Nachhaltigkeitskennzahlen: Erfassung im Rechnungswesen

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Grundlegende Prinzipien der Erfassung von Nachhaltigkeitskennzahlen im Rechnungswesen
Die Integration von Nachhaltigkeitskennzahlen in das Rechnungswesen ist ein komplexer Prozess, der über die traditionelle rein finanzielle Berichterstattung hinausgeht. Ohne grundlegende Prinzipien für diese Integration besteht die Gefahr, dass die erfassten Daten inkonsistent, unzuverlässig, schwer vergleichbar oder für die Entscheidungsfindung irrelevant sind. Die Einhaltung dieser Prinzipien ist dabei entscheidend für:
- Glaubwürdigkeit und Vertrauen: Stakeholder (Investoren, Kunden, Mitarbeitende, Aufsichtsbehörden, die Öffentlichkeit) erwarten von Unternehmen eine transparente und glaubwürdige Darstellung ihrer Nachhaltigkeitsleistung. Ohne solide Erfassungsgrundlagen ist diese Glaubwürdigkeit gefährdet.
- Vergleichbarkeit: Um die Leistung eines Unternehmens im Zeitablauf oder im Vergleich zu anderen Unternehmen beurteilen zu können, ist eine konsistente und vergleichbare Datenerfassung unerlässlich. Unterschiedliche Erfassungsmethoden würden die Vergleichbarkeit erheblich erschweren.
- Verknüpfung mit finanziellen Daten: Wo immer möglich und sinnvoll, sollten Nachhaltigkeitskennzahlen mit traditionellen finanziellen Kennzahlen in Beziehung gesetzt werden, um eine umfassendere Performance-Bewertung zu ermöglichen (z.B. Energieverbrauch pro Umsatz).
- Messbarkeit und Quantifizierbarkeit: Kennzahlen sollten klar definiert, messbar und quantifizierbar sein, um eine konsistente Erfassung und Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
- Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit: Die Datenerfassungsprozesse müssen transparent und nachvollziehbar dokumentiert sein, um die Verlässlichkeit der Kennzahlen sicherzustellen.
- Wesentlichkeit: Unternehmen sollten sich auf Kennzahlen konzentrieren, die für ihre Geschäftstätigkeit und ihre wesentlichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft relevant sind.
- Konsistenz und Vergleichbarkeit: Die Erfassungsmethoden sollten über die Zeit konsistent angewendet werden, um eine Vergleichbarkeit der Leistung zu ermöglichen. Zudem ist die Vergleichbarkeit mit Branchenstandards oder Wettbewerbern wünschenswert.
Übersicht relevanter Nachhaltigkeitskennzahlen und deren potenzieller Erfassung im Rechnungswesen
Die folgenden Kennzahlen sind nach den drei Säulen der Nachhaltigkeit, nämlich Umwelt, Soziales, Governance (engl. ESG – Environmental, Social, Governance), strukturiert und geben Hinweise auf mögliche Anknüpfungspunkte im Rechnungswesen:
Umwelt (E – Environmental)
| Kennzahl | Beschreibung | Mögliche Erfassung im Rechnungswesen |
|---|---|---|
| Energieverbrauch (Strom, Wärme, Treibstoffe) | Gesamtverbrauch und Aufschlüsselung nach Quellen (erneuerbar/nicht erneuerbar) | Erfassung über Kostenstellen, separate Konten für erneuerbare Energien, Verknüpfung mit Produktionsdaten oder Quadratmeterzahlen |
| Treibhausgasemissionen (Scope 1, 2, ggf. 3) | direkte Emissionen, Emissionen aus eingekaufter Energie, indirekte Emissionen entlang der Wertschöpfungskette | Erfassung von Brennstoffverbräuchen, Stromrechnungen, Reisekosten, Logistikaufwendungen; ggf. separate Erfassung von Emissionsfaktoren und Berechnung |
| Wasserverbrauch | Gesamtverbrauch und Aufschlüsselung nach Quellen (z.B. Frischwasser, Brauchwasser) | Erfassung über Wasserrechnungen, ggf. separate Messungen in Produktionsprozessen; Verknüpfung mit Produktionsvolumen |
| Abfallaufkommen | Gesamtmenge des erzeugten Abfalls und Aufschlüsselung nach Kategorien (z.B. gefährlich, nicht gefährlich, recycelt) | Erfassung über Entsorgungsrechnungen, interne Wiegeprotokolle, Dokumentation der Recyclingquoten; separate Kostenstellen für Abfallmanagement |
