Mängelrügen: Gesetzliche Änderungen ab 1. Januar 2026

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1. Übersicht
Das Hauptziel der durch das Parlament am 20. Dezember 2024 beschlossenen Änderungen des Obligationenrechts (OR) und des Zivilgesetzbuches (ZGB), deren Inkrafttreten der Bundesrat per 1. Januar 2026 bestätigt hat, ist eine höhere Rechtssicherheit sowie ein verbesserter Schutz der Bauherrschaften und Immobilienkäufer. Mit der punktuellen Revision werden zentrale Bestimmungen im Bereich von Grundstückkauf- und bestimmten Kauf- und Werkverträgen angepasst. Auch das Bauhandwerkerpfandrecht erfährt eine Präzisierung.
Insbesondere lange umstrittene Fragen rund um die sofortige Rügepflicht, den Ausschluss von Gewährleistungsrechten bzw. Wegbedingung des Nachbesserungsrechts und die Voraussetzungen der Ersatzsicherheit beim Bauhandwerkerpfandrecht werden geklärt.
2. Gesetzliche Änderungen per 1. Januar 2026 im Einzelnen
2.1. Teilzwingende Rügefrist von neu 60 Tagen
Bislang galt gemäss OR generell, d.h. ausserhalb des Anwendungsbereichs der SIA-Norm 118 beispielsweise (siehe dazu weiter unten), dass Mängel „sofort“ nach Entdeckung gerügt werden mussten. Diese Formulierung führte in der Praxis immer wieder zu Unsicherheiten und Rechtsstreitigkeiten. Durch die Revision soll dies verbessert und zudem die ausserordentliche Härte der heutigen «Sofort-Rüge» im Werkvertrags- und Kaufvertragsrecht abgemildert werden.
Eine wesentliche Änderung der Gesetzesrevision betrifft daher die gesetzliche Verlängerung der Rügefristen auf 60 Tage bei folgenden Mängeln:
- bei Mängeln von Kaufgegenständen, die in ein unbewegliches Werk integriert werden;
- bei Mängeln im Rahmen von Grundstückkäufen;
- bei Mängeln von unbeweglichen Werken;
- bei Mängeln von beweglichen Werken, die in ein unbewegliches Werk integriert werden;
- sowie bei Mängeln von Werken der Architekten oder Ingenieure, die bestimmungsgemäss als Grundlage für die Erstellung eines unbeweglichen Werks dienen (z.B. Pläne).
Die Rügefrist von 60 Tagen gilt jeweils auch für versteckte Mängel, die bei der Ablieferung und Prüfung des Kaufgegenstands bzw. bei der Werkabnahme nicht erkennbar waren. Die Frist beginnt in diesen Fällen ab Entdeckung des Mangels zu laufen.
Die Vereinbarung einer kürzeren Rügefrist zu Lasten der Käufer bzw. Werkbesteller ist unwirksam (teilzwingendes Recht). Auch wenn ein Unternehmer in seinem Vertrag oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eine strengere Regelung vorsehen würde, ist diese für Verträge, die ab 1. Januar 2026 abgeschlossen werden, unwirksam (vgl. Ausführungen zum Übergangsrecht unter Ziff. 3).
