Fluktuationsmanagement: Was Mitarbeitende wirklich stört

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Fluktuation kostet – mehr als gedacht
Gute Mitarbeitende zu verlieren, schmerzt doppelt – menschlich und finanziell. Gerade im heutigen Fachkräftemangel wiegt jeder Weggang schwer. Die entstehenden Kosten sind oft höher als gedacht und reichen weit über das Offensichtliche hinaus. Die direkten Ausgaben für Stelleninserate, Rekrutierung und Einarbeitung sind nur die Spitze des Eisbergs. Hinzu kommen noch weitere Kosten, die schwieriger zu beziffern sind: Produktivitätsverluste, Wissensabfluss und Unruhe im Team. Im Schnitt kostet eine Kündigung das Unternehmen etwa 90 bis 150% des Jahreslohns der betreffenden Person.1 Wer das weiss, erkennt schnell: Es lohnt sich, frühzeitig in die langfristige Bindung von Mitarbeitenden zu investieren – und ein professionelles Fluktuationsmanagement aufzubauen.
Weg vom Bauchgefühl – hin zu belastbaren Daten
Doch um tatsächlich wirksame Massnahmen zu entwickeln, reichen Flurfunk oder Bauchgefühl nicht aus. Denn beides ist trügerisch: Der Flurfunk spiegelt meist nur die Meinung einer kleinen, besonders lautstarken Gruppe wider, und das Bauchgefühl basiert auf individuellen Erfahrungen, die kaum das grosse Ganze abbilden. Was es braucht, sind echte Einblicke: Erlebnisdaten, direkt aus dem Arbeitsalltag der Mitarbeitenden. Nur sie zeigen, was wirklich stört, wo Potenziale liegen und wo es anzusetzen gilt. Eine fundierte Befragung schafft die Basis für kluge Entscheidungen, schlüssige Argumente gegenüber dem Management und gezielte Massnahmen mit messbarer Wirkung.
Viele Unternehmen erheben bereits Kennzahlen, etwa zur Fluktuation oder zum Absentismus. Diese operativen Daten liefern erste Anhaltspunkte. Sie zeigen, dass etwas nicht stimmt – aber nicht, warum. Um das zu verstehen, braucht es die Perspektive der Mitarbeitenden selbst. Erst wenn wir diese einbeziehen, verstehen wir die wahren Treiber hinter den Zahlen. Erlebnisdaten bringen Leben in die Statistik. Sie erzählen die Geschichten hinter der Zahl und zeigen, wo Veränderung wirklich ansetzen muss – ein zentrales Element eines erfolgreichen Fluktuationsmanagement (einen mehrstufigen Prozess zur Reduzierung von Fluktuation sehen Sie in Abbildung 1).
Wenn Zahlen sprechen: Ein Beispiel aus der Praxis
Ein mittelständisches Schweizer Industrieunternehmen mit 1200 Mitarbeitenden kämpft seit Jahren mit einer Fluktuationsrate von 16 bis 18%. Die Folgen sind spürbar: sinkende Produktivität, instabile Teams, wachsende Unzufriedenheit. Das HR analysiert die Zahlen – und stellt fest: Die hohe Fluktuation konzentriert sich auf zwei Bereiche – Produktion und technische Entwicklung. Andere Abteilungen haben stabile Werte.
Um die Ursachen zu verstehen, startet das HR eine gezielte Umfrage. Im ersten Schritt werden Hypothesen aufgestellt, die den Anstieg der Fluktuation in diesen beiden Bereichen erklären könnten. Zum Beispiel: «Das laute Arbeitsumfeld in der Produktion stört den Arbeitsalltag» oder «Die Karrierechancen in der technischen Entwicklung sind zu wenig attraktiv». Diese Hypothesen bilden die Grundlage für den Fragenkatalog. Die Auswahl der Themen und Inhalte ist dabei ein zentraler Erfolgsfaktor für eine gute Umfrage – aber nicht der einzige. Damit die Ergebnisse am Ende wirklich aussagekräftig und nutzbar sind, müssen weitere Punkte beachtet werden: klare und neutrale Formulierungen, richtige Fragestellungen (offen vs. geschlossen), Anonymität, sinnvolle Antwortskalen, passende Länge der Umfrage – um nur einige zu nennen.
Das HR entscheidet sich für eine Befragung mit einer Dauer von 10 bis 15 Minuten – kurz genug, um eine hohe Beteiligung zu erreichen, aber lang genug, um wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Nach einem erfolgreichen Testlauf wird die Umfrage über einen Zeitraum von zwei Wochen durchgeführt.
