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Verzichtsverbot: Vorsicht bei Vereinbarungen

Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmende sind sich oft nicht bewusst, dass die Vertragsfreiheit beim Abschluss von Aufhebungsverträgen eingeschränkt ist. Das gesetzliche Verzichtsverbot verbietet Arbeitnehmenden, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und einen Monat nach dessen Beendigung auf gewisse Ansprüche zu verzichten.

18.12.2023 Von: RA Sandra Küng
Verzichtsverbot

Das Gesetz verbietet Arbeitnehmenden in Art. 341 Abs. 1 OR, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und einen Monat nach dessen Beendigung auf sog. zwingende Ansprüche zu verzichten. Diese Schranke der Vertragsfreiheit kann insbesondere bei Aufhebungsverträgen zu unvorhergesehenen Folgen führen. Aufhebungsverträge sind Vereinbarungen, welche das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen, d. h. ohne Kündigung, beenden. Sie erfreuen sich in der Praxis grosser Beliebtheit, da jeweils eine ganzheitliche Einigung über sämtliche gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis angestrebt wird und die Parteien so die Gelegenheit haben, sich ohne Kündigung auf Augenhöhe zu trennen. Mit einem fixen Enddatum soll etwa eine Erstreckung des Arbeitsverhältnisses aufgrund von Krankheit oder Unfall des Arbeitnehmenden gemäss Art. 336c OR und die damit zusammenhängende Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR verhindert werden. Den Parteien ist aber oftmals nicht bewusst, dass diese Einigung aufgrund des Verzichtsverbots unzulässig sein kann. Im schlimmsten Fall zieht eine entsprechende Vereinbarung einen Gerichtsprozess über Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach sich, welcher mit dem Aufhebungsvertrag im Rahmen einer gütlichen Einigung gerade hätte verhindert werden sollen. Die Rechtsfolge eines Verstosses gegen das Verzichtsverbot ist die Nichtigkeit des unzulässigen Verzichts oder der gesamten Vereinbarung. Die Parteien werden in letzterem Fall so gestellt, als wäre die Vereinbarung nicht geschlossen worden, und das Arbeitsverhältnis läuft entsprechend weiter.

Arbeitnehmerschutz als Schranke der Vertragsfreiheit

Hintergrund des Verzichtsverbots ist der Schutz der Arbeitnehmenden, da davon ausgegangen wird, dass es sich bei den Arbeitnehmenden um die sozial und wirtschaftlich schwächere Partei handelt und diese in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Arbeitgeberin steht. Um zu vermeiden, dass Arbeitnehmende etwa aus Angst vor einem Stellenverlust oder einem schlechten Arbeitszeugnis während oder kurz nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses womöglich unter Druck für sie nachteilige Konzessionen eingehen, sieht das Gesetz gewisse zwingende Ansprüche vor, auf welche nicht – oder zumindest nicht zulasten des Arbeitnehmenden (Art. 341 Abs. 1 OR) – verzichtet werden kann.

Welche Ansprüche unterliegen dem Verzichtsverbot?

Dem Verzichtsverbot unterstehen Ansprüche der Arbeitnehmenden aus zwingenden Bestimmungen des Gesetzes und unabdingbaren Bestimmungen eines allfällig anwendbaren Gesamtarbeitsvertrags. Das Gesetz teilt diese in absolut zwingende Gesetzesbestimmungen (Art. 361 OR) und relativ zwingende Gesetzesbestimmungen (Art. 362 OR) ein. Relativ zwingend bedeutet, dass diese nicht zuungunsten der Arbeitnehmenden abgeändert werden können.

Zu den zwingenden Ansprüchen von Arbeitnehmenden zählen etwa fällige Lohnforderungen sowie andere Forderungen mit Lohncharakter (Boni etc.) für bereits geleistete Arbeit,1 Ferienansprüche inkl. Ferienlohn (Art. 329d OR), Ansprüche auf Entschädigung aus geleisteter Überzeitarbeit,2 der zeitliche Kündigungsschutz (Kündigung während einer Sperrfrist, z. B. bei Krankheit etc., Art. 336c OR) und Ansprüche auf Lohnfortzahlung bei einer Verhinderung des Arbeitnehmers gemäss Art. 324a OR, die Mindestkündigungsfrist (Art. 335c Abs. 2 OR) oder eine Entschädigung aus missbräuchlicher Kündigung (Art. 336a OR). Die ständige Rechtsprechung anerkennt des Weiteren auch ein Verzichtsverbot im Zusammenhang mit der Entschädigung für bereits geleistete Überstunden, auf welche Arbeitnehmende nachträglich nicht verzichten können.3

Zu beachten gilt es, dass das Verzichtsverbot nur Forderungen umfasst, die bereits entstanden sind; künftige Forderungen werden vom Verzichtsverbot nicht erfasst. Umfasst eine Klausel in einem Aufhebungsvertrag den Verzicht auf erst noch in der Zukunft entstehende Ansprüche von Arbeitnehmenden, wie namentlich der Verzicht auf die Kündigungssperrfristen gemäss Art. 336c OR, ist ein solcher zulässig, sofern durch ihn nicht eine eigentliche Gesetzesumgehung bewirkt werden soll.4 Von einer solchen ist etwa auszugehen, wenn das Ziel des Aufhebungsvertrags offensichtlich einzig darin besteht, den Kündigungs- oder Sperrfristenschutz zu umgehen.

