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Interviewtechnik: Gut gefragt ist halb gewonnen

Bei einer Anstellung geht es neben der Passung von Kompetenzen und Anforderungen immer mehr um die Frage, ob neu einzustellende Mitarbeitende zur Firmenkultur passen? Ob die zwischenmenschliche Chemie stimmt? Ansonsten ist der negative Einfluss auf das Betriebsklima vorprogrammiert. Eine Fehlbesetzung ergibt sich oft durch mangelnde Struktur und Systematik im Rekrutierungsprozess. Der vorliegende Beitrag beleuchtet, welches Vorgehen am erfolgversprechendsten ist, und zeigt, mit welcher Interviewtechnik die zur Firmenkultur passenden Mitarbeitenden gefunden werden können und welche Rolle die Intuition dabei spielt.

16.08.2022 Von: Norina Maissen, Urs Tschanz, Alain Zanardi
Interviewtechnik

Interviewtechnik

Der Prozess beginnt immer mit der Stellenbeschreibung, ungeachtet dessen, ob es sich um eine neue oder eine bereits bestehende Stelle handelt. Bei Letzterer besteht die Chance für Anpassungen, beispielsweise können Aufgaben entfernt oder hinzugefügt werden sowie Verantwortlichkeiten anders beschrieben werden. Eine neue Stelle soll zuerst im Groben geplant werden und mit Einbezug der Teamkolleginnen oder -kollegen weiter im Detail erarbeitet werden (Dacorogna-Merki, 2003). Ein grundlegender Schritt ist dabei, sich bewusst zu werden, welche Kompetenzen für die vakante Stelle ausschlaggebend sind. Die an der Stelle interessierte Person weist eine möglichst hohe Passung mit den Kompetenzen des Stellenbeschriebs auf. Aufbauend auf den definierten Kompetenzen wird der Leitfaden für das Interview erstellt. Es lohnt sich, den Leitfaden anhand eines wissenschaftlichen Prinzips zu kreieren, wie beispielsweise mit der SPSS-Methode von Helfferich (2011). Das strukturierte Interview hat gegenüber dem unstrukturierten einen klaren Vorteil; beispielsweise können Kandidaten durch das Stellen derselben Fragen querverglichen werden ( Dacorogna-Merki, 2003). Auch lassen sich die beurteilenden Personen weniger vom Erscheinungsbild der Bewerberin oder des Bewerbers beeinflussen, und Beobachtungs- sowie Beurteilungsfehler werden minimiert (Schuler, 1993; Stelzer-Rothe, 2002). Gemäss Schuler (2002) weisen strukturierte Interviews eine höhere prognostische Validität und Vorhersagekraft für den Berufserfolg als die unstrukturierten auf.

Die richtigen Fragen stellen

Es lohnt sich, Zeit in die Fragenformulierung zu investieren. Dabei gibt es einiges zu beachten. In folgender Tabelle werden drei Fragetypen aufgelistet.

 

