Empathischer Führungsstil: Persönlichkeit und Bedürfnisse der Mitarbeitenden kennen
Passende Arbeitshilfen
In Gesprächen mit qualifizierten Führungskräften werden uns immer wieder bemerkenswerte Anekdoten zugetragen, welche über den überraschenden Weggang von geschätzten und talentierten Mitarbeitenden berichten. So zum Beispiel der Vorgesetzte einer Forschungseinrichtung, welcher überrascht war, dass sein talentiertester Forschungsmitarbeiter entgegen der Hoffnungen und Bemühungen des Vorgesetzten letztendlich sich doch gegen eine Forschungskarriere entschied. Die Liste mit vergleichbaren Beispielen aus unterschiedlichen Branchen liesse sich beliebig fortführen. Erfahren Sie in diesem Artikel, welche grundlegenden Handlungen es sind, die Sie als Führungskraft berücksichtigen sollten, um die Persönlichkeiten Ihrer Mitarbeitenden besser zu kennen und damit deren Leistungspotenziale optimal abzurufen.
Der bekannte Romanautor Erich Maria Remarque meinte zur Frage, wie man Mitarbeitende kennenlernt: «Den Charakter eines Menschen erkennt man, wenn er Vorgesetzter geworden ist.» Der kürzlich verstorbene erfolgreiche Unternehmer und Gründer des DM-Markts Götz W. Werner soll einmal – möglicherweise mit einem scherzhaften Unterton – gesagt haben, dass der Charakter eines Mitarbeitenden an seinem Agieren als Betriebsrat zu erkennen sei. Rund zwei Jahrhunderte früher hielt das Universalgenie Johann Wolfgang von Goethe fest, Menschen bezeichneten ihren persönlichen Charakter durch nichts mehr als daran, «was sie lächerlich finden».
Aus diesen drei Kriterien liessen sich womöglich interessante Aussagen zur Person des oder der Mitarbeitenden ableiten. Jedoch ist deren Umsetzbarkeit im Arbeitsalltag schwierig, und durch die beschränkten Auswertungsmöglichkeiten würde es wenig zum ganzheitlichen Verständnis der Persönlichkeit von Mitarbeitenden beitragen. Einige Führungskräfte berichten uns, dass sie ihre Mitarbeitenden on the Job, nämlich anhand ihres Arbeitsstils, kennenlernten. Dieser Ansatz ist praktikabel, jedoch beantwortet der Arbeitsstil die Frage nach Persönlichkeit und Motivlage nicht umfassend.
Es lohnt sich, die eigenen Mitarbeitenden besser zu verstehen
Der betriebswirtschaftliche Nutzen davon, dass Führungskräfte Zeit darin investieren, ihre Mitarbeitenden kennenzulernen, liegt auf der Hand: Sich zu kennen ist die Grundlage für den Vertrauensaufbau. Vertrauen ist unserer Erfahrung nach eine der tragfähigsten Säulen für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden, insbesondere in Krisenzeiten. Darauf aufbauend können Vorgesetzte, welche ihre Mitarbeitenden gut kennen, diese zielgerichteter nach ihren Kompetenzen einsetzen.
Um auf das einleitende Beispiel zurückzukommen, so sind wir der Überzeugung, dass es weniger eine Frage der einzelnen Ergründungs- bzw. Fragetechnik ist, ob Führungspersonen ihre Mitarbeitenden besser oder schlechter kennenlernen. Vielmehr ist es eine Frage ihrer persönlichen Haltung und ihres Führungsstils. In Gesprächen mit Führungspersonen stellen wir oft fest, dass die Führungsperson sich nicht bewusst oder nur unzureichend die Zeit genommen hat, die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Motive ihrer Mitarbeitenden zu erfassen.
Drei psychologische Grundbedürfnisse als Basis
Um ein Verständnis für einen diesbezüglich wirkungsvollen Führungsstil aufzubauen, sollten wesentliche Erkenntnisse einer umfassenden Motivationstheorie der Sozialpsychologie, der Selbstbestimmungstheorie («self determination theory»; Deci & Ryan, 1985), berücksichtigt werden. Die Theorie besagt (stark vereinfacht), dass Menschen kulturübergreifend drei psychologische Grundbedürfnisse haben:
- Die Gewissheit, auf als wichtig erachtete Dinge einwirken zu können und entsprechend gewünschte Resultate zu erzielen (Kompetenz-Bedürfnis);
- Die Gewissheit der Freiwilligkeit, Dinge zu tun, welche als notwendig erachtet werden, selbst wenn sie durch andere angeordnet sind (Autonomie-Bedürfnis; die Tätigkeit sollte demnach sinnstiftend sein);
- Die Gewissheit, dass man selbst bedeutend für andere ist (Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit).
