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Selbstorganisation: Ist Ihr Unternehmen reif?

In einem komplexen Umfeld und bei raschem Wandel von Arbeitsbedingungen zählt es zu den wichtigsten Aufgaben der Führung, Dezentralisierung und Selbstorganisation unternehmensweit zu fördern. Warum das so notwendig ist, zeigt dieser Beitrag.

24.06.2021 Von: Anne M. Schüller
Selbstorganisation

Für Unternehmen, die neue Formen der Zusammenarbeit eingeführt haben, kursieren unterschiedliche Begriffe, zum Beispiel diese: agile Organisationen, kollegial geführte Unternehmen, demokratische Unternehmen, dezentrale Organisationen, Netzwerkorganisationen, selbstorganisierte Unternehmen.

Im Kern ändert sich bei allen die Machtverteilung. Anstatt operative Entscheidungen, wie in Linienorganisationen üblich, „nach oben“ zu verlagern, werden diese nun autonom dort getroffen, wo sie anfallen, wo das notwendige Knowhow ist und wo sie wirksam werden. Die parallele Einführung agiler Arbeitsmethoden und kollaborativer Software-Tools sorgt für eine hohe Flexibilität, Beschleunigung und mehr Fortschritt.

Das bedeutet natürlich nicht, das von nun an alles sich komplett selbst überlassen bleibt und nach dem Prinzip „Irgendwie“ funktioniert. Ein grundlegender Rahmen ist unumgänglich, damit das Unternehmen nicht im Chaos versinkt. So benötigen auch autonome Einheiten ein Mindestmass an Struktur und Ordnung, Routinen und Regeln.

Zudem sind klassische Vorgehensweisen in einigen Bereichen durchaus noch relevant, vor allem da, wo es gut strukturierbare Aufgaben unter stabilen und zugleich vorhersehbaren Marktbedingungen gibt. Unbestreitbar braucht es in manchen Fällen auch strikte Ablaufpläne, wie etwa im Flugverkehr und bei der Feuerwehr. Ansonsten dürfen Ordnungssysteme nie so einengend sein, dass dadurch Anpassung verlangsamt und Fortentwicklung ausgebremst wird.

Die Geschichte von der Ampel und dem Kreisverkehr

Der Unterschied zwischen straffer Führung und Selbstorganisation lässt sich an einer Allegorie deutlich machen, und zwar die von der Ampel und dem Kreisverkehr. Sie stammt von Julian Wilson, einem der Mitgründer des britischen Flugzeugindustriezulieferers Matt Black Systems (MBS). Traditionelle Systeme, sagt er, sind wie Ampelsysteme, selbstorganisierte Unternehmen ähneln dem System eines Kreisverkehrs.

Die Ampel funktioniert nach dem Befehl- und Gehorsam-Prinzip. Sie ist zentral gesteuert, sie diszipliniert - und sie verursacht Stress durch „Stop and go“. Die Verkehrsteilnehmer sind dabei fremdbestimmt. Harte Strafen einer Kontrollinstanz sollen dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Aber man verstösst dennoch dagegen. Das System austricksen, sich nur nicht erwischen lassen: für viele ein Sport.

Der Kreisverkehr hat zwar auch ein paar wenige Regeln, im Wesentlichen jedoch herrschen Autonomie und Selbstverantwortlichkeit. Die Interaktionen sind selbstorganisiert. Durch Kommunikation stimmen die Verkehrsteilnehmer sich untereinander ab. Aggressionen wie an einer Ampel gibt es nur selten. Alles fliesst, ohne Stress und nervige Staus. Denn ein Kreisverkehr erlaubt erwiesenermassen deutlich mehr Durchfluss als ein Ampelsystem.

Experimente zeigen zudem, dass die Wachsamkeit nachlässt, sobald man die Kontrolle einem System übergibt. So verursacht der Kreisverkehr erheblich weniger Unfälle als eine Ampelanlage - und die Höhe der Unfallschäden ist sehr viel geringer. Zudem sind die Aufbau- und Betriebskosten eines Kreisverkehrs deutlich weniger hoch. Ferner senkt er die Emissionen und schützt damit die Umwelt. Und, wenn ansprechend gestaltet, ist er sogar ein Augenschmaus. Regelverstösse hingegen gibt es nur selten.

