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Bewerber-Screening: Bauchgefühl allein reicht nicht

In der Praxis bleiben vertiefte Abklärungen über Bewerber*innen oft auf der Strecke, obwohl viele ihre Lebensläufe aufpeppen und manche gar Ausbildungsabschlüsse vorgaukeln. Vertiefte Hintergrundabklärungen vor der Einstellung können böse, kostspielige und nervenaufreibende Überraschungen verhindern.

12.12.2022 Von: Lukas Fischer, Peter Jonker
Bewerber-Screening

Es ist nicht immer einfach, die richti­gen Fachleute fürs Unternehmen zu finden. Besonders in Zeiten, in welchen der Arbeitsmarkt ausgetrocknet ist und Bewerber mit spezifischen Fachkenntnissen und Erfahrungen Mangelware sind, wird es zu einer Challenge. Die Schweiz hat wenigstens den Vorteil, ein interna­tional orientierter Arbeitsmarkt und ein einkommensstarkes Land zu sein, was es für Ausländer attraktiv macht, sich hier vorübergehend niederzulassen und zu bewerben.

Die Überprüfungen ausländischer Bewer­bender im Recruiting­-Verfahren verlangen von Schweizer Recruiter*innen zusätzli­che Sprachkenntnisse, um Referenzen ab­zuklären, Diplome ausländischer Instituti­onen zu verifizieren und die angegebene Arbeitserfahrung im Ausland zu überprü­fen. Diese Punkte sind für eine gründliche Hintergrund-­ und Referenzprüfung essen­ziell. Unsere Erfahrung aus der Durchfüh­rung forensischer Untersuchungen zeigt eindrücklich, dass in der Mehrheit der Fäl­le, die wir bearbeitet haben, gründliche Abklärungen zu Beginn des Bewerbungs­verfahrens dazu geführt hätten, dass Kri­minelle, Mobber und Belästiger gar nicht erst angestellt worden wären.

Bewerbende nehmen es mit der Wahrheit oft nicht so genau

Verschiedene Studien im deutschen Raum haben gezeigt, dass viele Bewer­bende ihren Lebenslauf beschönigen, mit gefälschten Unterlagen ergänzen und falsche oder ungenaue Angaben (z.B. über die Berufserfahrung) machen. Weil die meisten Studien allerdings eine sehr kleine und daher nicht repräsentative Grundmenge als Basis haben, muss man die Zahlen mit Vorsicht geniessen. Es gibt eine grosse Streuung in den Ergebnis­sen, wonach zwischen 20 und mehr als 60 Prozent der überprüften Lebensläufe Lügen oder «Ungenauigkeiten» enthal­ten haben sollen.

Wir nehmen aus diesen Studien zumin­dest mit, dass ein signifikant hoher An­teil von Bewerbenden die vergangenen Berufserfahrungen, Verantwortlichkeiten, erlernten Fähigkeiten und Zeugnisse «aufpeppt» sowie Lücken der Arbeits­losigkeit füllt, um einen besseren Ein­druck zu erwecken. Manche schrecken auch nicht davor zurück, Ausbildungen vorzugaukeln, die sie in Tat und Wahrheit nicht abgeschlossen haben.

Nun, wann sind Lügen oder die «Ver­schönerung des eigenen Lebenslaufs» wirklich problematisch? Das hängt von der jeweiligen Stelle ab. Natürlich ist es schon halbwegs kriminell, wenn ein Be­werbender die für eine Stelle erforderli­chen beruflichen Qualifikationen oder Praxiserfahrungen nicht mitbringt (ob­wohl vorgegeben). Wenn beispielsweise ein Rechtsanwalt gar kein Jurastudium absolviert und ein Arzt nicht Medizin stu­diert hat oder wenn ein Lkw­-Fahrer nicht über den richtigen Führerschein verfügt.

Aber was ist, wenn KandidatInnen «spar­sam mit der Wahrheit» umgehen und et­was «übertreiben», wenn sie über ihre Verantwortlichkeiten sprechen, die sie in ihrem vorherigen Job hatten? Wie wür­den Sie es empfinden, wenn Bewerbende im Tätigkeitsbericht bequemerweise nur die Jahre anstelle der genauen Kalender­daten angeben, um grosse Lücken zwi­schen zwei Arbeitsstellen elegant zum Verschwinden zu bringen?

