Virtuelle Generalversammlung: Rechtsrahmen und Praxisleitfaden

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Rechtlicher Hintergrund und Grundlagen
Die Generalversammlung der Aktionärinnen und Aktionäre gilt als oberstes Organ der Aktiengesellschaft (Art. 698 Abs. 1 des Schweizerischen Obligationenrechts [OR]). Unter ihre Aufgaben fallen wichtige Entscheidungsbefugnisse, die die Struktur und strategische Entwicklung der Aktiengesellschaft betreffen (Art. 698 Abs.2 OR).
Mit der Aktienrechtsrevision 2023 wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für hybride und virtuelle Generalversammlung in Art. 701c-701f OR verankert. Damit wurden zwei Möglichkeiten geschaffen:
Hybride Generalversammlungen, bei denen die physische Teilnahme eines Teils des Aktionariats mit der virtuellen Zuschaltung von weiteren Aktionärinnen und Aktionären kombiniert wird (Art. 701c OR); und
Virtuelle Generalversammlung, bei denen die GV mithilfe von technischen Mitteln ausschliesslich virtuell durchgeführt wird und keine physische Präsenz der Aktionärinnen und Aktionäre möglich ist (Art. 701d OR).
Damit wurde die Übergangslösung aus Art. 8 Covid-19-Gesetz sowie Art. 27 Covid-19-Verordnung 3, die bis zum 31. Dezember 2022 bestand und Unternehmen erlaubte, Generalversammlungen ohne physische Präsenz und mit schriftlicher oder elektronischer Teilnahme durchzuführen, dauerhaft in das Obligationenrecht integriert.
Vorteile und Besonderheiten der hybriden oder virtuellen GV
Bei einer physischen GV muss der Tagungsort der GV vom Verwaltungsrat bestimmt werden (Art. 701a Abs. 1 OR), wobei auch mehrere Tagungsorte möglich sind (Art. 701a Abs. 2 OR). Vor allem bei Aktiengesellschaften mit grossem und/oder internationalem Aktionärskreis ist eine physische GV mit erheblichem Aufwand verbunden. Das Unternehmen muss geeignete Räumlichkeiten organisieren, Einladungen international versenden und ggf. mehrsprachige Kommunikation sicherstellen. Für ausländische Aktionärinnen und Aktionäre bedeutet die Teilnahme Reise- und Zeitaufwand, was die Ausübung ihrer Rechte erschweren kann. Mit der Einführung hybrider und virtueller GVs verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, Unternehmen einen erweiterten Gestaltungsspielraum für die Durchführung der GV einzuräumen und den Zugang zur GV für Aktionärinnen und Aktionäre zu erleichtern.
Für die Durchführung von hybriden und virtuellen GVs gelten laut Art. 701e Abs. 2 OR erhöhte Anforderungen an den Verwaltungsrat. Es muss sichergestellt werden, dass die Identität der Teilnehmer feststeht, die Voten unmittelbar übertragen werden, das Diskussions- und Antragsrecht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingehalten wird und das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht wird. Die Wahl der technischen Hilfsmittel wurde vom Gesetzgeber absichtlich offengelassen, damit Gesellschaften auch neue technische Innovationen benutzen können (Art. 701e Abs. 1 OR). Für den Ablauf der Generalversammlung sind sodann die Bestimmungen in Art. 699 ff. OR analog anwendbar.
Insbesondere die vollständig virtuelle GV gemäss Art. 701d OR stellt einen echten Paradigmenwechsel dar, wobei gar kein physischer Tagungsort benötigt wird und alle Interaktionen am Tag der GV im virtuellen Raum abgehalten werden können. Da die vollständig virtuelle Kommunikation spätestens seit der Covid-19-Pandemie im Unternehmensalltag verankert ist, bieten virtuelle GVs die effizienteste und zugänglichste Alternative zur physischen GVs und dürften sich zukünftig als die bevorzugte Variante etablieren. Im Folgenden werden bewährte Vorgehensweisen und Erkenntnisse aus der jüngsten Praxis der virtuellen GVs beleuchtet.
Best Practices und Learnings
Planung: Der Grundstein für eine erfolgreiche virtuelle GV
Eine sorgfältige Planung bildet die zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung einer virtuellen GV. Grundlegende Voraussetzung ist dabei, dass die Statuten der Gesellschaft die virtuelle GV ausdrücklich zulassen (Art. 701d Abs. 1 OR). Falls dies nicht der Fall ist, ist zuerst eine entsprechende Statutenänderung durch die Generalversammlung notwendig (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 1 OR).