Fragetyp Erläuterung Beispiel
Suggestivfragen Diese Fragen sind eher heikel, da sie ein bestimmtes Frageverhalten hervorrufen können (Schuler, 2002). Es kann jedoch benutzt werden, um Fragen zu formulieren, die den üblichen Wertehaltungen widersprechen. So kann das Gegenüber aus der Reserve gelockt werden (siehe Beispiel 2). Beispiel 1: «Halten Sie sich für teamfähig?» (S. 169, Schuler, 2002). Beispiel 2: «Im Verkauf muss man auch mal fünf gerade sein lassen. Was gibt es bei Ihnen für ein Beispiel, wo Sie es mit der Wahrheit nicht so ganz genau genommen haben, um gute Umsätze zu erzielen?» (S. 169, Schuler, 2002).
Biografische Fragen Diese Fragen zielen auf das vergangene Verhalten und Ereignisse ab. Die Grundannahme dabei lautet: «Vergangenes Verhalten ist der beste Prädiktor künftigen  Verhaltens.» (S.172, Schuler, 2002). Es sollen unter anderem Beispiele und Verhaltensweisen erfragt werden, die den gestellten Anforderungen ähnlich sind. Das Erfordern einer genauen Schilderung der Ereignisse berwirkt, dass die befragte Person kaum etwas erfinden kann (Schuler, 2002). «Welche Erfahrungen haben Sie mit Gruppenarbeiten gemacht?» (S. 199, Schuler 2002).
Situative Fragen Dieser Typ zielt auf zukünftiges und hypothetisches Verhalten ab. Einen Unterschied zu den biografi schen Fragen stellt das Erfragen des maximalen Verhaltens dar,  wohingegen die biografischen das typische Verhalten untersuchen (Schuler, 2002). Für die Beantwortung dieser Fragen braucht die befragte Person entweder Fachkenntnisse oder Einfallsreichtum und die Fähigkeit, neue Probleme lösen zu können. Daraus ergibt sich, dass stets ein gewisses Mass an Intelligenz erfasst wird (Schuler, 2002). Für das Bewerten der Antworten können Verhaltensbeispiele als Unterstützung dienen. Sie kommen als Auszubildender in eine neue Abteilung. Der Abteilungsleiter ist nicht da und der Nebenausbilder hat keine Zeit und keine Arbeit für Sie. Sie setzen sich an einen freien Schreibtisch und lesen eine Zeitschrift, die dort liegt. Plötzlich erscheint der Abteilungsleiter und kritisiert Sie. Was tun Sie?» (S.174, Schuler, 2002).

Das Multimodale Interview (MMI)

Grundsätzlich gilt, dass der trimodale Ansatz – Konstrukt, Simulation und Biografie – am meisten abdeckt und die valideren Aussagen generiert. Anhand dieses Ansatzes wurde das Multimodale Interview (MMI) im Jahre 1992 von Schuler konstruiert. Ein Pluspunkt des Verfahrens ist, dass es mit mittlerem Trainingsaufwand erlernbar ist und danach verwendet werden kann, ohne dass die Qualifikation des Interviewers das Ergebnis beeinflusst. Zudem werden mit der Konstruktion einige Punkte bereinigt, wie die Überbewertung negativer Informationen, emotionale Einflüsse auf die Urteilsbildung oder die Höhergewichtung früherer Gesprächseindrücke (Schuler, 2002). Das MMI umfasst acht Phasen, darin enthalten sind unter anderem situative und biografische Fragen. Auf diesem Modell aufbauende Interviews sind ökonomisch anwendbar, zumal sie in durchschnittlich 45 Minuten durchführbar sind. Ob das Interview von einer oder mehreren beurteilenden Personen durchgeführt wird, hängt vom Zweck und von der Struktur ab (Schuler, 2002).

Die acht Phasen des multimodalen Interviews (MMI)

  1. Gesprächsbeginn
  2. Selbstvorstellung des Bewerber
  3. Freier Gesprächsteil
  4. Berufsinteressen, Berufs- und Organisationswah
  5. Biografiebezogene Fragen
  6. Realistische Tätigkeitsinformation
  7. Situative Fragen
  8. Gesprächsabschluss

Weitere Überlegungen ergeben sich, sobald die Antworten bewertet werden und eine Entscheidung gefällt wird. Beim MMI oder ähnlichen Verfahren gibt es klare Vorgaben, wie die Bewertung zu erfolgen hat. So werden bei jeder situativen Frage die Beispielantworten verankert, die Hinweise zur Bewertung geben (Schuler, 2002). Taylor und O’Driscoll (1995) empfehlen, die Antworten zu den biografi schen Fragen nach einer fünfstufi gen Skala zu bewerten, von 1 (weit unter den Anforderungen) bis 5 (weit über den Anforderungen). Die Entscheidung über die Eignung der Kandidatin oder des Kandidaten sollte sich an den gestellten Anforderungen orientieren und allenfalls einen Vergleich mit der Leistung der anderen Bewerbenden hervorbringen (Schuler, 2002). Als Recruiterin oder Recruiter sollten Sie Ihre Erfahrungen nutzen und reflektieren, ob die Intuition hinzugezogen werden sollte. Es gilt zu betonen, dass die Persönlichkeit der Bewerbenden oft eine wichtigere Rolle spielt als Fachkenntnisse. Ziehen Sie in Betracht, geeignete Bewerberbende aufgrund ihrer Persönlichkeit einzustellen, weniger aufgrund von «harten» Fähigkeiten. – Diese können allenfalls entwickelt werden, die Persönlichkeit einer Person ist hingegen gegeben und kaum veränderbar (Dacorogna-Merki, 2003).