Genau hinschauen lohnt sich

Hand aufs Herz, würde man jemanden einstellen wollen, wenn man im Einstel­lungsverfahren feststellt, dass er oder sie sich vorsätzlich solcher Gaunereien be­dient? Spielt es da eine Rolle, für welche Funktion oder Stelle man sich bewirbt? Möglicherweise schon, denken sich die einen und fahren mit Sätzen wie «Alles eine Frage der Verhältnismässigkeit» oder «Alles halb so relevant» auf. Andere wie­derum zweifeln dann (zu Recht) an der Integrität der Person und wählen lieber andere Kandidaten.

Heutzutage ist es sehr einfach, Diplome zu fälschen. Und die hoch automatisier­ten Einstellungsverfahren ermöglichen es, gefälschte Zeugnisse in Sekunden­schnelle hochzuladen. Während des Ein­stellungsverfahrens gehört deshalb die Überprüfung von Diplomen, Berufserfah­rung und der Referenzen zu den grundle­genden Abklärungen. In der Realität wird aber oft darauf verzichtet, weil sie zeit­aufwendig und kostspielig sind oder weil es ganz einfach «unangenehm» ist. Für Agenturen, die sich mit der Suche nach Führungskräften befassen, gibt es noch einen weiteren Grund, nicht «zu tief» ein­zutauchen. Abgesehen vom Zeit-­Kosten­-Faktor kann dies auch ein zusätzlicher «Deal Breaker» sein. Denn man möchte es sich mit den KandidatInnen auch im Hinblick auf künftige Mandate nicht ver­scherzen.

Viele Recruiter verlassen sich auf ihr Bauchgefühl, es lohnt sich jedoch, die Angaben des Bewerbenden kritisch zu prüfen. Findet man «die Leichen» näm­lich erst zu spät, muss der neue Arbeitgeber die Konsequenzen und die damit verbundenen Kosten tragen. Es liegt in der Verantwortung der Recruiter, abzu­schätzen, inwiefern sie ihr Bauchgefühl absichern wollen.

Pre-employment Bewerber-Screening, ein schrittweiser Ansatz

Die Durchführung einer Integrity Due Di­ligence bei potenziellen beginnt immer mit einer Einverständnis­erklärung des Bewerbenden, gefolgt von einer Überprüfung der zur Verfügung gestellten Informationen. Manchmal sind auch Hintergrundinformationen aus einem ersten Gespräch mit der Personal­abteilung oder einem Personalvermittler hilfreich.

In den meisten Fällen wird eine OSINT-­Recherche (Open Source Intelligence) durchgeführt, um weitere Hintergrund­informationen über die Kandidaten zu erhalten, um die von ihnen gemachten Angaben zu überprüfen. Öffentlich zu­gängliche Informationen aus Handels­registern, Risiko­ und Sanktionsdaten­banken und aus Medienartikeln werden zusammengetragen und analysiert. Das­selbe gilt für Bonitätsprüfungen, Betrei­bungsregisterauskünfte und eingereichte Strafregisterauszüge sowie die öffentli­chen Social­-Media-­Einträge der Kandi­datInnen, aber nur, sofern die Erhebung dieser Informationen verhältnismässig und für die Stelle relevant und notwendig erscheint. Aufgepasst bei Recherchen in den sozialen Medien. Die meisten Einträ­ge sind privater Natur und dürfen deshalb nicht in die Analyse einfliessen.

Anschliessend werden die spezifischen Angaben des Bewerberdossiers über­prüft. Bildungseinrichtungen (zumindest für die relevanten Abschlüsse) und Refe­renzen sollten kontaktiert werden. Bei der Besetzung von leitenden oder sonstigen Schlüsselfunktionen ist die Überprüfung von potenziellen Interessenkonflikten ein wichtiger Bestandteil der gründlichen Hintergrundabklärung. Hier ist es interessant, die von den KandidatInnen gemachten Angaben mit den Informationen aus öffentlichen Quellen zu vergleichen. Aus Erfahrung wissen wir, dass Kandidat*innen manchmal «vergessen», bestimmte persönliche/geschäftliche Interessen offenzulegen, die zu offensichtlichen Interessenkonflikten mit der neuen Aufgabe führen könnten.

Das Integrity-Interview dient schliesslich dazu, die Auffälligkeiten aus der Hintergrundabklärung zu klären und die Ergebnisse aus der Dossier-Analyse mit den Bewerbenden zu besprechen. Die Beurteilung von Fällen aus der Praxis, die Diskussion von relevanten Compliance-Themen und die Beurteilung der Integrität anhand verschiedener Dilemma-Situationen runden das Gespräch ab.

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