Bauherr: Kontrolle und Haftung

Das schweizerische Zivilrecht kennt eine Mehrzahl von Normen, die dem Eigentümer von Grundstücken im Schadensfall eines Dritten, insbesondere eines Nachbarn, eine Haftung auferlegen. Diesen gilt es nicht zuletzt vor allem während der Bauphase besonders Rechnung zu tragen. In diesem Beitrag werden die einzelnen Haftungsgrundlagen beleuchtet und es wird darauf eingegangen, worauf der Bauherr zu achten hat, um sich bestmöglich zu schützen.

19.06.2025 Von: Silvia Eggenschwiler Suppan
Bauherr

Die Haftungsgrundlagen im Einzelnen

Dem Bauherrn als Eigentümer des Grundstücks können als ausservertragliche Haftungsgrundlagen im Wesentlichen die Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 des Obligationenrechts (nachfolgend: «OR»), die Grundeigentümerhaftung nach Art. 679 f. des Zivilgesetzbuches (nachfolgend: «ZGB») sowie die (allgemeine) Haftung aus unerlaubter Handlung nach Art. 41 OR entgegengehalten werden.

Im Haftpflichtrecht wird jede Haftungsgrundlage entweder der Verschuldenshaftung oder der Kausalhaftung zugeschrieben. Während eine Pflicht zum Ersatz des Schadens in Fällen einer Verschuldenshaftung nur dann entsteht, wenn der Schädiger schuldhaft – das heisst mindestens fahrlässig – gehandelt hat, wird er bei einer Kausalhaftung selbst dann ersatzpflichtig, wenn ihn keinerlei Verschulden trifft. Die Kausalhaftungen ihrerseits werden weiter in sogenannte milde oder strenge Kausalhaftungen sowie Gefährdungshaftungen unterteilt. Diese Unterscheidung ist von Bedeutung, da sich der potenziell Ersatzpflichtige bei den sogenannten milden Kausalhaftungen von der Ersatzpflicht durch den sogenannten Entlastungsbeweis befreien kann, während eine solche Möglichkeit bei den strengen Kausalhaftungen ausgeschlossen ist. Unter einer Gefährdungshaftung ist z.B. die Betriebshaftung des Motorfahrzeughalter nach Art. 58 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes zu verstehen. Da es keine Gefährdungshaftung des Bauherrn gibt, wird auf diese spezielle Haftungsart mangels Relevanz in diesem Beitrag nicht weiter eingegangen.

Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR

Art. 58 OR

1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.

[…]

Bei der Werkeigentümerhaftung handelt es sich um eine strenge Kausalhaftung zu Lasten des Eigentümers eines mangelhaften Werks. Wer Eigentümer ist, bestimmt sich nach den Regeln des Sachenrechts, wobei dies bei Bauten in aller Regel der im Grundbuch eingetragene Grundeigentümer ist.

Voraussetzung für die Begründung der Haftung ist, dass der Schaden aufgrund des fehlerhaften Werks entstanden ist. 

Als Werk gelten gemäss bundesgerichtlicher Definition «Gebäude oder andere stabile, künstlich hergestellte, bauliche oder technische Anlagen […], die mit dem Erdboden, sei es direkt oder indirekt, dauerhaft verbunden sind» (BGE 130 III 736 E. 1.1). Bei sich im Bau oder Umbau befindlichen Werken ist zu beachten, dass der Eigentümer nur insoweit gestützt auf Art. 58 OR zur Verantwortung gezogen werden kann, als dass das Werk seiner vorgesehenen Zweckbestimmung übergeben wurde (BGE 108 II 184 E. 1.b). Dieser Voraussetzung fehlt es beispielsweise, wenn sich das neu erbaute Wohnhaus im Rohbau befindet.

Ob ein Werk mängelbehaftet im Sinne des Art. 58 OR ist, bemisst sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich anhand der bei bestimmungsgemässem Gebrauch erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen (z.B. BGE 130 III 736 E. 1.3). Doch haftet der Werkeigentümer in gewissen Fällen auch für Schäden, die durch bestimmungswidrigen Gebrauch entstehen. Namentlich dann, wenn aufgrund der Beschaffenheit des Werks «augenfällig ist, dass Unvernunft und Unvorsicht zu schweren Schädigungen führen können» (BGE 130 III 736 E. 1.5). Da Baustellen gerade für Kinder und Jugendliche besondere Reize mit sich bringen, ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Baustelle nicht durch Unbefugte betreten werden kann. Dies wird z.B. durch geeignete Absperrungen und Beschilderungen («Betreten der Baustelle ist verboten») bewerkstelligt.

Die Werkeigentümerhaftung sieht keinen Entlastungsbeweis vor: Wenn ein Werk im soeben ausgeführten Sinne mangelhaft ist, kann dessen Eigentümer im Schadenfall nicht vorbringen, er habe die nötige Sorgfalt aufgewendet, um sich der Ersatzpflicht zu entziehen. Nur in seltenen Konstellationen lässt sich das Entfallen der Haftungspflicht begründen. Wenn z.B. das Eigenverschulden respektive die Unvorsichtigkeit des Geschädigten derart gross ist, so dass der Werkmangel nicht mehr als Hauptursache der Schädigung betrachtet werden kann (sog. Bruch der adäquaten Kausalkette), ist eine Werkeigentümerhaftung zu verneinen.

Grundeigentümerhaftung nach Art. 679 f. ZGB

Art. 679 ZGB

1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.

