State of the Art
Fast alle Arbeitgeber statten ihre Mitarbeitenden heute mit elektronischen Geräten aus. Was mit dem Pager begann, führte übers Handy und den Blackberry bis hin zum Smartphone. In manchen Branchen und Funktionen gehören Laptops mit UMTS-Anschluss längst zum Standard. Mit dem Einsatz mobiler Geräte geht die Erwartung einher, dass die Mitarbeitenden über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus oder gar ständig via Telefon, E-Mail oder SMS erreichbar und für Arbeitsleistungen abrufbar sind.
Diese Entwicklung wird anhalten und macht auch vor öffentlichen Unternehmen keinen Halt: Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die Stadtpolizei Zürich ihre Polizisten mit Smartphones ausrüstet, um so eine bessere Erreichbarkeit in Alarmsituationen zu erreichen. An diesem neuen Alarmierungskonzept, das sich in einer Pilotphase bewährt hat und nun definitiv eingeführt wurde, nehmen über 840 Polizisten auf freiwilliger Basis teil. Wer dies tut, gibt dem Kommando seine private Handynummer bekannt und verpflichtet sich, sein Telefon im Rahmen des Zumutbaren in der Freizeit auf sich zu tragen, im Alarmfall einzurücken und das Handy während des Dienstes für berufliche Zwecke zu nutzen. Im Gegenzug erhalten die Polizisten dafür ein vergünstigtes Smartphone und eine Entschädigung von 20 Franken für die Handyrechnung.
Belastung wirft Fragen auf
Es ist liegt auf der Hand, dass diese neue Form von Arbeitsbeanspruchung in verschiedener Hinsicht zur Belastung für die Mitarbeitenden werden kann. Beispielsweise kann eine durch die ständige Erreichbarkeit ausgelöste Grundanspannung des Arbeitnehmers zu Stresssituationen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, zumindest aber wird das Abschalten schwieriger. Ebenso kann das Privat- und Familienleben leiden, wenn ein Mitarbeiter am Feierabend oder in den Ferien ständig damit rechnen muss, mit geschäftlichen E-Mails oder Anrufen konfrontiert zu werden.
In arbeitsrechtlicher Hinsicht stellen sich vor allem Fragen des Persönlichkeitsschutzes, des Datenschutzes, der Arbeits- und Ruhezeit sowie weiterer arbeitsgesetzlicher Normen, der Entlöhnung, des Auslagenersatzes, des Ferienrechts und der einseitigen Einführung durch den Arbeitgeber. Die schweizerische Arbeitsrechtswissenschaft hat sich damit noch kaum befasst und die Rechtsprechung dazu ist ebenfalls so gut wie nicht vorhanden. Dennoch soll versucht werden, einigen der skizzierten arbeitsrechtlichen «Hotspots» im Folgenden etwas schärfere Konturen zu verleihen.
Schlüsselfrage der Arbeitszeit
Die Beantwortung zahlreicher arbeitsrechtlicher Folgefragen hängt von der Schlüsselfrage ab, ob – und wenn ja, inwieweit – eine ständige Verfügbarkeit des Arbeitnehmers als Arbeitszeit einzustufen ist. Mit dem Begriff der Arbeitszeit hat sich der Gesetzgeber primär in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) beschäftigt, wonach als Arbeitszeit diejenige Zeit gilt, «während der sich der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat». Diese Formulierung ist über die direkte Weisungsunterwerfung hinaus in einem umfassenderen Sinn zu verstehen: Jede Zeitspanne, die der Arbeitnehmer mit Willen des Arbeitgebers in dessen hauptsächlichem Interesse verbringt, ist Arbeitszeit, denn er hält sich und seine Zeit während dieser Zeitspanne zu dessen wirtschaftlicher Verfügung. Folglich ist auch Zeit, die der Arbeitnehmer z.B. zu Hause mit Willen und im hauptsächlichen Interesse des Arbeitgebers, aber ausserhalb von dessen unmittelbarer Weisungsgewalt verbringt, Arbeitszeit.
Bereits Art. 13 ArGV 1 drückt aus, dass die Arbeitszeit keine örtlich oder durch die eingesetzten Betriebsmittel bestimmte Grösse ist und nicht als im Betrieb oder unter Verwendung von Betriebsmitteln des Arbeitgebers verbrachte Zeit zu definieren wäre. Die Leistung von Arbeitszeit setzt auch kein Tätig-sein voraus, hält sich der Arbeitnehmer doch auch mit einem Bereitschaftsdienst oder durch ganz oder primär untätige Präsenz im Betrieb (z.B. eine Nachtwache in einem Spital) zur Verfügung des Arbeitgebers.
