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Lohngerechtigkeit: Bilanz zur Lohngleichheitsanalyse

Die gesetzlich verordnete Lohngleichheitsanalyse zeigt, dass die meisten Unternehmen in der Schweiz die Lohngleichheit gewährleisten. Dennoch bleibt das Thema hochaktuell. Es zu ignorieren kann fatale Folgen haben, es richtig anzupacken eröffnet jedoch Chancen, in einem immer knapper werdenden Talentmarkt Wettbewerbsvorteile zu sichern.

07.02.2022 Von: Mexhit Ademi
Lohngerechtigkeit

Verdienen in der Schweiz Frauen tatsächlich weniger als Männer?

Die einstimmige Antwort ist «ja». Und dann folgt das «aber …», und schon ist es mit der Einigkeit vorbei. Die Bundesverfassung schreibt «gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit» vor. Ein Grundsatz, den niemand infrage stellt und stellen darf. Bei der Definition und Messung von «gleichwertiger Arbeit» scheiden sich jedoch die Geister. Das Bundesamt für Statistik (BFS) publiziert regelmässig Lohnstatistiken auf nationaler Ebene und weist eine unerklärte Lohndifferenz von 8,1% zuungunsten der Frauen aus, was ein Hinweis auf Lohndiskriminierung ist. Der Bund wollte diese Lohnungerechtigkeit bekämpfen und verordnete nach dem revidierten Gleichstellungsgesetz, dass alle Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden innert eines Jahres die Lohngleichheit überprüfen. Wer mit dem vom Bund zur Verfügung gestellten Analysetool Logib die Toleranzschwelle von 5% nicht überschreitet, erfüllt die Lohngleichheit.

Das Spiel mit den Zahlen

Entgegen der Behauptung, die Toleranzschwelle von 5% sei eine «Lohndiskriminierung mit dem Segen des Bundes» (NZZ vom 27.07.2020), stellt diese gemäss EBG eine Sicherheitsmarge dar, weil einerseits Logib nur eine bestimmte Anzahl erklärender Faktoren berücksichtigt und weitere mögliche objektive erklärende Faktoren auslässt und andererseits die statistische Genauigkeit nicht bei 100% liegen kann. Es ist falsch, zu behaupten, der Bund erlaube eine Diskriminierung von maximal 5%. Auch ist das Ziel der Lohngleichheitsanalyse nicht zwingend ein Wert von 0,0%. Logib liefert ein einfaches Ampelsystem von Grün bis Rot und sagt aus, ob die Lohngleichheit eingehalten wird. Das Programm liefert zudem weitere statistische Werte, die alle nur im Gesamtkontext betrachtet eine qualifizierte Aussage über die Lohnunterschiede erlauben, wobei der blosse Prozentwert der unerklärten Differenz kein ganzheitliches Bild zeigt. Jedoch ist diese eine Zahl vordergründig am einfachsten zu verstehen und wird doch oft missverstanden. Es handelt sich nicht um eine Diskriminierungstoleranz, sondern um eine Fehlertoleranz. Das ist eine wichtige Unterscheidung. 

Ebenfalls zu unterscheiden sind die absoluten Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen von der unerklärten Differenz. Nur Letztere hat die erklärenden Faktoren wie Funktion, Ausbildung, Dienstjahre etc. bereits berücksichtigt. In der öffentlichen Diskussion sieht man, wie die Zahlen je nach politischer Gesinnung und Interessenvertretung unterschiedlich interpretiert werden.

Welche Rückschlüsse können wir aus der Analysepflicht ziehen?

In ihrer Auswertung von einem Jahr Lohnanalysepflicht erklärt Theresa Goop vom «Competence Centre for Diversity & Inclusion» der Universität St. Gallen, dass 97% der Unternehmen «gute bis sehr gute Ergebnisse» ausweisen. Eine andere Studie mit 200 geprüften Unternehmen kommt zum Ergebnis, dass 95% der Unternehmen die Lohngleichheit einhalten (NZZ am Sonntag vom 15.08.2021). Diese Erkenntnis steht im Widerspruch zu den 8,1% des BFS. Das BFS untersucht erstens keine Unternehmen einzeln, sondern die Löhne aus allen Unternehmen zusammen, und zweitens fasst es dabei unterschiedlich «grosse» Funktionen in sehr breite Kategorien zusammen. Diese Vermischung ist auch ein inhärentes Problem von Logib, jedoch etwas weniger ausgeprägt, da eine bessere, wenn auch nicht ausreichend granulare Differenzierung der Funktionsstufen möglich ist. Die Ergebnisse von Logib sind deshalb auch mit Vorsicht zu geniessen. Während Firmen mit Lohnsystemen je nach Grösse schnell zwischen 10 bis 20 Funktionsstufen haben können, «zwingt» Logib sie dazu, diese auf 4 bzw. 5 verschiedene Niveaus zu reduzieren, was zwangsläufig dazu führt, dass in der Analyse nicht gleichwertige Funktionen als gleichwertige miteinander verglichen werden. Teilzeit, Erwerbsunterbrüche und Relevanz der «potenziellen Erwerbsjahre» werden ebenfalls nicht berücksichtigt. Dennoch decken sich die Ergebnisse mit Logib in den allermeisten Fällen mit den hauseigenen Analysen und Erfahrungen der Unternehmen, dass nämlich nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert wird.

