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Überstunden und Überzeit: Wann ist eine Wegbedingung zulässig?

Bei der Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags finden sich oft Klauseln wie: «Überstunden und Überzeit sind Teil des Lohns». Mitarbeitende stellen sich zu Recht die Frage: Was ist genau darunter zu verstehen, und ist dies erlaubt?

19.04.2022 Von: Florian Angstmann
Überstunden und Überzeit

Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Bedingungen Überstunden und Überzeit wegbedungen werden können, ist vorab kurz der Unterschied zwischen diesen beiden Formen von Mehrarbeit über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu erläutern. Grundsätzlich ist jede über den vertraglich im Einzelarbeitsvertrag, Gesamtarbeitsvertrag (GAV) oder Normalarbeitsvertrag (NAV) vereinbarten zeitlichen Umfang der Arbeit hinausgehende Leistung der Mitarbeitenden als Überstundenarbeit zu qualifizieren (Art. 321c Abs. 1 OR).

Erst wenn die im Arbeitsgesetz vorgeschriebene wöchentliche Maximalarbeitszeit von 45 Stunden für Mitarbeitende in industriellen Betrieben sowie für Büropersonal, technische und andere Angestellte, mit Einschluss des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels, bzw. 50 Stunden für alle übrigen Mitarbeitenden, überschritten wird, spricht man von Überzeit (vgl. Art. 9 Abs. 1 ArG).

Abgeltung von Überstunden

Ist nichts anderes vertraglich verabredet, sind Überstunden innert eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer auszugleichen (Art. 321c Abs. 2 OR) oder durch Lohn abzugelten, wobei ein Zuschlag von mindestens 25% geschuldet ist (Art. 321c Abs. 3 OR).

Abgeltung von Überzeit

Sobald die im Arbeitsgesetz vorgesehene Maximalarbeitszeit erreicht und darüber hinaus Mehrarbeit geleistet wird, richtet sich die Entschädigung nicht mehr nach den Bestimmungen des Obligationenrechts, sondern nach denen des Arbeitsgesetzes. Auch das Arbeitsgesetz sieht in Art. 13 eine Abgeltung entweder durch Freizeit von gleicher Dauer oder durch Lohn zuzüglich eines Zuschlags von mindestens 25% vor. Eine wichtige Ausnahme gilt jedoch für Büropersonal sowie für technische und andere Angestellte, mit Einschluss des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels; diese Mitarbeitenden erhalten lediglich dann eine Überzeitentschädigung, wenn die Überzeitarbeit 60 Stunden im Kalenderjahr übersteigt.

Mit anderen Worten gilt für diese Berufsgruppen, dass bis zur 60. Überzeitstunde im Kalenderjahr weiterhin die Überstundenregelung des Obligationenrechts zur Anwendung gelangt und erst ab der 61. Stunde die Entschädigungsregeln des Arbeitsgesetzes greifen.

Leitende Angestellte

Sofern ein Mitarbeitender in einer leitenden Funktion angestellt wird, besitzt er üblicherweise die Möglichkeit, seine Tätigkeit weitgehend selbstständig zu bestimmen und seine Arbeitszeit zu einem hohen Mass eigenständig zu gestalten. Die Erfüllung der an ihn gestellten Aufgaben tritt hierbei in den Vordergrund. Dies zeigt sich insbesondere dadurch, dass in der Regel keine festen Arbeitszeiten zwischen den Parteien vereinbart werden. Ist dies ausnahmsweise doch der Fall, oder besagt der Arbeitsvertrag sogar ausdrücklich, dass Überstunden zu entschädigen sind, haben auch leitende Angestellte einen Anspruch auf Bezahlung der Überstundenarbeit.

In der Praxis wird die Frage, wann ein Mitarbeitender eine leitende Tätigkeit einnimmt, kontrovers diskutiert, wobei vor Gericht stets eine ganzheitliche Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden muss. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitgeber die Mitarbeitenden ab einer gewissen Stufe als leitende Angestellte bezeichnet, genügt für die Qualifizierung als solche jedenfalls nicht. Nicht zu verwechseln sind die leitenden Angestellten mit höheren leitenden Angestellten, für welche, wie nachfolgend erläutert wird, noch strengere Anforderungen gelten.

Höhere leitende Angestellte

Höhere leitende Angestellte sind vom persönlichen Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommen (Art. 3 lit. d ArG). Die arbeitsgesetzliche Regelung zur Überzeit ist für diese Mitarbeitenden somit nicht anwendbar. Die höhere leitende Tätigkeit ist jedoch äusserst restriktiv auszulegen.