In Bereitschaft oder im Einsatz?
Nun ist jedoch nicht jede im teilweisen Interesse des Arbeitgebers verbrachte Zeit Arbeitszeit, vielmehr muss Zeit im hauptsächlichen Interesse des Arbeitgebers verbracht werden, damit sie zur Arbeitszeit wird. Die blosse Bereitschaft zum Abruf, bei der die Zeit im privaten Interesse genutzt werden kann, stellt dabei keine hauptsächlich im Interesse des Arbeitgebers verbrachte Zeit und damit zumindest im öffentlich-rechtlichen Sinn, das heisst unter der Optik des Arbeitsgesetzes, keine Arbeitszeit dar. In Analogie dazu kann demnach auch die Zeit, in der ein Arbeitnehmer in Bereitschaft für einen Anruf sein Handy mit sich trägt oder seinen Laptop zur Beantwortung allfälliger E-Mails eingeschaltet hat, noch nicht als Arbeitszeit gelten, zumindest nicht im Sinne des Arbeitsgesetzes.
Trotz dieser teilweise noch sehr offenen Fragen scheinen zwei Dinge klar:
- Die tatsächliche Einsatzzeit, die Zeit also, während der ein Arbeitnehmer zum Beispiel einen Anruf entgegennimmt und ein Gespräch führt, ein E-Mail liest und beantwortet oder an einer Videokonferenz teilnimmt, ist sowohl öffentlich- als auch privatrechtlich als Arbeitszeit einzustufen.
- Wenn der Arbeitnehmer sehr häufig aufgrund seiner ständigen Erreichbarkeit durch Anrufe und E-Mails gestört wird, sodass die störungsfreien Zwischenräume derart kurz werden, dass sie nicht mehr sinnvoll als Freizeit verwendet werden können, wird die ganze Dauer der Erreichbarkeit hauptsächlich im Interesse des Arbeitgebers verbracht und ist damit im vollen Umfang als Arbeitszeit einzustufen – was aber nicht zwingend heisst, dass sie zum vollen Lohn entschädigt werden muss, wie im Folgenden deutlich wird.
Rufbereitschaft ist zu entlöhnen
Der Lohn ist – von gewissen, in diesem Kontext weniger relevanten Ausnahmen (z.B. GAV-Mindestlöhne) abgesehen – Sache der Parteivereinbarung. Die Arbeitsvertragsparteien können also vereinbaren, dass die blosse Erreichbarkeit gar nicht oder zu einem reduzierten Ansatz entlöhnt wird oder dass selbst kurze Arbeitseinsätze ausserhalb der betrieblichen Arbeitszeit durch den Lohn bereits abgegolten sind. Grenzen für solche Vereinbarungen setzen insbesondere Gesamtarbeitsverträge, die jedoch auf die «Kaderstufe Blackberry» meist nicht anwendbar sind, und das Arbeitsgesetz.
Liegt keine Parteivereinbarung über den Lohn vor, kann an die Praxis des Bundesgerichts zur Arbeit auf Abruf (BGE 124 III 249) angeknüpft werden: Danach ist auch blosse Rufbereitschaft zu entlöhnen, wenn auch nicht gleich wie die Haupttätigkeit. Die Höhe der Entlöhnung für Rufbereitschaft richtet sich nach der Üblichkeit; lässt sich diese nicht feststellen, hat der Richter nach Billigkeit zu entscheiden. Die eigentlichen Arbeitseinsätze wie das Führen von Telefongesprächen oder Abrufen und Beantworten von E-Mails wären demgegenüber mangels abweichender Parteivereinbarung zu normalen Ansätzen zu bezahlen.
Spesen sind zurückzuerstatten
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer alle durch die Ausführung der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen (Spesen) zu ersetzen (Art. 327a OR). Erfolgt die Nutzung elektronischer Geräte zur Sicherstellung ständiger Erreichbarkeit auf Weisung oder mindestens mit Wissen und Willen des Arbeitgebers, hat er damit dem Arbeitnehmer die daraus entstehenden Kosten zu ersetzen, also z.B. die dafür anfallenden Telekommunikationskosten. Durch schriftliche Vereinbarung kann die Auslagendeckung auch durch eine Pauschale erfolgen, wobei jedoch langfristig alle notwendig entstehenden Auslagen gedeckt werden müssen (Art. 327a Abs. 2 OR).
