Nachhaltigkeitskennzahlen: Erfassung im Rechnungswesen

Die Bedeutung der Nachhaltigkeitsberichterstattung nimmt stetig zu, sowohl regulatorisch als auch für die Stakeholder. Eine transparente und nachvollziehbare Darstellung der Nachhaltigkeitskennzahlen einer Unternehmung ist heute entscheidend, um das Vertrauen der Anspruchsgruppen in die Unternehmung zu erhalten. Das Finanz- und Rechnungswesen spielt dabei eine zentrale Rolle, zumal es die datenmässige Grundlage für die Erfassung und Quantifizierung vieler relevanter Kennzahlen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung bildet.

28.10.2025 Von: Prof. Dr. Thomas Rautenstrauch
Nachhaltigkeitskennzahlen

Grundlegende Prinzipien der Erfassung von Nachhaltigkeitskennzahlen im Rechnungswesen

Die Integration von Nachhaltigkeitskennzahlen in das Rechnungswesen ist ein komplexer Prozess, der über die traditionelle rein finanzielle Berichterstattung hinausgeht. Ohne grundlegende Prinzipien für diese Integration besteht die Gefahr, dass die erfassten Daten inkonsistent, unzuverlässig, schwer vergleichbar oder für die Entscheidungsfindung irrelevant sind. Die Einhaltung dieser Prinzipien ist dabei entscheidend für:

  • Glaubwürdigkeit und Vertrauen: Stakeholder (Investoren, Kunden, Mitarbeitende, Aufsichtsbehörden, die Öffentlichkeit) erwarten von Unternehmen eine transparente und glaubwürdige Darstellung ihrer Nachhaltigkeitsleistung. Ohne solide Erfassungsgrundlagen ist diese Glaubwürdigkeit gefährdet.
  • Vergleichbarkeit: Um die Leistung eines Unternehmens im Zeitablauf oder im Vergleich zu anderen Unternehmen beurteilen zu können, ist eine konsistente und vergleichbare Datenerfassung unerlässlich. Unterschiedliche Erfassungsmethoden würden die Vergleichbarkeit erheblich erschweren.
  • Verknüpfung mit finanziellen Daten: Wo immer möglich und sinnvoll, sollten Nachhaltigkeitskennzahlen mit traditionellen finanziellen Kennzahlen in Beziehung gesetzt werden, um eine umfassendere Performance-Bewertung zu ermöglichen (z.B. Energieverbrauch pro Umsatz).
  • Messbarkeit und Quantifizierbarkeit: Kennzahlen sollten klar definiert, messbar und quantifizierbar sein, um eine konsistente Erfassung und Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
  • Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit: Die Datenerfassungsprozesse müssen transparent und nachvollziehbar dokumentiert sein, um die Verlässlichkeit der Kennzahlen sicherzustellen.
  • Wesentlichkeit: Unternehmen sollten sich auf Kennzahlen konzentrieren, die für ihre Geschäftstätigkeit und ihre wesentlichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft relevant sind.
  • Konsistenz und Vergleichbarkeit: Die Erfassungsmethoden sollten über die Zeit konsistent angewendet werden, um eine Vergleichbarkeit der Leistung zu ermöglichen. Zudem ist die Vergleichbarkeit mit Branchenstandards oder Wettbewerbern wünschenswert.

Übersicht relevanter Nachhaltigkeitskennzahlen und deren potenzieller Erfassung im Rechnungswesen

Die folgenden Kennzahlen sind nach den drei Säulen der Nachhaltigkeit, nämlich Umwelt, Soziales, Governance (engl. ESG – Environmental, Social, Governance), strukturiert und geben Hinweise auf mögliche Anknüpfungspunkte im Rechnungswesen:

Umwelt (E – Environmental)

