Überblick und Abgrenzung zu den Erscheinungsformen der kreativen Bilanzgestaltung
Kreative Bilanzierung (engl. creative accounting) ist die bewusste Gestaltung der Finanzberichterstattung mittels der aktiven Steuerung von Geschäftsfällen und/oder des bewussten Einsatzes von Accounting-Entscheidungen im Rahmen von Bilanzierung, Bewertung und Ausweis von Geschäftsfällen mit dem Ziel, die Wahrnehmung der Anspruchsgruppen des Unternehmens über dessen tatsächliche ökonomische Leistung zu manipulieren.
Die Gesetzeskonformität einer kreativen Bilanzierung ist regelmässig dann nicht mehr gegeben, wenn die Manipulation zur offensichtlichen Täuschung bzw. zur irreführenden Darstellung (engl. misleading portrayal) wird.
Die Ansätze und Methoden der kreativen Bilanzierung reichen von der Ausnützung bestehender Wahlrechte im Accounting bis zum bewussten Verstoss gegen Rechnungslegungsstandards sowie andere externe oder interne Richtlinien und Weisungen.
Eines der wesentlichen Motive zur kreativen Bilanzierung bildet die Gewinnsteuerung (engl. earnings management). Diese umfasst im Wesentlichen die folgenden Erscheinungsformen:
Arten | |
Entscheidungen des Managements
| Entscheidungen des Accouting Materiell:
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Im Rahmen einer vom Unternehmen bewusst vorgenommenen Gewinnsteuerung sind die folgenden Ziele möglich und in der Praxis beobachtbar:
- Gewinnmaximierung
- Gewinnminimierung
- Gewinnglättung (earnings smoothing)
- Erreichung vorgegebener Gewinnziele (target accouting)
Während die Gewinnmaximierung nur in den anerkannten Standards zur Rechnungslegung eine Rolle spielt, weil hiermit das Management eines Unternehmens möglichst gut beurteilt werden möchte und seine kurzfristige variable Vergütung somit optimieren kann, gilt das Ziel der Gewinnminimierung vor allem für den statutarischen Abschluss nach dem Rechnungslegungsrecht, weil dieser durch das Massgeblichkeitsprinzip für die Besteuerung relevant ist.
Allein bei der Umsatzerfassung bietet sich eine Reihe von Möglichkeiten zur Maximierung des Gewinns bzw. zur Erreichung eines gegebenen Gewinnziels (Meyer, 2009, S. 6 f.):
- buchhalterische Erfassung bestellter, aber noch nicht erbrachter Leistungen als Umsatzerlöse:
Hierbei werden Kundenaufträge für Güter und Leistungen bereits bei Eingang der Bestellung als Umsätze verbucht, obwohl diese erst während der nächsten Berichtsperiode erbracht bzw. realisiert werden, womit es zu einer Erfassung unrealisierter Erlöse und zu einem Verstoss gegen Rechnungslegungsrecht sowie Accounting-Standards kommt. - berechnete, aber nicht ausgeführte Aufträge:
Obwohl vom Kunden bestellte Waren zur Auslieferung bereitstehen, werden diese zumeist auf Kundenwunsch noch nicht ausgeliefert bzw. vom Kunden bezogen. Ohne Weiteres mangelt es damit an einer für die Umsatzverbuchung notwendigen Lieferung bzw. Übergabe der Ware. - Ergebnisverbesserung durch das Füllen des Vertriebskanals (engl. channel stuffing):
Hierbei besteht das Bemühen, die Bestellungen/Aufträge/Verkaufszahlen kurz vor dem Ende der Rechnungsperiode durch ungewöhnlich hohe Rabatte oder günstige Liefer- und Zahlungsbedingungen zu forcieren, mittels derer die Kunden zu übermässigen Käufen (engl. overbuy) animiert werden. Typische Beispiele hierfür sind Aktionen wie der "Black Friday" im Detailhandel.
Das Ziel der Gewinnsteuerung muss jedoch nicht ein möglichst hoher Gewinnausweis sein. In Abhängigkeit von der Unternehmenssituation kann auch eine Reduktion des Ergebnisses angestrebt werden.
Eine Gewinnminimierung kann aber auch kurzfristig zum Ziel eines Berichtsjahrs werden, wenn es einen CEO-Wechsel gibt, weil ein nachfolgender CEO bei möglichst tiefem Ergebnis vor seinem Stellenantritt umso höhere Ergebnissteigerungen danach für sich beanspruchen kann, womit wiederum eine Optimierung des kurzfristigen variablen Saläranteils möglich wird.
Auch eine Gewinnglättung oder Erreichung eines bestimmten Gewinnziels ist ein häufiges Motiv der kreativen Bilanzierung vor allem bei kapitalmarktorientierten Unternehmen, denn Kapitalmarktteilnehmer wie Analysten, Eigen- und Fremdkapitalgeber haben eine Vorliebe für Stabilität statt Volatilität. Deshalb werden stabile Gewinne gegenüber schwankenden Ergebnissen zumeist bevorzugt, selbst wenn die beiden Ergebnisströme identisch sind (Lehmann, 2016).
Bei einem solchen sogenannten "Big Bath" werden möglichst viele Aufwendungen in die letzte bzw. aktuelle Berichterstattungsperiode verlagert. Die schwachen Ergebnisse werden dabei häufig – zumindest implizit – den Vorgängern angelastet.
Das neue Management kann durch diese Maßnahme die Benchmark für zukünftige Leistungsbeurteilungen senken, womit eine besondere Leistung demjenigen angerechnet wird, der das Unternehmen aus diesem vermeintlichen "Tief" wieder in die Normalzone bringt. Da das erreichte Jahresergebnis regelmässig eine für die variable Vergütung relevante Leistungskennziffer (engl. KPI) darstellt, haben Führungskräfte im Topmanagement einen hohen Anreiz, den Gewinn zu maximieren, um so auch einen (höheren) variablen Bonus als Teil ihrer variablen Vergütung zu erhalten (Lehmann, 2016).
Vor dem Hintergrund des obersten Ziels internationaler Rechnungslegungsvorschriften, entscheidungsrelevante Finanzinformationen zu vermitteln, sollten kommunizierte Ergebnisse eigentlich jederzeit einem "true and fair view" (Wiedergabe der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens) folgen. Genau dies wird jedoch durch ein Big Bath bewusst vermieden und stattdessen eine Gewinnminimierung gesucht.