Öffentliches Beschaffungsrecht: Übersicht und Praxisfragen

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Wann kommt öffentliches Beschaffungsrecht zur Anwendung?
Die beschaffenden Stellen auf Bundesebene und diejenigen auf kantonaler und kommunaler Ebene unterstehen je anderen Gesetzen: Für Beschaffungen auf Bundesebene gelten die Regelungen des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB, SR 172.056.1) sowie die diesbezügliche Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB, SR 172.056.11). Für Beschaffungsstellen auf kantonaler und kommunaler Ebene sind die Bestimmungen des jeweiligen Kantons massgebend. Die Kantone haben untereinander eine gemeinsame Rahmenordnung, die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB), abgeschlossen. Da die IVöB nur gilt, wenn ein Kanton ihr beitritt, gibt es in allen Kantonen ein entsprechendes Beitrittsgesetz (teilweise auch Einführungsgesetz oder ähnlich genannt). Einzelne Kantone haben zudem ergänzende Bestimmungen zur IVöB, beispielsweise in einer Verordnung, erlassen. Seit der Revision des öffentlichen Beschaffungsrechts in den letzten Jahren sind die Regelungen des BöB und der IVöB zu weiten Teilen gleichlautend. Damit ist das heutige Beschaffungsrecht in der Schweiz grösstenteils vereinheitlicht.
Bei vielen Beschaffungsstellen – etwa Gemeinden, Kantonen oder Verwaltungseinheiten der zentralen Bundesverwaltung – ist klar, dass sie grundsätzlich die Regelungen des öffentlichen Beschaffungsrechts zu beachten haben. Für eine Vielzahl von Auftraggeberinnen dagegen ist dies nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es kann durchaus sein, dass auch privatrechtliche Unternehmen das Beschaffungsrecht zu beachten haben. Betroffen sein können etwa Privatspitäler, die einen kantonalen Listenauftrag haben, private Alterszentren oder gemeinnützige Stiftungen, die durch ihre Tätigkeit einen öffentlichen Auftrag erfüllen, zudem privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaften, deren Haupt- oder Alleinaktionär die öffentliche Hand ist, oder private Vereine, deren Aktivitäten oder Projekte überwiegend durch öffentliche Gelder finanziert werden.
Wer dem öffentlichen Beschaffungsrecht unterstellt ist, muss grundsätzlich alle öffentlichen Aufträge nach den beschaffungsrechtlichen Vorgaben vergeben. Als öffentlicher Auftrag gilt alles, was zur Erfüllung eines öffentlichen Interesses beschafft wird. Es können aber auch die Übertragung von öffentlichen Aufgaben oder die Verleihung einer Konzession dazu gehören. Jedoch gibt es gewisse Ausnahmesituationen, in denen Aufträge ausserhalb des öffentlichen Beschaffungsrechts vergeben werden dürfen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Auftragnehmerin selbst auch dem öffentlichen Beschaffungsrecht unterstellt ist, wenn diese eine unselbständige Organisationseinheit der Auftraggeberin ist oder wenn zum Schutz der Sicherheit und öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit von einer Beschaffung nach öffentlichem Beschaffungsrecht abgesehen werden muss.
Wer Aufträge nach dem öffentlichen Beschaffungsrecht vergibt, also entscheidet, wer den Auftrag erhält, wird Vergabestelle genannt (in der Praxis werden die Begriffe Bedarfs- oder Beschaffungsstelle oft als Synonyme dazu verwendet).
Allgemeine Grundsätze, die zu beachten sind
Vergabestellen haben alle allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze zu beachten, wenn es darum geht, öffentliche Aufträge zu vergeben.
Öffentliches Beschaffungsrecht gilt im Einklang damit, dass die Verfahren transparent, objektiv und unparteiisch durchzuführen sind. Die Vergabestelle beachtet in allen Phasen des Verfahrens die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Anbietenden und wahrt den vertraulichen Charakter der Angaben der Anbietenden. Sie trifft Massnahmen gegen Interessenkonflikte, unzulässige Wettbewerbsabreden und Korruption. Öffentliches Beschaffungsrecht verlangt zudem, dass die Vergabestelle auf sogenannte Abgebotsrunden verzichtet. Das heisst, sie darf die Anbieterinnen nach Abgabe ihres Angebots nicht dazu auffordern, ihre Offertpreise anzupassen.
Auch der Grundsatz der Nachhaltigkeit ist im öffentlichen Beschaffungsrecht explizit verankert: Dieser bezweckt unter anderem den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz von öffentlichen Mitteln. Den Vergabestellen stehen viele verschiedene Möglichkeiten offen, den Aspekt der Nachhaltigkeit bei ihren Beschaffungen zu berücksichtigen. So können sie beispielsweise definieren, dass der Beschaffungsgegenstand gewisse Mindestanforderungen einhalten muss oder dass Angebote, die «nachhaltiger» ausgestaltet sind, besser bewertet werden.
Zudem müssen seitens Vergabestelle im ganzen Verfahren Ausstandsregeln berücksichtigt werden. Gleichzeitig dürfen unzulässig vorbefasste Anbietende – also solche, die an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens mitgewirkt haben – nicht zum Verfahren zugelassen werden. In der Praxis stellen sich oft Fragen in diesem Zusammenhang: Wie ist mit Anbietenden, die Vorabklärungen oder ähnliches für die Vergabestelle vorgenommen haben, umzugehen? Was ist zu tun, wenn eine Anbieterin aufgrund eines früheren Auftrages einen Wissensvorsprung hat? Wenn ein bestehender Wettbewerbsvorteil mit geeigneten Massnahmen ausgeglichen werden kann, ist in vielen solcher Fälle eine Teilnahme am Verfahren weiterhin möglich. Bei Anbieterinnen dagegen, die wesentliche Teile der Ausschreibung – etwa das Leistungsverzeichnis – für die Vergabestelle erstellt haben, kommt eine Teilnahme am Vergabeverfahren normalerweise nicht mehr in Frage.
