Rechnungskreis: Einkreis- versus Zweikreissystem

Im Rahmen der Organisation des Rechnungswesens lässt sich seit Jahren ein Trend hin zur Integration von externem und internem Rechnungswesen beobachten. Diese Entwicklung kann als Bruch mit der langen Tradition der Kosten- und Leistungsrechnung als separatem Rechnungskreis innerhalb des Rechnungswesens gelten, wie er vor allem im deutschsprachigen Raum vorherrschte. Nachfolgend wird auf das Einkreis- und Zweikreissystem eingegangen.

21.10.2024 Von: Prof. Dr. Thomas Rautenstrauch
Rechnungskreis

Hintergrund

Dagegen ist die heutige Finanzorganisation in grösseren Unternehmen geprägt vom Grundgedanken der Integration von Accounting und Controlling, welcher auch durch die internationale Rechnungslegung und andere Normen begünstigt wird.

Der vorliegende Beitrag nimmt die Diskussion über die organisatorische Ausgestaltung der beiden Rechnungskreissysteme, dem Einkreissystem und dem Zweikreissystem, auf, weil mächtige ERP-Systeme wie das SAP HANA/S4 nach wie vor beide Systeme kennen und sich daher die Entscheider im Rechnungswesen beim Customizing von ERP-Systemen auch mit der Frage nach dem gewünschten Rechnungskreissystem befassen müssen.

Grundlegende Begriffe

Der Begriff Rechnungskreis kennzeichnet innerhalb der Buchhaltung ein Ordnungsprinzip für die Menge aller Konten. Diese können jeweils separat nur einer oder beiden Kategorien von Buchhaltungen (Finanzbuchhaltung, Betriebsbuchhaltung) zugeordnet werden.

Speziell die ERP-Software SAP kennt und nutzt in diesem Zusammenhang auch den Begriff Buchungskreis und versteht hierunter eine organisatorische Einheit des Rechnungswesens, der das Unternehmen aus Sicht der Finanzbuchhaltung als eine vollständige in sich abgeschlossene Buchhaltung abbildet. In einem solchen Buchungskreis werden alle laufenden Geschäftsfälle eines Unternehmens als Buchungen erfasst.

Der Begriff Einkreissystem beschreibt die Organisationsform des Rechnungswesens, bei der die Finanzbuchhaltung und die Betriebsbuchhaltung eine gemeinsame Kontenbasis nutzen. Beide bilden folglich ein einheitliches Abrechnungssystem ohne organisatorische Trennung.

Dagegen kennzeichnet der Begriff Zweikreissystem ein Ordnungsprinzip, wonach die Konten der Finanzbuchhaltung und der Betriebsbuchhaltung (letztere wird auch als Kosten- und Leistungsrechnung bezeichnet) in zwei separaten Abrechnungssystemen geführt werden.

Beurteilung des Zweikreissystems

Wie zuvor erläutert, führt die organisatorische Trennung der Finanzbuchhaltung und Betriebsbuchhaltung in jeweils einem separaten Rechnungskreis zum sogenannten Zweikreissystem. Das bedeutet, es bestehen im Unternehmen zwei buchhalterische Rechnungskreise, deren Ergebnisse voneinander abweichen.

Die Konsequenz sind unterschiedliche Periodenergebnisse in der Finanzbuchhaltung und in der Betriebsbuchhaltung, welche eine zusätzliche Nebenrechnung erforderlich machen, um ein Einvernehmen über das Periodenergebnis herzustellen. Eine solche Abstimmbrücke verbindet diese beiden Rechnungskreise, denen unterschiedliche Annahmen zugrunde liegen: Während in der Finanzbuchhaltung die Aufwendungen nach dem Prinzip der Pagatorik ("auf Zahlungen basierend") erfasst werden, gilt in der Betriebsbuchhaltung als zweitem Rechnungskreis abweichend hiervon, dass ebenfalls kalkulatorische (wertmässige) Kosten erfasst werden. Diese umfassen Anderskosten und Zusatzkosten.