Möglichkeiten der Vereinbarung

Art. 341 Abs. 1 OR statuiert nur ein (einseitiges) Verzichtsverbot zulasten der Arbeitnehmenden. Er steht aber einem Vergleich zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgeberin, bei welchem beide Parteien im gegenseitigen Zugeständnis auf gewisse Ansprüche verzichten, grundsätzlich nicht entgegen. Ein solcher Vergleich ist indessen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn die gegenseitigen Ansprüche, auf welche Arbeitgeberin und Arbeitnehmende jeweils verzichten, zumindest gleichwertig sind. Die Zulässigkeit des Aufhebungsvertrags bestimmt sich somit danach, ob der Vertrag von einem unzulässigen einseitigen Verzicht geprägt ist oder von beidseitigen Zugeständnissen. Dahinter steht der Gedanke, dass auch die Arbeitgeberin auf gewisse Ansprüche gegenüber dem Arbeitnehmenden verzichtet und somit eine für beide Parteien ausgeglichene Einigung gefunden wird, bei welcher beide Vertragspartner gewisse Konzessionen eingehen. Eine Besserstellung von Arbeitnehmenden ist dabei selbstverständlich unproblematisch. Ob die Zugeständnisse gleichwertig sind, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Beurteilung der Frage, ob eine legitime Interessenlage vorliegt, gestaltet sich in der Praxis jedoch schwierig.

Beim Abschluss von Aufhebungsverträgen gilt es überdies zu beachten, dass jedenfalls nach der geltenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Zugeständnisse seitens der Arbeitgeberin auch aus ihrem Machtbereich stammen müssen («gegenseitige Zugeständnisse »).5 Folgt man dieser Ansicht, kann dies aber im Ergebnis zu unbilligen Resultaten führen, die wohl zuweilen auch nicht mehr vom Schutzbedürfnis der Arbeitnehmenden getragen sind. Können Arbeitnehmende etwa infolge eines sofortigen Wechsels der Arbeitsstelle einen höheren Lohn erzielen, profitieren sie faktisch von einer Verkürzung der Kündigungsfrist, selbst wenn diese faktische Besserstellung kein Zugeständnis vonseiten der alten Arbeitgeberin darstellt. Obschon ein solcher Vergleich durchaus im Interesse des Arbeitnehmenden wäre, würde diese Konstellation nach der geltenden Rechtsprechung einen Verstoss gegen Art. 341 Abs. 1 OR darstellen, und die Vereinbarung wäre nichtig. Adäquater wäre daher die teilweise in der Fachliteratur vertretene praxisfreundlichere Ansicht, wonach darauf abzustellen ist, ob dem Arbeitnehmenden durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags im Rahmen einer holistischen Betrachtung Vorteile zukommen, die den Verzicht auf ihm an sich zwingend zustehende Ansprüche überwiegen, unabhängig davon, aus welchem Machtbereich diese Vorteile stammen.

Merke:
Der Aufhebungsvertrag bedarf einer Rechtfertigung durch die Interessen der Arbeitnehmenden. Die jeweiligen Konzessionen sind im Rahmen einer Gegenüberstellung gegeneinander abzuwägen. Beispiel:
Zugeständnisse Arbeitgeberin
– Vergleichszahlung oder Abgangsentschädigung
– Freistellung
Zugeständnisse Arbeitnehmer
– (Teil-)Verzicht auf Kündigungsfrist
– Verzicht auf Sperrfristenschutz
– Verzicht auf mögliche Entschädigungsansprüche aufgrund potenziell missbräuchlicher Kündigung
Die gegenseitigen Zugeständnisse müssen in einer Gegenüberstellung ausgewogen und von ungefähr gleichem Wert sein. Dem Arbeitnehmer ist überdies eine genügend lange Bedenkfrist einzuräumen.

Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Interessenlage

Grundsätzlich ist zur Beurteilung der Interessenlage auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags und die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden oder voraussehbaren Umstände abzustellen.6 Eine rückwirkende Betrachtung unter Einbezug von unvorhergesehenen späteren Entwicklungen würde der angestrebten Rechtssicherheit widersprechen. Das Bundesgericht führte jedoch in einigen Entscheiden aus, dass auch unvorhersehbare Umstände, welche keiner Partei zugerechnet werden können und nach Abschluss des Aufhebungsvertrags während der Kündigungsfrist auftreten, welche ohne Abschluss eines Aufhebungsvertrags laufen würde, im Rahmen der genannten Interessenbeurteilung rückwirkend zu berücksichtigen sind.7 Lohnansprüche, die dem Arbeitnehmer bei einem Unfall oder einer Krankheit während dieser hypothetischen Kündigungsfrist aufgrund der Sperrfrist und der damit verlängerten Vertragslaufzeit zustehen würden, würden damit bei einer gerichtlichen Überprüfung der Aufhebungsvereinbarung im Rahmen der Interessenabwägung ebenfalls berücksichtigt und wären daher vom Arbeitgeber abzugelten.8

Achtung: Grundsätzlich sind die gegenseitigen Zugeständnisse zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags zu beurteilen. Ein Unfall oder eine unvorhergesehene Erkrankung während der hypothetischen Kündigungsfrist kann unter Umständen bei einer gerichtlichen Überprüfung im Nachhinein dennoch berücksichtigt und der Arbeitgeber zu einer entsprechenden Lohnzahlung verpflichtet werden.

Was geschieht bei einem Verstoss gegen das Verzichtsverbot?

Verzichten Arbeitnehmende auf ihnen zwingend zustehende Ansprüche nach Art. 361 OR oder Art. 362 OR, so ist dieser Verzicht aufgrund von Art. 341 Abs. 1 OR nichtig und entfaltet keinerlei Rechtswirkung. Falls nicht bereits vor Abschluss der nichtigen Vereinbarung eine Kündigung ausgesprochen wurde, ist die Aufhebung unter Umständen somit nicht rechtswirksam, und das Arbeitsverhältnis müsste noch mittels Kündigung beendet werden.

Entsprechend können Arbeitnehmende in solchen Fällen die ihnen zustehenden Forderungen trotz Verzichtserklärung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin geltend machen, jedenfalls bis zum Eintritt der Verjährung oder Verwirkung der jeweiligen Forderung. Betrifft der Verzicht nur eine spezifische Klausel des Aufhebungsvertrags, ist im Einzelfall zu beurteilen, ob nur die konkrete Verzichtserklärung nichtig ist oder die gesamte Vereinbarung als nichtig dahinfällt.

Fazit 

Der Aufhebungsvertrag zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann sowohl für Arbeitgeberinnen als auch für Arbeitnehmende Vorteile bieten. Die Parteien können im Einvernehmen und auf Augenhöhe eine Einigung treffen und so eine einseitige Kündigung verhindern. Im Vordergrund stehen die Klarheit über den Zeitpunkt sowie die Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wird eine einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgeberin ins Auge gefasst, gilt es indessen, einige Stolpersteine zu beachten. Insbesondere darf der Aufhebungsvertrag gesamtheitlich betrachtet keinen einseitigen Verzicht des Arbeitnehmenden auf ihm zwingend zustehende Ansprüche beinhalten. Vielmehr ist erforderlich, dass sowohl vonseiten der Arbeitnehmenden als auch vonseiten der Arbeitgeberin gewisse Konzessionen eingegangen werden. Auch empfiehlt sich für die Arbeitgeberin, Arbeitnehmende im gemeinsamen Gespräch in die Aushandlung der Modalitäten von Aufhebungsverträgen miteinzubeziehen und ihnen hinreichende Überlegungszeit einzuräumen, anstatt sie mit einem Aufhebungsvertrag zu überrumpeln. So bleibt gewährleistet, dass eine einvernehmliche Vereinbarung im beidseitigen Interesse geschlossen wird, die auch den Anforderungen aus der Gerichtspraxis standhält.

Fussnoten

1 Urteil des BGer 4A_96/2017 vom 14. Dezember 2017 E. 4.1.4; SHK-LIENHART, Art. 341 N 15; vgl. aber auch Streiff Ullin/von Kaenel Adrian/Rudolph Roger, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012, Art. 341 N 5 m. w. H.

2 Vgl. dazu Streiff Ullin/von Kaenel Adrian/Rudolph Roger, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319– 362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012, Art. 341 N 5.

3 Vgl. etwa BGE 124 III 469 E. 3.

4 Vgl. auch BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 341 N 1.

5 Vgl. etwa Urteil des BGer 4A_57/2021 vom 21. Juli 2021 E. 3.2.3; Urteil des BGer 8C_178/2022 vom 21. September 2022 E. 5.1.1.

6 Urteil des BGer 4A_103/2010 vom 16. März 2010 E. 2.3.3; Urteil des BGer 4A_25/2014 vom 7. April 2014 E. 6.2.

7 Gremper Philipp/Halbeisen Andrea, in: Portmann Wolfgang/von Kaenel Adrian (Hrsg.), Fachhandbuch Arbeitsrecht, Zürich 2018, S. 367 ff.

8 Urteil des BGer 8C_94/2020 vom 16. März 2010 E. 6.2.

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