Ständige Erreichbarkeit auch in den Ferien
Ebenso interessant wie ungeklärt ist die Frage, wie sich die ständige Verfügbarkeit des Arbeitnehmers mit den Ferien verträgt. Eine ständige Erreichbarkeit des Arbeitnehmers, die mit dem dauernden Zwang zur Arbeitsbereitschaft einhergeht, führt zu einer erhöhten Grundspannung. Diese lässt sich mit der vom Gesetzgeber angestrebten «Tiefenerholung», die auch in der Vorschrift zusammenhängender Ferienwochen zum Ausdruck kommt (Art. 329c Abs. 1 OR), nach der hier vertretenen Auffassung nicht vereinbaren. Auszeiten, während denen eine ständige Erreich- oder Verfügbarkeit mit Willen des Arbeitgebers abgefordert wird, können deshalb nicht als Ferienbezug angerechnet werden. Eine Ausnahme lässt sich immerhin dort begründen, wo die Erreichbarkeit nicht für eigentliche Arbeitseinsätze oder Informationsabgabe und Auskunftserteilung im unternehmerischen Normalbetrieb eingesetzt wird, sondern lediglich für Notfälle. In dieser Konstellation, wenn es wirklich nur um eine Notfallverfügbarkeit geht, lässt sich ein gesetzeskonformer, den Erholungszweck ermöglichender Bezug der Ferien bejahen.
Einseitige Anordnung ist heikel
Auf vertraglicher Basis, das heisst mit Zustimmung des Arbeitnehmers, kann dessen ständige Erreichbarkeit innerhalb der skizzierten gesetzlichen Schranken zuverlässig eingeführt werden. Probleme können für den Arbeitgeber aber dann entstehen, wenn vertraglich nichts vorgesehen ist und er diese Erreichbarkeit auf dem Weisungsweg erreichen, also dem Arbeitnehmer einseitig vorschreiben möchte.
Weisungen, die in die Freizeitgestaltung oder in anderer Weise ins Privatleben des Arbeitnehmers eingreifen, sind nur in sehr engen Schranken zulässig. Die Anordnung ständiger Erreichbarkeit auf dem blossen Weisungsweg, also ohne dass dafür eine vertragliche Grundlage gegeben wäre, liegt ausserhalb dieser Schranken und ist unzulässig. Vorbehalten bleiben auch hier wiederum eigentliche Notfälle, bei deren Vorliegen auch die Treuepflicht des Arbeitnehmers eine Erweiterung erfährt und dementsprechend sich der dem Weisungsrecht zugängliche Bereich erweitert.
Offene Fragen im öffentlichen Recht
Die bisher beleuchteten Fragestellungen wie Lohn und Ferien betreffen das private Arbeitsvertragsrecht, also die Vereinbarkeit der ständigen Erreichbarkeit des Arbeitnehmers mit den Vorgaben des Obligationenrechts (OR). Das klassische Arbeitsschutzrecht wird in der Schweiz aber nicht im Obligationenrecht, sondern in öffentlich-rechtlichen Schutzgesetzen geregelt. Hier ist an erster Stelle das Arbeitsgesetz mit seinen Verordnungen zu nennen, welches zwingende Vorschriften etwa zur Höchstarbeitszeit, zur Ruhezeit, zur Nacht- und Sonntagsarbeit und zur Arbeitszeiterfassung aufstellt.
Die ständige Erreichbarkeit steht in einem bis heute noch weitgehend ungeklärten Spannungsfeld zu diesen Schutzbestimmungen des öffentlichen Rechts. So kann man sich mit guten Gründen fragen, ob ein Arbeitgeber, der von seinen Mitarbeitenden eine ständige Erreichbarkeit auch am Sonntag oder in der Nacht erwartet, dafür nicht eine Bewilligung für Nacht- und Sonntagsarbeit benötigt. Denn wer am Sonntag ein E-Mail seines Chefs beantwortet oder nach 23 Uhr mit einem Kunden aus Übersee telefoniert, und sei es auch nur für wenige Minuten, der leistet unzweifelhaft Arbeit im arbeitsgesetzlichen Sinn. Und wie sieht es mit der derzeit so heftig diskutierten Arbeitszeiterfassungspflicht aus? Muss die ganze Periode der Erreichbarkeit oder wenigstens der effektive Einsatz (z.B. das Lesen und Beantworten eines E-Mails) erfasst und dokumentiert werden? Diese und andere Fragen bleiben bis heute unbeantwortet.
Grundlegende und weiterführende Informationen zum Thema gibt der Aufsatz von Adrian von Kaenel, Die ständige Erreichbarkeit des Arbeitnehmers (in: ARV 2000 S. 1 ff.), der auch die Grundlage für diesen Beitrag bildet. Eine zusammenfassende Übersicht bietet der Praxiskommentar Streiff/von Kaenel/Rudolph (7. Auflage 2012, N 9 zu Art. 321 OR).