Während die Anderskosten solche Kosten sind, denen Aufwendungen in anderer Höhe als in der Finanzbuchhaltung gegenüberstehen, wie z.B. kalkulatorische Abschreibungen, die in der Finanzbuchhaltung abweichend als bilanzielle Abschreibungen auftreten, existieren für die Zusatzkosten keine vergleichbaren Aufwandspositionen in der Finanzbuchhaltung.

Das Motiv für die Erfassung kalkulatorischer Kosten in der Betriebsbuchhaltung ist ein von der Finanzbuchhaltung abweichendes, an betriebswirtschaftlich verursachten Kosten orientiertes Konzept.

Beispiele für diese kalkulatorischen Kosten sind:

Kalkulatorische AnderskostenKalkulatorische Zusatzkosten
Kalkulatorische AbschreibungenKalkulatorischer Unternehmerlohn
Kalkulatorische ZinsenKalkulatorische Wagniskosten

Da solche kalkulatorischen Kosten eben nur Raum im Zweikreissystem haben und aufgrund des Prinzips der Pagatorik im Einkreissystem nicht vorkommen dürfen, führen internes Rechnungswesen (Betriebsbuchhaltung) und externes Rechnungswesen (Finanzbuchhaltung) folglich zu unterschiedlichen Periodenergebnissen.

Kraus weist in diesem Zusammenhang darauf hin: "[…] das sogenannte Betriebsergebnis des Internen Rechenwesens ist grundsätzlich niedriger als das Bilanzergebnis des Externen Rechnungswesens. Das verwirrt nicht nur den Anfänger, sondern es ist auch ein grundsätzliches Problem. Es gibt zwar Überleitungsrechnungen, aber ganz allgemein formuliert bedeutet es, dass das «Regelsystem» an das Management unterschiedliche Messdaten «sendet», was durchaus zu gegensätzlichen Steuerungsempfehlungen führen kann." (Kraus, 2009, S. 54)

Im Zweikreissystem sind beide Buchhaltungen, Finanz- und Betriebsbuchhaltung, in sich geschlossen und zugleich getrennt, was als Vorteil für grosse Mehrproduktunternehmen angesehen wurde (Frantz, 1977, S. 85).

Zusätzlich sei darauf hingewiesen, dass ein Zweikreissystem einen wesentlichen Komplexitätstreiber darstellt, weil es die Rechnungskreis-Verantwortlichen zu einer Abstimmung veranlasst, um nicht mit zwei verschiedenen Periodenergebnissen das Management zu informieren (Zimmermann, 2015, S. 6).

Dies zeigt sich auch in der Organisation des Finanzbereichs. Herrschte früher eine klare organisatorische Trennung zwischen Accounting (externes Rechnungswesen) und Controlling (internes Rechnungswesen) vor, so ist diese Trennung in den meisten Finanzabteilungen längstens Geschichte und dem Trend nach einer stärkeren Verzahnung bzw. horizontalen Integration der Teilbereiche im Finanzwesen von Unternehmen gewichen.

Beurteilung des Einkreissystems

In einem Einkreissystem erfolgt innerhalb einer Gesamtbuchhaltung auch die Kostenrechnung, welche kontenmässig als Betriebs- oder Nebenbuchhaltung über Verrechnungskonten in die Hauptbuchhaltung eingegliedert ist.

Wurde früher das Einkreissystem noch als nachteilig für Unternehmen bewertet, weil die Konten der Betriebsbuchhaltung nicht unabhängig von der Finanzbuchhaltung abgeschlossen werden können und eine Abhängigkeit der Betriebsbuchhaltung von der Finanzbuchhaltung als Zeitnachteil empfunden wurde, ist dieser Nachteil angesichts heutiger ERP-Systeme längstens in Vergessenheit geraten (Frantz, 1977, S. 85).