Ausschlaggebendes Kriterium ist gemäss der Rechtsprechung die Befugnis, für den Betrieb oder einen Betriebsteil Entscheide treffen zu können, die den Geschäftsgang nachhaltig und massgeblich beeinflussen (Art. 9 ArGV 1). Aufgrund der Nichtanwendbarkeit des Arbeitsgesetzes ist sämtliche über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitstätigkeit ausschliesslich gemäss den Regelungen des Obligationenrechts zu entschädigen.

Voraussetzungen der Wegbedingung

Die zu Beginn vorgenommene Unterscheidung zwischen Überstunden und Überzeit ist bei Fragen um deren Wegbedingung zentral. So kann die Abgeltung bzw. Kompensation von Überzeitarbeit grundsätzlich vertraglich nicht wegbedungen werden, da es sich bei den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes um zwingende Normen handelt. Den Parteien steht es nicht frei, von diesen abzuweichen, selbst wenn beide damit einverstanden wären.

Im Umkehrschluss richtet sich die Zulässigkeit der Wegbedingung von Überstunden (und bei einer bestimmten Gruppe von Mitarbeitenden der ersten 60 Überzeitstunden pro Kalenderjahr) nach den Bestimmungen des Obligationenrechts. Infolge der dispositiven Natur von Art. 321c OR ist die Wegbedingung von deren Abgeltung bzw. Kompensation ohne Weiteres zulässig. Folglich sind Mitarbeitende und Arbeitgeber bei der Regelung des Umgangs mit Überstundenarbeit weitaus flexibler. Die Parteien können entweder nur den Zuschlag von 25% ausschliessen oder auch jegliche Entschädigung wegbedingen.

Zu beachten ist, dass eine vom Gesetz abweichende Überstundenregelung schriftlich zu vereinbaren ist. Neben einer Aufnahme der Klausel in den Arbeitsvertrag ist auch die Regelung in einem speziellen Reglement möglich, sofern dieses als Bestandteil des Arbeitsvertrags gilt. Eine rein mündlich getroffene Vereinbarung zur Wegbedingung der Überstundenentschädigung ist nichtig.

Praxistipp: In der Praxis wird Mitarbeitenden als Ausgleich für die Wegbedingung der Kompensation von Überstunden oftmals eine zusätzliche Ferienwoche gewährt. Eine solche Kompensation ist jedoch nicht zwingend erforderlich und insbesondere auch dann geschuldet, wenn keine Überstunden geleistet wurden.

Nachträgliche Wegbedingung

Sofern die Parteien die Wegbedingung der Entschädigung von Überstunden nicht bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses treffen, gelten besondere Bedingungen. Bereits entstandene Entschädigungsansprüche für Überstunden werden von Art. 341 OR erfasst, mit der Konsequenz, dass der Mitarbeitende auf diese Ansprüche während des Arbeitsverhältnisses sowie einen Monat nach dessen Beendigung nicht ohne Weiteres verzichten kann. Der Arbeitgeber hat in einem solchen Fall eine angemessene Gegenleistung für den Verzicht des Mitarbeitenden zu erbringen.

Vertrauensarbeitszeit

Die Vertrauensarbeitszeit ist heutzutage auch bei Mitarbeitenden ohne leitende Stellung weit verbreitet. Sie entspricht dem Bedürfnis, dass die Tätigkeit des Mitarbeitenden in den Vordergrund gestellt werden soll und der Arbeitgeber darauf vertraut, dass diese innert der vereinbarten Arbeitszeit erledigt wird. Eine Aufzeichnung der Arbeitszeit und damit verbunden auch von Überstunden entfällt.

Obschon dieses Modell in der Praxis bereits weit verbreitet ist, widerspricht es den geltenden arbeitsgesetzlichen Bestimmungen. Arbeitgeber sind grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten sämtlicher Angestellten genau zu dokumentieren (Art. 73 ArGV 1). Verzichtet der Arbeitgeber unberechtigterweise auf diese Dokumentation, so läuft er Gefahr, dass Mitarbeitende Überstundenansprüche gestützt auf eigene Aufzeichnungen der Arbeitszeit vor Gericht geltend machen.

Überstunden und Überzeit: Fazit

Plant ein Arbeitgeber, die Kompensation von Überstunden vertraglich wegzubedingen, hat er sich verschiedene Fragen zu stellen. Insbesondere die Unterscheidung zwischen der dispositiven Überstundenregelung und den zwingenden Überzeitvorschriften führt in der Praxis oftmals zu Unklarheiten. Arbeitgeber sind gut beraten, eine Wegbedingung zu Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich im Arbeitsvertrag vorzunehmen sowie den Wortlaut der entsprechenden Bestimmung klar, ausführlich und verständlich abzufassen. Bei Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes ist sodann in jedem Fall eine Arbeitszeitdokumentation vorzunehmen, welche der Arbeitgeber regelmässig kontrollieren muss, um sich insbesondere vor Ansprüchen aus Überzeit am Ende des Arbeitsverhältnisses zu schützen.

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