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Immissionen: Die Haftung für übermässige Einwirkungen bei Bauarbeiten

Bauarbeiten bringen Lärm, Erschütterungen und allenfalls sogar Rauch, Russ und andere lästige Dünste. Auf der einen Seite entsteht baulicher Mehrwert und auf der nachbarschaftlichen Parzelle eine Beeinträchtigung. Zum Ausgleich baulicher Immissionen bietet das Gesetz bestimmte Behelfe, auf Unterlassung oder Schadenersatz.

04.03.2022 Von: Matthias Streiff
Immissionen

Rechtliche Grundlagen

Art. 679a ZGB:

„Fügt ein Grundeigentümer bei rechtmässiger Bewirtschaftung seines Grundstücks, namentlich beim Bauen, einem Nachbarn vorübergehend übermässige und unvermeidliche Nachteile zu und verursacht er dadurch einen Schaden, so kann der Nachbar vom Grundeigentümer lediglich Schadenersatz verlangen.”

Art. 684 Abs. 2 ZGB:

„Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.”

Terminologie und Begriff

Immissionen: Beeinträchtigung der eigenen Sphäre durch Fremdeinwirkung.

Übermässig: Das tägliche Leben und die allgemeinen Umstände bringen eine Vielzahl von Immissionen. Diese sind alle grundsätzlich hinzunehmen und zu dulden. Lediglich Immissionen, die das Normale erheblich übersteigen, welche also das übliche Mass deutlich übertreffen, können als übermässig bewertet werden. Massgebend ist ein möglichst objektiver Ansatz, ohne Beachtung spezieller subjektiver Neigungen und Animositäten. Gemessen wird anhand normaler, üblicher menschlicher Betrachtung. Diese Mass wird dem Richter überlassen. Der Anwalt versteht es je nach Interessenlage, die Dinge so darzustellen, dass sie nur als „normal”, oder eben als „übermässig” zu qualifizieren sind.

Nachbar: Wer aus Sicht der ergänzten Norm alles als Nachbar betrachtet werden muss, bleibt der Rechtsprechung überlassen. Das Erfordernis einer Nachbarschaft bei der Parzellengrenze wird nicht erforderlich sein. Es genügt wohl eine enge räumliche Beziehung, welche „übermässige” Bauimmissionen erfahrbar macht. „Nachbar” und zudem „Anstösser” ist ein Grundeigentümer, der an einer durch Baumaschinen schwer befahrenen Strasse wohnt. Aber nicht jeder Anstösser einer solchen Strasse ist auch ein «Nachbar» (vgl. zur prozessualen Abgrenzung BGer 5A_772/2017 und BGer 5a_773/2017, beide vom 14. Februar 2019).

Hinweis: Die Gruppe der „Nachbarn” entspricht in keiner Weise der Gruppe der allenfalls zu einem Baurekurs berechtigten Personen gemäss beispielsweise § 338a PBG ZH.

Versteckte Kausalhaftung von ZGB 679a

Wer auf seinem Grundstück baut und dabei übermässige Immissionen verursacht, hat dem Nachbarn einen dadurch erlittenen Schaden zu ersetzen. Er hat dabei nicht „einen” sondern „jeden” Schaden zu ersetzen. Der Schadenersatz geht folglich auf (vernünftige) Reinigungskosten bei Staub und dann vor allem auf Ersatz eines Mietzinsausfalls beim Nachbarn, was in erster Linie den entgangenen Gewinn infolge Herabsetzungsklagen (der Mieter) betrifft. Darüber hinaus wird über diese neue Regelung auch der „Schadenersatz” des Nachbars an seine Mieter zum Schadenersatz des bauenden Eigentümers. Schadenersatz an einen Mieter ist dogmatisch betrachtet nur bei Vertragsverletzungen geschuldet. Doch die Praxis unterscheidet oftmals wenig zwischen Herabsetzung und Schadenersatz. So entsteht ein gesetzlicher Regressanspruch. Der Schirm von Art. 679a ZGB ist weit gespannt. Eine Exkulpation gibt es keine. Der bauende Eigentümer haftet dem belasteten Nachbarn unabhängig davon, ob Verschulden besteht oder nicht. Es genügt die Tatsache, dass er baut und dass die Immissionen „übermässig” sind.

Empfehlenswerte Vorgehensweise für den Grundeigentümer

Wer neu in bebautem Gebiet (also mit Nachbarn) bauen will, hat eine finanzielle Reserve auszuscheiden, um die nachbarschaftlichen Ansprüche tragen zu können. Er tut gut daran, seinen Generalunternehmer zu verpflichten, emissionsarm zu bauen. „Rühlwände” ade. Er tut weiter auch gut daran, seine Nachbarn inklusive den Geschäftsmietern, vorzeitig und selber über den geplanten Bau zu informieren, so dass sich diese auf den Bau vorbereiten können. So unterbricht der bauende Nachbar die Anspruchsvoraussetzungen eines Mieters auf Schadenersatz aus Art. 259e OR, was ja zum Regressanspruch werden kann. Der Anspruch des Mieters auf Mietzinsherabsetzung bei Bauimmissionen kann nicht ausgehebelt werden, denn auch jener Anspruch ist kausal, also verschuldensunabhängig.

