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Verdachtskündigungen: Diebstahl am Arbeitsplatz

Ein Arbeitnehmer wird dringend verdächtigt, einen Diebstahl am Arbeitsplatz begangen zu haben. Lückenlos nachweisen lässt sich der Diebstahl vorerst nicht, und der Arbeitnehmer streitet ihn ab. Kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aufgrund des blossen Verdachts fristlos kündigen? Sind in solchen Fällen Verdachtskündigungen zulässig?

19.07.2022 Von: Anela Lucic, Marc Ph. Prinz
Verdachtskündigungen

Verdachtskündigungen

Die Verdachtskündigung bezeichnet eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber, die ohne gesicherte Kenntnis aufgrund eines blossen Verdachts auf eine Straftat oder auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ausgesprochen wird. Das Gesetz regelt die Verdachtskündigung nicht speziell, weshalb auf die allgemeinen Kriterien der fristlosen Kündigung aus wichtigen Gründen (Art. 337 OR) abzustellen ist.

Die Anknüpfung am Begriff des Verdachts ist jedoch heikel, weil sich ein Verdacht nur schwer messen lässt. Wo fängt der Verdacht an und wo endet er? Wann wird aus einer Vermutung ein begründeter Verdacht? Und wann erhärtet sich ein begründeter Verdacht zur nachgewiesenen Tat? Streng betrachtet besteht ohnehin keine Straftat, bis ein Strafgericht eine beschuldigte Person rechtskräftig verurteilt hat («Unschuldsvermutung»). Die strafrechtliche Wahrheit ist aber im Arbeitsrecht nicht entscheidend: im Vordergrund steht vielmehr die subjektive Betrachtung des Arbeitgebers, für welchen aufgrund des bestehenden Verdachts die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar wird. Dieses subjektive Empfinden muss sich aber auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen können.

Verdachtskündigungen sind stets mit einer Ungewissheit im Zeitpunkt der Kündigungserklärung verbunden, und es ist diese lückenhafte, unsichere Kenntnislage, welche im Fokus der richterlichen Prüfung steht, ob die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich unzumutbar war.

Gerechtfertigte Verdachtskündigungen

Der Verdacht auf eine Straftat oder Pflichtverletzung kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen, auch wenn die vorgeworfene Tat nicht bewiesen oder abgestritten wird. Vorausgesetzt ist aber ein qualifizierter, objektiv begründeter Verdacht, der auf ein schweres Delikt oder eine schwere Pflichtverletzung hindeutet. Zudem muss sich der Arbeitgeber unverzüglich und vergebens bemüht haben, den Sachverhalt abzuklären. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung ist meistens gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Abklärungen des Arbeitgebers treuwidrig vereitelt oder behindert.

Verdachtskündigungen nur bei besonders gravierenden Pflichtverletzungen

Eine fristlose Kündigung ist generell nur gerechtfertigt, wenn dem Arbeitnehmer besonders schwere Verfehlungen vorgeworfen werden können oder wenn weniger schwere Verfehlungen trotz Verwarnung wiederholt vorkommen. Selbst ein geringfügiger Diebstahl, etwa von Wurstaufschnitt durch eine Kassiererin, kann allerdings zur Rechtfertigung einer fristlosen Entlassung genügen. Entscheidend ist, ob das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer tatsächlich tiefgründig erschüttert wurde. Dabei wird insbesondere berücksichtigt, ob die Tat den Kernaufgabenbereich des Arbeitnehmers berührt und gegen den Arbeitgeber selber gerichtet war.

Das Erfordernis einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gilt in verstärktem Mass bei einer Verdachtskündigung. Auch wenn es theoretisch nicht ausgeschlossen ist, dürfte in den meisten Fällen der blosse Verdacht einer geringfügigen Straftat oder Verfehlung keinen hinreichenden Grund zu einer fristlosen Entlassung bilden.

Beweislast

Spricht der Arbeitgeber eine fristlose Verdachtskündigung aus, muss er mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung rechnen. In einem solchen Gerichtsverfahren muss der Arbeitgeber nicht zwingend die Tat bzw. die Pflichtverletzung an sich beweisen. Eine Verdachtskündigung definiert sich eben gerade dadurch, dass kein Beweis, sondern lediglich ein Verdacht vorliegt. Der Arbeitgeber muss jedoch sorgfältig darlegen, auf welche objektiven Anhaltspunkte er seinen Verdacht abstützt. Zudem muss er das Gericht davon überzeugen, dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufgrund des blossen Verdachts unzumutbar war. Dies gilt auch für den Fall, dass sich Letzterer im Nachhinein als unzutreffend erweist.

