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Verjährung: Fristen gemäss OR- und SIA Norm 118

Durch Verjährung geht ein Anspruch nicht unter, die Durchsetzbarkeit dieses Anspruches gegen den Willen des Schuldners endet jedoch. Auch Ansprüche aus Mängelrechten bei Bauwerken unterliegen der Verjährung.

10.03.2022 Von: Matthias Streiff
Verjährung

Terminologie und Grundlage

Als Verjährung bezeichnet man das Erlöschen der Durchsetzbarkeit eines Rechtes, eines Anspruches oder einer Forderung. Verjährte Forderungen gehen nicht unter, sie sind aber gegen den Willen des Gläubigers nicht mehr durchsetzbar. Die Verjährung ist vom Schuldner "einredeweise", also ausdrücklich durch Willenskundgabe, vorzubringen. Der Richter darf die Verjährung nicht von Amtes wegen berücksichtigen (OR 142). Verjährung kann beispielsweise durch Betreibung unterbrochen oder durch "Verjährungsverzicht" ausgeschaltet werden.

Umgangssprachlich verwandt, aber juristisch anders zu behandeln ist die "Verwirkung". Die Verwirkung lässt Ansprüche und Rechte tatsächlich untergehen. Die hinter der Verwirkung stehenden Rechte sind dann nicht mehr existent. Verwirkung ist immer an Ausübungsfristen gebunden. Werden gewisse Rechte zu spät ausgeübt, sind sie verwirkt und nicht mehr zu hören.

Die Rügefrist ist nicht mit der Verjährungsfrist gleichzusetzen. Rügefristen handeln von Zeitfenstern, während denen gewisse Rügen zu platzieren sind. Rügefristen sind aber oft Verwirkungsfristen.

Für den (Bau) Werkvertrag wurden die Verjährungsfristen per 1. Januar 2013 mit dem Kaufrecht synchronisiert. Im Werkvertragsrecht ist OR 371 massgebend, im Kaufrecht OR 210 einschlägig. Die SIA-Norm 118 wurde diesbezüglich nicht verändert.

Weitere Informationen zur Rügefrist finden Sie im Beitrag Rügefristen gemäss OR- und SIA-Norm 118.

Revision der Verjährungsfristen im Jahr 2020

Am 1. Januar 2020 ist das revidierte Verjährungsrecht in Kraft getreten. Die Ansprüche auf Schadensersatz oder Genugtuung verjähren neu mit Ablauf von drei Jahren (bisher: 1 Jahr), ab dem Tag an gerechnet, an welchem die geschädigte Person Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat (sogenannte relative Verjährungsfrist), jedenfalls aber – wie bisher – mit Ablauf von zehn Jahren, ab dem Tag, an welchem das schädigende Verhalten (Handeln oder Unterlassen) erfolgte oder aufhörte (sogenannte absolute Verjährungsfrist).

Eine längere absolute Verjährungsfrist gilt neu bei Personenschäden (Tötung eines Menschen oder Körperverletzung). In solchen Fällen verjährt der Anspruch auf Schadensersatz oder Genugtuung nunmehr nach zwanzig Jahren.

Auch im Bereich des Verjährungsverzichtes finden sich seit der Revision Neuerungen vor: Während ein Verjährungseinredeverzicht gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bis anhin bereits nach Vertragsschluss möglich war, kann ein Schuldner seit dem 1. Januar 2020 auf die Verjährungseinrede frühestens ab Beginn der Verjährung verzichten. Entsprechend muss die Verjährung einer Forderung bereits begonnen haben. In der Praxis dürfte dies teilweise Schwierigkeiten bereiten, da nicht immer klar ist, wann die Verjährungsfrist eines Anspruchs tatsächlich begonnen hat.

Im Bereich der Verjährung im Werkvertragsrecht gab es hingegen keine massgebenden Neuerungen. Art. 371 OR ist  unverändert.

Gemäss OR 371: Die Mängelrechte bei beweglichen Werken verjähren mit Ablauf von zwei Jahren ab Abnahmedatum.

Bei beweglichen Werken, die bestimmungsgemäss in ein unbewegliches Werk integriert wurden, verjähren die Mängelrechte fünf Jahre seit Abnahme.

Die Mängelrechte bei unbeweglichen Werken verjähren mit Ablauf von fünf Jahren seit der Abnahme des Werks.

Für absichtlich verschwiegene Mängel beträgt die Verjährungsfrist 10 Jahre ab Abnahmedatum, so die Usanz und bisherige Rechtslage. Doch die Gesetzesnovation im Kauf- und Werkvertragsrecht hat hier eine neue Argumentationslinie eröffnet: arglistige Täuschung hebelt die Verjährungseinrede aus, was zu unverjährbaren Ansprüchen führt (so OR 210 Abs. 6). Das wiederum widerspricht der Verjährungskonzeption des Privatrechts und würde schroffe Ausnahmetatbestände im Kauf- und Werkvertragsrecht schaffen. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt es noch nicht. Die Verjährungsfrist für arglistig verschwiegene Mängel beträgt nach der hier vertretenen Meinung 10 Jahre ab Abnahmedatum.

Gemäss SIA-Norm 118 Art. 180: Die Mängelrechte des Bauherrn verjähren fünf Jahre nach Abnahme des Werkes oder Werkteils.

Die absichtlich verschwiegenen Mängel verjähren nach 10 Jahren.

