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Ehe für alle: Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht

Mit der Ehe für alle haben nun auch gleichgeschlechtliche Paare Zugang zur Samenspende und zur Adoption. Das wirkt sich sowohl auf die Entschädigungen der EOG bei Elternschaft als auch auf Arbeitgebende aus.

28.03.2023 Von: Martina Filippo
Ehe für alle

Ehe für alle: Die Ausgangslage

Am 26. September 2021 hat das Schweizer Stimmvolk die Ehe für alle angenommen, welche am 1. Juli 2022 in Kraft getreten ist. Gleichgeschlechtliche Paare können nun heiraten oder ihre bereits bestehende eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umwandeln. Mit dem geänderten Gesetz können gleichgeschlechtliche Paare zivil heiraten und werden anderen Ehepaaren institutionell und rechtlich gleichgestellt. Die Ehe für alle hat in der Folge Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht, unter anderem auf die Erwerbsersatzordnung in Bezug sowohl auf die Mutterschafts- als auch auf die Vaterschaftsentschädigung, vor allem weil mit der Ehe für alle die gesetzlich geregelte Samenspende für verheiratete Frauenpaare geöffnet wurde und gleichgeschlechtliche Paare neu gemeinsam ein Kind adoptieren können.

Zwei Mütter

Wie das Kindesverhältnis der Mutter entsteht, ist in Art. 252 Abs. 1 ZGB geregelt: Es entsteht mit der Geburt. Die Frau, die das Kind zur Welt bringt, ist aus rechtlicher Sicht die Mutter des Kindes, unabhängig davon, ob sie verheiratet ist oder nicht. Zwischen dem Kind und dem «anderen Elternteil» wird es kraft der Ehe der Mutter begründet oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch Anerkennung oder durch das Gericht festgestellt (Abs. 2). Damit ist sowohl der Ehemann als auch neu die Ehefrau der Mutter gemeint. Art. 255a ZGB spezifiziert dahin gehend, dass die Ehefrau der Mutter als das «andere Elternteil» gilt, wenn das Kind nach den Bestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes vom 18. Dezember 1998 (FMedG; SR 810.11) durch eine Samenspende gezeugt wurde. Die Verwendung von Samenzellen steht grundsätzlich nur Ehepaaren zu (Art. 3 Abs. 3 FMedG). Mit der Ehe für alle wurde die gesetzlich geregelte Samenspende in der Schweiz auch verheirateten Frauenpaaren erlaubt.

Auf die Mutterschaftsentschädigung hat die Ehe für alle keine Auswirkungen: Weiterhin hat nur die Frau, die das Kind geboren hat, Anspruch auf eine Mutterschaftsentschädigung gemäss Art. 16b ff. EOG und Mutterschaftsurlaub gemäss Art. 329f OR. Was geschieht mit der Ehefrau der Mutter? Hat sie Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung i. S. v. Art. 16i ff. EOG? Und auf Vaterschaftsurlaub i. S. v. Art. 329g OR? Folgt man dem Wortlaut dieser Bestimmungen, ist immer klar und deutlich nur vom Vater die Rede und nicht etwa vom «anderen Elternteil», wie im ZGB. Gemäss Art. 16i Abs. 1 lit. a EOG ist der Mann anspruchsberechtigt, der zum Zeitpunkt der Geburt der rechtliche Vater des Kindes ist. Gleiches gilt in Art. 329g Abs. 1 OR. Wurde das Kind durch eine Samenspende gezeugt, so gilt nicht der biologische Vater (der Samenspender) als der rechtliche Vater des Kindes, sondern der Ehemann der Mutter. Unklar ist, ob der Gesetzgeber es schlichtweg vergessen hat, im Zuge der Ehe für alle die entsprechenden Anpassungen im EOG und OR vorzunehmen oder ob er tatsächlich nur für Väter die Vaterschaftsentschädigung und den Vaterschaftsurlaub vorsieht. Das Formular für die Beantragung der Vaterschaftsentschädigung enthält neu folgenden Disclaimer: «Für die Ehefrau der Mutter, die im Sinne von Art. 255a Abs. 1 ZGB als anderer Elternteil gilt, sind die Bestimmungen zur Vaterschaftsentschädigung analog anwendbar» (abrufbar auf www.ahv-iv.ch). Ob dies vor Gericht standhält, wird sich zeigen. Es wäre die saubere und rechtlich klarere Lösung gewesen, hätte der Gesetzgeber entsprechende Anpassungen im Wortlaut vorgenommen.

Zwei Väter

Für verheiratete Männer sieht die Situation anders aus: Ei- und Embryonenspende sowie die Leihmutterschaft sind in der Schweiz unzulässig (Art. 119 Abs. 2 BV; Art. 4 FMedG). Für sie gibt es nur den Weg über eine Adoption, ein Kindesverhältnis zu begründen (Art. 252 Abs. 3). Seit dem 1. Juli steht die gemeinschaftliche Volladoption auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Ehegatten dürfen ein Kind gemeinschaftlich adoptieren, wenn sie seit mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen und beide mindestens 28 Jahre alt sind (Art. 264a Abs. 1 ZGB). Selbst wenn verheiratete Männer das Verbot der Leihmutterschaft in der Schweiz umgehen und ins Ausland ausweichen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, müssen sie den Weg über eine Adoption gehen, es sei denn, das Kind wurde aufgrund von einer Samenspende des einen Ehemanns gezeugt. Er kann allenfalls den Weg über die Vaterschaftsanerkennung gehen. In diesem Fall hat der zeugende Vater Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung und Vaterschaftsurlaub, wenn er die weiteren Voraussetzungen erfüllt (Art. 16i Abs. 1 lit. a EOG und Art. 329g Abs. 1 OR).