| Rohstoffverbrauch | Menge der eingesetzten kritischen oder nicht erneuerbaren Rohstoffe | Erfassung über Materialwirtschaftssysteme, Verknüpfung mit Produktionsstücklisten; Monitoring von Recyclingmaterialeinsatz |
| Flächenverbrauch/Biodiversität | Veränderung der Landnutzung, Auswirkungen auf die Biodiversität (oft qualitativ, aber Flächenverbrauch quantifizierbar) | Erfassung von Grundstücksgrössen, versiegelten Flächen; Kosten für Renaturierungsmaßnahmen; ggf. Verknüpfung mit Umweltrisikobewertungen |
| Luft- und Wasserqualität | Emissionen in Luft und Wasser (z.B. Stickoxide, Schwefeloxide, CSB, BSB) | Erfassung über Emissionsmessungen (ggf. externe Dienstleister), Kosten für Filteranlagen und Aufbereitungsprozesse |
| Kreislaufwirtschaft | Anteil der wiederverwendeten, recycelten oder kompostierten Materialien am Gesamteinsatz | Erfassung über Materialwirtschaft, separate Verfolgung von Recyclingströmen, Einnahmen aus dem Verkauf von Sekundärrohstoffen |
Soziales (S – Social)
| Kennzahl | Beschreibung | Mögliche Erfassung im Rechnungswesen |
|---|---|---|
| Anzahl Mitarbeitende und Diversität | Gesamtanzahl der Mitarbeitenden, Aufschlüsselung nach Geschlecht, Alter, Nationalität etc. | Stammdaten der Personalabteilung, Auswertungen des Personalinformationssystems |
| Fluktuation und Verbleib von Mitarbeitenden | Mitarbeiterfluktuation, durchschnittliche Betriebszugehörigkeit | Auswertungen der Personalabteilung über Ein- und Austritte |
| Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz | Anzahl der Arbeitsunfälle, Krankheitstage, Präventionsmaßnahmen | Erfassung über Unfallberichte, Fehlzeitenmanagement, Kosten für Arbeitssicherheitsmaßnahmen |
| Aus- und Weiterbildung | durchschnittliche Anzahl Stunden pro Mitarbeiter, Kosten für Weiterbildung | Erfassung über Personalentwicklungssysteme, Kostenstellen für Weiterbildung |
| Löhne und Vergütung | durchschnittliche Löhne, Verteilung der Gehälter, Verhältnis von Topmanagement-Vergütung zu Durchschnittslohn, Gender Pay Gap | Daten aus der Lohnbuchhaltung, detaillierte Auswertungen der Gehaltsstrukturen |
| Arbeitsbedingungen und Work-Life-Balance | (oft qualitativ, aber z.B. Anzahl flexibler Arbeitsmodelle quantifizierbar) | Erfassung von Daten zu Arbeitszeitmodelle, Mitarbeiterbefragungen (ggf. Kosten für externe Dienstleister) |
| Engagement und Zufriedenheit der Mitarbeitenden | Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen (oft qualitativ, aber Teilnahmequote quantifizierbar) | Kosten für Durchführung von Befragungen, ggf. Massnahmen zur Verbesserung des Engagements (Kostenstellen) |
| Beziehungen zu Lieferanten und Kunden | (oft qualitativ, aber z.B. Anzahl durchgeführter Nachhaltigkeitsaudits bei Lieferanten, Kundenzufriedenheitswerte quantifizierbar) | Kosten für Lieferantenaudits, Erfassung von Kundenzufriedenheitsdaten (ggf. Kosten für Marktforschung) |
| Beiträge zur Gemeinschaft | Spenden, Sponsoring, ehrenamtliche Tätigkeiten der Mitarbeitenden (oft qualitativ, aber finanzielle Beiträge quantifizierbar) | Erfassung von Spendenkonten, Sponsoringausgaben, ggf. Erfassung von Freistellungen für ehrenamtliche Tätigkeiten (personalkostenrelevant) |
Governance (G)
| Kennzahl | Beschreibung | Mögliche Erfassung im Rechnungswesen |
|---|---|---|
| Zusammensetzung des Verwaltungsrats/der Geschäftsleitung | Diversität (Geschlecht, Alter, Expertise), Unabhängigkeit | Stammdaten der Organe, Angaben im Anhang des Jahresberichts |
| Vergütung der Organe | Höhe und Struktur der Vergütung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung | Auswertungen der Lohnbuchhaltung, detaillierte Angaben im Vergütungsbericht |
| Unternehmensethik und Compliance | Vorhandensein von Verhaltenskodizes, Anzahl der Verstösse, Schulungen zu Compliance | Kosten für Compliance-Programme, Schulungsaufwendungen, ggf. Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten oder Bussgelder |
