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Massenentlassungen: Fallstricke vermeiden und rechtssicher handeln

So unterschiedlich die Gründe für Reorganisationen aus unternehmerischer Sicht sein können, stellen sich arbeitsrechtlich häufig dieselben Fragen: Wie passen wir die rechtliche Zuordnung der Arbeitsverhältnisse an unsere neue Organisationsstruktur an? Was müssen wir beim Outsourcing von Funktionen beachten? Wie können wir Arbeitsbedingungen im neu entstandenen Konzern harmonisieren?

03.02.2025 Von: Tabea Gutmann, Irène Suter-Sieber
Massenentlassungen

Sind durch eine Reorganisation Synergien entstanden, kann dies mit einem Personalabbau und Massenentlassungen einhergehen. Dies ist zuweilen nicht nur für die betroffenen Mitarbeitenden belastend und unternehmenspolitisch heikel. Arbeitsrechtlich lauert ausserdem das Massenentlassungsverfahren mit einigen Fallen. Anlass genug, in diesem Beitrag das Massenentlassungsverfahren mit seinen häufigsten Fallstricken darzustellen und Tipps für die Praxis zu reichen.

Grundlegendes zum Massenentlassungsverfahren 

Gesetzliche Definition 

Die gesetzliche Definition der Massenentlassung findet sich in Art. 335d OR. Bei Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Kündigungen innerhalb einer Frist von 30 Tagen handelt es sich um eine Massenentlassung, vorausgesetzt, die Kündigung steht nicht im Zusammenhang mit der Person des betreffenden Mitarbeitenden.

Schwellenwerte 

Der Schwellenwert für das Vorliegen einer Massenentlassung hängt dabei von der jeweiligen Betriebsgrösse ab:

BetriebsgrösseSchwellenwert für Massenentlassungen
21–99 Beschäftigte10 Kündigungen
100–299 Beschäftigte10% der Belegschaft erhalten eine Kündigung
300+ Beschäftigte30 Kündigungen

Für die Betriebsgrösse relevant ist die Zahl der «in der Regel» beschäftigten Arbeitnehmenden. Schwanken die Zahlen, empfiehlt sich eine Durchschnittsbetrachtung anhand eines repräsentativen Zeitraums – in der Regel dürfte ein Zeitraum von ca. sechs bis zwölf Monaten angemessen sein. Besonderheiten des Einzelfalls sind jedoch stets zu berücksichtigen, was unter Umständen einen abweichenden Zeitraum rechtfertigen kann.

HINWEIS 
Auch bei Änderungskündigungen (beispielsweise zum Zweck der Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen, wegen einer örtlichen Verlagerung des Betriebs oder unter Umständen sogar dann, wenn bloss Titel und Funktionen vereinheitlicht werden) kann es sich um eine Massenentlassung handeln, wenn die Schwellenwerte überschritten sind!

Der Begriff des Betriebs 

Bezugspunkt zur Ermittlung der Schwelle für eine Massenentlassung ist neben der Anzahl der Kündigungen die Grösse des Betriebs. Der «Betrieb» ist aber nicht zwingend gleichzusetzen mit dem juristischen Unternehmen. Betreibt ein Unternehmen z.B. mehr als einen Standort, oder operiert es an einem Standort mit voneinander unabhängigen Teams/ Einheiten, liegt die Festlegung, was der «Betrieb» im rechtlichen Sinne ist, nicht ohne Weiteres auf der Hand.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Betrieb eine Organisationsstruktur, die mit Personal sowie materiellen und immateriellen Betriebsmitteln ausgestattet ist, um einen arbeitstechnischen Zweck zu verfolgen, und die über eine gewisse Selbstständigkeit verfügt. Zur Prüfung, ob eine Einheit als «Betrieb» qualifiziert, ist daher jeweils eine einzelfallbezogene Prüfung der konkreten Gegebenheiten erforderlich.

Die 30-Tage-Frist

Entscheidend ist die Anzahl der Kündigungen innert eines Zeitraums von 30 Tagen. Eine Staffelung von Kündigungserklärungen, um innerhalb der 30-Tage-Frist unter der Massenentlassungsschwelle zu bleiben, ist grundsätzlich rechtlich zulässig, sofern es sich nicht um eine Umgehung des Massenentlassungsverfahrens handelt. Es sind daher objektive oder betrieblich motivierte Gründe erforderlich, um nicht Gefahr zu laufen, sich dem Vorwurf der Umgehung auszusetzen. Im Zusammenhang mit einer Betriebsschliessung kann es beispielsweise der Fall sein, dass bestimmte Arbeitsprozesse bis zur Schliessung des Betriebs notwendig sind, während andere Prozesse bereits vorher enden, was ein gestaffeltes Vorgehen bei den Kündigungen rechtfertigen kann. 

PRAXISTIPP
Wenn gestaffelte Kündigungen in Betracht gezogen werden, ist es ratsam, die Gründe und die geschäftliche Notwendigkeit des gestaffelten Vorgehens zu dokumentieren.

Das Verfahren vor Durchführung einer Massenentlassung 

Steht nach Analyse der konkreten Gegebenheiten eine Massenentlassung im Raum, sind verschiedene Verfahrensschritte einzuhalten. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, die Arbeitnehmervertretung oder, falls es keine gibt, die Belegschaft selbst frühzeitig zu informieren und zu konsultieren (Art. 335f OR). Der Konsultationsprozess muss eingeleitet werden, bevor die definitive unternehmerische Entscheidung über die Massenentlassung getroffen wird.

HINWEIS 
Problematisch sind globale Ankündigungen vor der Durchführung des Konsultationsprozesses, wonach in der Schweiz eine bestimmte Zahl Kündigungen ausgesprochen wird. Solche Vorankündigungen gehen mit erheblichen rechtlichen Risiken (Missbräuchlichkeit der Kündigungen) einher, weil das Konsultationsverfahren seines Zwecks beraubt wird.

Die Information muss schriftlich erfolgen und Angaben über die Gründe für die Massenentlassung, die Anzahl der ggf. zu entlassenden Personen, die Anzahl der in der Regel beschäftigten Personen und den Zeitraum, innerhalb dessen die Kündigungsmitteilungen erfolgen sollen, sowie unter Umständen weitere zweckdienliche Informationen enthalten. Im Rahmen der Konsultation erhält die Belegschaft (ggf. über die Arbeitnehmervertretung) sodann die Möglichkeit, Vorschläge zu unterbreiten, wie Massenentlassungen vermieden oder die Zahl der Entlassungen begrenzt und ihre Folgen gemildert werden könne.

PRAXISTIPP 
Zur Bündelung der eingehenden Vorschläge und zur Vereinfachung des Konsultationsverfahrens kann es sich – je nach Grösse des Betriebs und zu erwartender Beteiligung aus der Belegschaft – empfehlen, ein spezielles E-Mail-Postfach (z.B. konsultation@XY-Unternehmen.com) einzurichten, um die Vorschläge aus dem Konsultationsverfahren geordnet entgegennehmen zu können.

Benachrichtigung von Behörden

Parallel zur internen Kommunikation muss mit Beginn des Konsultationsverfahrens auch das kantonale Arbeitsamt informiert werden (Art. 335f Abs. 4 OR). Führt die Konsultation zu dem Ergebnis, dass in der Tat eine Massenentlassung durchzuführen ist, ist das kantonale Arbeitsamt schriftlich über diesen Entschluss zu informieren (Art. 335g OR). Eine Kopie dieser Mittelung ist der Arbeitnehmervertretung resp. der Belegschaft zu übermitteln.

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