Diversity Management: Diversity-Konzepte im Wandel

«Unser Ziel ist, dass wir bald nicht mehr über Diversity und Gleichstellung sprechen müssen, sondern dass Diversity und Chancengleichheit bei uns selbstverständlich sind.» Dieser Wunsch wird oft geäussert und ist verständlich. Doch diesem Artikel liegt gerade das Gegenteil als Ziel zugrunde: Das Sprechen über Diversity sollte selbstverständlich werden. Weshalb ist das Reden über Diversity wichtig?

26.06.2023 Von: Nathalie Amstutz, Lea Küng
Diversity Management

Basics des Diversity Managements

Diversity Management adressiert Fragen der personellen Vielfalt, der Gleichstellung, Nicht­diskriminierung und des individuellen Empowerments in Organisationen. Gründe für ein Diversity Management sind die Einhaltung der Gleichstellungs- und Nichtdiskriminierungsgesetzgebung, die Entwicklung inklusiver und diskriminierungsfreier Organisationskulturen mit Blick auf Geschlechtergleichstellung, sexuelle Identität und Orientierung, Antiras­sismus, Alter, Behinderung sowie körperliche und psychische Bedürfnisse. Diversity zielt auf die Förderung sozialer Innovation und ver­spricht sich dadurch auch Wettbewerbsvortei­le auf dem Markt und Arbeitsmarkt.

Während es zahlreiche Unternehmen gibt, die Fragen des Diversity Managements noch weitgehend unbearbeitet lassen, so haben an­dere – oft aufgrund internationaler Standards der Mutterkonzerne – längst ein Diversity Ma­nagement Controlling eingeführt. Zur prakti­schen Einführung eines Diversity Controllings gibt es zahlreiche Beratungsangebote. Wirksame Diversity-Management-Konzepte, da sind sich die meisten Beratungsangebote einig, haben eine strategische und eine ope­rative Dimension. Die strategische Dimensi­on definiert aufgrund interner Analysen und Diagnosen kurz- und mittelfristige Ziele, die Teil der strategischen Ausrichtung der Orga­nisation sind. Die operative Dimension legt die Zuständigkeiten und die Umsetzung von Massnahmen fest, verankert in einem struk­turierten Controlling-Prozess.

    Das Personalmanagement spielt dabei eine zentrale Rolle:

    • Es berät die Leitung bei der Definition von strategischen Zielen mit Blick auf ökono­mische, politische, ökologische, rechtliche, soziale und technologische Entwicklungen (interne und externe).
    • Die diversityspezifische Analyse von Kenn­zahlen wie Fluktuation, Vakanzen, Lohn geben Auskunft über Verbesserungsbedarf.

    Beispiel Mitarbeitendenbefragung:
    Qualitative Informationen aus Mitarbeitendenbefragungen sind aufschlussreich, wenn Fragen nach Diskriminierungserfahrungen aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität, nach sexueller Belästigung, nach Rassismuserfahrungen und Diskriminie­rungserfahrungen aufgrund von Behinderung in die Fragebogen integriert sind.

    • Das Personalmanagement prüft und aktu­alisiert diversitysensible Personalprozesse wie Personalgewinnung, Retention, Perso­nalentwicklung, Entgelt, Arbeitsorganisati­on und Arbeitsbedingungen.
    • Diversitysensible Personalgewinnung braucht etwas mehr Zeit, da die einzelnen Schritte überprüft und angepasst werden. Geplante Abläufe werden eingehalten, denn übereil­te Besetzungen sind generell anfällig für unconscious bias und der Diversität nicht förderlich. Diversitysensible Prozesse be­inhalten Stellenprofil und Ausschreibung, Diversität der Stellenbesetzungsgremien sowie Ziele, die allen am Prozess Beteilig­ten klar sind, z.B. Zielvorgaben bei der Vorselektion der Dossiers (z.B. nach Alter und Geschlecht), anonymisierte Bewerbungen etc.
    • Das Personalmanagement begleitet und organisiert die Sensibilisierung der Füh­rungskräfte in der diversitykompetenten Anwendung der Prozesse und Instrumente.
    • Es berät die Definition von Massnahmen in unterschiedlichen Bereichen wie der Kom­munikation in Bild und Wort gegen innen und aussen, dem Webauftritt der Firma, dem Führungskonzept, den Arbeitsbedin­gungen etc.

    Beispiel: Erster Schritt der Personalgewinnung

    • Sind die Anforderungen qualifikationsbezogen (Einschränkung der Anzahl Bewerbun­gen) formuliert oder persönlichkeitsbezogen (Öffnen der Anzahl Bewerbungen)?
    • Zählen Sie lange Listen von Voraussetzun­gen auf? Studien zeigen, dass sich Frauen tendenziell bewerben, wenn sie alle Krite­rien erfüllen, Männer hingegen, wenn sie 40% der Kriterien erfüllen. Prüfen Sie: Kann die Anzahl Kriterien reduziert werden?
    • Kann das Stellenprofil aktualisiert werden? (Teilzeitangebot, Teilung von Führungsfunk­tion, Teilen von Portfolio, Kombination von Fach- und Leitungsfunktion etc. mit admi­nistrativer Tätigkeit etc.)
    • Der Hinweis, dass sich eine Organisation für Diversity engagiert, führt zu mehr Be­werbungen, und Studien zeigen, dass sich dadurch auch niemand von einer Bewer­bung abhalten lässt.
    • Die Vorselektion der Dossiers ist ein diversitysensibler Moment. Deshalb ist die Sensibilisierung der dafür zuständigen Person zentral. Alle involvierten Personen im Pro­zess der Personalgewinnung sollten über Hürden für Diversity (Bias und Kooptation) sowie über die Ziele der Unternehmung in­formiert sein.