Anhörungspflicht

Obwohl eine Pflicht zur Anhörung des Arbeitgebers nicht im Gesetz festgehalten wird, erscheint sie im Vorfeld einer Verdachtskündigung fast unerlässlich. Schliesslich muss der Arbeitgeber sämtliche zumutbaren Abklärungen unternommen haben, um den Verdacht auszuräumen. Dabei scheint eine Konfrontation und Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers in der Regel unerlässlich. Der Arbeitnehmer erhält dabei die Möglichkeit, entlastende Elemente vorzubringen oder Missverständnisse aufzuklären. Vom Arbeitnehmer darf diesbezüglich ein kooperierendes Verhalten erwartet werden. Erschwert oder verhindert er in treuwidriger Weise durch sein Verhalten die Abklärungen des Arbeitgebers, kann die fristlose Verdachtskündigung bereits dadurch als gerechtfertigt betrachtet werden.

Kündigungszeitpunkt

Eine fristlose Kündigung muss grundsätzlich sofort nach Kenntnis des wichtigen Grundes ausgesprochen werden. Ein Zuwarten könnte nämlich so gedeutet werden, dass die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht unzumutbar ist. Bei der Verdachtskündigung wird diesbezüglich jedoch ein weniger strenger Massstab angelegt, zumal sich der Verdacht häufig nur langsam und allmählich herauskristallisiert. Zudem ist der Zeitpunkt, ab wann ausreichende objektive Anhaltspunkte für einen wichtigen Grund vorliegen, praktisch nicht zuverlässig bestimmbar.

Richtigerweise sollte dem Arbeitgeber eine Aufklärungs- und eine Überlegungsfrist zugestanden werden: Liegt ein Anfangsverdacht vor, empfiehlt es sich, unverzüglich weitere Abklärungen vorzunehmen. Der Arbeitgeber muss in der Lage sein, darzulegen, dass er mit der Kündigung allein deshalb zuwartet, weil er eine unschlüssige Sachlage aufklären oder zunächst den verdächtigen Arbeitnehmer anhören will. Wenn sich der Verdacht aber aufgrund eines bestimmten Ereignisses erhärtet oder sobald klar wird, dass der verdächtigte Arbeitnehmer die Abklärungen erschwert, be- oder verhindert, muss der Arbeitgeber die Kündigung wegen Unzumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit sofort aussprechen. Ansonsten verwirkt das Recht auf eine fristlose Kündigung. Die Gerichtspraxis ist diesbezüglich streng und lässt lediglich eine Überlegungsfrist von einigen wenigen Tagen zu.

Folgen bei ungerechtfertigten Verdachtskündigungen

Wird die Verdachtskündigung als ungerechtfertigt betrachtet, bleibt die Kündigung zwar gültig, der Arbeitnehmer aber hat einen Lohnanspruch bis zum Ablauf der hypothetischen ordentlichen Kündigungsfrist (Art. 337c Abs. 1 OR).

Zusätzlich kann das Gericht dem Arbeitnehmer nach freiem Ermessen eine sogenannte Pönalzahlung von bis zu sechs Monatssalären zusprechen (Art. 337c Abs. 3 OR). Eine fristlose Verdachtskündigung ist entweder gerechtfertigt oder eben nicht. Das freie Ermessen bei der Festlegung der Pönalzahlung erlaubt es den Gerichten jedoch, Grenzfälle angemessen zu berücksichtigen.

Fazit

Bei Verdachtskündigungen besteht für Arbeitgeber ein grosses Risiko, dass eine fristlose Kündigung in einem Gerichtsverfahren als ungerechtfertigt beurteilt wird. Die fristlose Kündigung bleibt immer eine ultima ratio, die nur ausnahmsweise und in gravierenden Fällen als gerechtfertigt angesehen wird.

Der Arbeitgeber kann diese Risiken allerdings mindern, indem er bei Vorliegen eines derartigen Verdachts umgehend die Sachlage sorgfältig abzuklären versucht und dabei den Arbeitnehmer konfrontiert und anhört. Es hat sich bewährt, diese Abklärungen und insbesondere deren umgehende Einleitung sorgfältig zu dokumentieren. Damit kann ein Arbeitgeber in einem allfälligen Gerichtsverfahren darlegen, dass er bei der Untersuchung des Gegenstands gründlich und unverzüglich vorgegangen ist.

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