Selbstfürsorge: Sich selbst auf Augenhöhe begegnen
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Selbstfürsorge als wichtige Basis
Selbstfürsorgliches Verhalten setzt also Selbst-Aufmerksamkeit und Selbst-Mitgefühl voraus. Die Selbst-Aufmerksamkeit – im Sinne eines inneren Beobachters, der auf den verschiedenen Seins-Ebenen wahrnimmt, was in uns passiert – dient als Sensorium, das uns Informationen über unsere Befindlichkeit liefert.
Selbst-Mitgefühl, im Sinne einer wertschätzenden, einfühlenden und freundlichen Haltung uns selbst gegenüber, nimmt diese Informationen ernst und schafft damit Zugang zu unserem fürsorglichen Teil, der sich daraufhin unserem bedürftigen Teil zuwenden kann.
Wenn dieser ideal beschriebene Ablauf so stattfinden kann, erfahren wir in uns selbst Zuwendung, Trost und Verbundenheit. Er generiert eine Erfahrung von Selbstwirksamkeit, die unserem Organismus ein positives Feedback liefert, den Selbstkontakt vertieft und Stress deutlich reduzieren kann.
Selbstfürsorge auf alle Seinsebenen
Selbstfürsorge findet auf allen Seins Ebenen des Menschen statt: auf der körperlichen, emotionalen, kognitiven, sozialen und spirituellen Ebene. Die Strategien dazu können individuell sehr verschieden aussehen. Langfristig erfolgreiche Selbstfürsorge-Strategien weisen aber immer folgende zwei Gemeinsamkeiten auf: Sie werden erstens von einer akzeptierenden und wohlwollenden inneren Haltung getragen und zeichnen sich zweitens durch eine gute Balance zwischen Tun und Sein, Aktivierung und Entspannung, Zeit mit Anderen und Zeit für sich aus.
Doch warum fällt uns Selbstfürsorge immer wieder so schwer? Die Antworten darauf finden wir sowohl in unserer Vergangenheit als auch in der Gegenwart. In unserer frühen Kindheit sind wir darauf angewiesen, dass unsere Bedürfnisse durch fürsorgliche Bezugspersonen erkannt und befriedigt werden. Passiert dies in einem ausreichenden Maß, so lernen wir als Kind nach und nach, die Botschaften, die uns unser Körper schickt, zu verstehen und unsere Bedürfnisse wenn möglich selbst zu regulieren.
Entwicklung eines Inneren fürsorgliche Teils
Wir lernen, einen eigenen inneren fürsorglichen Teil zu entwickeln. Passiert dies nicht in einem ausreichenden Maß, so gewöhnen wir uns mit der Zeit daran, unsere instinktiven Impulse, körperlichen Bedürfnisse und Emotionen zu unterdrücken, zu ignorieren oder ganz einfach abzuschalten. Erfolgreiche Strategien zeichnen sich durch eine gute Balance zwischen Tun und Sein, Aktivierung und Entspannung, Zeit mit Anderen und Zeit für sich aus.
Daraus können sich feste Verhaltensweisen und Überlebensstrategien entwickeln. Diese helfen uns in dieser frühen Zeit unseres Lebens, einen Sinn und wirkungsvollen Umgang mit nicht optimalen Umständen zu finden. Als Erwachsene wenden wir zum Teil immer noch die gleichen Schutzstile an, wenn wir mit herausfordernden Umständen konfrontiert sind, obwohl wir schon längst viel differenziertere und adäquatere Verhaltensalternativen zur Verfügung hätten.
Die alten Schutz- und Kompensationsstile erschweren es, unsere Selbst-Aufmerksamkeit nach innen zu richten, um so die relevanten Feedbacks wie Müdigkeit, Schmerzen und Stress unseres Organismus wahrzunehmen und fürsorglich darauf zu reagieren. Dass wir in akuten Stressphasen unsere Aufmerksamkeit im Außen haben, ist normal und biologisch sinnvoll.