Im Grossstadtgetümmel sind Ampeln hie und da sicher die bessere Wahl, doch meistens sind sie es nicht. Viele Aktionen einer Ampel sind schlichtweg Blödsinn. Obwohl weit und breit kein Gegenverkehr ist, also ganz ohne Grund, zwingt sie die Autofahrer, eine Weile anzuhalten. Und alle paar Minuten ist der gesamte Verkehr für ein paar Momente blockiert, da alle Ampeln an der Kreuzung auf Rot sind.

Zielsetzungen in der Selbstorganisation

Parallelen zwischen Selbstorganisation und Kreisverkehr lassen sich durchaus erkennen. Die wichtigsten Ziele, die in einem Unternehmen mit zunehmender Selbstorganisation verbunden sein können, sind diese:

  • schneller, adaptiver und proaktiver auf jeweilige Anforderungen reagieren,
  • die Fähigkeiten und das Potenzial der involvierten Mitarbeitenden besser nutzen,
  • Motivation, Engagement und unternehmerisches Denken im Team verstärken,
  • den eigenverantwortlichen Gestaltungsspielraum der Mitarbeitenden vergrössern,
  • operative Entscheidungen rascher, effizienter und kundenorientierter treffen,
  • kontraproduktive Verfahrensweisen und hausgemachte Bürokratie eliminieren,
  • die Innovationskraft und -geschwindigkeit im gesamten Unternehmen steigern.

Eigenmotivation und Selbstwirksamkeit - und nicht Fremdbestimmung – sind zentrale Treiber für mehr Mitarbeiter-Engagement. Beides kommt in der Selbstorganisation gut zum Zug. Selbstwirksamkeit ist das Ergreifen beziehungsweise das Gewähren von Möglichkeiten, um aufgrund eigener Kompetenzen und eigenen Tuns erfolgreich zu sein.

Je mehr Selbstwirksamkeit, desto mehr steigen Willenskraft, Leistungsbereitschaft und Verlangen nach dem Aufbau weiterer Fähigkeiten. Zudem macht Selbstwirksamkeit widerstandsfähiger gegen Stress und erzeugt weniger Burnout. So kann Selbstorganisation zunächst die Mitarbeitenden und in der Folge dann die ganze Organisation beflügeln und zu nie gekannten Höhen führen.

Der Chef als Ansager und Aufpasser: ein Auslaufmodell

Gib Menschen Spielraum, Sinn und Selbstwirksamkeit, und sie werden dich in Staunen versetzen: In meinen Workshops erlebe ich sowas ständig. Mit den Freiheitsgraden, die die zunehmende Selbstorganisation bringt, haben die meisten Mitarbeitenden, nachdem sie, ganz wichtig, entsprechend geschult worden sind, sich einüben konnten und begleitet werden, gar keine Probleme. Probleme hat damit vor allem das Management.

„Die Mitarbeitenden können das nicht“, hört man von denen. „Wir wollen das nicht“, müssten sie eigentlich sagen. Wenn sich nämlich die Leute selbst organisieren, bleibt im Management nur noch wenig zu tun. Allerdings: Niemand entsorgt sich gern selbst. So gaben im Rahmen der GfWM-Studie „Der Ruf nach Freiheit“ 39 Prozent der 2.550 Befragten zu Protokoll, dass ihre Führungskräfte Veränderungen generell blockieren.

Tatsache ist jedenfalls: Der Chef als Ansager und Aufpasser ist ein Auslaufmodell. Gerade die jungen High Potentials erleben auf diese Weise, dass ihr Input nicht zählt. Sie wünschen sich eine Unternehmenskultur, in der sie selbstbestimmt ihre Talente einbringen können. Und sie sind kompromisslos, wenn die Bereitschaft dazu fehlt.

Herausforderungen und Weiterentwicklung in einem spannenden Umfeld sind ihnen wichtiger als ein hohes Gehalt. Sobald man sie von vorgedachten Prozesse befreit und ihnen maximale Kreativität ermöglicht, bringen sie genau die brillanten Ideen hervor, die jedes Unternehmen so dringend braucht, um sich fit für die Zukunft zu machen.

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