Genetisch nicht verwandte Kinder können gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im schweizerischen Personenstandsregister nicht als eigene Kinder eingetragen werden, selbst wenn sie in der ausländischen Geburtsurkunde als solche anerkannt wurden (Urteil des Bundesgerichts 5A_443/2015 vom 14. September 2015). Es bleibt in diesen Fällen nur der lange und komplizierte Weg über eine Adoption.

Adoptionsentschädigung im EOG

Bis jetzt gab es in der Schweiz noch keine Adoptionsentschädigung. Das ändert sich am 1. Januar 2023: Es tritt der über die EO entschädigte zweiwöchige Adoptionsurlaub in Kraft. Gemäss Art. 16t Abs. 1 E-EOG sind Personen anspruchsberechtigt, die ein weniger als vier Jahre altes Kind zur Adoption aufnehmen (lit. a), während der neun Monate unmittelbar vor der Aufnahme des Kindes im Sinne des AHVG obligatorisch versichert waren und mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben (lit. b) und zum Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes Arbeitnehmende i. S. v. Art. 10 ATSG sind (lit. c Ziff. 1), Selbstständigerwerbende i. S. v. Art. 12 ATSG sind (lit. c Ziff. 2) oder im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mitarbeiten und einen Barlohn beziehen (lit. c Ziff. 3). Bei einer gemeinschaftlichen Adoption müssen beide Elternteile die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen, und es entsteht nur ein Anspruch auf Entschädigung (Abs. 2). Teilen die Eltern den Adoptionsurlaub auf, so hat jeder Elternteil Anspruch auf die Entschädigung während seines Urlaubs (Abs. 3). Werden gleichzeitig mehrere Kinder aufgenommen, so entsteht nur ein Anspruch (Abs. 4). Kein Anspruch entsteht bei einer Stiefkindadoption nach Art. 264c Abs. 1 ZGB (Abs. 5).

Für den Bezug der Adoptionsentschädigung gilt eine Rahmenfrist von einem Jahr. Sowohl die Rahmenfrist als auch der Anspruch beginnen am Tag der Aufnahme des Kindes. Der Anspruch endet nach Ablauf der Rahmenfrist, nach Ausschöpfung der Taggelder, wenn die anspruchsberechtigte Person stirbt oder wenn das Kind stirbt (Art. 16u E-EOG). Die Entschädigung erfolgt in der Form von Taggeldern (Art. 16v Abs. 1 E-EOG). Es besteht Anspruch auf höchstens 14 Taggelder (Abs. 2). Wird der Urlaub wochenweise bezogen, so werden pro Woche sieben Taggelder ausgerichtet (Abs. 3). Wird der Urlaub tageweise bezogen, so werden pro fünf entschädigte Tage zusätzlich zwei Taggelder ausgerichtet (Abs. 4). Das Taggeld beträgt 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor dem Beginn des Anspruchs auf die Adoptionsentschädigung erzielt wurde. Für die Ermittlung des Einkommens gelten die gleichen Regelungen wie bei der Vaterschafts- oder der Mutterschaftsentschädigung (Art. 16w Abs. 2 E-EOG i. V. m. Art. 11 Abs. 1 EOG), und Art. 16f EOG gilt sinngemäss (Art. 16w Abs. 3 E-EOG), d. h., es gilt der Höchstbetrag von CHF 220.– am Tag. Teilen die Eltern den Adoptionsurlaub auf, so wird die Entschädigung für jeden Elternteil gesondert berechnet (Abs. 4).

Die Kantone können eine höhere oder länger dauernde Adoptionsentschädigung vorsehen und zu deren Finanzierung besondere Beiträge erheben (Art. 16x E-EOG).

Adoptionsurlaub im OR

Auch im OR gibt es ab dem. 1. Januar 2023 eine neue Bestimmung, welche den Urlaubsanspruch von Arbeitnehmenden bei Adoptionen regelt: Nimmt die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ein Kind zur Adoption auf, so besteht bei Erfüllen der Voraussetzungen gemäss Art. 16t E-EOG Anspruch auf einen Adoptionsurlaub von zwei Wochen (Art. 329j Abs. 1 E-OR). Der Adoptionsurlaub muss innerhalb des ersten Jahres nach Aufnahme des Kindes bezogen werden (Abs. 2). Er kann von einem Elternteil bezogen oder unter den Eltern aufgeteilt werden (Abs. 3). Ein gleichzeitiger Bezug ist ausgeschlossen. Er kann wochen- oder tageweise bezogen werden (Abs. 4). Die Ferien dürfen bei Bezug eines Adoptionsurlaubs nicht gekürzt werden (Art. 329b Abs. 3 lit. e E-OR). Zudem gehört der Adoptionsurlaub zur Liste der relativ zwingenden Normen des Art. 362 Abs. 1 OR, d. h., es darf nicht zuungunsten der Arbeitnehmenden durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag davon abgewichen werden. Die Gewährung eines längeren Adoptionsurlaubs durch Arbeitgebende ist aber denkbar und möglich.

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