Grenzmanagement: So gehen Sie mit Spannungsfeldern erfolgreich um

Welchen Spannungsfeldern sind Projektverantwortliche ausgesetzt, und wie gelingt es ihnen, sich möglichst produktiv darin zu bewegen? Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und des Beratungs- und Weiterbildungsinstituts BWI hat sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt.

30.05.2024 Von: Christian Bachmann
Grenzmanagement

Das Ziel einer gemeinsam von der ZHAW und dem Beratungs- und Weiterbildungsinstitut BWI durchgeführten Studie war es, zu ergründen, welche Strategien, Konzepte und Kompetenzen der Projektleitenden sich in herausfordernden Situationen bewähren. Dazu wurden qualitative Interviews mit Projektleitenden durchgeführt.

Fünf typische Herausforderungen für Projektleitende

  1. Grundspannungen im Projekt: Projektleitende haben oft keine klar definierte Weisungsbefugnis und «hängen zwischen den Stühlen» in Bezug auf das Projektteam, den Kund*innen und den internen Auftraggebenden.

  2. Spannungsfelder im Kontext von Stakeholdern: Projektverantwortliche sind auf die Unterstützung ihrer Stakeholder angewiesen, können aber nie alle Erwartungen und Bedürfnisse, die an sie gerichtet sind, erfüllen.
  3. Spannungsfelder im Kontext von Ressourcen: In jedem Projekt müssen anspruchsvolle Ziele mit begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen erreicht werden.
  4. Spannungsfelder zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Kunden verlangen von ihren (Projekt-) Lieferanten Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit in Bezug auf die Projektabwicklung, sind aber oft selbst nicht in der Lage, diese Verbindlichkeit in Bezug auf Freigaben oder Entscheide einzuhalten.
  5. Spannungsfelder zwischen Beruf und Privatleben: Das Projekt hat grosse Priorität, und von den Projektleitenden wird oft ein hoher und flexibler Einsatz gefordert. Das macht es für sie schwierig, sich abzugrenzen. Darunter kann das pri­vate Umfeld leiden, und oft ist es auch schwierig, nach einem intensiven Arbeitstag am Abend abzuschalten und sich zu erholen.

Das Setzen von Grenzen ermöglicht Produktivität

Grenzen bezeichnen den Unterschied von einem Bereich zu einem anderen. Spannungsfelder können durch bewusstes Grenzmanagement reguliert werden. Zur wesentlichen Funktion von Grenzen gehört es,

  • die Identität eines Systems (einer Orga­nisation oder eines Projekts) aufrecht zuerhalten

  • und seine Funktionsweise zu garantieren.

Ohne Grenzen wäre Leben unmöglich. So muss eine biologische Zelle ihre Teile «zusammenhalten», sonst ist sie als Zelle nicht funktionsfähig. Sie muss aber auch offen genug sein, dass der notwendige Stoffaustausch stattfinden kann. Gleichermassen muss ein Projekt Grenzen setzen gegenüber der Regelorganisation, damit ein Teamspirit und eine Projektkultur entstehen können. Gleichzeitig müssen die Projektgrenzen durchlässig genug sein, weil Projekte von den Ressourcen der Linie und der Unterstützung der Stake holder abhängig sind.

Strategien und Kompetenzen im Grenzmanagement

Das Bedürfnis, allen Erwartungen zu entsprechen, ist für viele Menschen ein tief verankertes Muster. Für mehrere Interviewpartner*innen brauchte es zuerst ein Bewusstsein dafür, dass das persönliche Arbeitsverhalten akut oder längerfristig schädigend ist, bevor sie bereit waren, Grenzen zu setzen.

1. Grenzen setzen und schützen 

Grenzen können gesetzt werden in Bezug auf:

  1. Arbeitstechnik: z.B. Erreichbarkeitsgrenzen setzen (Push-Nachrichten, E-Mails).
  2. Erwartungen und Rollen: z.B. gegenseitige Erwartungen definieren und verhandeln.
  3. Konfliktbereitschaft: z.B. konstruktiver Umgang mit Konflikten, ohne diese zu personalisieren.
  4. Abgrenzung zum Vorgesetzten und Delegation: z.B. Verantwortung an das Team übergeben.
  5. Umgang mit Grenzen der Mit­menschen: z.B. Projektmitarbeitende unterstützen oder austauschen, wenn sie erkennbar überfordert sind.