KennzahlBeschreibungMögliche Erfassung im Rechnungswesen
Energieverbrauch (Strom, Wärme, Treibstoffe)Gesamtverbrauch und Aufschlüsselung nach Quellen (erneuerbar/nicht erneuerbar)Erfassung über Kostenstellen, separate Konten für erneuerbare Energien, Verknüpfung mit Produktionsdaten oder Quadratmeterzahlen
Treibhausgasemissionen
(Scope 1, 2, ggf. 3)
direkte Emissionen, Emissionen aus eingekaufter Energie, indirekte Emissionen entlang der WertschöpfungsketteErfassung von Brennstoffverbräuchen, Stromrechnungen, Reisekosten, Logistikaufwendungen; ggf. separate Erfassung von Emissionsfaktoren und Berechnung
WasserverbrauchGesamtverbrauch und Aufschlüsselung nach Quellen (z.B. Frischwasser, Brauchwasser)Erfassung über Wasserrechnungen, ggf. separate Messungen in Produktionsprozessen; Verknüpfung mit Produktionsvolumen
AbfallaufkommenGesamtmenge des erzeugten Abfalls und Aufschlüsselung nach Kategorien (z.B. gefährlich, nicht gefährlich, recycelt)Erfassung über Entsorgungsrechnungen, interne Wiegeprotokolle, Dokumentation der Recyclingquoten; separate Kostenstellen für Abfallmanagement
RohstoffverbrauchMenge der eingesetzten kritischen oder nicht erneuerbaren RohstoffeErfassung über Materialwirtschaftssysteme, Verknüpfung mit Produktionsstücklisten; Monitoring von Recyclingmaterialeinsatz
Flächenverbrauch/BiodiversitätVeränderung der Landnutzung, Auswirkungen auf die Biodiversität (oft qualitativ, aber Flächenverbrauch quantifizierbar)Erfassung von Grundstücksgrössen, versiegelten Flächen; Kosten für Renaturierungsmaßnahmen; ggf. Verknüpfung mit Umweltrisikobewertungen
Luft- und
Wasserqualität
Emissionen in Luft und Wasser (z.B. Stickoxide, Schwefeloxide, CSB, BSB)Erfassung über Emissionsmessungen (ggf. externe Dienstleister), Kosten für Filteranlagen und Aufbereitungsprozesse
KreislaufwirtschaftAnteil der wiederverwendeten, recycelten oder kompostierten Materialien am GesamteinsatzErfassung über Materialwirtschaft, separate Verfolgung von Recyclingströmen, Einnahmen aus dem Verkauf von Sekundärrohstoffen

Soziales (S – Social)

KennzahlBeschreibungMögliche Erfassung im Rechnungswesen
Anzahl Mitarbeitende und DiversitätGesamtanzahl der Mitarbeitenden, Aufschlüsselung nach Geschlecht, Alter, Nationalität etc.Stammdaten der Personalabteilung, Auswertungen des Personalinformationssystems
Fluktuation und Verbleib von MitarbeitendenMitarbeiterfluktuation, durchschnittliche BetriebszugehörigkeitAuswertungen der Personalabteilung über Ein- und Austritte
Gesundheit und Sicherheit am ArbeitsplatzAnzahl der Arbeitsunfälle, Krankheitstage, PräventionsmaßnahmenErfassung über Unfallberichte, Fehlzeitenmanagement, Kosten für Arbeitssicherheitsmaßnahmen
Aus- und Weiterbildungdurchschnittliche Anzahl Stunden pro Mitarbeiter, Kosten für WeiterbildungErfassung über Personalentwicklungssysteme, Kostenstellen für Weiterbildung
Löhne und Vergütungdurchschnittliche Löhne, Verteilung der Gehälter, Verhältnis von Topmanagement-Vergütung zu Durchschnittslohn, Gender Pay GapDaten aus der Lohnbuchhaltung, detaillierte Auswertungen der Gehaltsstrukturen
Arbeitsbedingungen und Work-Life-Balance(oft qualitativ, aber z.B. Anzahl flexibler Arbeitsmodelle quantifizierbar)Erfassung von Daten zu Arbeitszeitmodelle, Mitarbeiterbefragungen (ggf. Kosten für externe Dienstleister)
Engagement und Zufriedenheit der MitarbeitendenErgebnisse von Mitarbeiterbefragungen (oft qualitativ, aber Teilnahmequote quantifizierbar)Kosten für Durchführung von Befragungen, ggf. Massnahmen zur Verbesserung des Engagements (Kostenstellen)
Beziehungen zu Lieferanten und Kunden(oft qualitativ, aber z.B. Anzahl durchgeführter Nachhaltigkeitsaudits bei Lieferanten, Kundenzufriedenheitswerte quantifizierbar)Kosten für Lieferantenaudits, Erfassung von Kundenzufriedenheitsdaten (ggf. Kosten für Marktforschung)
Beiträge zur
Gemeinschaft
Spenden, Sponsoring, ehrenamtliche Tätigkeiten der Mitarbeitenden (oft qualitativ, aber finanzielle Beiträge quantifizierbar)Erfassung von Spendenkonten, Sponsoringausgaben, ggf. Erfassung von Freistellungen für ehrenamtliche Tätigkeiten (personalkostenrelevant)

Governance (G)

