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IV: Gutachten und Leistungsanspruch

Medizinische Gutachten entscheiden regelmässig über die Leistungsansprüche gegenüber den Sozialversicherungen. Bei Invaliditätsfällen holt die IV-Stelle solche Gutachten ein. Ihr Entscheid ist bindend für die Ansprüche gegenüber der beruflichen Vorsorge (BVG).

10.05.2022 Von: René Mettler
IV

Anforderungen an das Gutachten für die IV

Ein medizinisches Gutachten muss, um Beweiswert zu erlangen:

  • umfassend sein;
  • auf allseitigen Untersuchungen beruhen;
  • auch die geklagten Beschwerden berücksichtigen;
  • in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben werden;
  • in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchten; und:
  • die Schlussfolgerungen des Experten müssen begründet sein.

Medizinische Gutachten müssen den normativen Vorgaben des Bundesgerichts entsprechen und nach den Regeln der medizinischen Kunst erstellt werden. Somit haben sie sowohl rechtlichen wie auch medizinischen Ansprüchen zu genügen.

Medas-Gutachten

Medas steht für Medizinische Abklärungsstellen der IV. Es handelt sich dabei um privatrechtlich organisierte Organisationen, deren Unabhängigkeit von Gutachtungsaufträgen durch die IV-Stellen seit Jahren umstritten ist.

Hinsichtlich der Frage der Unabhängigkeit der Medas hielt das Bundesgericht stets fest, dass die fachlich-inhaltliche Weisungsunabhängigkeit der begutachtenden Ärzte der MEDAS institutionell verankert und die nach EMRK, Art. 6, Ziff. 1 vorausgesetzte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der betreffenden Gutachter somit gewährleistet sei. Im Weiteren sei es unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit grundsätzlich zulässig, dass ein Gericht auf die vom Versicherungsträger korrekt erhobenen Beweise abstellt und auf ein eigenes Beweisverfahren verzichtet, sofern das rechtliche Gehör in allen seinen Teilaspekten gewahrt bleibe.

Aufgrund des festgelegten Zieles der Reduktion des Rentenbestandes im Rahmen der Invalidenversicherung in Verbindung mit der Gewinnorientierung der MEDAS bestehe eine objektiv begründete Befürchtung, dass sich die Gutachterstellen nicht allein von fachlichen Gesichtspunkten, sondern eben auch von den (vermeintlichen) Erwartungen des Auftraggebers leiten liess. Um diese zu beheben, bedürfe es gewisser rechtlicher Korrektive, die das Bundesgericht in seinem Entscheid1 sehr ausführlich aufzeige. So sollen unter anderem die Gutachten nach Zufallsprinzip an die MEDAS-Stellen vergeben werden. Es sei ein differenzierteres Entschädigungssystem auszuarbeiten und die Gehörs- und Partizipationsrechte der versicherten Person sollen gestärkt werden.

Standard-Indikatoren

Das Bundesgericht hat mit den sogenannten Standard-Indikatoren2 verbindliche Normen für die Erstellung von Gutachten aufgestellt. Den IV-Stellen obliegt die Prüfung, ob die Gutachterinnen und Gutachter sich daran gehalten haben und ob die medizinisch festgestellten funktionellen Einschränkungen schlüssig und widerspruchsfrei nachgewiesen sind.

Je genauer und sorgfältiger der medizinische Sachverständige die Diagnose erhoben, die Einschränkungen der funktionellen Leistungsfähigkeit eingeschätzt und die Kausalität zwischen Gesundheitsschaden und funktioneller Einschränkung dem Rechtsanwender begründet hat, desto weniger Spielraum verbleibt diesem, zu einer abweichenden Beurteilung zu gelangen.3

Vorgehen der IV-Stellen

Eine stufengerechte medizinische Abklärung erfolgt durch die IV-Stellen nach der Anmeldung einer versicherten Person. Sie beschafft sich alle bereits vorhandenen Informationen, die als Entscheidungsgrundlagen für die rasche Klärung der Leistungsbegehren notwendig sind, möglichst rasch und unkompliziert und wertet sie aus.

