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Ferien: Dürfen Mitarbeiter in den Ferien kontaktiert werden?

Das Konzept der ständigen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Mitarbeitern gewinnt im heutigen Arbeitsumfeld zunehmend an Relevanz. So ist es in den meisten Branchen üblich, dass die Arbeitnehmer mit Smartphones und Laptops ausgestattet werden, wodurch sie jederzeit und von überall erreichbar sind. Spätestens seit der Corona-pandemiebedingten Homeoffice-Pflicht ist es mittels Remote-Desktops auch weitestgehend möglich, per Fernzugriff von jedem Standort aus zu arbeiten.

17.01.2023 Von: Michael Kummer
Ferien

Arbeitszeit

Die positive Entwicklung in der Koordinierung, Effizienz und Flexibilität der Arbeit ist aber ein zweischneidiges Schwert, denn die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwässern zusehends. Insbesondere die Bedeutung der Ferien scheint angesichts dieser Dynamik neue arbeitsrechtliche Fragen aufzuwerfen: Wie weit geht der Ferienanspruch? Wann ist es in Ordnung, den Arbeitnehmer in den Ferien zu kontaktieren? Wann hat der Arbeitnehmer erreichbar zu sein? Kann der Arbeitnehmer sich während den Ferien vollständig ausklinken?

Bevor die Ferien thematisiert werden, ist zu beleuchten, was unter der Arbeitszeit verstanden wird. Art. 13 Abs. 1 ArgV 1 liefert für die Arbeitszeit die folgende Legaldefinition: «[…] Zeit, während der sich der Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitsgebers zu halten hat […]». Zur Verfügung der Arbeitgeberin hält sich, wer im wesentlichen Interesse der Arbeitgeberin handelt. In dieser Zeit steht der Arbeitnehmer unter der wirtschaftlichen Verfügung der Arbeitgeberin und hat die damit verbindlichen Bedürfnisse durch körperliche oder geistige Arbeit zu erfüllen. Der Arbeitnehmer ist während dieser Zeit zur Arbeit verpflichtet (SHK-Lienhart, Art. 321c, N 26). Dem gegenüber steht der Anspruch auf Freizeit, Ferien und Urlaub.

Ferienanspruch und Erholungszweck

Grundsätzlich umfasst der Ferienanspruch von Arbeitnehmern zwei Elemente: Zum einen die Befreiung von der Arbeitspflicht zwecks Erholung und zum anderen die Gewährung des Lohnanspruchs während der Ferienzeit (vgl. BGE 122 V 435/439 E. 3b). Dieser einheitliche Anspruch auf Ferien fliesst aus der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin. Sie enthält im Allgemeinen die Pflicht, die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu wahren und zu schützen.

Das Pendant auf Arbeitnehmerseite ist die Treuepflicht zur Arbeitgeberin, wodurch auch ihre Interessen in guten Treuen gewahrt werden. Diese wechselseitigen Nebenpflichten sind nicht explizit im Gesetz geregelt, ergeben sich aber aus dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie aus besonderen gesetzlichen Einzelpflichten. Im Kontext der Ferien sind die relevanten Bestimmungen zur Konkretisierung in Art. 329 ff. OR zu finden.

Nach Auslegung von Art. 329a OR sind Ferien eine zum Voraus bestimmte Zahl aufeinander folgender freier Tage zum Zweck der Erholung. Sie dienen primär der körperlichen und geistigen Erholung sowie der Selbstverwirklichung des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer soll durch die Ferien namentlich die Möglichkeit erhalten, sich von der Arbeit zu entspannen, am kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und familiären Leben intensiver teilzunehmen. Der Zweck der Erholung ist die Förderung der Gesundheit sowie Leistungsfähigkeit und die Verminderung von Absenzen der Arbeitnehmer (BK-Rehbinder/Stöckli, Art. 329a, N 1). Wird dieser Erholungszweck nicht erreicht, liegt kein Ferienbezug vor.

Folgt man dem Erholungszweck, so ist es im Interesse der Arbeitgeberin und des Arbeitnehmers, dass die Ferien möglichst jedes Jahr vollständig gewährt und mindestens zwei Wochen zusammenhängend bezogen werden (Art. 329c Abs. 1 OR). Für den restlichen Ferienanspruch können die Ferientage einzeln bezogen werden. Die Arbeitgeberin hat einem solchen Wunsch des Arbeitnehmers allerdings nicht voll zu entsprechen, da diese Art des Bezugs nicht umfassend dem Erholungszweck entspricht. Letztlich geht es bei den Ferien um die Regenerierung nach erbrachter Arbeit und zugleich um die Stärkung für zukünftige Leistung (Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag: Kommentar zu den Art. 319–343 OR, S. 264–265).