2. Grenzen öffnen

In manchen Organisationen nimmt das «Silo-Denken» überhand. Dies führt zu Abschottung in der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Unternehmens- und Projektbereichen. In diesen Situationen gilt es, Grenzen wieder durchlässiger zu machen oder komplett zu öffnen. Dies gelingt durch:

  1. Positive Kommunikationskultur: Formale und informelle Gesprächs- und Austauschkultur im Team oder ehrliche Kommunikation mit den Kunden fördern.

  2. Erfolge feiern und Wertschät­zung zeigen: Meilensteine und Projekterfolge feiern.

  3. Vertrauen zum Vorgesetzten: Erlaubt es, Leistungen einzufordern und auch Überforderungen thematisieren zu können.

  4. Achtsamkeit und Körperbe­wusstsein: Den eigenen Körper annehmen können als Signalgeber für Belastung, Stress und Erholung.

  5. Professionelle Hilfe: In anspruchsvollen Situationen Hilfe einholen können von externen Sparringspartnern, Coaches oder Psycholog*innen.

3. Grenzen versetzen

Projektleitende finden sich oft in informellen Führungsrollen mit eingeschränkter Weisungs- und Entscheidungsbefugnis, was ihre Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Aus diesem Grund brauchen Projektverantwortliche auch die Kompetenz, Grenzen zu verschieben. Das Spannungsfeld bleibt damit gleich, aber dessen Bewertung verändert sich. Dies wird unterstützt durch:

  1. Selbstreflexion: Sich immer wieder bewusst machen, welche Verantwortung man trägt und welches aktuell die wesentlichen Prioritäten sind.

  2. Gelassenheit: Das eigene Projekt und sein eigenes Tun in einen grösseren Kontext stellen.

  3. Lösungsorientierung: Sich nicht in die eigene Lösungsvorstellung verbeissen, sondern auch die Lösungsansätze der Kund*innen integrieren können.

  4. Kognitive Restrukturierung (Re­framing): Sachzwängen einen Sinn geben können, z.B. durch die WIDEG-Frage von Viktor Frankl: Wofür Ist Das Eine Gelegenheit?

  5. Über Grenzen hinauswachsen: Dem Team und sich selbst Wachstum zutrauen.

Selbstbestimmung statt vorauseilender Gehorsam

Klar zu erkennen war in den Interviews, dass der vorauseilende Gehorsam in der anspruchsvollen Projektarbeit nicht funktioniert. Deshalb haben wir die Selbstbestimmung als übergeordnete, grundlegende Kompetenz definiert.

Projektleitende müssen sich die innere Bewilligung geben, durch aktives Grenzmanagement auf die Spannungsfelder einzuwirken, denen sie ausgesetzt sind. Wir verwenden den Resilienzfaktor Selbstwirksamkeit hier als Synonym. Selbstwirksame Menschen sehen die Spannungsfelder, denen sie ausgesetzt sind, als Herausforderungen und nicht als Bedrohungen, und sie haben die tiefe Überzeugung, dass sie den Anforderungen des Lebens nicht ohnmächtig ausgeliefert sind.

Was es für soziale Nachhaltigkeit in den Organisationen braucht

Unsere Interviewpartner*innen waren durchwegs sehr motiviert und zeigten eine hohe Bereitschaft für Engagement und Verantwortungsübernahme. Es kam aber auch zum Ausdruck, dass der Mensch ein begrenztes Wesen ist und in der Lage sein muss, seine persönlichen Grenzen zu erkennen und anzuerkennen. Zur Unterstützung dafür müssen Führungs- und Organisationskonzepte weiterentwickelt werden, um die steigenden Erwartungen an die Projekte im Sinne einer sozialen Nachhaltigkeit erfüllen zu können. Gleichzeitig braucht es Projektleitende, welche die eigenen Grenzen und diejenigen des Projekts reflektieren und zielführend regulieren können.

Newsletter W+ abonnieren