Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit: Voraussetzung, Dauer und Umfang

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Voraussetzungen für die Lohnfortzahlung im Falle einer Krankheit
Art. 324a OR regelt, dass ein Arbeitnehmender, der aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie z.B. Krankheit, für eine beschränkte Zeit den Lohn weiter erhält. Voraussetzung für die Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit ist, dass die Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Arbeitnehmenden entstanden ist. Ausserdem muss das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert haben oder für mehr als drei Monate eingegangen worden sein. Die Lohnfortzahlung erfolgt also nur, wenn der Grund für die Abwesenheit in der Person des Arbeitnehmenden liegt und diese Abwesenheit unverschuldet ist.
Bei objektiven Gründen, wie z.B. eine Umweltkatastrophe, Grenzschliessung, Flugstornierungen, Stromausfälle etc., ist keine Lohnfortzahlung gemäss Art. 324a OR geschuldet. Bei diesen Ereignissen handelt es sich nicht um Gründe, die «in der Person» liegen, womit eine Voraussetzung für die Lohnfortzahlung gemäss OR entfällt. Kann ein Arbeitnehmnder nicht rechtzeitig zurückreisen, weil die Grenze geschlossen wurde oder Flüge annulliert wurden, dann liegt dies in der Risikosphäre des Arbeitnehmenden und nicht der Arbeitgeberin. Arbeitnehmende müssne in einem solchen Fall entweder zusätzliche Ferientage abbuchen oder Überstunden kompensieren. Wenn beides nicht möglich oder nicht gewünscht ist, wäre für die verspäteten Tage kein Lohn geschuldet (unbezahlte Tage). Auch wenn Arbeitgeberinnen kulanterweise solche Fehltage oft bezahlen, besteht dazu keine Pflicht.
Was die Schuldlosigkeit betrifft, werden bei Krankheit keine besonders hohen Anforderungen gestellt. Bei einer Krankheit ist zunächst von einer unverschuldeten Abwesenheit auszugehen. Ein Arbeitnehmender hat zudem in den ersten drei Monaten eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses keinen Lohnanspruch bei Arbeitsunfähigkeit. Auch bei kurzen befristeten Arbeitsverträgen, die auf weniger als drei Monate eingegangen wurden, gibt es gemäss OR keine Lohnfortzahlungspflicht.
Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit: Beweislage
Wenn ein Arbeitnehmender Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit geltend macht, hat er dies zu belegen. Dieser Beweis wird in der Regel durch ein ärztliches Zeugnis erbracht. In der Praxis wird ein Arztzeugnis oft erst ab dem dritten oder vierten Tag der Krankheit gefordert, für die Zeit darauf vertraut die Arbeitgeberin auf die Aussagen des Arbeitnehmenden. Es steht jedoch der Arbeitgeberin frei, vertraglich festzuhalten, dass ein Arztzeugnis schon ab dem ersten Tag vorzulegen ist. Eine solche Verpflichtung kann sich auch aus einem GAV ergeben.
Bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmende verpflichtet, unaufgefordert periodisch neue Arztzeugnisse einzureichen. Bei längerer Abwesenheit ist zudem damit zu rechnen, dass die Arbeitgeberin (oder bei bestehender Krankentaggeldversicherung die Versicherung selbst) den Arbeitnehmenden zu einem Vertrauensarzt schickt. Dieses Recht hat die Arbeitgeberin, auch wenn es nicht direkt im Arbeitsvertrag niedergeschrieben ist. Ein Arbeitnehmer hat dieser Aufforderung nachzukommen, da dies zu seiner Treuepflicht gehört. Die Kosten des Vertrauensarztes müssen von der Arbeitgeberin übernommen werden. Der Vertrauensarzt darf dem Arbeitgeber nur Auskunft über die Arbeitsfähigkeit geben, keinesfalls aber über die medizinische Diagnose.
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Wie lange dauert die Lohnfortzahlung?
Wenn ein Arbeitgeber keine Krankentaggeldversicherung hat, kommt die Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a OR zur Anwendung. Gemäss Art. 324a Abs. 2 OR muss die Arbeitgeberin im ersten Dienstjahr den Lohn für drei Wochen bezahlen und nachher für eine angemessene Dauer. Die Dauer der Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit richtet sich nach den Dienstjahren. Da das OR nur regelt, was im ersten Dienstjahr zu bezahlen ist, hat die Praxis die sogenannten Zürcher, Berner oder Basler Skalen erstellt. Die Parteien sind frei, zu entscheiden, welche Skala zur Anwendung gelangt. Empfehlenswert ist es, die anzuwendende Skala im Arbeitsvertrag zu bestimmen.
Wichtig zu wissen ist, dass der Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit in der Regel pro Dienstjahr entsteht (Ausnahmen vorbehalten). D.h., in jedem neuen Dienstjahr fängt die Lohnfortzahlungspflicht wieder von Neuem an, wobei die Dauer sich nach den obigen Skalen richtet. Der Anspruch besteht also nicht pro Krankheitsfall, sondern gesamthaft für ein Dienstjahr. Verschiedene Abwesenheiten, die zur Arbeitsunfähigkeit führen, werden zusammengezählt.