| Risikomanagement (inkl. Nachhaltigkeitsrisiken) | Prozesse zur Identifizierung, Bewertung und Steuerung von Risiken, einschliesslich klimabezogener und sozialer Risiken | Kosten für Risikomanagementsysteme, Versicherungen, ggf. Wertberichtigungen aufgrund von Nachhaltigkeitsrisiken (z.B. Abschreibungen auf stranded assets); qualitative Angaben im Risikobericht |
| Stakeholder-Dialog | Prozesse und Häufigkeit des Austauschs mit relevanten Stakeholdern | Kosten für Stakeholder-Veranstaltungen, Beraterhonorare; qualitative Angaben im Nachhaltigkeitsbericht |
| Transparenz und Offenlegung | Qualität und Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung, Einhaltung von Berichtsstandards | Aufwendungen für die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts (intern und extern); qualitative Bewertung der Berichtsinhalte |
| Korruptionsbekämpfung | Vorhandensein von Antikorruptionsrichtlinien, Schulungen, Anzahl bestätigter Fälle | Kosten für Antikorruptionsprogramme, Schulungsaufwendungen, ggf. Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten |
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Herausforderungen bei der Erfassung
Für die Erfassung und Ermittlung der oben genannten Kennzahlen existieren mehrere grundlegende Anforderungen, die für eine verlässliche Messung sichergestellt sein sollten:
- Datenverfügbarkeit und -qualität: Nicht alle benötigten Daten sind im traditionellen Rechnungswesen direkt vorhanden und erfordern neue Erfassungsprozesse und Verantwortlichkeiten.
- Messbarkeit und Quantifizierung: Einige soziale und Governance-Aspekte sind schwieriger zu quantifizieren als Umweltkennzahlen.
- Abgrenzung und Zurechnung: Die Zurechnung von Verbräuchen und Emissionen zu bestimmten Produkten, Dienstleistungen oder Kostenstellen kann komplex sein.
- Systemintegration: Die Integration von Nachhaltigkeitsdaten in bestehende Rechnungswesen- und ERP-Systeme kann eine technische Herausforderung darstellen.
- Definition von Verantwortlichkeiten: Klare Verantwortlichkeiten für die Datenerfassung und -prüfung müssen etabliert werden.
Rolle des Rechnungswesens
Vor allem das Rechnungswesen übernimmt eine entscheidende Rolle bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmenssteuerung und -berichterstattung. Dazu gehören:
- Identifizierung relevanter Datenpunkte: In Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen (z.B. Umweltmanagement, Personal) müssen die relevanten Nachhaltigkeitskennzahlen identifiziert werden.
- Entwicklung von Erfassungsprozessen: Es müssen geeignete Prozesse zur systematischen Erfassung und Dokumentation der Daten etabliert werden.
- Sicherstellung der Datenqualität: Das Rechnungswesen ist für die Sicherstellung der Verlässlichkeit und Genauigkeit der erfassten Daten verantwortlich.
- Integration in Berichtsstrukturen: Nachhaltigkeitskennzahlen sollten sinnvoll in interne und externe Berichte integriert werden.
- Unterstützung der Prüfung: Das Rechnungswesen liefert die notwendigen Daten und Dokumentationen für die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Empfehlungen und Fazit
Die Erfassung relevanter Nachhaltigkeitskennzahlen erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Rechnungswesen und anderen Unternehmensbereichen. Durch die systematische Integration von Nachhaltigkeitsdaten in die Erfassungs- und Berichtsprozesse können Unternehmen eine transparente und glaubwürdige Nachhaltigkeitsleistung darstellen und so das Vertrauen ihrer Stakeholder stärken. Die hier dargestellte Übersicht soll Ihnen als Ausgangspunkt für die Identifizierung und Erfassung der für Ihr Unternehmen relevanten Kennzahlen dienen.
Quellen- und Literaturhinweise
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Klose, N. C., & Peters, M. (2023). Nachhaltigkeitscontrolling und Nachhaltigkeitsberichterstattung vor dem Hintergrund der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – Ist der Mittelstand vorbereitet? Management von Trends in Nachhaltigkeit und Digitalisierung, 169–189.