Falls die Akteure im Rahmen der Bauwerkverträge die Anwendung der SIA-Norm 118 vereinbaren, ergeben sich für sie während der ersten zwei Jahre nach Abnahme eines Werks keine wesentlichen Änderungen. Gemäss Art. 172 Abs. 2 SIA-Norm 118 besteht während dieser Zweijahresfrist nämlich ein jederzeitiges Rügerecht für offene und verdeckte Mängel. Da diese Regelung für den Besteller günstiger ist als die neue gesetzliche Mindestfrist von 60 Tagen, bleibt sie auch künftig rechtsgültig anwendbar. Nach Ablauf der zweijährigen Frist sieht die SIA-Norm 118 jedoch vor, dass für verdeckte Mängel die Bestimmungen des OR und (bislang) die „Sofort-Rüge“ seit Entdeckung des Mangels zur Anwendung gelangt. Diese Regelung wird ab dem 1. Januar 2026 durch die neuen zwingenden Bestimmungen des OR verdrängt. Neu gilt damit auch im Rahmen der SIA-Norm 118 – nach Ablauf von zwei Jahren, d.h. ab dem dritten Jahr – die gesetzliche 60-Tage-Frist ab Entdeckung eines versteckten Mangels. Die frühere Regelung zur sofortigen Rüge verliert damit ihre Geltung, sofern der Vertrag nach dem 1. Januar 2026 abgeschlossen wurde. Offene Mängel hingegen, können nach Ablauf der zweijährigen Rügefrist nicht mehr gerügt werden, da sowohl die sofortige Rügefrist als auch die neue 60-Tagefrist für offene Mängel bereits abgelaufen sein wird. Es drängt sich auf, die Formulierung der übernommenen Bestimmungen der SIA-Norm 118 in den eigenen Vertragswerken entsprechend anzupassen. Falls die Norm weiterhin mit dem bisherigen Wortlaut verwendet werden sollte, wird sie jedenfalls durch das revidierte OR für Verträge, die ab dem 1. Januar 2026 abgeschlossen werden, übersteuert.
Von der Gesetzesrevision unberührt bleibt die Pflicht des Käufers bzw. Bestellers, rechtzeitig entdeckte Mängel beheben zu lassen, um Folgeschäden zu vermeiden (Schadenminderungspflicht). Dies kann unbesehen der genannten Gesetzesrevision im Einzelfall eine Mängelrüge innert kürzerer Frist erfordern. Kommt der Käufer oder Besteller dieser Obliegenheit nicht nach, wird er allenfalls schadenersatzpflichtig für denjenigen Schaden, den er bei einer zumutbar früheren Mängelrüge hätte verhindern können.
Zudem bleiben die genannten Rügefristen nach wie vor „Verwirkungsfristen“, die grundsätzlich weder unterbrochen noch gehemmt werden können. Mit ungenutztem Ablauf der Rügefrist erlöschen zudem allfällige Mängelansprüche der Käufer und Besteller.
Schliesslich ändern sich auch die Prüfungspflichten des Käufers bzw. Bestellers nicht. Die Überprüfung hat grundsätzlich zu erfolgen, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich ist. Das Gesetz sieht hierbei keine starre, nach Tagen oder Wochen bemessene Frist vor. Massgebend sind insbesondere die Umstände des Einzelfalles, die Branchenübung, die Natur der Kaufsache und die Art des Mangels.
2.2 Zwingendes, kostenloses Nachbesserungsrecht
Eine weitere Neuerung der Revision ist die zwingende Nachbesserungspflicht des Verkäufers bzw. des Unternehmers.
Gemäss revidiertem Kaufrecht wird der Käufer eines Grundstücks mit einer Baute, die noch zu errichten ist (Kaufverträge mit Bauverpflichtung) oder wenn die Baute weniger als zwei Jahre vor dem Verkauf neu errichtet wurde, unentgeltliche Verbesserung verlangen können. Anspruch auf Nachbesserung besteht nur in Bezug auf das Gebäude, nicht auf das dazugehörige Grundstück selbst. Das OR verweist für diesen kaufrechtlichen Anspruch auf das Werkvertragsrecht. Gemäss dortigen bestehenden und revidierten Bestimmungen, kann der Werkbesteller (und aufgrund der Verweisnorm nun auch der Käufer einer Baute) bei einem Mangel eine unentgeltliche Nachbesserung verlangen. Dazu ist in der Regel eine Frist für die unentgeltliche Nachbesserung anzusetzen mit allfälliger Androhung, andernfalls die Ersatzvornahme durch einen Dritten ausführen zu lassen. Vorausgesetzt wird für das unentgeltliche Nachbesserungsrecht wie bislang, dass die Nachbesserung objektiv möglich ist und sie dem Verkäufer bzw. Unternehmer nicht übermässige Kosten verursacht.