Zwischen den Zeilen lesen bzw. hören

Wir empfehlen, nebst dem strukturierten Interview, Folgendes:

Finden Sie heraus …

  • … ob sich die Person über Ihr Unternehmen informiert hat.
  • … welche Motive die Person hat, um sich auf diese Stelle zu bewerben.
  • … was der Person an Ihrem Unternehmen gefällt.
  • … kann die Person konkrete Beispiele nennen oder sind es reine Floskeln?
  • … welche Bedingungen der Person wichtig sind, um motiviert zur Arbeit zu kommen.
  • … welche Organisationskultur für die Person wichtig ist.
  • … ob die Person Fragen hinsichtlich der Stelle hat.

Verwendet die bewerbende Person Absolutismen wie «Ich bin immer motiviert und effizient» oder nennt sie floskelhafte Schwächen wie «Ich bin ungeduldig», verfolgen wir folgenden Grundsatz: Die Leute sagen, wie und was sie sind, wenn wir genau hinhören. So sollte bei einer Person, welche von sich behauptet, immer motiviert zu sein und während der Arbeitszeit nie auf sozialen Netzwerken zu verkehren, genauer hingehört und zu verstehen versucht werden, was hinter dieser Aussage stecken kann. Beispielsweise könnte die Person dadurch ihre hohe Einsatzbereitschaft zum Ausdruck bringen wollen. Denn die Arbeitsmotivation hat Einfluss darauf, wie engagiert die Arbeit erledigt wird. Sie setzt sich aus der Person und deren Motiven, der Situation und deren Merkmalen sowie den daraus resultierenden Anreizen zusammen (Kauffeld, 2018). So wird deutlich, dass für eine möglichst hohe Motivation eine gute Passung von einzustellender Person und Stelle anzustreben ist. Mit Erfahrung, strukturiertem Vorgehen, genauem Hinhören und einer Prise Intuition werden Sie die passende Person für Ihre zu besetzende Stelle finden.

Ein Gemeinschaftswerk von einem Mitglied und zwei Vorstandsmitgliedern des Vereins Swiss Assessment, www.swissassessment.ch

 

Literatur:

Dacorogna-Merki, T. (2003). Die Richtigen finden und fördern. Gezielte Auswahl und erfolgreiches Führen von Personal. Der Schweizerische
Beobachter: Zürich.
Helfferich, C. (2011). Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews (4. Aufl .) Springer: Wiesbaden.
Kauffeld, S. (2018). Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor (3. Aufl .). Springer: Berlin.
Schuler, H., Farr, J.K. & Smith, M. (1993). Personnel Selection and Assessment. Individual and Organizational Perspectives. Erlbaum Associates: Hillsdale Schuler, H. (2002). Das Einstellungsinterview. Hogrefe, Verlag für Psychologie: Göttingen, Bern, Toronto, Seattle.
Stelzer-Rothe, T. (2002). Personalauswahl. Persönliche Auswahlverfahren (Forschungsbericht). In: R., Bröckermann & W. Pepels (Hrsg.). Handbuch Recruitment (2002), S. 240–260. Cornelsen: Berlin.
Taylor, H. C. & O’Driscoll, J. T. (1995). Structured employment interviewing. Bodmin: Hartnoll’s.

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