    Diversity-Konzepte im Wandel

    Diversity Management wurde in der Schweiz in den 2000er-Jahren eingeführt. Seither hat sich in Betrieben, in der Forschung und auch im Erfahrungswissen einiges weiterentwickelt:

    1. Mehr Wissen, mehr Wissensbedarf

    Das Wissen zu Diversity hat sich vertieft und verbreitet. Wurde der Handlungsbedarf des Diversity Managements früher vor allem mit Blick auf Individuen und Gruppen verortet, während das Gros der Unternehmung mehr oder weniger unbeteiligt seinen Lauf nahm, so geht es im heutigen Diversity Management um einen Kompetenzaufbau in der Organisa­tion. Die Organisationskultur ist zentrales Re­flexionsfeld. Dazu beigetragen haben enga­gierte Organisationen, Forschungsergebnisse, aber auch soziale Bewegungen wie #MeToo, Black Lives Matter und der Frauenstreik. Diese Bewegungen haben alte Forderungen neu formuliert, Probleme verdeutlicht und in ein breiteres Bewusstsein gerückt.

    2. Die Lösung zu welchem Problem?

    Diversity-Management-Ansätze haben sich auch hinsichtlich ihrer Problemdefinition ent­wickelt. Die in betriebswirtschaftlichen Kon­texten verbreitete Lösungsorientierung hat den Vorteil, dass bei der Formulierung einer Herausforderung gleich die Massnahmen mitgeliefert werden. Die forcierte Lösungs­orientierung birgt aber das Risiko, den Pro­blemen nur ungenügende Aufmerksamkeit zu widmen. Der gegenwärtige Paradigmen­wechsel zur Nachhaltigkeit geht daher in eine neue Richtung: «Was ist das Problem?» Diese elementare Frage ist nicht nur Aufgabe von Politik und Forschung, sondern angesichts sozialer und ökologischer Herausforderungen spezifisch auch innerhalb von Organisati­onen zu stellen – mit Blick auf interne und externe, auf lokale und globale Effekte des eigenen Wirtschaftens. Gegenwärtig wird dazu aufgefordert, dass Diversity-Politiken soziale Nachhaltigkeit – einer der drei Pfei­ler der UN-Nachhaltigkeitsziele – konzeptio­nell umreissen. In diesem Kontext stellt sich die Frage nach dem Problem nicht nur für die Muttergesellschaft, sondern auch in den Tochtergesellschaften, in der Zusammen­arbeit mit Zulieferern und Subcontractors. Nachhaltiges Diversity Management räumt der Problemstellung einen zentralen Platz ein und rollt die Analyse entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus. Erst eine solche Definition des Handlungsbedarfs ermöglicht wirksame Massnahmen, die Nachhaltigkeit lokal wie global auszudifferenzieren.

    3. Was weiss das Bottom, was das Top nicht weiss?

    Diversity Management wird in der Regel Top-down definiert und ausgerollt. Im Zuge des oben beschriebenen Controllings ist die Ownership, die Verantwortung für das Diversity Management, bei der Leitung durchaus sinnvoll, wenn auch nicht ausreichend. Gegenwärtige Diversity-Management-Konzepte erarbeiten mit Fokusgruppen und Mitarbei­tenden-Repräsentationen der Unternehmung partizipative Gefässe. Unter den Mitarbeiten­den ist ein breites und vertieftes Wissen zu Diversitätsfragen vorhanden. Einzelne oder Gruppen haben Erfahrungen damit gemacht, was es braucht, um sich als Person mit einer Behinderung auf einen Bewerbungsprozess einzulassen. Sie wissen Bescheid über Mikrorassismen in der Unternehmung oder im Umgang mit der Kundschaft, bezüglich Dis­kriminierung aufgrund von Religion. Sie sind vielleicht Mitglied in einem Schwulen- und Lesbennetzwerk. Sie wissen, was es braucht, um eine Führungsstelle zu teilen und die Kin­derbetreuung zu organisieren. Der Einbezug dieses Wissens in die Problemdefinition wie in die Lösungsentwicklung ist eine grosse Ressource.

    Reden über Diversität, die Klärung der Prob­lemstellung und die Diskussionen der Mass­nahmen sind eine hilfreiche Voraussetzung für das Personalmanagement, um an das sich ständig weiterentwickelnde Wissen zu Diversität zu gelangen.

     

    Literatur:
    Melanie Nussbaumer/Nathalie Amstutz 2019. Organisational geschlechtsneutral? Zum Mythos der Rationalität und Neutralität von Organisationen. SozialAktuell, Nr. 6. Juni 2019, S. 31–32.
    Catherine Müller/Gudrun Sander 2011 (2. Aufl .). Innovativ führen mit Diversity-Kompetenz. Vielfalt als Chance. Bern: Haupt Verlag.
    Hans W. Jablonski 2020. Die Schlüsselrolle von Diversity bei sozialer Nachhaltigkeit. In. P. Genkova (Hrsg.), Handbuch Globale Kompetenz, S. 1–16.

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