Kontaktaufnahme und Erreichbarkeit während Ferien

Wie sich ein Kontakt mit dem Arbeitnehmer während dessen Ferien verträgt, ist primär nach dem Erholungszweck zu bestimmen. Befindet sich der Arbeitnehmer in den Ferien, ist er von der Arbeitspflicht befreit und grundsätzlich nicht an die Weisungen der Arbeitgeberin gebunden (SHK-Prinz/Geel, Art. 329c, N 2). Wird von der Arbeitgeberin trotzdem eine ständige oder zumindest regelmässige Erreichbarkeit resp. Verfügbarkeit erwartet, kann die dauernde Arbeitsbereitschaft zu einer sog. «erhöhten Grundspannung» beim Arbeitnehmer führen. Im Kontext der Ferien spricht dieses Spannungsverhältnis gegen die vom Gesetzgeber gewollte «Tiefenerholung» (Schnider, Schutz des Arbeitnehmers vor psychischem Druck, Bern 2017, S. 63-87, S. 81). Dadurch wird der Erholungszweck der Ferien vereitelt und dem Arbeitnehmer die Zeit zur Erholung verwehrt.

Die Zeit, die ein Arbeitnehmer aufwendet, um einen Anruf entgegenzunehmen, ein Gespräch zu führen, eine E-Mail zu lesen und zu beantworten oder an einer Videokonferenz teilzunehmen, wird sowohl öffentlich- wie privatrechtlich als Arbeitszeit eingestuft (Rudolph/von Kaenel, Aktuelle Fragen zur Arbeitszeit, AJP 2012, S. 197 ff., S. 207). Die Aufzählung ist nicht abschliessend, denn es geht um die Zeit, die der Arbeitnehmer im Interesse der Arbeitgeberin aufwendet. Welche Handlungen konkret davon erfasst werden, ist aus dem Kontext des Arbeitsverhältnisses zu schliessen.

Wird der Arbeitnehmer aufgrund seiner ständigen Erreichbarkeit häufig gestört, so dass die störungsfreie Zeit derart kurz wird, dass sie nicht mehr sinnvoll als Ferien verwendet werden kann, wird die aufgewendete Zeit hauptsächlich im Interesse des Arbeitgebers verbracht und ist in diesem Umfang als Arbeitszeit einzustufen (Rudolph/von Kaenel, S. 207). Im Ergebnis kann die aufgewendete Zeit nicht als Ferienbezug qualifiziert werden, weshalb das Ferienguthaben des Arbeitnehmers in diesem Umfang unverändert bleibt. Dieser Ansatz gilt auch für Arbeitnehmer in Kaderpositionen, denn im Gegensatz zu den gesetzlichen Höchstarbeitszeiten, für welche das Arbeitsgesetz bei den höheren leitenden Angestellten die Anwendbarkeit ausschliesst (vgl. Art. 3 lit. d ArG), kennt das OR keine solchen Ausnahmen in Bezug auf die Ferien (Schnider, S. 82).

Davon abzugrenzen ist allerdings die alleinige Bereitschaft der Arbeitnehmer (Rudolph/von Kaenel, S. 207). Während Tätigkeiten wie die Bearbeitung von E-Mails und das Entgegennehmen von Anrufen in den Ferien Arbeitszeit darstellt, gilt dies nicht für die Zeit, in welcher der Arbeitnehmer die Kommunikationsgeräte lediglich bei sich trägt, sie aber nicht für den Geschäftszweck verwendet. Denn diese Zeit wird nicht im wirtschaftlichen und hauptsächlichen Interesse der Arbeitgeberin verbracht (SHK-Lienhart, Art. 321c, N 26).

Grundsatz und Ausnahmen

Im Grundsatz ist es nicht mit dem Erholungszweck vereinbar, Arbeitnehmer in ihrer Ferienzeit zu kontaktieren. Im Zweifelsfall ist davon auszugehen, dass die während den Ferien mit Arbeit verbrachte Zeit keinen Ferienbezug darstellt und als Arbeitszeit zu qualifizieren ist. Dieser Ansatz ergibt sich aus der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin und der Auslegung der Art. 329 ff. OR. Gleichwohl sind aus der wechselseitigen Treuepflicht des Arbeitnehmers Ausnahmen für diesen Grundsatz abzuleiten.

