Ausländische Betriebsstätte: Begründung der MWST-Betriebsstätte in der EU

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Einführung
Die sog. MWST-Durchführungsverordnung (nachfolgend MWST DV, die vollständige Bezeichnung des Rechtsakts lautet Durchführungsverordnung (EU) Nr.282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. definiert auf europäischer Ebene bestimmte Begrifflichkeiten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems – mit unmittelbarer Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten. Das heisst, die MWST DV ist selbst unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbares Recht und bedarf keiner Umsetzung in nationales Recht durch weitere Rechtsakte auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten. Unter anderem definiert die MWST DV in Art. 11 den Begriff der «festen Niederlassung» (nachfolgend als mehrwertsteuerliche ausländische Betriebsstätte bezeichnet). Doch auch diese Definition lässt den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum in der Auslegung einzelner Tatbestandselemente. Dabei war in manchen Mitgliedstaaten die Tendenz festzustellen, den Begriff der mehrwertsteuerlichen Betriebsstätte weit auszulegen. In mehrere Entscheidungen hatte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage auseinander zu setzen, ob eine ausländische Betriebsstätte für Mehrwertsteuerzwecke auch dann angenommen werden kann, wenn der betroffene Steuerpflichtige in dem Land der mutmasslichen Betriebsstätte über keinerlei eigenes Personal oder eigene Sachmittel verfügt.
Betriebsstätte für Mehrwertsteuerzwecke – Begrifflichkeit in der Schweiz und in der EU
In der Schweiz definiert Art. 5 MWSTV die mehrwertsteuerliche Betriebsstätte als jede feste Geschäftseinrichtung, durch welche die Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Ohne explizit darauf einzugehen, wie sich wiederum eine feste Geschäftseinrichtung definiert, scheint in der Schweiz die Auffassung vorzuherrschen, dass hierfür jedenfalls die Präsenz eigener Sach- und Personalmittel (also beispielsweise ein Büro, eine Werkstätte und Angestellte, die dort arbeiten) des Unternehmensträgers erforderlich ist.
Ein ähnliches Verständnis schien bislang in den EU-Mitgliedstaaten vorzuherrschen, wo Art. 11 MWST DV die mehrwertsteuerliche Betriebsstätte definiert als jede feste Niederlassung eines Steuerpflichtigen, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden (bzw. in bestimmten Fällen Dienstleistungen zu erbringen).
Eine ausländische Betriebsstätte ohne eigenes Personal oder eigene Sachmittel des Steuerpflichtigen?
In mehreren Fällen hatte sich der EuGH mit der Frage zu befassen, ob eine ausländische Betriebsstätte auch dann denkbar sei, wenn der Steuerpflichtige in dem betreffenden Staat weder über eigenes Personal noch eigene Sachmittel verfügt.
Nach Ansicht des EuGH ist es durchaus möglich, dass ein Steuerpflichtiger auch ohne eigene personelle und technische Ausstattung eine Betriebsstätte begründet. Sofern der Steuerpflichtige aber auf personelle und technische Mittel eines Dritten zugreift, muss er dies mindestens in ähnlichem Umfang können, als wären es die eigenen, um eine Betriebsstätte annehmen zu können (beispielsweise durch entsprechende Miet- und Dienstleistungsverträge, die nicht kurzfristig kündbar sind).
Im Ergebnis kann dadurch beispielsweise auch eine Tochtergesellschaft eine ausländische Betriebsstätte des ausländischen Steuerpflichtigen begründen. Unter welchen Voraussetzungen dies konkret der Fall ist, bleibt aber nach wie vor ungewiss und bedarf einer Prüfung im Einzelfall. In dem Urteil vom 7. April 2022 (C-333/20) verneint der EuGH dies, auch wenn die Mutter in diesem Entscheid die einzige Kundin der Tochter war. Begründet wurde dies u.a. damit, dass die Tochter vorliegend nicht zugleich Dienstleisterin und Konsumentin dieser Dienstleistungen sein könne. Ob dies auch dann gilt, wenn die Tochter über verschiedene Tätigkeitsbereiche verfügt und diese (Teil-)Bereiche Leistungen erbringen, die von den anderen (Teil-)Bereichen «konsumiert» werden können, bleibt offen.
Fazit
Die Betriebsstättenthematik im EU-Mehrwertsteuerrecht bleibt ein «hot topic» und die Steuerverwaltungen geben sich alle Mühe, die Hürden für das Vorliegen einer mehrwertsteuerlichen Betriebsstätte herabzusetzen. Eine fehlerhafte Beurteilung durch die Steuerpflichtigen kann weitreichende und schmerzhafte Folgen haben, wenn Steuer beispielsweise nachgefordert wird. Steuerpflichtige mit Aktivitäten im EU-Ausland sind daher gut beraten, genau zu prüfen, ob sie Gefahr laufen, eine mehrwertsteuerliche ausländische Betriebsstätte zu begründen.