Hierzu ist mit der versicherten Person gleich zu Beginn des Verfahrens zu klären, ob die IV-Stelle von allen relevanten Personen und Stellen (involvierte Versicherer, Arbeitgeber, behandelnde Ärzte usw.) ausreichend informiert worden ist. Im Rahmen dieses ressourcenorientierten Abklärungsfahrens spielen zudem die behandelnden Ärztinnen und Ärzte eine entscheidende Rolle. Letztere sollen, wenn immer möglich, einbezogen werden, und zwar im mündlichen Austausch wie auch durch gezieltes Anfordern schriftlicher Arztberichte.4

Die vielschichtigen Informationen sind von den IV-Stellen und ihrem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) in Form versicherungsinterner medizinischer Stellungnahmen zu würdigen und zu kommentieren. Diese medizinischen Stellungnahmen bilden die Grundlagen für die Entscheide über mögliche Leistungen der IV. Sie müssen gut dokumentiert und begründet und auch für Nichtmediziner nachvollziehbar sein.

Wenn die bestehende Aktenlage nach der ersten Prüfung durch die IV-Stelle weiterhin unvollständig, die Sachlage nicht genügend geklärt oder widersprüchlich ist, besteht die Möglichkeit, die fehlenden Informationen durch eine versicherungsinterne Untersuchung beim RAD zu beschaffen.

Diese zeitnahe Beurteilung der versicherten Person ergänzt gezielt die bereits vorhandenen Informationen; sie muss die gleiche Qualität aufweisen, wie sie von externen Begutachtungen erwartet wird. Sollten die versicherungsinternen Abklärungen nicht ausreichen, den medizinischen Sachverhalt genügend klar festzustellen, holt die IV-Stelle als letzter Schritt ein externes Gutachten ein. Im Interesse rascher Verfahren, in Anbetracht der beschränkten Anzahl qualifizierter medizinischer Gutachterinnen, Gutachter und Gutachterstellen und nicht zuletzt auch aufgrund der entsprechenden Kosten werden diese Expertisen möglichst gezielt und nur in begründeten Fällen angefordert.

Gemäss den Weisungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) muss die IV-Stelle ein externes Gutachten innerhalb von 20 Tagen unter Einbezug des RAD sorgfältig und gründlich auf seine formelle und inhaltliche Qualität überprüfen. Hierbei sind die Standardindikatoren ebenso zu beachten wie die fachspezifischen Leitlinien zur versicherungsmedizinischen Begutachtung, wie sie im einheitlichen Gutachtensauftrag vorausgesetzt werden. Nach erfolgter Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung der Gutachten erfolgt die Einschätzung, ob das Gutachten verlässlich und gut begründet ist und im Hinblick auf den von der IV-Stelle zu fällenden Leistungsentscheid vollen Beweiswert aufweist. Nur wenn dies nicht der Fall ist, stellt die IV-Stelle den Gutachterinnen und Gutachtern noch fallspezifische Erläuterungs- oder Ergänzungsfragen. Erst dann kann das eingeholte Gutachten als Grundlage für den nachfolgenden Leistungsentscheid herangezogen werden.

Auswirkungen auf die berufliche Vorsorge (BVG)

In konstanter Rechtsprechung hält das Bundesgericht an der Meinung fest, der Entscheid über einen Rentenanspruch der IV-Stellen sei für die berufliche Vorsorge (BVG) bindend. Der Vorsorgeeinrichtung stehen die Rechte wie der versicherten Person zu, Rechtsmittel zu ergreifen, wenn sie mit dem Entscheid einer IV-Stelle nicht einverstanden ist.

FUSSNOTEN

1 BGE 137 V 210
2 BGE 141 V 281
3 Gächter, Thomas/Meier Michael, «Schmerzrechtsprechung 2.0», in Jusletter, 29.06.2015
4 Jentzsch, Katrin/Lüthi, Andrea, «Zusammenarbeit der IV-Stellen mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten», in Soziale Sicherheit (CHSS), Nr. 2/2017

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