Als Erstes sollte geklärt werden, welche technische Lösung zum Einsatz kommt und ob diese alle rechtlichen Anforderungen abdeckt – insbesondere in Bezug auf Identifikation, Teilnahme und Abstimmung (Art. 701e OR), aber auch betreffend Datensicherheit und Zuverlässigkeit. Wichtig ist zudem, dass die Teilnahme- und Stimmabgabeprozesse transparent, sicher und nachvollziehbar gestaltet und dokumentiert werden (Art. 702 Abs. 2 OR). Die Auswahl eines erfahrenen, vertrauenswürdigen Dienstleisters oder einer bewährten Plattform kann dabei wesentlich zur Qualität und Rechtssicherheit beitragen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sorgfältige Planung des gesamten organisatorischen Ablaufs – von der Einladung und Anmeldung bis hin zur technischen Unterstützung und der Vorgehensweise bei Pannenszenarien.
Technische Voraussetzungen und Plattform
Die technische Basis entscheidet massgeblich über den Erfolg einer virtuellen Generalversammlung. Die eingesetzte Plattform muss nicht nur funktional überzeugen, sondern auch sämtliche gesetzlichen Anforderungen in Art. 701e OR erfüllen.
Die gewählte Lösung muss nämlich Anforderungen wie sichere elektronische Identifikation, Echtzeit-Abstimmungen und Redemöglichkeiten gewährleisten (Art. 701e OR). Idealerweise ist die Plattform bereits in der Schweiz im Einsatz und erprobt. Auf dem Schweizer Markt haben sich in den letzten Jahren einige, besonders für virtuelle GVs entwickelte technische Lösungen etabliert, die sämtliche Anforderungen abdecken.
Dabei darf der Zugang zur GV nur für berechtigte Aktionärinnen und Aktionäre möglich sein. Hierzu müssen klare Prozesse definiert werden – z. B. via Zwei-Faktor-Authentifizierung und/oder personalisierten Zugangscodes. Die ausgewählte Plattform muss stabil, skalierbar und benutzerfreundlich sein. Zusätzlich sollte ein technischer Support vor und während der Versammlung gewährleistet sein. Vor dem eigentlichen Termin sollte ein umfassender Probelauf unter Teilnahme der Vorsitzenden und den teilnehmenden Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung und mit allen Funktionen (Einwahl, Abstimmung, Wortmeldungen) stattfinden. Bei internationalem Aktionariat muss eine Dolmetschfunktion oder parallele Sprachkanäle auf der Plattform angeboten werden.
Einberufung
Auch bei virtuellen GVs gelten die Vorgaben für die Einberufung nach Art. 700 OR und den Statuten der Gesellschaft uneingeschränkt. Besonders für die erste virtuelle GV ist eine vollständige und transparente Einladung, die Unsicherheiten aus dem Weg räumt, unerlässlich.
Die virtuelle Form der Durchführung der GV muss in der Einladung bezeichnet werden. Im Gegensatz zur GV mit physischem Tagungsort muss die Einladung für eine virtuelle GV zusätzlich Angaben zur technischen Teilnahme enthalten. Darunter fallen z.B. die Plattform, das Login-Verfahren und der Support-Kontakt. Die Erstellung eines separaten, ausführlichen technischen Leitfadens als Anhang zur Einladung wird empfohlen. Ebenfalls sind der Einladung die persönlichen Zugangsdaten zur Teilnahme an der virtuellen GV beizulegen.
Eine Besonderheit der virtuellen GV ist, dass gemäss Art. 701d Abs. 1 OR ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter in der Einberufung bezeichnet werden muss, den die Aktionärinnen und Aktionäre bevollmächtigen können, wenn sie nicht persönlich an der virtuellen GV teilnehmen. Bei nicht börsenkotierten Gesellschaften können die Statuten jedoch vorsehen, dass auf die Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters verzichtet werden kann (Art. 701d Abs. 2 OR).
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Durchführung: Strukturierter Ablauf und klare Verantwortlichkeiten
Der digitale Rahmen erfordert klare eingeübte Abläufe und eine transparente Rollenverteilung. Für die statutarischen Teile der GV (Traktanden, Abstimmungen) sollten vorbereitete Sprecher-Skripte erstellt werden. Diese helfen, den rechtlichen Rahmen korrekt umzusetzen und erleichtern besonders bei virtuellen Abstimmungen die Moderation. Der Verwaltungsrat und andere Redner sollten klare Leitlinien erhalten, wie mit spontanen Fragen, Gegenanträgen, technischen Problemen oder Beschwerden umzugehen ist.