Es erklärt aber auch, warum permanenter Stress ohne genügende Entspannungsphasen auf die Dauer ungesund ist: Mit dem ausschließlichen Fokus auf das Außen nehmen wir die Signale unseres Organismus nicht wahr und horchen erst auf, wenn wir dazu gezwungen werden, zum Beispiel durch Krankheit oder Unfall.
Fehlen von guten Beispielen
Ein weiterer Grund, dass Selbstfürsorgeverhalten uns nicht einfach fällt, besteht darin, dass uns gute Beispiele in der Gegenwart fehlen. Fest steht: Je mehr gute Modelle mir als Kind (Mutter, Vater, Lehrer) zur Verfügung standen, und je mehr gute Modelle mir als Erwachsener (Kultur, Vorgesetzte, Partner, Freunde) zur Verfügung stehen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit mir selbst einen liebevollen Umgang pflegen kann.
Unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen hierfür häufig keine besonders guten Voraussetzungen. Viele Menschen bewegen sich in einem Arbeitsumfeld, in dem eher Anpassung und Charakterstile gefragt sind. Der Spielraum für berufliche Selbstfürsorge ist manchmal eher eingeengt. Überstunden sind nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Alle sind jederzeit erreichbar. Kranksein wird dann medikamentös unterdrückt. Der technokratische Glauben der Machbarkeit führt in manchen Unternehmen zu den Steigerungsformen von «viel, mehr, am meisten» zu «viel, mehr, am meisten und noch mehr». Daher bedarf dies eines entsprechenden Bewusstseins.
Eine idealen Umgebung wird es nur bedingt geben. Weder für Kinder, noch als Erwachsene. Die gute Nachricht: Das erwachsene Selbst ist in der Lage, für sich Verantwortung zu übernehmen. Wir haben als Erwachsene die Möglichkeit, mit Störungen umzugehen und sind nicht mehr auf Gedeih und Verderb auf fürsorgliche Betreuung angewiesen.
Wir haben jedoch immer ein gewisses Maß an Wahl und Gestaltungsmöglichkeiten und können uns aktiv für Selbstfürsorge entscheiden. Auf gesellschaftlicher Ebene gilt es, sich für gute Rahmenbedingungen einzusetzen. Die hohen Zahlen von Erkrankungen aus dem Bereich depressiver Störungen und die daraus resultierenden hohen Folgekosten für Staat und Wirtschaft lassen öffentliche Hand und Wirtschaft aufhorchen.
Der Fokus verschiebt sich etwas in Richtung Erhaltung der längerfristigen Leistungsfähigkeit durch gesundheitserhaltende Maßnahmen am Arbeitsplatz. Nutzen Sie die Spielräume, die an Ihrem Arbeitsplatz bestehen (Teilzeitarbeit, Vaterschaftsurlaub, voller Ferienbezug, Überzeitkompensation). Nutzen Sie Ihre privaten (Beziehungsgestaltung, Freizeit) und persönlichen Spielräume (Stärken, Begabungen).
Vertrauen Sie darauf, dass Ihr erwachsenes Selbst Fähigkeiten besitzt, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Geben Sie sich selbst die Erlaubnis, dass Sie Ihr Leben entschleunigen, sich selbst im Hier & Jetzt wahrnehmen und für sich Reduktion und Einfachheit suchen.
Und noch eine gute Nachricht: Selbst-Aufmerksamkeit und Selbst-Mitgefühl, die beiden Grundpfeiler für Selbstfürsorge, sind erlernbar. Nicht nur in der Kindheit, sondern auch im Erwachsenenalter.
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Selbstfürsorgebeispiele für selbstfürsorgliches Verhalten
Körperliche Selbstfürsorge
Auf Signale des Körpers achten, regelmäßig essen, körperliche Aktivitäten ausüben, die Spaß machen, sich entspannen (Ferien, Pausen, Schlafen), im Krankheitsfall daheim bleiben.
Emotionale Selbstfürsorge
Gefühle wahrnehmen. Ausdruck von Ärger, Wut, Trauer, Liebe, Freude, Heiterkeit, Humor. Zeit verbringen mit anderen Menschen, persönlich wichtige Beziehungen pflegen. Möglichkeiten zum Lachen und zur Lebensfreude suchen. Sich Zeit nehmen, für sich sein. Genießen. Feiern. Lieblingsfilme, -Musik, -Bücher.