Mit dem Verzicht auf kalkulatorische Kostenelemente in der Betriebsbuchhaltung sind die Voraussetzungen für ein Einkreissystem sowie die Integration von Accounting und Controlling in einer modernen Auffassung der Finanzorganisation erfüllt, während die klassische, geteilte Finanzorganisation mittlerweile kaum noch zu finden ist.

So ist denn auch die Harmonisierung bzw. Konvergenz des externen und internen Rechnungswesens heute durch die Aufhebung der organisatorischen Trennung von Accounting und Controlling Realität und führt zu einer rollenmodellbasierten Organisationsstruktur, welche durch die Normen der internationalen Rechnungslegung gefördert wurden.

Auch im SAP S/4 wurde die Zweikreissystematik aufgegeben und durch das neue Buchungsbelegkonzept «Integrierter Buchungsbeleg» ersetzt, bei dem ausgehend von einem Sachkonto verschiedene Ordnungsmerkmale der Finanz- oder Betriebsbuchhaltung verfügbar sind und mit weiteren Informationen aus den verschiedenen Funktionsbereichen einer Unternehmung (z.B. Logistik, Marketing, Vertrieb) verknüpft wurden: Kostenstellen, Kostenträger, Aufträge, Kunden, Branche oder andere Informationsträger (Zimmermann, 2015, S. 6).

Die noch im Vorgänger, dem SAP/R3, überwiegend praktizierte getrennte Führung der Module F I (Finanzbuchhaltung) und CO (Controlling) ist der Integration beider Bereiche gewichen. Somit kann es auch keine Nebenbücher mehr im Controlling geben, sondern vielmehr eine Single Source of Truth mit dem vorgenannten integrierten Buchhaltungsbeleg.

Diese Abbildung hier zeigt die konzeptionellen Unterschiede zwischen den beiden ERP-Lösungen der SAP und damit zugleich den Übergang von der Zweikreis- zur Einkreissystem-Sicht.

Da sich das Zweikreissystem mit unterschiedlichen - voneinander getrennten - Abrechnungssystemen (Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung) als zu komplex herausgestellt hat, entscheiden sich immer mehr Unternehmen für das Einkreissystem. Das hat zur Folge, dass Unternehmen kalkulatorische Ansätze weglassen; damit kein Erfordernis für ein Zweikreissystem mehr besteht. Die Strukturen und Organisationseinheiten der Finanzbuchhaltung müssen folglich bereits beim Anlegen von Sachkonten berücksichtigt werden. So wird das Konto zum neuen Schlüssel-Objekt für Controlling und Finanzen. Die durch das Zweikreissystem propagierte Trennung zwischen Rechnungswesen und Controlling entfällt hierdurch, was mittelfristig auch organisatorische Konsequenzen mit sich bringen.

Gesamtfazit

Im Unterschied zum heute etablierten Einkreissystem ist das immer weniger verbreitete Zweikreissystem ein wesentlicher Komplexitätstreiber. Zwar wurde über viele Jahre – begründet durch die Historie der Kostenrechnung im deutschsprachigen Raum – das Zweikreissystem in vielen grösseren Unternehmen eingesetzt, doch hat längst ein unaufhaltsamer gegensätzlicher Trend zu einer Integration beider Rechnungskreise und einer einfacheren Systemwelt im Finanzbereich ("Simple Finance") stattgefunden.

Wurde in vielen bisherigen SAP-ERP-Implementierungen das Zweikreissystem noch als dominantes Ordnungsprinzip im Finanzbereich beobachtet, so zeigt die Gegenwart eindrücklich, dass sich die angloamerikanische Denkweise auch in der Organisation des Finanzbereichs durchgesetzt hat. Es überwiegt daher vielerorts das Einkreissystem, welches gerade in den angloamerikanischen Grossunternehmen seit jeher dominant ist.

Da auch die internationale Rechnungslegung keine kalkulatorischen Elemente kennt bzw. zulässt, unterlassen viele Unternehmen im deutschsprachigen Raum bereits kalkulatorische Kostenansätze, womit die Zweikreissystematik ihren Existenzanspruch verliert.

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