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Arztzeugnis: Zweifelhafte Zeugnisse

Unklare Formulierungen oder eine rückwirkende Krankschreibung führen bei Arztzeugnissen immer wieder zu Konflikten. Der Beitrag beleuchtet diese und andere gängige Problemstellungen und gibt Antworten auf häufige Fragen rund ums Thema Arztzeugnis.

19.07.2021 Von: Leena Kriegers-Tejura
Arztzeugnis

Wann muss ein Arztzeugnis vorgelegt werden?

Sind Mitarbeitende krank, haben diese regelmässig ein Arztzeugnis vorzulegen, damit sie während der Krankheit den Lohn weiterhin erhalten. Ab wann ein Arztzeugnis vorgelegt werden muss, ist im Obligationenrecht nicht definiert. Gesamtarbeitsverträge oder öffentliches Personalrecht sehen teilweise klare Regelungen vor, wann dieses erforderlich ist. Im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis wird dies oft im Arbeitsvertrag oder in einem Reglement festgehalten. Üblich ist eine Regelung, wonach ein Arztzeugnis ab dem dritten oder vierten Tag der Krankheit vorzulegen ist; vereinbart werden kann aber auch, dass das Arztzeugnis ab dem ersten Tag erforderlich ist. Es gilt zu beachten, dass dem Arztzeugnis kein strikter Beweis zukommt. Die Arbeitsunfähigkeit kann auch anders belegt werden (z.B. mittels Zeugenaussagen); das Arztzeugnis ist lediglich eine Parteibehauptung, die auch widerlegt werden kann.

Kann der Arbeitgeber den Lohn einstellen, wenn der Mitarbeiter das Arztzeugnis nicht einreicht?

Wenn jemand das Arztzeugnis nicht vorlegt, obwohl dies im Vertrag oder Reglement vorgesehen ist, kann der Arbeitgeber nicht einfach die Lohnfortzahlung einstellten. Die Lohnfortzahlung ist nicht an das Beibringen eines Arztzeugnisses gebunden. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Ordnungsvorschrift. Der Arbeitgeber kann in solchen Fällen dem Mitarbeitenden eine Abmahnung schicken und das Arztzeugnis nachfordern. Erst wenn der Arbeitnehmer sich weiterhin weigert, ein Arztzeugnis zu erbringen bzw. den Beweis der Arbeitsunfähigkeit nicht anders belegt, kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung einstellen.

Was tun bei unklaren Arztzeugnissen?

Trotz Vorlage eines Arztzeugnisses kann es sein, dass nicht alle Fragen geklärt sind, weil das Arztzeugnis unklar formuliert ist. Wenn im Arztzeugnis steht, jemand sei 50% arbeitsunfähig, ist nicht klar, ob es bei einem Teilzeitangestellten um eine Arbeitsunfähigkeit von 50% des eigentlichen Pensums geht, oder ob 50% von einem Vollzeitpensum von 100% gemeint sind. Ob ein Mitarbeitender «bloss» arbeitsplatzbezogen krank ist, müsste ebenfalls deklariert werden, damit ein Arbeitgeber von einer solchen Arbeitsunfähigkeit ausgehen darf. Zwar unterliegt der Arzt dem Berufsgeheimnis, d.h. er darf dem Arbeitgeber keine Diagnose herausgeben. Wenn es jedoch um die Klärung des Arztzeugnisses geht, muss er die nötigen Informationen liefern, ohne eine Diagnose herauszugeben.

Wann darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Vertrauensarzt schicken?

Es kann auch sein, dass der Arbeitgeber dem Arztzeugnis nicht traut. Es kommt nicht selten vor, dass Mitarbeitende nach Aussprechen der Kündigung krank werden, obwohl vorher vermeintlich keine Anzeichen dafür vorlagen. Dem Arbeitgeber steht es immer frei, den Arbeitnehmer auf seine Kosten zu einem Vertrauensarzt seiner Wahl aufzubieten. Dieser Aufforderung hat der Arbeitnehmer aufgrund der Praxis Folge zu leisten, auch wenn dies nicht explizit im Vertrag erwähnt wird. Die Praxis erklärt dies mit der Treuepflicht des Arbeitnehmers. Um Diskussionen zu vermeiden, empfiehlt es sich, eine solche Regelung im Arbeitsvertrag oder in einem Personalreglement explizit vorzusehen. Weigert sich ein Mitarbeitender, den Vertrauensarzt aufzusuchen, kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung einstellen. Bevor er dies tut, sollte diese dem Mitarbeiter unbedingt angedroht werden. Zu beachten ist ferner, dass der Vertrauensarzt ebenfalls an das Arztgeheimnis gebunden ist, weshalb er dem Arbeitgeber, der eigentlich der Auftraggeber ist, keine Diagnose herausgeben darf. Er kann lediglich das Arztzeugnis des Hausarztes bestätigen oder ablehnen.