Wahl des passenden Vergabeverfahrens
Ist eine Beschaffung nach den Bestimmungen des öffentlichen Beschaffungsrechts durchzuführen, muss die Vergabestelle das korrekte Verfahren wählen und durchführen. Dazu muss sie in einem ersten Schritt den voraussichtlichen Auftragswert (ohne Berücksichtigung der Mehrwertsteuer) schätzen. Für die Schätzung ist die Gesamtheit aller auszuschreibenden Leistungen, die sachlich oder rechtlich eng zusammenhängen, zu berücksichtigen. In der Praxis stellen sich bereits hier oft komplexe Fragen: Welche Leistungen sind zusammenzurechnen, wenn beispielsweise Hardware, Software und Supportleistungen zu beschaffen sind? Sind auch mögliche Folgeaufträge zu berücksichtigen? Welcher Zeitraum ist zu berücksichtigen, wenn es um kontinuierlich zu erbringende Dienstleistungen geht? Werden Leistungen für alle Liegenschaften der Vergabestelle zusammengerechnet oder können diese einzeln betrachtet werden? Es lohnt sich, bei der Schätzung des Auftragswerts den konkreten Bedarf zu analysieren und eine möglichst realistische Berechnung – allenfalls mit Unterstützung einer externen Fachperson – vorzunehmen und zu dokumentieren.
Je nach Höhe des geschätzten Auftragswerts – und abhängig von der Art der zu beschaffenden Leistung – sind unterschiedliche Vergabeverfahren anwendbar.
Ist der geschätzte Auftragswert unter CHF 150'000 (bei Lieferungen, Dienstleistungen und Leistungen des Baunebengewerbes) bzw. CHF 300'000 (bei Leistungen des Bauhauptgewerbes) sind in der Regel sogenannte freihändige Vergaben möglich. Das bedeutet, dass kein formelles Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Jedoch muss sich die Vergabestelle auch bei einer freihändigen Vergabe an die allgemeinen rechtsstaatlichen und beschaffungsrechtlichen Grundsätze halten.
Bei geschätzten Auftragswerten unter CHF 250'000 (bei Lieferungen, Dienstleistungen und Leistungen des Baunebengewerbes) bzw. CHF 500'000 (bei Leistungen des Bauhauptgewerbes) können die Vergaben im sogenannten Einladungsverfahren getätigt werden. In einem solchen Verfahren sind zwar Zuschlagskriterien zu definieren, jedoch kann die Vergabestelle wählen, wen sie zur Angebotseinreichung einlädt. Dabei müssen, wenn möglich, drei Anbieterinnen zum Angebot zugelassen werden.
Ist der geschätzte Auftragswert höher, muss eine offene Ausschreibung erfolgen. Das heisst, dass diese auf der Plattform SIMAP (www.simap.ch) aufzuschalten ist und es allen Anbietenden offensteht, ein Angebot einzureichen. Alternativ kann das sogenannte selektive Verfahren gewählt werden, bei dem nur die Möglichkeit zur Einreichung eines Teilnahmeantrages offen ausgeschrieben wird und die Vergabestelle anschliessend eine beschränkte Anzahl Anbietende, abhängig von deren Eignung, zur Angebotseinreichung zulässt.
Für spezifische, abschliessend im Gesetz vorgesehene Ausnahmefälle ist vorgesehen, dass in jedem Fall – das heisst unabhängig vom konkreten geschätzten Auftragswert – eine freihändige Vergabe erfolgen kann. Eine ausnahmsweise freihändige Vergabe ist möglich, wenn aufgrund technischer oder künstlerischer Besonderheiten des Auftrags keine andere Anbieterin in Frage kommt und es keine angemessene Alternative gibt. Ebenso liegt ein Ausnahmefall vor, wenn aufgrund unvorhergesehener Ereignisse die Beschaffung so dringlich wird, dass selbst mit verkürzten Fristen kein offenes oder selektives Verfahren durchgeführt werden kann. Auch dann, wenn ein Wechsel der Anbieterin zur Ersetzung, Ergänzung oder Erweiterung bereits erbrachter Leistungen aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich ist, erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde oder substanzielle Mehrkosten mit sich bringt, ist eine Vergabestelle zur freihändigen Vergabe berechtigt. Gleiches gilt, wenn die Vergabestelle vorgängig ein Wettbewerbs- oder Studienauftragsverfahren durchgeführt hat und dem Gewinnerteam einen Folgeauftrag vergeben will. Daneben sind im Gesetz weitere Fälle aufgelistet, in denen ausnahmsweise freihändige Vergaben möglich sind. Die Gerichte sind streng, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Bejahung einer Ausnahmesituation in einem konkreten Fall gegeben sind. Vor diesem Hintergrund hat eine Vergabestelle, wenn sie eine ausnahmsweise freihändige Vergabe ins Auge fasst, vertieft zu prüfen, ob eine freihändige Vergabe im Einzelfall tatsächlich begründet ist. Ihre Überlegungen muss sie dabei dokumentieren.
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