Rechtsbehelfe nach Art. 679 ZGB und Art. 679a ZGB

Art. 679 ZGB stellt dem Betroffenen folgende Rechtsbehelfe zur Verfügung:

  1. Schadenersatzklage: Mittels dieser Klage kann der geschädigte Nachbar die finanziellen Nachteile, welche ihm durch die übermässigen Immissionen (gem. ZGB 684 Abs. 2) entstanden sind, vom verursachenden, bauenden Grundeigentümer verlangen.
  2. Beseitigungsklage: Der geschädigte oder belastete Nachbar kann bei immer noch bestehenden übermässigen Immissionen die Beseitigung von diesen verlangen
  3. Unterlassungsklage: Wenn der Nachbar bereits übermässige Immissionen ertragen musste, diese nun aber beendet wurden, kann er verlangen, dass in Zukunft übermässige Immissionen unterlassen werden.
  4. Präventivklage: Der Nachbar muss nicht auf den drohenden Schaden durch übermässige Immissionen warten, sondern kann zur Verhinderung von drohenden (mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden) schädigenden Immissionen die Präventivklage erheben.
  5. Feststellungsklage: Bei übermässigen Immissionen kann der Nachbar auch lediglich auf deren Feststellung klagen.

Während die Schadenersatzklage der Verjährungsfrist von Art. 60 OR unterliegt, also innert drei Jahren ab Kenntnisnahme (absolute Frist: 10 Jahre) rechtshängig zu machen ist, sind die Beseitigungs- und Unterlassungsklage unverjährbar.

Der geschädigte Nachbar kann zudem nach Art. 679a ZGB gegen rechtmässige vorübergehend übermässige und unvermeidbare Immissionen vorgehen, sofern diese Schaden verursachen. Für rechtmässige Bauarbeiten kommen die verhindernden Rechtsbehelfe nicht zur Anwendung, es bleibt einzig, aber immerhin der Ausgleich über Schadenersatz.

Prozessuale Fragen

Bei öffentlichen Werken (insb. Strassen) als «Nachbarn» ist zudem das Enteignungsrecht zu beachten. Prozessual kommt es darauf an, ob die vom öffentlichen Werk ausgehenden Immissionen vermeidbar oder unvermeidbar sind. Sind die Immissionen unvermeidbar, kommt Enteignungsrecht zur Anwendung; sind sie vermeidbar, stehen dem geschädigten Nachbar die beschriebenen Ansprüche des Zivilrechts zur Verfügung.

Siehe dazu BGer 5A_772/2017 und BGer 5a_773/2017, beide vom 14. Februar 2019, E. 3.2: Gehen die Einwirkungen von einem Werk aus, das im öffentlichen Interesse liegt und für welches dem Werk- bzw. Grundstückseigentümer das Enteignungsrecht zusteht, und können die Immissionen nicht oder nur mit einem unverhältnismässigen Aufwand (insbesondere an Kosten) vermieden werden, so weichen die Abwehransprüche des Grundeigentümers dem vorrangigen öffentlichen Interesse und es stehen ihm die nachbarrechtlichen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadenersatzansprüche gemäss Art. 679 ZGB nicht zur Verfügung. Rechtsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Gemeinwesen ist diesfalls das Enteignungsrecht und nicht Art. 679 i.V.m. Art. 684 ZGB. Die von den Einwirkungen Betroffenen haben ihre Ansprüche im Enteignungsverfahren geltend zu machen. Demgegenüber stehen die privatrechtlichen Ansprüche von Art. 679 i.V.m. Art. 684 ZGB dem Grundeigentümer zu, falls die Immissionen vermeidbare Folgen der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe sind.

Praxis

BGE 114 II 230 (Strasse aufgrund von Fassadenrenovation gesperrt; hat Geschäft Recht auf Ersatz des Schadens?)

BGE 91 II 100 (Abgeschrankte Baustelle beeinträchtigt Eingang eines Geschäfts)

BGE 104 II 15 (Schadenersatzklage wegen Beeinträchtigung bzw. Gefährdung von Grundwasserfassungen durch versickerte Betriebsabwässer)

BGE 145 II 282 (Entschädigungsanspruch einer Raststätte beim Bau einer Nationalstrasse); vgl. dazu auch BGer 1C_469/2017 vom 23. April 2019

Zur Abgrenzung enteignungsrechtlicher und zivilrechtlicher Ansprüche: BGer 5A_772/2017 und BGer 5a_773/2017, beide vom 14. Februar 2019

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