Vorausvermächtnis: Wann liegt eine Ausgleichspflichtige Zuwendung vor?

Die gesetzlichen Erben sind gegenseitig verpflichtet, alles zur Ausgleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbanteil zugewendet hat (Art. 626 ZGB). Was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass zugewendet hat, steht, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt, unter der Ausgleichungspflicht. Im Gegensatz dazu liegt ein Vorausvermächtnis vor, wenn der Erblasser ausdrücklich bestimmt, dass eine Zuwendung nicht angerechnet werden soll. Übliche Gelegenheitsgeschenke stehen nicht unter der Ausgleichungspflicht (Art. 632 ZGB).

07.07.2025 Von: Werner Jahnel, Kinga M. Weiss
Vorausvermächtnis

Die Erben haben die Wahl, die Ausgleichung durch Zahlungen aus dem eigenen Vermögen oder durch Anrechnung dem Wert nach vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn die Zuwendungen den Betrag des Erbanteils übersteigen (Art. 628 ZGB).

Übersteigen die Zuwendungen den Betrag eines Erbanteiles, so ist der Überschuss unter Vorbehalt des Herabsetzungsanspruches der Miterben nicht auszugleichen, wenn der Erblasser den Erben damit nachweisbar begünstigen wollte (Art. 629 ZGB). Diese Begünstigung wird vermutet bei den Ausstattungen, die den Nachkommen bei ihrer Verheiratung in üblichem Umfange zugewendet worden sind. In solchen Fällen kann auch ein Vorausvermächtnis vorliegen, wenn der Erblasser ausdrücklich verfügt hat, dass die Zuwendung zusätzlich zum gesetzlichen Erbteil erfolgen und nicht angerechnet werden soll.

Die Ausgleichung erfolgt nach dem Wert der Zuwendungen zur Zeit des Erbganges oder, wenn die Sache vorher veräussert worden ist, nach dem dafür erzielten Erlös (Art. 630 ZGB). Gewinne und Verluste, sowie bezogene Früchte sind unter den Erben nach den Besitzesregeln in Anschlag zu bringen.

Wichtig: Erbvorbezüge sind nur dann zu verzinsen, wenn es verabredet ist (BGE 5A_600/2013).

Art. 532 ZGB regelt, in welcher Reihenfolge die Zuwendungen herabzusetzen sind, bis der Pflichtteil hergestellt ist. Berücksichtigt werden zuerst die Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge und als zweites die Zuwendungen von Todes wegen.

Der Herabsetzung unterliegen wie folgt der Reihe nach, bis der Pflichtteil hergestellt ist (Art. 533 ZGB):

  • die Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge

  • die Zuwendungen von Todes wegen

  • die Zuwendungen unter Lebenden

Wenn nötig sind auch die Zuwendungen unter Lebenden zu berücksichtigen und zwar in folgender Reihenfolge:

  • Die der Hinzurechnung unterliegenden Zuwendungen aus Ehevertrag oder Vermögensvertrag

  • Die frei widerruflichen Zuwendungen und die Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge, im gleichen Verhältnis

  • Weitere Zuwendungen, und zwar die späteren vor den früheren.

Vorausvermächtnis: Ausgleich gegenüber Ehepartnern

Gemäss ZGB Art. 198 gelten als Eigengut die Vermögenswerte, die einem Ehegatten zu Beginn des Güterstandes gehören. Diese Formulierung impliziert, dass gegenüber dem Ehepartner Transaktionen, die vor der Eheschliessung passiert sind, nicht in Betracht fallen, also logischerweise auch erbrechtlich irrelevant sind. Analog kann man diese Auffassung auch auf die anderen Güterstände anwenden. Nach den üblichen Auslegungsregeln geht die spezielle Regelung für Ehepartner (ZGB Art. 198) der allgemeinen (ZGB Art. 626) vor. Demnach wären Vorbezüge von Miterben auf eine Erbschaft gegenüber dem Ehepartner nur anzurechnen, wenn sie während der Ehe vorgenommen wurden.

Da es jedoch nicht eindeutig ist, wie diese Frage im Streitfall durch ein Gericht beurteilt würde, sind klare und präzise Verfügungen sehr zu empfehlen. Möchte ein Erblasser beispielsweise, dass bestimmte Zuwendungen nicht unter die Ausgleichungspflicht fallen – etwa zugunsten eines Ehepartners oder Kindes –, so sollte dies ausdrücklich festgelegt werden. In einem solchen Fall kann der Erblasser durch ein Vorausvermächtnis bestimmen, dass eine bestimmte Begünstigung zusätzlich zum gesetzlichen Erbteil erfolgt und nicht angerechnet wird.

Beispiele zum Thema Vorausvermächtnis

Mein Sohn Oscar erhält den Betrag von CHF … als Grundlage für seine Geschäftsgründung. Er ist nicht zum Ausgleich gegenüber den anderen gesetzlichen Erben verpflichtet.

Meiner Tochter Beatrice erlasse ich die Schulden von CHF … Im Erbfall ist sie zum Ausgleich gegen die anderen gesetzlichen Erben verpflichtet (oder nicht verpflichtet).

Meinem Sohn Georg und meiner Tochter Angela überlasse ich als Vorbezug auf die Erbschaft CHF … Sie sind ihrer Mutter, meiner jetzigen Ehefrau gegenüber ausgleichspflichtig, auch wenn die Ehe geschieden werden sollte. Hingegen sind sie einer allfälligen neuen Ehepartnerin gegenüber nicht ausgleichspflichtig, aber gegenüber allfälligen Halbgeschwistern.

Fällt ein Erbe vor oder nach dem Erbgang weg, so geht seine Ausgleichungspflicht auf die Erben über, die an seine Stelle treten (Art. 627 ZGB). Nachkommen eines Erben sind in Bezug auf die Zuwendungen, die dieser erhalten hat, auch dann zur Ausgleichung verpflichtet, wenn die Zuwendungen nicht auf sie übergegangen sind.

Die Erben können die Ausgleichung in Natur, z.B. durch den ausgleichspflichtigen Gegenstand, oder durch Anrechnung dem Wert nach vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn die Zuwendungen den Betrag des Erbanteils übersteigen. Vorbehalten bleiben abweichende Anordnungen des Erblassers sowie die Ansprüche der Miterben auf Herabsetzung der Zuwendungen (Art. 628 ZGB).

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