Führungspersonen sind somit gut beraten, diese Grundbedürfnisse bei ihren Mitarbeitenden zu berücksichtigen, um deren Arbeitszufriedenheit und damit auch deren Leistungsbeitrag sowie deren langfristigen Verbleib im Unternehmen zu steigern. Die Führungsforschung zeigt weiter (z.B. Deci, Olafsen & Ryan, 2017), dass Führungsstile, welche den Prinzipien der transformationalen Führung (Bass & Avolio, 1991) folgen, diese Grundbedürfnisse wirkungsvoll treffen. Insbesondere die darin enthaltene Dimension der individuellen Unterstützung bzw. Rücksichtnahme auf Mitarbeitende («individualized consideration») gewinnt zur Beantwortung der Leitfrage dieses Artikels eine hohe Relevanz. Diese Dimension hat die Behandlung der Mitarbeitenden als Individuen mit eigener Persönlichkeit, spezifischen Bedürfnissen und individuellen Fähigkeiten zum Ziel.
Seminar-Empfehlungen
Die unterschiedlichen Persönlichkeiten der eigenen direkt Unterstellten zu kennen, ist somit zentrale Voraussetzung, dass die Führungskraft auf deren jeweils verschiedene Bedürfnisse eingehen kann. Dabei spielen empathische Fähigkeiten der Führungskraft eine wesentliche Rolle, welche nicht allen gleichermassen gegeben ist. Von Natur aus weniger empathische Führungspersonen weisen hierbei einen Nachteil auf, welcher jedoch durch eine offene, nach den Mitarbeitenden gerichtete Haltung neutralisierbar ist. So konnten die Psychologen Marianne Schmid Mast, Klaus Jonas und Judith Hall 2009 zeigen, dass ein Führungsstil, welcher sich um einen empathischen Austausch mit den Mitarbeitenden bemüht, die eigene Fähigkeit, ein zwischenmenschliches Feingefühl («interpersonal sensitivity») zu zeigen sowie wirksam anzuwenden, steigert. Zudem haben sie nachgewiesen, dass allein die Tatsache, dass Menschen mehr Macht erhalten, bereits eine Steigerung dieses zwischenmenschlichen Feingefühls erfahren. Auf der Grundlage dieser theoretischen Überlegungen und aufgrund unserer Erfahrungen geben wir Führungskräften die folgenden praktischen Empfehlungen mit, um ihre Mitarbeitenden besser kennenzulernen:
- Lernen Sie sich selbst kennen, um zu verstehen, ob und inwiefern Sie gleich oder anders sind als Ihre Mitarbeitenden;
- Schaffen Sie das richtige Setting; nehmen Sie sich Zeit, sei es in einem Rekrutierungs- oder Mitarbeitergespräch oder darin, dass Sie ihre/n Mitarbeitende/n individuell on the Job begleiten;
- Stellen Sie im Austausch offene Fragen; hören Sie Ihren Mitarbeitenden aufmerksam zu, hören Sie mit allen Ohren nach Schulz von Thun (4-Ohren-Kommunikationsmodell) hin und fragen Sie nötigenfalls nach;
- Seien Sie erst einmal offen dafür und akzeptieren Sie, dass Mitarbeitende nicht dieselben Einstellungen und die gleiche Persönlichkeit haben wie Sie selbst;
- Seien Sie unvoreingenommen, legen Sie Ihre eigenen Idealvorstellungen ab, um diese nicht implizit auf Ihre Mitarbeitenden zu übertragen;
- Geben Sie nicht auf jede Äusserung des Mitarbeitenden die eigene Sichtweise hinzu, sondern nehmen Sie die Perspektive des Mitarbeitenden ganzheitlich ein, um daraus abzuleiten, welche Botschaft er/sie wirklich übermitteln will.
Take Home Messages
- Beginnen Sie damit, sich selbst kennenzulernen
- Ob es Ihnen als Führungskraft gelingen wird, Ihre Mitarbeitenden gut kennenzulernen, ist weniger eine Frage der Gesprächstechnik und der Messinstrumente als vielmehr eine Frage des Führungsstils und Ihrer Haltung
- Beachten Sie, dass die Menschen, die Sie führen, kulturübergreifend drei zentrale Bedürfnisse haben, welche sie antreiben: Bedürfnis nach (a) Auto-nomie/Freiwilligkeit, (b) Kompetenz und (c) sozialer Eingebundenheit
- Führen Sie mit einem Stil, welcher diesen Bedürfnissen gerecht wird, nehmen Sie eine empathische Haltung ein und suchen Sie den Austausch mit Ihren Mitarbeitenden
- Führen Sie nach dem Konzept der transformationalen Führung; legen Sie besonderen Wert auf den Aspekt der individuellen Betrachtung Ihrer Mitarbeitenden, um diese besser kennen zulernen
- Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Mitarbeitenden und hören Sie ihnen aktiv zu