Ausgangssituation und Abgrenzung des Factorings vom Inkasso von Forderungen
Die Kreditvergabe unterliegt als Leistungsaustauschverhältnis im Gegensatz zum Inkasso von Forderungen nicht der MWST.1 Beim klassischen Inkasso werden im Auftrag Geldforderungen bei den Schuldnern eingezogen. Das Inkassounternehmen muss seinem Auftraggeber gegenüber über jede Forderung abrechnen können, also hinsichtlich jeder bearbeiteten Forderung aufzeigen können, welche Arbeiten es mit welchem finanziellen Erfolg ausgeführt hat. Bevorschusst dieses dem Leistungserbringer gegenüber zusätzlich seine einzukassierenden Kundenforderungen unter Abzug eines Diskonts (Finanzierungsfunktion des Factorings2), stellen sich die Fragen, ob dies ein von der MWST ausgenommenes Kreditgeschäft oder ein steuerbares Inkasso darstellt und welches Abgrenzungskriterium zwischen diesen beiden Geschäftsvorgängen gelten soll.
Bis zur Publikation der Praxisänderung am 1.1.20183 galt das (echte) Factoring dann als von der MWST ausgenommenes Kreditgeschäft, wenn der Leistungserbringer (Zedent der Forderung) die Forderung schriftlich mit einer Einzel- oder Globalzession an das Factoring-Unternehmen zediert (=Kauf der Forderung), dieses (Zessionar) dem Zedenten unabhängig vom Zahlungseingang der Forderung ein Abtretungsentgelt bezahlt und deshalb nicht über jede einzelne Zahlung des Schuldners (Leistungsempfänger) mit dem Zedenten abrechnen muss.4 Das heisst, das Factoring-Unternehmen vereinnahmt das Entgelt beim Leistungsempfänger in seinem Namen und für eigene Rechnung. Sein Umsatz besteht in der Differenz zwischen der vom Leistungsempfänger erhaltenen Zahlung und dem Kaufpreis der Kundenforderung resp. dem Abtretungsentgelt, welcher/welches an den Leistungserbringer bezahlt wurde.5Neu liegt ein von der MWST ausgenommenes echtes Factoring nur dann vor, wenn das Factoring-Unternehmen das vollumfängliche Delkredererisiko ohne Regressmöglichkeit auf den Zedenten der übertragenen Forderungen (Leistungserbringer) trägt.6 Damit wird die Zahlungsfähigkeit des Schuldners (Bonität) resp. die Haftung für den Debitorenausfall durch den Leistungserbringer in den Vordergrund gestellt.7 Ist diese letzte Bedingung nicht erfüllt, handelt es sich um ein unechtes Factoring. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Kundenforderungen zur Sicherung eines (anderen) Kredits des Factoring-Unternehmens (z.B. Bank) zediert werden oder treuhänderisch zur weiteren Bearbeitung des Inkassos und dann vertragsgemäss wieder an den Leistungserbringer zurückübertragen werden.8/9
Die Verträge über den zentralen Einkauf von Leistungen und die zentrale Regulierung der diesbezüglichen Zahlungen
Charakteristisch ist bei diesen Verträgen10 die Vereinigung von zwei Interessen: jene der Leistungsempfänger, Leistungen zentral und zu möglichst tiefen Preisen einzukaufen, und jene der Leistungserbringer, nur einen Kunden mit zentraler und allfällig gar garantierter Zahlung zu haben. Im letzten Fall ist die definitive Zession der Kundenforderung unter Übernahme des vollumfänglichen Debitorenausfallrisikos durch den Zentralregulierer nicht unüblich, und die nachfolgenden Ausführungen gelten auch dort.11
Die neue Regelung der MWST-Folgen beim echten Factoring und deren Kritik
Die Regelung der ESTV unterscheidet nicht zwischen neuen resp. künftigen, also vollwertigen Forderungen einerseits, und sogenannten notleidenden Forderungen, handelsrechtlich bereits korrekt (teilweise) abgeschriebenen Forderungen andererseits. Bei diesen hat die ESTV regelmässig mehrwertsteuerlich eine Entgeltsminderung mit entsprechender Minus-MWST akzeptiert.12/13 In beiden Fällen muss der mehrwertsteuerpflichtige Leistungserbringer grundsätzlich das volle Entgelt versteuern, also ohne Einschlag und damit nicht auf der Grundlage der Zahlung des Factoring-Unternehmens.14 Eine nachträgliche Entgeltsminderung kann der Leistungserbringer erst später und unter kumulativer Erfüllung der nachfolgenden, sehr einschränkenden Bedingungen geltend machen, wobei fürs Skonto erleichterte Bedingungen gelten, auf welche nicht näher eingetreten werden soll:
- Das Factoring-Unternehmen erleidet einen definitiven Forderungsausfall, indem es vom Leistungsempfänger nicht den Nominalwert inkl. MWST vergütet erhält.
- Die (Rest-)Forderung ist definitiv uneinbringlich, weil weitere Inkassomassnahmen objektiv nicht mehr möglich sind. Dies ist namentlich der Fall, wenn
a. der Leistungsempfänger die Verlustscheinforderung vom Dritten zurückgekauft hat,
b. der Leistungsempfänger, sofern es sich bei diesem um eine juristische Person handelt, im Handelsregister gelöscht worden ist, oder
c. die (Rest-)Forderung verjährt ist. - Im Forderungskaufvertrag resp. Abtretungsvertrag wurde seinerzeit vereinbart, dass das Factoring-Unternehmen zum gegebenen Zeitpunkt dem Leistungserbringer schriftlich darüber Mitteilung macht und ihm unter Bezugnahme auf die genau bezeichnete Forderung unterschriftlich bestätigt, dass (a) die fragliche Forderung im Sinne der ESTV-Praxis defi nitiv aus seinem Vermögen ausgeschieden ist und er (b) einen defi nitiven Forderungsausfall in der genannten Höhe erlitten hat.
Beim Diskont anlässlich des Kaufs von neuen oder künftigen Forderungen leuchten zumindest die Bedingungen 1 und 3 ein (z.B. bei Zentral-Regulierern mit definitiver Forderungsabtretung und Übernahme des vollen Delkredererisikos). Die verkauften Forderungen haben ja den vollen Wert. Beim Verkauf von künftigen Forderungen ist zudem auf die solidarische Mithaftung des Factoring- Unternehmens für die mitzedierte MWST aufmerksam zu machen, wenn zum Zeitpunkt der Zession der Forderung bereits ein Verlustschein gegen den Leistungserbringer vorliegt.15