Checkliste für Umgang mit Betroffenen
Gespräche mit Betroffenen stellen eine grosse Herausforderung dar. In der Regel besteht das Spannungsfeld darin, dass Gesprächsleitende hin- und hergerissen sind zwischen Mitleid, Ärger, Unglauben, Unverständnis und dem Bedürfnis, sofort zu helfen. Entlasten Sie sich vom Druck, bereits im ersten Gespräch wissen zu müssen, was Sache ist, wer recht hat und wer die Täter sind. Erfahrungen von Anlaufstellen zeigen, dass Betroffene in erster Linie ein offenes Ohr brauchen; in 2/3 der Fälle ist die Entlastung dadurch so gross, dass keine weiteren Schritte notwendig sind.
Da Mobbing eine höchst emotionale Angelegenheit ist, hilft es für die Gesprächsvorbereitung, die eigene persönliche Einstellung zu klären. Bestehen Vorurteile den «Tätern» oder «Opfern» gegenüber? War man selbst einmal in eine solche Situation verwickelt? Kennt man aus dem persönlichen Umfeld Betroffene? Folgende grundsätzlichen Punkte helfen Ihnen, Ihren Gesprächspartnern aufmerksam, unvoreingenommen und mitfühlend zu begegnen:
- Reservieren Sie sich Zeit und informieren die Gesprächspartner über den Zeitrahmen.
- Halten Sie sich zurück bezüglich Massnahmen ➞ Reflexion statt Reflex.
- Erkundigen Sie sich, was die Betroffenen sich wünschen.
- Sprechen Sie über verschiedene Varianten von Massnahmen und informieren Sie über deren Konsequenzen.
- Lassen Sie den Betroffenen Zeit, sich für Massnahmen zu entscheiden.
- Holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung (Fachstellen, Kollegen und Kolleginnen , Vorgesetzte)
- Beachten Sie: Die Verantwortung bleibt grösstenteils bei den Betroffenen!
- Fassen Sie stichwortartig die Situation zusammen (verbal und schriftlich), damit die Betroffenen ergänzen oder korrigieren können.
Mobbing – Leitfaden für das Erstgespräch mit Betroffenen
- Begrüssung, auf Vertraulichkeit des Gesprächs hinweisen
- wertschätzender Einstieg: «Was ist Ihr Anliegen?»/«Wie kann ich Ihnen helfen?» ➞ Situation beschreiben lassen
- Welche Auswirkungen bestehen auf Befinden/Leistungsfähigkeit/Körper/soziales Umfeld?
- Was haben die Betroffenen bisher unternommen?
- Bestehen weitere Belastungen (Arbeitsplatz, privates Umfeld, persönlich etc.)?
- Bisher Verstandenes zusammenfassen (mit Notizen)
- Welche Massnahmen wünschen sich die Betroffenen? Welche Unterstützung kann die Anlaufstelle anbieten? Braucht es allenfalls weitere Fachleute (Personalleitung, Hausarzt, professionelle Mobbing-Beratung, Psychotherapie etc.) • weiteres Vorgehen planen: wird ein weiterer Termin gewünscht/ist er notwendig? Gespräche mit weiteren Personen (Vorgesetzte/Personalabteilung/mutmasslicher Täter)?
- weitere kurze Zusammenfassung (mit Notizen)
- Gespräch wertschätzend abschliessen
Mobbing – Umgang mit Tätern
Die Krux besteht zu Beginn oft darin, dass man als Vorgesetzte oder HR-Verantwortliche nicht genau weiss, wie es tatsächlich aussieht – ja sogar, wer wen mobbt. In der Regel beklagen sich die vermeintlichen Opfer sehr emotional über den/die Täter und greifen diese allenfalls auch verbal an. Hier zu unterscheiden ist wirklich schwierig. Genau aus diesem Dilemma heraus werden die meisten Mobbing-Fälle von Vorgesetzten, Mitarbeitenden und Personalabteilung vertuscht: Es lässt sich nicht klar eruieren, wer recht hat. Man sieht aber, dass sich eine Person eigenartig verhält (das Opfer, das schon längere Zeit den zusätzlichen Stress nicht aushält). So macht man sich seine Gedanken und distanziert sich langsam, aber sicher von den Betroffenen. Es muss fairerweise auch berücksichtigt werden, dass sich jemand subjektiv durchaus nachvollziehbar angegriffen fühlen kann, während objektiverweise kein Vergehen vorliegt.
Es empfiehlt sich, wie oben ausgeführt, auch beim Gespräch mit dem/den mutmasslichen Tätern eine grundsätzlich wertschätzende und offene Haltung einzunehmen. Daher sollte man nie mit einer vorwurfsvoll-aggressiven Haltung (z.B. im Stil: «Was haben Sie sich nur dabei gedacht, die Frau Meier in dieser Weise anzufahren?!») auf einen möglichen Täter zugehen. Sondern sachlich den/die Gesprächspartner/in auf die eigenen Beobachtungen ansprechen und ihn/sie nach ihrer Meinung fragen. Erfahrene Gesprächsführende spüren rasch, ob ihr Visavis sich natürlich und kooperativ verhält, oder ob er/sie unsachlich wird, evtl. aggressiv oder emotional klagend gegen die Nichtanwesenden. Solche Gespräche brauchen viel Fingerspitzengefühl und sollten entsprechend gut vorbereitet werden, am besten mit Unterstützung (Vorgesetzte, HR, Kollegen, Coach).
Wichtig!Es bestehen folgende Gefahren:
- Vorgesetzte nehmen einen echten Mobbing-Fall nicht ernst, tragen dadurch ihren Teil dazu bei, dass es den Betroffenen immer schlechter geht und diese über kurz oder lang aus dem Team ausscheiden. Und unter Umständen nie mehr ganz auf die Beine kommen.
- Vorgesetzte schlagen sich auf die Seiten der vermeintlichen Opfer und gehen irrtümlicherweise gegen den/die Täter harsch vor. Es könnte passieren, dass letztere zu Opfern werden mit den bekannten Folgen.
- Es besteht ein Mobbing-Fall oder mindestens ein Konflikt. Vorgesetzte versuchen, diesen ohne auf die Bedürfnisse der Betroffenen einzugehen nach eigenem Gutdünken zu lösen. Nach dem Motto: Da muss doch etwas gehen. Oft resultiert nicht der gewünscht Effekt.
Das Wichtigste über Mobbing und Praxis-Tipps
Schwere Konfliktsituationen und Mobbing-Fälle sind ausgesprochen anspruchsvoll. Holen Sie sich als Vorgesetzte oder involvierte Personalfachleute Hilfe, um sich selbst zu entlasten. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in unserem Business Book «Schwierige Gespräche führen».