Alternative: Krankentaggeldversicherung
Durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag (NAV) oder Gesamtarbeitsvertrag (GAV) kann eine andere Regelung im Arbeitsvertrag vereinbart werden. D.h., es steht der Arbeitgeberin frei, anstelle der gesetzlichen Lohnfortzahlung gemäss Art. 324a OR eine freiwillige Krankentaggeldversicherung abzuschliessen, welche für die Folgen einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit aufkommt. Die Krankentaggeldversicherung ist nur obligatorisch, wenn sie in einem NAV oder GAV vorgesehen ist. Mittlere und grössere Unternehmen haben regelmässig freiwillige Krankentaggeldversicherungen abgeschlossen, es gibt aber Unternehmen, die keine solche Alternativlösung vorsehen. Beim Abschluss einer Krankentaggeldversicherung ist darauf zu achten, dass diese gleichwertig zur gesetzlichen Lösung ist. Dies trifft gemäss Bundesgericht insbesondere zu, wenn die Leistungen wie folgt ausgestaltet sind: Die Versicherung deckt 80% des Lohns über einen Zeitraum von 720 Tagen innerhalb 900 Tagen ab, bei einer maximalen Karenzfrist von 2–3 Tagen. Zudem muss die Prämie für die Krankentaggeldversicherung zu mindestens 50% von der Arbeitgeberin getragen werden. Auch wenn bei dieser Regelung nur 80% des Lohns bezahlt wird, erachten die Gerichte eine solche Lösung als gleichwertig, da die Leistungen insgesamt länger erbracht werden. Andere Lösungen können auch gleichwertig sein: ob eine Krankentaggeldlösung gleichwertig ist, würde in einem Streitfall das Gericht entscheiden. Empfehlenswert ist es deshalb, bei der Lösung zu bleiben, welche das Bundesgericht als gleichwertig deklariert hat.
Besteht eine gleichwertige Krankentaggeldlösung, muss die Arbeitgeberin während der krankheitsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmenden keine eigene Zahlung erbringen, es sei denn, die Krankentaggeldversicherung zahlt z.B. erst nach einer vertraglich vereinbarten Wartefrist von z.B. 30 oder 60 Tagen. In der Wartefrist muss die Arbeitgeberin den Lohn bezahlen. In der Praxis zahlen die Arbeitgeberinnen in der Wartefrist oft 100%, und erst mit Eintritt der Leistungen der Krankentaggeldversicherung wird der Lohnersatz auf 80% reduziert.
Zusammenfassend bedeutet dies, dass bei Gleichwertigkeit die Versicherungslösung anstelle der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin tritt und die Arbeitgeberin von ihrer Pflicht zur Lohnfortzahlung befreit. Das heisst, die Arbeitgeberin fungiert im Falle eines kranken Mitarbeitenden nur als «Zahlstelle» für die Weiterleitung der Taggelder an den Arbeitnehmenden (4A_514/2018; E.2.1 vom 28. November 2018). Die Arbeitgeberin erhält die Taggelder und rechnet diese ab; die eigentliche Schuldpflicht auf Ausrichtung von Taggeldern liegt aber bei der Versicherung (4A_514/2018; E.2.2).
Damit die Arbeitgeberin von ihrer Lohnfortzahlungspflicht befreit ist, braucht es neben dem Abschluss einer gleichwertigen Taggeldlösung die Erfüllung weiterer Pflichten. So muss die Arbeitgeberin beispielsweise die Prämien bezahlt haben, den Arbeitnehmenden korrekt bei der Versicherung angemeldet haben und den korrekten Lohn versichert haben.
Sollte die Versicherung keine oder nur gekürzte Taggelder ausrichten, muss der Arbeitnehmende sich direkt gegenüber der Versicherung wehren. Der Arbeitnehmende hat ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Versicherung und diese ist passivlegitimiert (nicht mehr die Arbeitgeberin). Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet für den Arbeitnehmenden die Taggelder bei der Versicherung einzutreiben, noch trifft sie bei Einhalten der oben erwähnten Voraussetzungen die Pflicht, den Lohn wieder selbst zu bezahlen, wenn die Versicherung die Leistungen kürzt/einstellt.
Umfang der Lohnfortzahlung
Während der Dauer der Krankheit ist der Grundlohn zuzüglich sämtlicher Lohnbestandteile zu bezahlen. Die Arbeitgeberin kann sich wie folgt orientieren: Was hätte der Arbeitnehmende verdient, wenn er gearbeitet hätte (Lohnausfallprinzip)? Dieser Betrag ist dem Arbeitnehmenden geschuldet. Freiwillige Leistungen der Arbeitgeberin werden nicht berücksichtigt. In Abbildung 1 werden die wesentlichen zu berücksichtigenden Lohnbestandteile aufgeführt.