[…]

Auch bei der Grundeigentümerhaftung handelt es sich um eine strenge Kausalhaftung zu Lasten des Grundeigentümers, der sein Eigentumsrecht überschreitet. Dabei sind sämtliche Normen, insbesondere jene des Nachbarrechts, heranzuziehen. Eine Überschreitung des Eigentumsrechts kann sich demnach aus übermässigen Immissionen ergeben (Art. 684 ZGB). In Art. 685 ZGB hat der Gesetzgeber einen Sonderfall übermässiger Immissionen normiert, welcher besonders während der Bauphase von Relevanz ist: Das Nachbarsgrundstück schädigendes Graben und Bauen ist verboten, weshalb eine Verletzung dieses Verbots eine Haftpflicht nach Art. 679 ZGB auslösen kann. Dies allerdings nur dann, wenn die vorhandenen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Nachbarn gegenüber dem Bauherrn nicht (mehr) zielführend sind.

Praxisbeispiel (BGE 127 III 241 ff.)

Eine lecke Kanalisationsleitung wurde durch die Gemeinde als Grundeigentümerin abgedichtet, was zur Folge hatte, dass durch diese Leitung kein Grundwasser mehr abfliessen konnte. Deshalb stieg der Grundwasserspiegel an und es drang Wasser in das Untergeschoss einer angrenzenden Liegenschaft ein. 

Das Bundesgericht zog in Erwägung, dass es sich dabei um eine unzulässige Veränderung des Grundwasserspiegels handelte, da die Folgen der Bautätigkeit ungenügend abgeklärt und keine geeigneten Gegenmassnahmen getroffen wurden. Das Bundesgericht bejahte eine Haftung gestützt auf Art. 679 ZGB, da die Gemeinde ihre nachbarrechtliche Pflicht zur Aufnahme des abfliessenden Wassers nach Art. 689 ZGB verletzte.

Während zur Begründung einer Haftpflicht nach Art. 679 ZGB der Grundeigentümer seine Eigentumsrechte überschritten haben muss, sieht Art. 679ZGB auch bei rechtmässiger Bewirtschaftung ausschliesslich einen Schadenersatzanspruch des Nachbarn vor. Dieser Gesetzesartikel lautet im Detail wie folgt:

Art. 679a ZGB

Fügt ein Grundeigentümer bei rechtmässiger Bewirtschaftung seines Grundstücks, namentlich beim Bauen, einem Nachbarn vorübergehend übermässige und unvermeidliche Nachteile zu und verursacht er dadurch einen Schaden, so kann der Nachbar vom Grundeigentümer lediglich Schadenersatz verlangen.

Wie die Werkeigentümerhaftung kennt die Grundeigentümerhaftung als strenge Kausalhaftung keinen Entlastungsbeweis.

Schliesslich kann es vorkommen, dass ein Werkmangel im Sinne von Art. 58 OR die Überschreitung der Eigentumsrechte zur Folge hat und sowohl die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch des Nachbarn sowohl nach Art. 58 OR sowie nach Art. 679 ZGB erfüllt sind. Aufgrund des im Haftpflichtrecht herrschenden Grundsatzes des Bereicherungsverbots führt dieser Umstand allerdings nicht zu einem doppelten Schadenersatzanspruch des Nachbarn.

Haftung aus unerlaubter Handlung nach Art. 41 OR

Als weitere Haftungsgrundlage, aufgrund derer der Bauherr während der Bauphase im Schadensfall zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet werden könnte, kommt die als Verschuldenshaftung ausgestaltete Grundnorm nach Art. 41 OR in Betracht. 

Art. 41 OR

1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.

[…]

Im Gegensatz zu den Kausalhaftungen muss dem Bauherrn bei der Verschuldenshaftung ein Verschulden nachgewiesen werden, was bereits dann der Fall ist, wenn er fahrlässig gehandelt hat. Die Fahrlässigkeit des Handelns ist zu bejahen, wenn der Bauherr bei objektiver Betrachtungsweise nicht mit der nötigen Sorgfalt gehandelt hat. 

«Die Sorgfaltswidrigkeit ergibt sich aus dem Vergleich des tatsächlichen Verhaltens des Schädigers mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Situation des Schädigers […].» (BGE 137 III 539 E. 5.2)

Regressmöglichkeiten

Wird der Bauherr zum Ersatz des Schadens aufgrund seiner Eigentümerstellung verpflichtet, obwohl der entstandene Schaden auf eine relevante Fehlleistung des Bauunternehmers oder des Architekten zurückzuführen ist, so besteht die Möglichkeit, dass der Bauherr den Betrag des zu ersetzenden Schadens vom fehlbaren Unternehmer ersetzen lassen kann (vgl. hierzu Art. 50 Abs.2 OR und Art. 58 Abs. 2 OR).

Fazit für den Bauherrn

Der Bauherr trägt für sein Bauprojekt die Gesamtverantwortung. Da es sich bei den soeben dargelegten relevanten Haftungsbestimmungen vorwiegend um Kausalhaftungen handelt, die keinen Entlastungsbeweis zulassen, lässt sich das Risiko eines Schadens und damit eines Haftungsfalls nur durch die sorgfältige Auswahl der involvierten Unternehmen, deren geeignete Instruktion und laufende Kontrolle reduzieren. Fehlt dem Bauherrn hierfür die Fachkompetenz, ist er gut beraten, hierfür eine dritte Fachperson (spezialisierte Bauleitung und/oder Bauherrenvertretung) beizuziehen. 

Newsletter W+ abonnieren