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Auskunftspflicht: Dürfen Bewerber falsche Angaben machen?

Haben Sie sich jemals gefragt, was Bewerber in einem Vorstellungsgespräch sagen dürfen, wenn ihnen unzulässige Fragen gestellt werden? Unser Artikel taucht ein in das faszinierende, aber komplexe Thema des «Notwehrrechts der Lüge» im schweizerischen Arbeitsrecht und liefert Ihnen wertvolle Einblicke.

20.09.2023 Von: David Schneeberger
Auskunftsfplicht

Einleitung

In einem Vorstellungsgespräch ergeben sich oft Fragen, die sowohl für Arbeitgeber als auch für Bewerber schwierig zu navigieren sind. Während Arbeitgeber bestrebt sind, relevante Informationen über potenzielle Mitarbeiter zu erhalten, haben Bewerber ein Anrecht darauf, ihre persönlichen Daten und ihr Privatleben zu schützen. In der Schweiz existiert das Prinzip des «Notwehrrechts der Lüge», das Bewerbern das Recht einräumt, auf unzulässige Fragen im Vorstellungsgespräch unwahr zu antworten. Doch wann ist eine Lüge gerechtfertigt, und welche Fragen sind überhaupt unzulässig? Dieser Artikel analysiert die wichtigsten rechtlichen Aspekte und Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema und gibt praxisnahe Antworten auf diese Fragen.

Wahrheitspflicht

Im Schweizer Arbeitsrecht besteht für Bewerber grundsätzlich eine Wahrheitspflicht im Vorstellungsgespräch. Sie sind verpflichtet, Fragen des Arbeitgebers, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Position und der zu leistenden Arbeit stehen, wahrheitsgetreu zu beantworten. Jedoch ist diese Wahrheitspflicht nicht uneingeschränkt. Eine Ausnahme besteht, wenn dem Bewerber unzulässige Fragen gestellt werden, die sein Persönlichkeitsrecht verletzen. In solchen Fällen kann ein «Notwehrrecht der Lüge» geltend gemacht werden. Dieses Prinzip basiert auf der Vorstellung, dass es in gewissen Situationen legitim ist, die Wahrheit zu verheimlichen, um die persönliche Integrität zu schützen.

Unmittelbares objektives Interesse

Der Begriff «unmittelbares objektives Interesse» im Kontext eines Vorstellungsgesprächs bezieht sich auf Informationen, die für die spezifische Position oder Arbeitsbeziehung relevant sind. Beispielsweise könnten Fragen zur Berufserfahrung, zur Ausbildung oder zu spezifischen Fähigkeiten, die für die Position benötigt werden, gestellt werden. Auch Fragen zur Verfügbarkeit, wie beispielsweise die Möglichkeit, Vollzeit zu arbeiten oder in Schichten, können von unmittelbarem Interesse sein. Solche Fragen sind zulässig, und der Bewerber ist verpflichtet, sie wahrheitsgetreu zu beantworten.

Im Gegensatz dazu sind Fragen, die nicht von unmittelbarem objektivem Interesse sind – beispielsweise solche, die die Privatsphäre oder persönliche Lebensumstände betreffen, die keinen Einfluss auf die Arbeitsleistung haben –, nicht zulässig, und der Bewerber hat das Recht, sie nicht wahrheitsgemäss zu beantworten. In diesem Fall kann das Notwehrrecht der Lüge greifen.

Auskunftspflicht

Die Aufskunftspflicht im Vorstellungsgespräch bezieht sich auf die Verpflichtung des Bewerbers, wichtige Informationen, die die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussen könnten, wahrheitsgetreu offenzulegen. Dazu gehören beispielsweise bestehende Arbeitsverträge oder anhängige rechtliche Verfahren. Jedoch hat der Bewerber keine generelle Offenbarungspflicht und muss nur Fragen beantworten, die einen unmittelbaren objektiven Interessenbezug haben. Bei unzulässigen Fragen, die das Persönlichkeitsrecht verletzen, kann der Bewerber die wahrheitsgemässe Beantwortung verweigern.

Täuschung

Im Kontext eines Vorstellungsgesprächs bezeichnet «Täuschung» den Akt des Bewerbers, falsche oder irreführende Informationen zu geben oder wichtige Informationen zu verschweigen, was dazu führt, dass der Arbeitgeber einen wesentlichen Irrtum macht. Dies könnte beispielsweise die falsche Darstellung von Qualifikationen, Fähigkeiten oder Berufserfahrung sein. Ein solcher Irrtum könnte dazu führen, dass der Arbeitgeber den Vertrag nicht oder nicht mit dem gewünschten Inhalt abgeschlossen hätte. Es ist wichtig zu beachten, dass Täuschung im Kontext eines Vorstellungsgesprächs nur dann relevant ist, wenn eine Auskunftspflicht besteht und die verfälschten oder verschwiegenen Informationen von unmittelbarem objektivem Interesse sind.

Wesentlicher Irrtum

Ein «wesentlicher Irrtum» im Kontext eines Vorstellungsgesprächs entsteht, wenn der Arbeitgeber aufgrund von falschen Informationen oder dem Verschweigen von relevanten Tatsachen durch den Bewerber eine Entscheidung trifft, die er sonst nicht getroffen hätte. Ein solcher Irrtum könnte beispielsweise die Einstellung einer Person sein, die nicht über die angegebenen Qualifikationen oder Fähigkeiten verfügt oder die Informationen über laufende rechtliche Verfahren verschweigt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass nur Irrtümer, die wesentlich sind, das heisst, die das Arbeitsverhältnis grundlegend beeinflussen, zu einer Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums oder Täuschung nach Art. 28 OR führen können.

Notwehrrecht der Lüge

Das «Notwehrrecht der Lüge» im Vorstellungsgespräch bezieht sich auf die Situation, in der der Bewerber auf eine unzulässige Frage, die sein Persönlichkeitsrecht verletzt bzw. keinen direkten Bezug zur Stelle hat, mit einer unwahren Antwort reagiert.

Fragen, die das Persönlichkeitsrecht verletzen, können eine breite Palette von Themen umfassen, darunter die persönliche Lebensführung, politische Überzeugungen, religiöse Ansichten, Familienstatus oder Gesundheitszustand, sofern sie nicht direkt mit der Stelle zusammenhängen. Zum Beispiel wäre eine Frage nach der Familienplanung oder Schwangerschaft in den meisten Fällen unzulässig, es sei denn, es gibt einen direkten Zusammenhang mit der Arbeitsleistung, was selten der Fall ist. Auch Fragen nach der sexuellen Orientierung, dem Glauben oder der politischen Einstellung sind in der Regel unzulässig, da sie das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers verletzen.

Das «Notwehrrecht der Lüge» ist kein Freibrief für Unwahrheiten, sondern ein Schutzmechanismus für den Bewerber in spezifischen Situationen, in denen das Persönlichkeitsrecht verletzt wird.

Zulässige Reaktion des Bewerbers auf eine unzulässige Frage

Im Falle einer unzulässigen Frage im Vorstellungsgespräch hat der Bewerber mehrere Optionen. Er kann die Frage offen ablehnen und seine Gründe dafür erläutern. Alternativ kann er auch eine ungenaue oder ausweichende Antwort geben. In bestimmten Situationen, in denen die Frage das Persönlichkeitsrecht verletzt, kann der Bewerber auch das «Notwehrrecht der Lüge» geltend machen und eine unwahre Antwort geben. In jedem Fall ist es ratsam, solche Situationen professionell und taktvoll zu handhaben, um das Vorstellungsgespräch nicht unnötig zu belasten.

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