Kognitive Selbstfürsorge
Sich Zeit nehmen zum Nachdenken und Reflektieren. Tagebuch schreiben. Auf eigene Gedanken, Meinungen, Glauben, Haltungen achtgeben. Sich selbst loben. Seinen Geist für neue Bereiche öffnen. Umgang mit negativen Glaubenssätzen lernen.
Soziale Selbstfürsorge
Mit anderen Menschen zusammen sein. Pflege von sozialen Kontakten durch Begegnungen, gemeinsame Erlebnisse. Konflikte ansprechen und klären, für sich einstehen. Anderen Menschen verschiedene Aspekte der eigenen Person zeigen.
Spirituelle Selbstfürsorge
Persönlichen Werten einen eigenen Platz im Leben einräumen. Dankbarkeit. Bescheidenheit. Akzeptanz und Hingabe. Optimismus, Hoffnung und Vertrauen pflegen. Offen sein für neue Inspiration. Beten. Meditieren. Sich mit der Natur verbinden.
10 Selbstfürsorge-Übungen
1. Selbstfürsorge-Übung für den Start in den Tag
Überlegen Sie sich am Morgen als Erstes einen schönen, stärkenden Gedanken, der Sie durch den ganzen Tag begleitet.
2. Die Mikropause
Sie können sie überall machen, sie dauert nur ein paar Sekunden und sie funktioniert hervorragend: die Mikropause! Wir haben oft nicht die Zeit für Pausen, aber die Mikropause geht immer!
Und so funktioniert sie: Ziehen Sie Ihre Schultern hoch und atme dabei tief ein. Wenn Sie mögen, können Sie dabei auch die Augen schließen. Atmen Sie kräftig aus, während Sie die Schultern fallen lassen und zähle Sie bis 3. Nach dem Ausatmen lächeln Sie. Und schon ist die Mikropause wieder vorbei.
Die Mikropause können Sie sooft wiederholen wie Sie mögen. Je mehr Sie sie machen, umso mehr wirkt sie. Sie werden erstaunt sein, wie viel Unterschied das macht.
3. Psychohygiene
Sie kennen bestimmt auch den Spruch: Ordnung ist das halbe Leben! Das beziehen wir meist auf äußeres, wie die Wohnung, der Garten oder das Auto. Aber was ist mit der Ordnung in unserer Seele? Was tun, wenn es mal Chaos und Unordnung in unserem Inneren gibt? Wer räumt das dann auf?
Das könne nur Sie selbst! Deshalb lege ich Ihnen sehr ans Herz, dass Sie immer mal wieder Zeit für Ihre Psychohygiene nehmen. Gerade der Herbst eignet sich dafür ganz besonders gut.
4. Hören Sie sich zu!
Diese Selbstfürsorge Übung sollte Sie immer begleiten: Stellen Sie sich selbst immer und immer wieder die Fragen: Was will ich wirklich? Was tut mir gut? Was brauche ich gerade im Moment? Es ist ein wichtiger Schritt für ein glückliches und erfülltes Leben, herauszufinden, was Sie wirklich brauchen und was Ihnen gut tut. Hier gibt es keine 0815 Antwort, denn das ist bei jedem anders. Deshalb hören Sie gut in sich hinein.
Es geht es erst einmal darum, wahrzunehmen, was Sie brauchen und dass Sie Ihre Wahrnehmungsfähigkeit trainieren. Es geht noch nicht darum, Ihre Bedürfnisse direkt zu erfüllen. Nehmen Sie sich gerne einen längeren Zeitraum (1-2 Wochen) und hören Sie einfach immer wieder in sich rein und frage Sie sich: Was bräuchte ich gerade, damit ich mich wohler fühle? Was täte mir jetzt gut? Schreiben Sie sich die Punkte am besten in einer Bedürfnisliste auf.
