Notwendigkeit der HR-Fachkräfte: «Uns braucht es mehr denn je»

Was heute ist, wird morgen nicht mehr sein. Nirgends ist diese Feststellung so wahr wie in der Wissenschaft und der Wirtschaft. Auch HR-Fachkräfte können nicht weitermachen wie bisher.

18.08.2023 Von: Beatrice Müller
Notwendigkeit der HR-Fachkräfte

Nennen wir sie Suzanne Z. Sie sitzt in meinem Büro und klagt. «Man hört mir immer weniger zu. Was mache ich falsch? Liegt es an meinem Auftreten? Oder liegt es an der rasanten Entwicklung in der Wirtschaft?» Suzanne Z. ist HR-Verantwortliche eines mittelgrossen schweizerischen Unternehmens.

Wir arbeiten an ihrem Auftreten: an ihrer Mimik und Gestik, an ihrer etwas mädchenhaften Stimme, ihrer verrenkten, nicht direkten Ausdrucksweise, an ihrer etwas provinziellen Kleidung. Ich filme sie bei den Übungen. Sie erschrickt zunächst, aber sie kapiert schnell.

Doch bald merken wir, dass es nicht nur an ihrem zögerlichen Auftritt liegt, dass man ihr immer weniger zuhört. Suzanne Z. arbeitet in einem IT-Unternehmen. Die Firma erlebte in den letzten Jahren einen rasanten Umbruch. In ihrem Pflichtenheft steht, sie müsse die Weiterentwicklung der Mitarbeiter fördern und diese betreuen.

Doch sie stellt fest: Viele der vorwiegend jungen Spezialisten pfeifen auf ihre Angebote. Sie holen sich selbst das, was sie brauchen. Sie sind viel weiter, als sich Suzanne Z. vorstellen kann. Viele kommen aus der Start-up-Szene.

Sie leben in der IT-Welt, gehen dort voll auf, schulen sich mit Tools, die sie herunterladen, tauschen sich mit geistesverwandten Freunden aus und besuchen Kurse, von denen Suzanne Z. keine Ahnung hat.

Sie haben Vorstellungen, wie die Zukunft aussieht, was in einigen Jahren gefragt sein könnte. Sie haben eine Nase entwickelt für neue Trends, Bedürfnisse – und damit für neue Absatzmöglichkeiten. Was kann da Suzanne Z. zu ihrer Weiterentwicklung beitragen?

«Wir brauchen die HR-Leute nicht mehr», sagte in ihrem Betrieb kürzlich ein 24-Jähriger. «Die HR-Leute sind wir. Wir betreuen uns selbst.» Die HR-Manager seien nur Bremser und würden mehr schaden als nützen.

Also: Schaffen wir die HR-Abteilung ab? Sicher nicht.

Die Notwendigkeit der HR-Fachkräfte

Suzanne Z. ist keineswegs eine aus der Zeit gefallene HR-Frau. Sie ist jung, gut geschult, steht der digitalen Transformation keineswegs bremsend gegenüber – aber eine Top-IT-Spezialistin ist sie eben nicht. Und das muss sie auch nicht sein.

Sie beschreibt das Betriebsklima. «Diese jungen Spezialisten sind Einzelkämpfer, furchtbar ehrgeizig. Alle glauben, sie seien die Besten. Alle wollen sich nach oben strampeln.»

«Und die Kollegialität, die Teamfähigkeit?» frage ich. «Die wird immer beschworen», sagt Suzanne, «aber in Wirklichkeit spüre ich wenig davon.» Die Zeiten haben sich geändert. Der Verdrängungskampf ist brutaler geworden, die Umgangsformen sind rüder. Die Jungen wissen: sie müssen kämpfen und kämpfen. Die Kollateralschäden, die sie im Betrieb hinterlassen, interessieren sie nicht.

Es ist eine uralte Weisheit, dass man in einem guten Betriebsklima produktiver arbeitet. Zwar ist die Hierarchie in vielen Unternehmen flacher geworden. Mehr und mehr arbeitet man in einzelnen Teams mit eigenen Verantwortungen. Umso wichtiger ist die Teamfähigkeit der Einzelnen. Doch die leidet da und dort unter der zunehmend grassierenden Einzelkämpfer-Mentalität.

Und da kommen die HR-Spezialisten zum Zug. Ihre Aufgabe ist es nicht, den Mitarbeitenden zu sagen, was sie fachlich tun sollen. Das können sie meistens nicht – und müssen es auch nicht können. Ihre Aufgabe ist es, ein Betriebsklima zu schaffen, in dem sich die Leute entfalten können. Die Personalentwickler sollen Strukturen propagieren, damit die Mitarbeiter ihr Bestes geben.

Ziel ist es, einen Brutkasten zu schaffen, in dem gemeinsam Ideen entwickelt werden. Das HR-Management hat die Aufgabe, den Einzelkämpfern klarzumachen, dass man sich gegenseitig mit Ideen befruchten soll. Ziel muss es sein, Strukturen einzurichten, damit ein ständiges Ideen-Pingpong stattfindet.

Personalentwickler sind wie Fussballtrainer. Eine Fussballmannschaft gewinnt kaum, wenn die einzelnen Stars unbeirrt wie die Feuerwehr aufs Tor zustürmen. Eine Mannschaft ist dann erfolgreich, wenn das Zusammenspiel der einzelnen Talente funktioniert. Aufgabe des Personalentwicklers muss es sein, die Stars zu fördern (man kann sie sogar etwas hätscheln), ohne das Zusammenspiel zu gefährden.