Eine Ausnahme lässt sich dort finden, wo der Kontakt nicht für Arbeitseinsätze oder Informationsabgabe und Auskünfte erfolgt. Dies ist konkret der Fall, wenn die Erreichbarkeit sich auf Notfälle im Zusammenhang mit dem Arbeitsbetrieb beschränkt (von Kaenel, Die ständige Erreichbarkeit des Arbeitnehmers, ARV 2009, S. 1 ff., S. 9). Rechtlich wird diese Ausnahme mit Art. 26 Abs. 1 ArGV 1 begründet, wo betriebliche Notfälle als Ausnahmetatbestand für die Verpflichtung zur Überzeitarbeit an Wochenenden gelten. Analog wird deshalb auch die Kontaktaufnahme wegen Betriebsnotfällen bei Ferienabwesenheit gerechtfertigt. Der betreffende Arbeitnehmer hat hier grundsätzlich erreichbar zu sein, wenn dies nur für betrieblichen Notfälle erwartet und beansprucht wird (Schnider, S. 81). Die bei einem Notfall aufgewendete Zeit beeinflusst den Ferienbezug und das Ferienguthaben nicht. In der Praxis kann in diesem Zusammenhang für Arbeitnehmer in Kaderpositionen oder bei solchen mit leitender Verantwortung ein grosszügigerer Massstab angewendet werden (SHK-Prinz/Geel, Art. 329a, N 20).

Der Ferienbezug ist ebenfalls zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer freiwillig auf dem Laufenden bleibt, indem er Anrufe entgegennimmt oder E-Mails beantwortet (Rudolph, Fokus Arbeitsrecht: Zankapfel «Ferien», TREX 2013, S. 166 ff., S. 168). Dasselbe gilt bei der Verrichtung von Arbeitsleistung auf freiwilliger Basis, das heisst ohne konkreten Auftrag oder Anordnung. Wichtig ist hier, dass keine direkten oder indirekten Instruktionen der Arbeitgeberin vorliegen, welche auf eine Weisung zur Erreichbarkeit oder Verfügbarkeit während der Ferienzeit deuten. Der Fall wird zunehmend einfacher, wenn die Arbeitgeberin bspw. ausdrücklich anordnet, keine E-Mails in der Ferienzeit zu bearbeiten. Tut der Arbeitnehmer dies trotzdem, handelt er weisungswidrig und entschieden freiwillig. Die reduzierte Erholung des Arbeitnehmers kann als Folge kaum der Arbeitgeberin angerechnet werden und der Ferienbezug ist nicht zu beanstanden (Geiser/Müller/Pärli, Arbeitsrecht in der Schweiz, 4.A., N 489a).

Trotz dieser Ausnahmen müssen sich die Arbeitgeberinnen bewusst sein, dass sie durch Duldung von Arbeit während der Ferienzeit Gefahr laufen, die geleistete Arbeit stillschweigend zu genehmigen. Es ist entscheidend, dass Arbeitgeberinnen freiwillige Einsätze der Arbeitnehmer in den Ferien beobachten und gegebenenfalls ablehnend darauf reagieren, insofern diese unerwünscht sind (SHK-Lienhart, Art. 321c, N 30).

Fazit

Es darf vom Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verlangt werden, während den Ferien erreichbar zu sein oder Arbeit zu verrichten. Weisungen der Arbeitgeberin, welche auf ein solches Verhalten abzielen, stehen dem Erholungszweck der Ferien entgegen und sind nicht zulässig. Ausnahmen bestehen allerdings, wenn der Arbeitnehmer freiwillig Anrufe entgegennimmt, auf E-Mails antwortet oder Arbeitsleistung darüber hinaus erbringt. Das Mass der Freiwilligkeit ist hierbei von zentraler Bedeutung. Unter Umständen hat die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer aufmerksam zu machen, dass nicht erwartet wird, während der Ferienzeit Arbeit zu leisten. Gleiches gilt auch für Arbeitnehmer in Kaderpositionen. Handelt es sich bei der Kontaktaufnahme hingegen um betriebliche Notfälle, ist diese grundsätzlich zulässig. Insbesondere dürfte hier die Schwelle zum unerlaubten Kontakt bei Arbeitnehmern in leitenden Positionen deutlich höher liegen. Letztlich ist stets zu beachten, dass die Ferien dem Erholungszweck der Arbeitnehmer dienen. Wird der Erholungszweck durch unverhältnismässige Kontaktaufnahme vereitelt, kann die dafür aufgewendete Zeit nicht als Ferienbezug angerechnet werden.

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