Da die SIA-Norm 118 wie AGB zum Vertragsbestandteil eines Bauwerksvertrages werden können und selber keine gesetzliche Kraft haben, stellt sich nun die Frage, wie weit über OR 371 i. V. m. OR 210 Abs. 6 die Verjährung für absichtlich verschwiegene Mängel noch auf 10 Jahre beschränkt bleiben kann, oder ob diese SIA - AGB Bestimmung über OR 199 aufgehoben wird, was dann zu unverjährbaren Ansprüchen aus absichtlich verschwiegenen Mängeln führen würde. Auch dazu gibt es noch keine höchstrichterliche Praxis.

Die allgemeinen Verjährungsfristen gemäss OR

Für alle nicht bauwerkspezifischen Fragen sind die allgemeinen Verjährungsfristen und Regeln des OR massgebend. Die SIA-Norm 118 regelt die Verjährung für den Unternehmerlohn nicht. So sind auch  OR 127 ff. dazu beizuziehen.

Der Werklohn verjährt grundsätzlich innert 10 Jahren (OR 127 Abs. 1) ab Entstehung des Anspruchs (ab Fälligkeit, OR 130 Abs. 1).

Mit Ablauf von 5 Jahren verjähren jedoch Werklöhne für Handwerksarbeit oder andere periodische Leistungen, so OR 128 Ziffer 3. Werkvertragsrecht kann periodische Leistungen umfassen, wenn ein Sukzessiv-Leistungs-Werkvertrag oder ein atypischer "Dauer-Werkvertrag" vorliegt. Handwerksarbeiten sind fast immer bei Werkverträgen involviert. Als Abgrenzungskriterium ist einzig die "industriellen" Fertigung heranzuziehen.

Wie kann ich die Verjährung verhindern? Kann ich diese unterbrechen?

Erfahrungsgemäss wird bei Bauwerkverträgen und Mängeln meist lange über Forderungen, Ursachen und Verantwortlichkeiten diskutiert. Der Bauherr läuft also Gefahr, dass seine Mängelrechte in der Zwischenzeit zu verjähren drohen. Umgekehrt läuft der Unternehmer Gefahr, dass seine Werklohnansprüche schon vor Ablauf der 10 Jahresfrist verjähren. Jede Partei wird daher interessiert sein, die Verjährungsfrist zu unterbrechen. Eine Mängelrüge oder Rechnungsstellung allein kann keine Verjährung unterbrechen.

OR 135 sieht Möglichkeiten zur Unterbrechung der Verjährung vor. Nach einer Unterbrechung beginnt die Verjährung wieder in voller Länge neu zu laufen. Die Verjährung kann unterbrochen werden:

  1. durch (schriftliche, damit beweisbare) Anerkennung des Anspruchs (OR 135 Ziffer 1);    
  2. durch konkludente Handlung einer Anerkennung des Anspruchs: Zins- oder Abschlagszahlung, Pfand- und Bürgschaftsbestellung (OR 135 Ziffer 1);
  3. durch Verzicht auf Geltendmachung der Verjährungseinrede ("Verjährungsverzicht");
  4. durch Anhebung eines Schlichtungsgesuches oder tatsächliche Einleitung der Klage vor Gericht (OR 135 Ziffer 2) gegen den Schuldner oder
  5. durch Anhebung einer Schuldbetreibung (OR 135 Ziffer 2) (dies trifft nur auf Geldforderungen zu, nicht hingegen auf das Recht der Nachbesserung. Dafür bedarf es zur Unterbrechung der Anhebung einer Zivilklage).

Erweiterung und Anpassung der Hinderungs-und Stillstandsgründe

Schliesslich wurde im Rahmen der Gesetzesrevision auch der Katalog der Hinderungs- und Stillstandgründe der Verjährung per 1. Januar 2020 angepasst und erweitert.

Insbesondere beginnt die Verjährung neu auchwährend Vergleichsgesprächen oder sonstiger aussergerichtlichen Streitbeilegungen nicht zu laufen bzw. steht still. Dies jedoch nur, sofern die Parteien dies schriftlich vereinbaren. Im Gegensatz zum einseitigen Verzicht der Verjährungseinrede müssen hier beide Parteien unterzeichnen, um den Lauf der Verjährung zu hemmen.

Zudem beginnt die Verjährung nicht bzw. steht still, falls sie begonnen hat, solange eine Forderung aus objektiven Gründen vor keinem Gericht (weder im Inland noch im Ausland) geltend gemacht werden kann. 

Geht es um die Unterbrechung der Verjährung, existiert doch eine verbreitete Vernunft zwischen Bauherrn und Unternehmern (sowie den Versicherern), die bei der Abwicklung von Baumängeln zu einer fast standardmässigen Verwendung von "Verjährungsverzichten" führt. Das sind Vereinbarungen unter den strittigen Parteien, eine Verjährungseinrede in einem Prozess geradezu nicht vorzubringen. So kann die Gefahr der Verjährung mit geringem Kollateralschaden gebannt oder zumindest verzögert werden.

Beispiel: BGer 4A_111/2018: OR 135 Ziff. 1, OR 371: Die Mitwirkung der Unternehmerin bei einem technischen Gutachten zur Abklärung der Ursachen aufgetretener Mängel stellt keine konkludente Schuldanerkennung dar und unterbricht die Verjährung nicht.

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