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Die Ergebnisse liefern klare Hinweise – und zeigen, wie unterschiedlich die Herausforderungen sein können: In der Produktion beklagen die Mitarbeitenden vor allem die unattraktive Schichtarbeit. Die Planung sei chaotisch, die Nachtschichtzuschläge ungenügend. In der technischen Entwicklung hingegen kritisieren die Mitarbeitenden in erster Linie das Führungsverhalten, fehlende Wertschätzung und mangelnde Entwicklungsperspektiven.
Mit diesen Erkenntnissen hat das HR-Team nun die beste Grundlage, um wirksame Massnahmen abzuleiten. Es gilt nun, Prioritäten zu setzen, Massnahmen zu planen und Ressourcen freizugeben. Für beide Bereiche entstehen gezielte, passgenaue Projekte. Die Schichtplanung wird komplett neu aufgestellt. Eine intuitive Software ermöglicht es Mitarbeitenden, ihre Schichten eigenständig zu tauschen und Wunschzeiten direkt zu erfassen. Schichtplanende werden auf dem neuen System geschult und erhalten zusätzlich ein Training zur Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen im Schichtmanagement. Die Nachtschichtzuschläge werden auf Branchenniveau angehoben – ein wichtiger Schritt im Rahmen eines ganzheitlichen Fluktuationsmanagements.
Die Ergebnisse aus der technischen Entwicklung hingegen deuten auf ein komplexeres Bild hin und werfen weitere Fragen auf. Um die Ursachen zu vertiefen, diskutiert HR in mehreren Fokusgruppen die folgenden Fragestellungen:
- Handelt es sich um einzelne Führungskräfte – oder ist es ein strukturelles Thema? Wie zufrieden sind die Mitarbeitenden mit den aktuellen Entwicklungsgesprächen?
- Welche Perspektiven würden sich die Mitarbeitenden für ihre berufliche Zukunft wünschen?
Die Erkenntnisse aus den Gruppen fliessen direkt in ein gemeinsames Projektteam ein – zusammengesetzt aus HR, Geschäftsleitung, Führungskräften und Mitarbeitenden. Ziel dieses neu ins Leben gerufenen Projektteams ist es, gemeinsam Massnahmen zu erarbeiten, wie Führungskräftetrainings, Mentoringprogramme oder die Überarbeitung der Entwicklungsgespräche – zentrale Bausteine für ein nachhaltiges Fluktuationsmanagement.
Ursachen statt Symptome bekämpfen
Das Beispiel zeigt: Nur wer die Ursachen kennt, kann wirksam handeln. Denn Unzufriedenheit wird selten offen kommuniziert, besonders bei sensiblen Themen wie Führung oder Arbeitslast. Viele Mitarbeitende trauen sich nicht, ihre Kritik zu äussern. Oder sie glauben, dass sich ohnehin nichts ändert. Natürlich braucht es Aufwand, um Befragungen professionell durchzuführen. Aber dieser Aufwand zahlt sich mehrfach aus. Denn nur mit validen Daten investiert man in die richtigen Massnahmen – ein zentraler Bestandteil eines wirksamen Fluktuationsmanagement.
Die Ursachen für hohe Fluktuation unterscheiden sich von Unternehmen zu Unternehmen und sogar von Abteilung zu Abteilung. Patentrezepte gibt es nicht – aber einen klaren Weg: zuhören, verstehen, handeln. So entstehen langfristige und zielgerichtete Massnahmen, die wirken. Der grosse Vorteil: Mit Befragungen lässt sich im Nachgang auch messen, ob die getroffenen Massnahmen erfolgreich sind. Führt das neue Führungskräftetraining zu mehr Vertrauen? Verbessert sich das Entwicklungsgespräch? Sinken die Fluktuationszahlen? Nur wer hinschaut und nachfragt, erkennt, was wirklich zählt – und stärkt so die Bindung der Mitarbeitenden nachhaltig.
Fluktuation ist ein Warnsignal – Erlebnisdaten sind der Wegweiser
Eine Umfrage darf keine Einmalaktion sein. Denn nur wer regelmässig zuhört, erkennt frühzeitig, wo es im Unternehmen kriselt. Die Kombination aus operativen Kennzahlen und qualitativen Erlebnisdaten macht Fluktuation und deren Ursachen verstehbar. So wird HR vom reaktiven Krisenmanager zur vorausschauenden Gestalterin – und entwickelt ein kontinuierliches, strategisch fundiertes Fluktuationsmanagement.
Fussnote
1 www.personio.de/hr-lexikon/fluktuationskosten/