Mit der Revision wird die bisherige Praxis gemäss Art. 169 SIA-Norm 118 für Bauwerkverträge, wonach der Unternehmer ein Recht zur Nachbesserung hat, nun gesetzlich im OR verankert.
Dieses Recht ist neu unabdingbar, d.h. eine zum Voraus getroffene Verabredung, wonach der Anspruch auf unentgeltliche Verbesserung eingeschränkt oder ausgeschlossen wird, ist für Verträge ab 1. Januar 2026 ungültig, wenn der Mangel eine Baute betrifft (zwingendes Recht). Auch damit wird die Rechtsposition der Bauherrschaften und der Immobilienkäufer gestärkt. Diese neue Bestimmung verhindert künftig die bislang häufig anzutreffende Wegbedingung sämtlicher Gewährleistungsansprüche durch den Verkäufer einer Baute.
Neu ist der Verkäufer z.B. verpflichtet, einen festgestellten Mangel kostenlos zu beheben, sofern der Käufer diesen innerhalb der 5-jährigen Verjährungsfrist nach Übergabe entdeckt und innerhalb von 60 Tagen nach Entdeckung ordnungsgemäss rügt. Damit wird es auch nicht mehr zulässig sein, dass der Verkäufer sämtliche Gewährleistungen gegenüber dem Käufer für das neu gebaute Gebäude ausschliesst und stattdessen nur seine eigenen Gewährleistungsansprüche gegenüber den einzelnen Unternehmern an den Käufer abtritt. Diese bisherige Vorgehensweise wurde als unzumutbar empfunden, da sich der Käufer bei Mängeln an Unternehmer des Verkäufers halten musste, ohne deren Verträge oder die bisherigen Absprachen zwischen Verkäufer und Unternehmer zu kennen.
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2.3 Teilzwingender Verjährungsschutz von 5 Jahren
Die bisherige Verjährungsfrist von fünf Jahren für Mängel an Bauwerken, wie sie das OR und die SIA-Norm 118 vorsehen, bleibt bestehen. Neu wird jedoch klargestellt, dass eine vertragliche Verkürzung der Frist nicht mehr erlaubt ist (teilzwingendes Recht). Die 5-jährige Verjährungsfrist gilt für alle Bauwerke und für alle daran beteiligten Unternehmer. Auch Planer (Architekten, Ingenieure) sind – wie bereits erwähnt – betroffen, sofern ihre Leistungen zu einem Mangel am Bauwerk führen.
Diese Änderung ist besonders relevant für diejenigen Akteure, die bisher die Gewährleistungsansprüche vertraglich auf eine geringere Anzahl Jahre festgelegt haben. Ab 1. Januar 2026 ist dies nicht mehr zulässig.
2.4 Bauhandwerkerpfandrecht
Mit der ZGB-Revision, die ebenfalls per 1. Januar 2026 in Kraft tritt, wird bezüglich Bauhandwerkerpfandrecht neu konkretisiert, dass Eigentümer die definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts zu Lasten Ihres Grundstücks abwenden können, wenn sie für die angemeldete Forderung zuzügliche Verzugszinse für die Dauer von zehn Jahren Sicherheit leisten. Bisher musste gemäss bundesgerichtlicher Praxis grundsätzlich eine Sicherheit zuzüglich Verzugszinse für eine unbeschränkte Dauer geleistet werden. Dies wurde in der Lehre kritisiert. Der Gesetzgeber hat nun mit der genannten Anpassung reagiert und legt einen klaren Zeitrahmen fest.