5. Achten Sie Ihre Bedürfnisse
Jetzt geht es darum, dass Sie das, was Sie in Punkt 3 geübt und wahrgenommen haben, auch umsetzten. Was steht auf Ihrer „Das brauche ich“ Liste? Versuchen Sie jeden Tag eine Sache davon umzusetzen. Das dürfen auch kleine Portionen sein. Wenn zum Beispiel auf Ihrer Bedürfnisliste „Ruhe und Entspannung“ steht, dann muss das nicht immer eine ganze Stunde meditieren sein. 5 Minuten Ruhe und nichts tun sind besser als nichts und leichter machbar, als eine Stunde. Also, beginnen Sie mit kleinen Einheiten, die für Sie leicht umsetzbar sind und keinen Stress in dir auslösen.
6. Erlaube Sie es sich, für sich zu sorgen
Ja, Sie dürfen sich um sich kümmern. Nein, die anderen sind nicht wichtiger als Sie. Ja, Sie dürfen sich die Zeit für sich nehmen. Die Spülmaschine, Wäsche oder Autowaschen kann warten. Das ist nicht wichtiger als Ihr Wohlbefinden! Geben Sie sich selbst immer wieder die Erlaubnis dazu. Besonders dann, wenn es eine Stimme in Ihnen gibt, die etwas anderes sagt. Diese Selbstfürsorge Übung ist essenziell, denn wenn Sie es sich selbst nicht erlauben, dass Sie sich gut um sich selbst kümmern, wird es schwierig.
7. Atmen Sie sich glücklich
Wiewir atmen, hat einen großen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. Wir können damit unseren Stresspegel nach oben oder auch nach unten regulieren. Und wir können unsere Stimmung damit auch wesentlich beeinflussen. Deshalb achten Sie darauf, dass Sie immer mal wieder tief durchatmen. Je öfter, desto besser.
8. Eine Minute für Ihre gute Laune
Lächeln Sie 60 Sekunden am Stück, ohne Unterbrechung. Da bekommen Sie sofort bessere Laune. Das ist sogar wissenschaftlich bestätigt. Wichtig ist, dass die 60 Sekunden wirklich am Stück sind, 2 x 30 Sekunden geht nicht.
9. Bewegen Sie sich
Gehen Sie jeden Tag spazieren, am besten 30 Minuten. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass spazieren gehen am besten dabei hilft Stress abzubauen. Und außerdem tut Bewegung einfach gut und pustet den Kopf frei!
10. Feiern Sie den Tag
Halte am Abend inne und überlegen Sie: Was war alles gut heute? Was war heute alles schön? Worüber habe ich mich gefreut? Das können auch ganz kleine Momente gewesen sein. Es geht darum, den schönen Momenten des Tages noch mal extra Raum zu geben. Schreiben Sie sich diese kleinen Glücksmomente in ein Tagebuch auf und halten Sie diese so fest.
Aktion: Tun, ausprobieren und dran bleiben!
Toll, dass Sie die Tipps durchgelesen haben! Nur dadurch wird sich noch nichts in Ihrem Leben ändern. Deshalb ist es wichtig, dass Sie die Übungen auch in Ihrem Alltag tatsächlich umsetzten Also, los geht‘s! Suchen Sie sich 5 Selbstfürsorge-Übungen aus der Liste aus, die Sie am meisten ansprechen, und probiere sie aus. Wenn die Übung dann doch nicht so gut für Sie ist, wie du dachtest, probieren Sie einfach eine andere. Wichtig ist, dass die Übungen gut in Ihren Alltag passen und Ihnen Spaß machen.
Wenn Sie dann Ihre Top 5 Selbstfürsorge-Übungen gefunden haben, geht es darum dranzubleiben. Dafür setzen Sie sich am Anfang am besten Erinnerungen, damit Sie auch wirklich dran denken. Sie können sich den Handy-Wecker stellen, der Sie daran erinnert, eine Atempause einzulegen. Oder Sie kleben sich ein Post-it an Ihren Rechner, der Sie an die Mikropause erinnert. Es dauert in der Regel 60 – 80 Tage, bis wir uns an neue Gewohnheiten gewöhnen und sie ganz automatisch in uns ablaufen. So lange sollten Sie aktiv dranbleiben und immer wieder deine Übungen machen. Auch wenn sich das lange anhört, es lohnt sich!