Die Zuständigkeiten sollten im Vorfeld eindeutig definiert werden. Es ist klar festzulegen, wer die Moderation übernimmt, wer als technischer Ansprechpartner fungiert, wer für die Protokollführung verantwortlich ist und wer im Falle von Problemen die Kommunikation nach innen und aussen übernimmt. Allfällige externe Dienstleister sind frühzeitig und transparent in die entsprechenden Abläufe einzubinden. Ein detaillierter Ablaufplan mit definierten Rollen, Zeitfenstern und Eskalationsszenarien sorgt dafür, dass auch im Falle von Störungen schnell reagiert werden kann.
Aktionärsmitwirkung und Fragen
Auch im virtuellen Format müssen Aktionärinnen und Aktionäre ihre Rechte vollumfänglich wahrnehmen können. Um eine geordnete und faire Beteiligung sicherzustellen, empfiehlt sich eine strukturierte Umsetzung mit klar definierten Interaktionsmöglichkeiten.
So können beispielsweise Fragen im Vorfeld schriftlich eingereicht oder live während der Generalversammlung über ein integriertes Tool gestellt werden. Abhängig von der gewählten technischen Lösung kann zusätzlich auch eine Live-Zuschaltung mit Wortmeldung ermöglicht werden. Alternativ können Fragen und Beiträge durch die vorsitzende Person verlesen und beantwortet werden. Wichtig ist in jedem Fall, dass in den Einladungsunterlagen klar und verständlich geregelt wird, auf welchem Weg und in welcher Form Fragen eingereicht werden können und wie Aktionärinnen und Aktionäre ihre Mitwirkungsrechte ausüben können. Zu Beginn der Versammlung senkt eine kurze Einweisung die Hemmschwelle und beugt Probleme vor (z.B. «Wie kann ich Fragen stellen?», «Wie läuft die Abstimmung?»). Gerade bei der erstmaligen Durchführung einer virtuellen GV besteht beim Aktionariat häufig Informationsbedarf hinsichtlich ihrer Mitwirkungsrechte. Durch eine sorgfältige Ausgestaltung und Aufklärung kann die Ausübung der Mitwirkungsrechte in einer virtuellen GV dem physischen Format gleichwertig sein. Zudem kann so die Akzeptanz der virtuellen GV gestärkt werden.
Notfallszenarien: Auf das Unerwartete vorbereitet sein
Selbst bei sorgfältiger Planung und technischer Vorbereitung können bei einer virtuellen Generalversammlung unerwartete Probleme auftreten – sei es durch technische Störungen oder organisatorische Schwierigkeiten. Umso wichtiger ist es, bereits im Vorfeld einen klaren Notfallplan zu entwickeln. Zusätzlich empfiehlt sich die Einrichtung einer technischen Support-Hotline oder eines Live-Chats, der bereits vor Beginn der GV erreichbar ist und während der gesamten Veranstaltung schnelle Hilfe bietet.
Bei einer schwerwiegenden Störung, wie dem Ausfall der virtuellen Plattform, muss die Generalversammlung wiederholt werden (Art. 701f Abs. 1 OR). Es bietet sich deswegen an, bereits in der Einladung ein Alternativdatum festzulegen. Bei kleineren technischen Problemen, die schnell behoben werden können, kann die virtuelle GV unterbrochen und später fortgesetzt werden. Auch hier bietet es sich an, in der Einladung und auf der Website der Gesellschaft den Kommunikationskanal zu bezeichnen, auf welchem Aktionärinnen und Aktionäre entsprechende in Echtzeit informiert werden.
Schliesslich kann eine kurze Umfrage nach der GV zur Nutzererfahrung (z.B. Tool-Bedienung, Ablauf, Beteiligungsmöglichkeiten) wertvolle Erkenntnisse für künftige GVs liefern. Auch Feedback von weiteren Teilnehmenden zu sammeln (Redner, unabhängiger Stimmrechtsvertreter, externe Dienstleister) kann sehr wertvoll sein.
Fazit: Virtuelle Generalversammlung – rechtssicher durch präzise Planung
Virtuelle Generalversammlung bieten Unternehmen die Chance, Effizienz und Zugänglichkeit ihrer Generalversammlung zu erhöhen – vorausgesetzt, sie werden sorgfältig vorbereitet und professionell durchgeführt. Die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist dabei ebenso wichtig wie die Auswahl einer rechtskonformen technischen Plattform, die sichere Authentifizierung, transparente Stimmabgabe und geordnete Kommunikation ermöglicht.
Von der rechtzeitigen Einladung über die klare Rollenverteilung und technische Umsetzung bis hin zur Gewährleistung der Aktionärsrechte und der Vorbereitung auf Notfälle: Jede Phase verlangt Aufmerksamkeit und eine vorausschauende Planung. Mit strukturierten Abläufen, durchdachten Notfallplänen und klarer Kommunikation lässt sich eine virtuelle GV genauso rechtsgültig und partizipativ durchführen wie eine physische.