2.5 SIA-Norm 118
Wie bereits jeweils in den obenstehenden Abschnitten erwähnt, steht das revidierte Gesetz teilweise im Konflikt zur geltenden SIA-Norm 118 und übersteuert diese. Gewisse privatrechtliche Regeln der SIA-Norm 118 werden hingegen nun auch ins Gesetz übernommen bzw. verankert. Wieder andere Bestimmungen der SIA-Norm 118 können nach wie vor gültig und vorrangig zu gewissen OR-Bestimmungen vereinbart werden. Gemäss Schweizerischem Ingenieur und Architektenverein (sia) werden die SIA-118-Normen zu gegebener Zeit auf die Gesetzesrevision angepasst und ebenfalls revidiert. In der Zwischenzeit sind die Vertragsredaktoren selbst gehalten, entsprechende Anpassungen vorzunehmen.
2.6 Übergangsrecht
Das neue Recht gilt für Verträge, die ab dem 1. Januar 2026 abgeschlossen werden. Für Verträge, die vor dem 1. Januar 2026 unterzeichnet wurden, gilt grundsätzlich noch das bisherige Recht, es sei denn, sie verweisen ausdrücklich auf das neue Recht oder werden ab dem 1. Januar 2016 angepasst. Für solche altrechtlichen Verträge gilt also auch nach Inkrafttreten des neuen Rechts die Pflicht zur „Sofort-Rüge“. Unter altem Recht erfolgte Wegbedingungen von Gewährleistungsansprüchen bleiben ebenfalls (in den allgemeinen Schranken) auch unter neuem Recht wirksam. Zudem haben Käufer, die ein Grundstück unter altem Recht gekauft haben, auch wenn keine Wegbedingung der Gewährleistung erfolgt ist, kein Nachbesserungsrecht nach neuem Recht.
Projekte, die vor dem 1. Januar 2026 begonnen, aber erst danach fertiggestellt werden, fallen in eine Grauzone.
Erwähnenswert ist das folgende Beispiel, publiziert vom Schweizerischen Ingenieur und Architektenverein (sia): „Bei einem Bauprojekt, das im Jahr 2024 mit entsprechenden Werkverträgen nach altem Recht gestartet wurde und im Jahr 2026 fertiggestellt und abgenommen wird, gelten die vormaligen Bestimmungen gemäss individuellen Werkverträgen auch für Mängel, die erst 2026 entdeckt und gerügt werden. Werden bei diesem Projekt jedoch 2027 Kaufverträge für Stockwerkeigentum abgeschlossen, haben diese Käufer einen Anspruch auf Beseitigung von Mängeln, die sie bis spätestens 60 Tage nach der Entdeckung ordnungsgemäss gerügt haben, auch wenn die ursprünglichen Werkverträge dies nicht vorsahen. Damit wird es eine Übergangszeit geben, in denen altrechtliche Verträge auf neurechtliche treffen.“[1] Es ist also dringend zu empfehlen, die entsprechenden Verträge, insbesondere mit Blick auf diese Übergangszeit, zu überprüfen und sich für allfällige Mängelrügen und finanzielle Folgen abzusichern.
4. Fazit und Auswirkungen auf die Praxis
Die ab dem 1. Januar 2026 geltenden Änderungen, insbesondere im OR, stellen wesentliche Änderungen für das Bau- und Immobilienwesen dar. Die Gewährleistungsrechte der Bauherrschaften, Werkbesteller und Immobilienkäufer werden deutlich gestärkt.
Standardverträge, Urkunden, AGB und Abnahmeprotokolle sind zu überprüfen und allenfalls zu überarbeiten, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Insbesondere sind die Regelungen betreffend die Gewährleistung, die Verjährungsfristen, das Nachbesserungsrecht sowie die Übernahme von Bestimmungen der SIA-Norm 118 auf ihre Übereinstimmung mit dem neuen Recht zu kontrollieren und allenfalls anzupassen. Besonders riskant sind Klauseln, die bislang die Rügepflichten verschärften oder Gewährleistungen ausschlossen.
Quellen:
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