Beweiskraft von Arztzeugnissen, insbesondere rückwirkender Arztzeugnisse

Die Beweiskraft von Arztzeugnissen führt immer wieder zu Streitigkeiten in der Praxis. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn ein Arztzeugnis rückwirkend ausgestellt wird und damit eine bereits ausgesprochene Kündigung nichtig macht. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich in seinem Entscheid A-536/2019 vom 9. Dezember 2019 mit dieser Frage befasst und stellte wie schon in früheren Entscheiden fest, dass ein rückwirkend ausgestelltes Arztzeugnis durchaus glaubhaft sein kann.

Im konkreten Fall kündigte die SBB einem alkoholkranken Mitarbeitenden. Zwei Tage später bescheinigte der Arzt dem Mitarbeitenden rückwirkend, dass er bereits seit einem Tag vor Zugang der Kündigung krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen sei. Die SBB akzeptierte zwar den ärztlichen Befund, nicht aber die Rückwirkung des Arztzeugnisses. Der Mitarbeiter hatte der Arbeitgeberin einen Tag vor der Kündigung mitgeteilt, er würde Ferien beziehen und habe dabei in keiner Art und Weise zum Ausdruck gebracht, arbeitsunfähig zu sein. Die Vorinstanz kam aus diesem Grund dann auch zum Schluss, die Kündigung sei nicht zur Unzeit erfolgt (also gültig); vielmehr habe sich der Gesundheitszustand des Mitarbeitenden nach Erhalt der Kündigung derart verschlechtert, dass die Arbeitsunfähigkeit nach Ausstellen der Kündigung eintrat (Sachverhalt Ziffer E.). Das Bundesverwaltungsgericht hielt hingegen fest, dass ein rückwirkend ausgestelltes Arztzeugnis nicht in jedem Fall unwirksam sei. Vielmehr müssten objektive Anhaltspunkte vorliegen, um deren Richtigkeit in Zweifel zu ziehen (E. 4.6). Im konkreten Fall hatte der Arbeitnehmer bereits vorher unter erheblichen gesundheitlichen Problemen gelitten. Die Rückwirkung war deshalb vorliegend mit drei Tagen nicht als übermässig zu betrachten. Die Kündigung war deshalb nichtig (E. 4.6).

Aufgrund des Entscheids könnte man sich nun fragen, ob Arbeitnehmende nicht immer sofort einen Arzt aufsuchen sollten, sobald sie Krankheitssymptome verspüren, damit sie frühzeitig ein Arztzeugnis vorlegen können. Das erscheint einerseits wenig sinnvoll, weil die Arbeitgebenden das Arztzeugnis oft erst ab dem dritten oder vierten Krankheitstag verlangen. Andererseits zeigt der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts auf, dass Arztzeugnisse im Einzelfall eine Rückwirkung entfalten können. Ob die Rückwirkung gerechtfertigt ist, kann daher immer noch für einen einzelnen Fall entschieden werden.

Auch wenn es sich bei diesem Entscheid um einen Fall des öffentlichen Arbeitsrechts handelt, sind die Erwägungen des Gerichts analog auf das private Arbeitsrecht anwendbar. Auch hier gilt, dass rückwirkende Arztzeugnisse nicht unproblematisch sind, aber nicht grundsätzlich unzulässig. Diese kommen im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis ziemlich häufig vor. Wenn vertraglich das Arztzeugnis erst ab dem dritten oder vierten Krankheitstag verlangt wird, macht der Gang zum Arzt vorher gar keinen Sinn. Zweifel an rückwirkenden Arztzeugnissen sind zumindest dann angebracht, wenn weitere Umstände vorliegen, welche die behauptete Arbeitsunfähigkeit fraglich erscheinen lassen. Auch kantonale Gerichte haben in Bezug auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisses bereits festgestellt, dass retroaktive Arztzeugnisse zwar nicht per se für unzulässig zu erachten sind, doch komme ihnen dann, wenn sie sich nicht auf objektive Befunde stützen könnten, sondern nur auf Patientenschilderungen beruhten, ein geringer Beweiswert zu (JAR 2008, S. 376 E. 3.4).

Empfehlungen FMH

Der Berufsverband der Ärzte FMH empfiehlt bei der Ausstellung eins rückwirkenden Arbeitsunfähigkeitszeugnisses besonders auf Transparenz zu achten. Der Arzt muss festhalten, was er selbst festgestellt bzw. was er auf Angaben des Patienten attestiert. Das Zeugnis muss auf jeden Fall das Anfangsdatum der Arbeitsunfähigkeit, das Ausstellungsdatum sowie das Datum der ersten Behandlung beinhalten. Die Rückwirkung sollte grundsätzlich nicht mehr als eine Woche betragen. Es handelt sich hierbei um Empfehlungen, weshalb im Einzelfall auch rückwirkende Arztzeugnisse über mehr als eine Woche nicht automatisch als ungültig zu taxieren wären. Vielmehr wären die Umstände der Ausstellung des Zeugnisses näher unter die Lupe zu nehmen

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