KennzahlBeschreibungMögliche Erfassung im Rechnungswesen
Zusammensetzung des Verwaltungsrats/der GeschäftsleitungDiversität (Geschlecht, Alter, Expertise), UnabhängigkeitStammdaten der Organe, Angaben im Anhang des Jahresberichts
Vergütung der OrganeHöhe und Struktur der Vergütung von Verwaltungsrat und GeschäftsleitungAuswertungen der Lohnbuchhaltung, detaillierte Angaben im Vergütungsbericht
Unternehmensethik und ComplianceVorhandensein von Verhaltenskodizes, Anzahl der Verstösse, Schulungen zu ComplianceKosten für Compliance-Programme, Schulungsaufwendungen, ggf. Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten oder Bussgelder
Risikomanagement (inkl. Nachhaltigkeitsrisiken)Prozesse zur Identifizierung, Bewertung und Steuerung von Risiken, einschliesslich klimabezogener und sozialer RisikenKosten für Risikomanagementsysteme, Versicherungen, ggf. Wertberichtigungen aufgrund von Nachhaltigkeitsrisiken (z.B. Abschreibungen auf stranded assets); qualitative Angaben im Risikobericht
Stakeholder-DialogProzesse und Häufigkeit des Austauschs mit relevanten StakeholdernKosten für Stakeholder-Veranstaltungen, Beraterhonorare; qualitative Angaben im Nachhaltigkeitsbericht
Transparenz und OffenlegungQualität und Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung, Einhaltung von BerichtsstandardsAufwendungen für die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts (intern und extern); qualitative Bewertung der Berichtsinhalte
KorruptionsbekämpfungVorhandensein von Antikorruptionsrichtlinien, Schulungen, Anzahl bestätigter FälleKosten für Antikorruptionsprogramme, Schulungsaufwendungen, ggf. Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten

Herausforderungen bei der Erfassung

Für die Erfassung und Ermittlung der oben genannten Kennzahlen existieren mehrere grundlegende Anforderungen, die für eine verlässliche Messung sichergestellt sein sollten:

  • Datenverfügbarkeit und -qualität: Nicht alle benötigten Daten sind im traditionellen Rechnungswesen direkt vorhanden und erfordern neue Erfassungsprozesse und Verantwortlichkeiten.
  • Messbarkeit und Quantifizierung: Einige soziale und Governance-Aspekte sind schwieriger zu quantifizieren als Umweltkennzahlen.
  • Abgrenzung und Zurechnung: Die Zurechnung von Verbräuchen und Emissionen zu bestimmten Produkten, Dienstleistungen oder Kostenstellen kann komplex sein.
  • Systemintegration: Die Integration von Nachhaltigkeitsdaten in bestehende Rechnungswesen- und ERP-Systeme kann eine technische Herausforderung darstellen.
  • Definition von Verantwortlichkeiten: Klare Verantwortlichkeiten für die Datenerfassung und -prüfung müssen etabliert werden.

Rolle des Rechnungswesens

Vor allem das Rechnungswesen übernimmt eine entscheidende Rolle bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmenssteuerung und -berichterstattung. Dazu gehören:

  • Identifizierung relevanter Datenpunkte: In Zusammenarbeit mit anderen Fachabteilungen (z.B. Umweltmanagement, Personal) müssen die relevanten Nachhaltigkeitskennzahlen identifiziert werden.
  • Entwicklung von Erfassungsprozessen: Es müssen geeignete Prozesse zur systematischen Erfassung und Dokumentation der Daten etabliert werden.
  • Sicherstellung der Datenqualität: Das Rechnungswesen ist für die Sicherstellung der Verlässlichkeit und Genauigkeit der erfassten Daten verantwortlich.
  • Integration in Berichtsstrukturen: Nachhaltigkeitskennzahlen sollten sinnvoll in interne und externe Berichte integriert werden.
  • Unterstützung der Prüfung: Das Rechnungswesen liefert die notwendigen Daten und Dokumentationen für die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Empfehlungen und Fazit

Die Erfassung relevanter Nachhaltigkeitskennzahlen erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Rechnungswesen und anderen Unternehmensbereichen. Durch die systematische Integration von Nachhaltigkeitsdaten in die Erfassungs- und Berichtsprozesse können Unternehmen eine transparente und glaubwürdige Nachhaltigkeitsleistung darstellen und so das Vertrauen ihrer Stakeholder stärken. Die hier dargestellte Übersicht soll Ihnen als Ausgangspunkt für die Identifizierung und Erfassung der für Ihr Unternehmen relevanten Kennzahlen dienen.

Quellen- und Literaturhinweise

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Frese, M., Colsman, B., Frese, M., & Colsman, B. (2018). Nachhaltigkeitsberichterstattung. Nachhaltigkeitsreporting für Finanzdienstleister, 57–186.

Klose, N. C., & Peters, M. (2023). Nachhaltigkeitscontrolling und Nachhaltigkeitsberichterstattung vor dem Hintergrund der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – Ist der Mittelstand vorbereitet? Management von Trends in Nachhaltigkeit und Digitalisierung, 169–189.

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