «Die Berufslehre wird mobil».
Teuschs Appell folgten leider nur sehr wenige Lehrfirmen, obwohl verschiedenste Schweizer Grossunternehmen seit Jahren gute Erfahrungen mit Austauschprogrammen machen. Die Lonza AG gehört in der Schweiz zu den Pionieren, was die Entsendung von Lehrlingen betrifft. Bereits 1999 hat das im Wallis gegründete Chemie- und Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in Basel ein entsprechendes Pilotprojekt lanciert. «Wir haben damals nach einem Weg gesucht, wie wir unsere Lehrstellen attraktiv machen können. Heute sprechen für uns verschiedenste Gründe dafür, unsere Lernenden ins Ausland zu schicken», sagt Paul Briggeler, Leiter der beruflichen Grundbildung bei Lonza. Über die Jahre haben sich für das Unternehmen drei Hauptgründe herauskristallisiert, Lernende ins Ausland zu schicken:
1. Austauschprogramme fördern die Arbeitgeberattraktivität
Lehrfirmen, welche Auslandsaufenthalte während der Lehre anbieten, positionieren sich attraktiv und rekrutieren engagierte und motivierte Schulabgänger.
2. Selbstständigkeit der Lernenden
Jugendliche verfügen nach einem Austauschjahr über überdurchschnittliche Sprachkenntnisse; sie sind zudem beruflich und persönlich selbstständiger und reifer. Sie verfügen über verbesserte Sozialkompetenzen und sind gelassener Neuem gegenüber. Man muss sie für den Rest der Lehre weniger «an die Hand nehmen».
3. Loyalität der Ausgelernten
Verlassen Ausgelernte die Firma, ist die Chance grösser, dass sie nach einigen Jahren oder dem Besuch einer Fachhochschule erneut und mit mehr Fachwissen zurückkehren – in die Firma, welche ihnen ein Auslandsjahr während der Lehre ermöglichte und damit eine einmalige Erfahrungen im Leben. So verringern sich Rekrutierungskosten und -zeit sehr stark.
Mehrstufiges Auswahlverfahren
Austauschprogramme stellen – bei allem Nutzen für die Beteiligten – in jedem Fall hohe Anforderungen an die Teilnehmenden. Um sicherzustellen, dass der Austausch zu einem befriedigenden Erlebnis wird, gliedert sich die Auswahl in mehrere Phasen. So können durch die Kommunikation der Möglichkeit eines Austausches etwa bei Schnupperlernenden bereits im Vorfeld der Lehre Interessierte angezogen werden. Firmenintern werden unter den Lernenden dann geeignete Kandidaten ausgesucht. «Grosses Engagement in der Lehre, ein starker Charakter und ‹Bodenhaftung› sind zwingende Voraussetzungen für eine Auswahl», sagt Paul Briggeler. Bei Lonza kommen Austauschprogramme für alle drei- oder vierjährigen Lehrberufe infrage – von Logistikern über Laboranten bis zu Polymechanikern. Schliesslich müssen die Lernenden das Anmeldeverfahren von AFS Schweiz, der Organisation, welche die Austausche abwickelt, durchlaufen. Dort ist eine starke intrinsische Motivation für einen kulturellen Austausch wichtig.
Geringer administrativer Aufwand
Seit über 60 Jahren engagiert sich AFS Schweiz für den internationalen Jugendaustausch. Seit den 90er-Jahren arbeitet AFS auch mit Lehrfirmen zusammen und sendet Lernende in Jahresaufenthalte. Das Mobilitätsprogramm für Berufslernende wurde Ende 2014 von der EU-Kommission für Bildung und Kultur als «Good Practice» bezeichnet. Die Partnerschaft mit der Austauschorganisation AFS ist für die Lonza wichtig: «Wir sind froh, dass sich der administrative Aufwand für uns in Grenzen hält», sagt Paul Briggeler.
Das sechs Jahrzehnte umfassende Know-how von AFS verringert den Aufwand in der Lehrfirma auf ein Minimum: Es gilt lediglich den Lehrvertrag zu sistieren und einen Folgevertrag auszustellen. Flugbuchung, Auswahl einer Gastfamilie und einer Schule vor Ort und – sicherlich am wichtigsten – die Begleitung und Betreuung der Austauschteilnehmenden zu jedem Zeitpunkt, auch in eventuellen Krisensituationen, sind bei AFS in professionellen Händen. Die starke Einbindung des Lernenden schon während der Vorbereitung stärkt die Motivation und sensibilisiert für die Herausforderungen, die es im Ausland zu meistern gibt.
Die jahrzehntelange Erfahrung bei der Austauschorganisation zeigt, dass eine solide Vor- und Nachbereitung des Austauschs sowie eine strukturierte Begleitung während des Auslandaufenthalts den Nutzen massiv erhöhen. Die Teilnehmenden können so längerfristig profitieren und nachhaltige Fortschritte in ihrer Persönlichkeitsentwicklung machen. Die frühzeitige Einbindung der Lernenden ist hierfür ein wichtiger Faktor: Durch die aktive Rolle in der Vorbereitung sowie eine gemeinsame Verarbeitung nach dem Austausch wächst das Programm weit über die Hin- und Rückflugdaten hinaus.
Das Beispiel der Lonza AG zeigt, dass sich der Mut zu einem Pilotprojekt lohnt. Da die Lehrfirmen auf die bestehenden Strukturen der Austauschpartner zurückgreifen können, zeigen sich Nutzen und Bedürfnisse oftmals schneller als bei langwierigen Abklärungen. Mit einer soliden Evaluation können Anpassungen von Jahr zu Jahr vorgenommen und schnell eingebaut werden. Mit der externen Zusammenarbeit hält sich der Initialaufwand der Lehrfirma ausserdem in Grenzen.
Sprachgewandt und sozialkompetent
Längerfristig sind die Lernenden, die nach ihrer Rückkehr begeistert über ihre Erfahrungen berichten, die beste Werbung: Dies motiviert Jugendliche, sich bereits im ersten Lehrjahr für ein Austauschprogramm zu bewerben und sich entsprechend in der Firma zu engagieren. Neben der Perspektive einer neuen Kultur, welche die Rückkehrenden in die Firma einbringen, darf so auf eine gute Motivation unter den Lernenden gezählt werden. Bei einer internationalen Firma wie Lonza ist Englisch als Fremdsprache sehr wichtig. Bei Austauschteilnehmenden, die nicht nur in die Fremdsprache, sondern auch in die Arbeitskultur des Gastlandes eingetaucht sind, ist die Sprachförderung nach der Rückkehr kein Thema mehr. Dank der Auseinandersetzung mit der teilweise höchst unterschiedlichen Lebensrealität im Gastland verfügen die Rückkehrenden ausserdem über starke Sozialkompetenzen, die auch auf die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb wirken.