Jenseits der methodischen Aspekte der Lohngleichheit gehen in der wichtigen Diskussion über Lohngerechtigkeit andere wichtige Aspekte der Gleichheit unter. In den allermeisten Unternehmen wird die Lohngleichheit, definiert als «gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit», eingehalten. Eine vertiefte Analyse der Ergebnisse legt jedoch eine häufige Chancenungleichheit offen. Der Frauenanteil nimmt mit steigender Jobkomplexität (einhergehend mit höheren Löhnen) ab, und Frauen machen aufgrund von Teilzeit und familienbedingten Erwerbsunterbrüchen weniger oft Karriere. Eine wohlgesinnte und seriöse Diskussion über Gleichheit und Gerechtigkeit sollte auch diese Hindernisse für den beruflichen Aufstieg der Frauen berücksichtigen. Eine Fixierung auf blosse Zahlen ist nicht zielführend. Das eigentliche Thema ist Chancengleichheit. Nur wer diese ernst nimmt, schafft auch Lohngerechtigkeit.

Message für das HR

Ein Jahr Analysepflicht führt uns vor Augen, welch reale Bedeutung Begriffe wie «People Analytics», «HR Metrics» oder «HR Controlling» haben. Während die einen Personalabteilungen dank guter Systeme und IT-Lösungen bestens gewappnet waren, die Analyse mit einem vernünftigen Aufwand durchzuführen, hatten andere mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Klar im Vorteil waren Unternehmen mit präzise definierten und bewerteten Funktionen und Lohnbändern. Sprich: jene Unternehmen, die über ein funktionierendes und adäquates Lohnsystem verfügen.

Auch für die vertiefte Analyse der Ergebnisse oder die systematische Ausarbeitung von Korrekturmassnahmen ist das Vorhandensein eines Lohnsystems zwingend, denn die eigentliche Herausforderung beginnt bei der «Analyse der Analyseergebnisse». Versuche, die Lohnungleichheit ad hoc zu reduzieren, sind zum Scheitern verurteilt. Langfristig und nachhaltig lässt sich die Lohngerechtigkeit nur systematisch im Rahmen eines Lohnmodells steuern. Eine einheitliche Sprache über «Jobgrösse» und objektiv nachvollziehbare Lohnentscheide sind dabei essenziell. Veraltete, nicht laufend aktualisierte Lohnsysteme oder solche mit objektiv unfairen Kriterien sind dabei eher hinderlich als hilfreich.

Kennzahlen und komplexe Analysen werden für HR immer wichtiger. Will HR am Tisch der Entscheidungsträger mitreden, muss es seine Argumente mit Zahlen untermauern. In diesem Jahr der Lohngleichheitsanalyse wurde HR wieder zur «Chefsache», und so manch ein CEO traute die Durchführung dieser Analyse dem HR nicht allein zu. Diesen Moment der erhöhten Aufmerksamkeit sollten die HR-Leiter*innen nutzen und das Steuer übernehmen, aber auch Defizite aufdecken und fehlende Kompetenzen aufbauen. Lohngerechtigkeit hat strategische Bedeutung erlangt und fordert eine strategische Sichtweise auf die Vergütung. Das Thema Funktionsstufenmodell und Lohnsystem muss Teil der HR-Strategie sein – auch für die kleineren KMU. Nicht nur, um regulatorische Anforderungen erfüllen zu können und für ein besseres «Employer Branding», sondern um überhaupt auf dem kandidatengesteuerten Arbeitsmarkt zu bestehen.

Wie weiter?

Nach der Lohngleichheitsanalyse ist vor der Lohngleichheitsanalyse. Lohngerechtigkeit ist ein sensibles gesellschaftliches Thema, das uns weiterhin begleiten wird. Der öffentliche Druck auf Unternehmen, die Lohngerechtigkeit zu gewährleisten, wird steigen. Auch politisch sind schon diverse Initiativen unterwegs. Kein Unternehmen kann dieses Thema ignorieren. Wer keine Analyse durchführt oder ein schlechtes Ergebnis ausweist, hat einen enormen Reputationsschaden in Kauf zu nehmen. Und doch ist die eigentliche Frage, wie man die Pflicht zur Kür machen kann. Einige Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voran und lassen sich auch als faire Unternehmen zertifizieren. Lidl Schweiz wirbt zum Beispiel damit, dass es bei ihnen keine Lohn unterschiede zwischen «Mann und Frau» oder zwischen «Schweizern und Ausländern» gibt. Auch viele andere Unternehmen haben entdeckt, dass die Positionierung als fairer Arbeitgeber die Attraktivität steigert, und wenn die Lohngerechtigkeit nun zum Anlass genommen wird, das Thema «Diversity Management» breiter anzugehen, dann kann es den Zugang zu unentdeckten oder unterschätzten «Talent reserven» im Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt eröffnen.

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