Gerichtsentscheid fristlose Kündigung: Zum Streiten braucht es immer zwei

Arbeitshilfen Kündigung & Arbeitszeugnis
Ausgangssituation
Bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit einer fristlosen Kündigung sind stets sämtliche Umstände des konkreten Falls zu berücksichtigen. Dies verdeutlicht folgender Fall aus der Westschweiz: Ein Kellner war seit drei Jahren in einem Restaurant angestellt. Am 7. Juli 2011 erhielt er von der Arbeitgeberin ein Schreiben, mit welchem ihm untersagt wurde, seine Ferien ab 9. Juli 2011 zu beziehen. In der Folge zerschlug der Kellner Geschirr und stiess die Ehefrau des Geschäftsführers so, dass sie stürzte und oberflächliche Schrammen erlitt. Aufgrund dieses Vorfalls kündigte die Arbeitgeberin ihm fristlos.
Der Wutausbruch des Kellners hat eine längere Vorgeschichte: Die Arbeitgeberin behandelte den Arbeitnehmer nämlich regelmässig unnötig aggressiv, herabmindernd und sogar verächtlich, teilweise auch vor Kunden. Der Arbeitnehmer litt nach der Kündigung an schweren Depressionen und posttraumatischem Stress und war während sieben Monaten vollumfänglich arbeitsunfähig. Sein Gesundheitszustand wurde seitens der Psychologin und der Gerichtsexpertin mit Sicherheit als Folgeerscheinung eines aufgrund der Erlebnisse am Arbeitsplatz erlebten Traumas erklärt.
Bundesgerichtsentscheid vom 22.7.2014
Das Bundesgericht führte aus, dass bei der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, alle Umstände des konkreten Falls zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch ein nicht rechtskonformes Verhalten des Arbeitgebers, welches den Arbeitnehmer dazu veranlasst, seine Treuepflicht schwerwiegend zu verletzen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mobbt und damit die ihm von Art. 328 OR auferlegte Pflicht zur Achtung der Persönlichkeit und zum Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers verletzt. Zur Rechtfertigung einer Kündigung kann sich der Arbeitgeber nicht auf Umstände berufen, welche Folgen seiner eigenen Pflichtverletzung sind.
Passende Produkt-Empfehlungen
Das Bundesgericht erwog für den konkreten Fall, dass der Kontrollverlust des Arbeitnehmers zwar durch die Verweigerung des Ferienantrags ausgelöst wurde, die Ursache für den Wutausbruch letztlich jedoch im schlechten Gesundheitszustand des Arbeitnehmers liege, der stark unter dem Mobbing gelitten hatte. Angesichts dessen, dass die übermässige Reaktion des Arbeitnehmers zumindest teilweise auf das ihm feindlich gesinnte Verhalten des Arbeitgebers zurückzuführen sei, sei nicht relevant, ob das Thema Ferien – wie vom Arbeitnehmer behauptet – bereits im Dezember oder – wie vom Arbeitgeber behauptet – erst im Juli besprochen worden sei. Das Bundesgericht erachtete die fristlose Entlassung als ungerechtfertigt und wies die Sache an die kantonale Instanz zur Bestimmung der Rechtsfolgen zurück (BGer Nr. 4A-60/2014).
Was bedeutet das für die Praxis?
Aggressionen oder Drohungen des Arbeitnehmers können einen wichtigen Grund für eine fristlose Entlassung darstellen,
- wenn die Aggression besonders beunruhigend war oder das Risiko eines Rückfalls besteht, z.B. weil der Arbeitnehmer schon lange ein entsprechendes Verhalten an den Tag gelegt hatte und Streitereien häufig waren
- oder wenn die Tätlichkeit und die Beschimpfung gegenüber einem Vorgesetzten erging, wobei zusätzlich ins Gewicht fällt, ob sie einen Autoritätsverlust des Arbeitgebers zur Folge hat, weil sie in Gegenwart des Personals geäussert wurde.
Zu berücksichtigen ist auch, ob die Verfehlung des Arbeitnehmers in einem Zustand der Verärgerung und mit einem entsprechenden Kontrollverlust begangen oder ob sie mit dem Vorsatz ausgeführt wurde, dem Arbeitgeber zu schaden. Immer aber sind allfällige Pflichtverletzungen des Arbeitgebers bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit der Kündigung zu berücksichtigen.
Es entspricht langjähriger Praxis, dass eine ordentliche Kündigung rechtsmissbräuchlich ist, wenn sie wegen einer Leistungseinbusse erfolgte, die sich als Folge einer Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers erweist. Die Ausnutzung des eigenen rechtswidrigen Verhaltens ist typischerweise rechtsmissbräuchlich. Diese Grundsätze wendet das Bundesgericht auch auf die fristlose Entlassung an. Ist das Verhalten des Arbeitgebers zumindest teilweise für die Verfehlung des Arbeitnehmers verantwortlich, darf sich der Arbeitgeber nicht auf die Folgen seiner eigenen Vertragsverletzung berufen und eine fristlose Entlassung aussprechen.