Die HR-Leute hatten früher die Aufgabe, Personal anzustellen. Doch je spezialisierter ein Betrieb ist, desto schwieriger wird es für die HR-Leute, zu erkennen, welches denn die besten Leute sind. Also schaut man auf Diplome, konsultiert den Lebenslauf und Empfehlungsschreiben. Doch das ist gefährlich. Ein Diplom ist noch längst keine Garantie dafür, dass der Kandidat oder die Kandidatin die richtige Person für den Betrieb ist.

Umso wichtiger ist es, dass bei Anstellungen die Experten, die bereits im Betrieb arbeiten, beigezogen werden. Nur sie wissen, welche spezifischen Fähigkeiten gefragt sind. Gemeinsam sollen sie die Kandidaten treffen und in die Mangel nehmen. Basisdemokratie ist nicht immer gut. Doch bei Anstellungen in hoch spezialisierten Betrieben sind einsame Chefentscheide gefährlich. Die HR-Person hat die Aufgabe, solche Anstellungs-Kolloquien zu organisieren und zu moderieren. Und vielleicht achtet er oder sie auch mehr als die Fachkräfte auf die menschlichen Qualitäten eines Kandidaten.

Natürlich kann und soll man nicht verallgemeinern. Nicht alle Firmen sind aufstrebende, wilde IT-Firmen. Die guten alten HR-Grundsätze haben längst noch nicht überall ausgedient. Doch die Behäbigkeit gewisser Betriebe erschreckt doch immer wieder.

Auch in klassischen Betrieben hat die Digitalisierung einen immer wichtigeren Stellenwert. Erschreckend viele Unternehmen stehen heute der digitalen Revolution recht passiv gegenüber. Der Vorwurf, dass HR-Leute schuld daran sind, dass sich der Betrieb nicht auf die Zukunft vorbereitet, ist nicht immer falsch. Viele glauben, es sei damit getan, Analoges zu digitalisieren.

Die Rolle des HR-Managements hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Sie ist anspruchsvoller geworden. Wer für die Abschaffung der HR-Abteilung plädiert, wird früher oder später vor einem Scherbenhaufen stehen. Ohne HR fehlt das Bindeglied zwischen Personal und Führung. Das führt dann oft dazu, dass der CEO HR-Spezialist spielt – und das wirkt sich meist verheerend aus. Der Chef soll sich um die Strategie des Unternehmens kümmern und nicht um die Befindlichkeit dieses oder jenes Mitarbeiters.

Viele CEOs unterschätzen die Rolle des HR-Managements. Die HR-Abteilung ist der Kitt eines Unternehmens. Und wenn der Kitt fehlt, können die Strukturen auseinanderbrechen. Die Erfahrung zeigt, dass in Betrieben ohne eine starke HR-Abteilung viele Probleme auftauchen, die es vorher nicht gab. Manchen CEOs wäre zu empfehlen, die HR-Experten aufzuwerten und sie stärker in ihr Organigramm einzubeziehen.

Hand aufs Herz: Überall, wo Menschen zusammenarbeiten, gibt es zwischenmenschliche Probleme. Die reichen von sachtem, verdecktem Mobbing über Hahnenkämpfe bis zu sexuellen Avancen. Wer soll sich um solche Probleme kümmern? Die CEOs haben weiss Gott andere Aufgaben.

Wir leben in einer Zeit, in der vor allem Leistung zählt. Das Benehmen der Mitarbeitenden ist oft zweitrangig oder wird geschluckt – wenn nur die Leistung stimmt. Doch ein Einzelner kann das Betriebsklima erheblich stören. HR-Fachkräfte sind auch Schlichter. Sie sitzen in Sitzungen, beobachten die Mitarbeiter bei der Arbeit, analysieren das Betriebsklima und greifen bei Bedarf mit Vorschlägen und Vermittlung ein.

Um diese immer schwieriger werdenden Aufgaben bewältigen zu können, müssen die HR-Fachkräfte «Respektspersonen» sein. Man nimmt nur Ratschläge von Leuten entgegen, die man schätzt und zu denen man Vertrauen hat. Dieser Respekt kann gefestigt werden, wenn das Personal merkt, dass die Betriebsführung voll und ganz hinter dem HR-Management steht und es trägt.

Und was können die HR-Leute selbst tun, damit man ihnen Vertrauen schenkt und damit man ihnen glaubt, was sie sagen? Da sind wir wieder bei den altehrwürdigen «Skills».

Wie tritt man auf? Wie redet und formuliert man? Wie bereitet man sich auf ein schwieriges Gespräch vor? Wie empfängt man die Leute? Wie hält man es mit dem Augenkontakt? Wie platziert man das Gegenüber bei einem problematischen Gespräch? Wie begrüsst man, wie verabschiedet man die Leute? Wie schafft man es, dass man glaubwürdig, authentisch, vielleicht sogar etwas charismatisch wirkt? Was hilft, dass man mir zuhört, dass man mich ernst nimmt? Was ist kontraproduktiv? Vieles davon, nicht alles, kann man lernen.

Suzanne Z. kam mehrmals in mein Büro. Wir arbeiteten an ihren Auftritten, die immer souveräner und glaubwürdiger wurden. Wir simulierten schwierige Gespräche, wir filmten ihre Interventionen und analysierten sie. Sie erzählte mir, dass sie sich immer häufiger mit ihren jungen Wölfen zusammensetzt, gemeinsame Treffen organisiert und sie auf eine gemeinsame Strategie einschwört. «Ich versuche, Brücken zu bauen, Gespräche aufzugleisen», sagt sie, «ich bin eine Vermittlerin, eine Ansprechstelle, eine Betreuerin, ein Briefkasten – manchmal fast schon eine Psychologin. Uns braucht es mehr denn je.» Ihr Chef habe ihr kürzlich das schönste Kompliment gemacht, das sie je gehört habe: «Ich glaube, Suzanne, es gelingt Ihnen immer mehr, einen Teamgeist zu schaffen.»

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