Kündigung zur Unzeit: Risikominderung durch den pauschalisierten Schadenersatz

Viele Dienstleistungsverträge erweisen sich aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichts als jederzeit kündbar, auch wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Dieser Beitrag beschreibt, wann das Risiko eines jederzeitigen Kündigungsrechts besteht – und wie man ihm begegnen kann, bei einer Kündigung zur Unzeit.

29.04.2025 Von: Regula Heinzelmann
Kündigung zur Unzeit

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das jederzeitige Kündigungsrecht gemäss Art. 404 OR zwingend und kann auch nicht indirekt beschränkt werden kann, wie etwa durch Vereinbarung einer Konventionalstrafe. Dienstleister wie Kunde sind demnach jederzeit berechtigt, den Vertrag per sofort zu kündigen – auch wenn sie in ihrem Vertrag etwas anderes vereinbart haben, wie insbesondere Kündigungsfristen. So kann der Fall eintreten, dass eine umfangreiche vertragliche Kündigungsregelung, auf welche zumindest der eine Vertragspartner vertraut hat, plötzlich nicht mehr gilt. Der Auftraggeber hat dem Beauftragten die bereits geleistete Arbeit zu vergüten; gegenseitige Ansprüche können verrechnet werden.

Wichtig: Dienstleistern und Kunden ist es oft nicht bewusst, wenn sie ihren Vertrag abschliessen: Dienstleistungsverträge unterstehen aus juristischer Sicht häufig den gesetzlichen Bestimmungen über den Auftrag (Art. 394 ff.OR).

Bei atypischen und gemischten Verträgen

Das Bundesgericht betrachtet Art. 404 OR auch bei Gemischten Verträgen oder «atypischen» Aufträgen als zwingend. Unter gemischten Verträgen versteht man Vereinbarungen, die verschiedene Elemente gesetzlicher Vertragstypen aufweisen und nicht eindeutig einer Vertragsart zugeordnet werden können. Beispiele dafür sind Auftragsverhältnisse mit Architekten, Liegenschaftsverwaltungsverträge, Musikmanagement-Verträge sowie Unterrichtsverträge, siehe unten. Bei «atypischen» Aufträgen oder «gemischten Verträgen», so die Meinung vieler juristischer Autoren, sollte Art. 404 OR aber entgegen dem Bundesgericht nicht als zwingend angesehen werden und sollen abweichende Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern zulässig sein. Das Bundesgericht hat aber in einem aktuellen Urteil diese Rechtssprechung wieder bestätigt, siehe unten. 

Demzufolge lässt sich das Kündigungsrecht nicht durch geschickte Vertragsausgestaltung umgehen. Das Auftragsrecht erfasst alle Vereinbarungen, die nicht einem gesetzlichen Sondertypus unterstellt sind wie z.B. der Arbeits- oder Werkvertrag. Vom Arbeitsvertrag unterscheidet sich der Auftrag insofern, als es an der typischen Einordung in eine fremde Betriebsorganisation (Subordinationsverhältnis) fehlt. Auftraggeber und Beauftragter befinden sich nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis. Vielmehr ist der Beauftragte selbstständig tätig. Typisch für den Werkvertag ist der geschuldete Erfolg. Demgegenüber wird beim Auftrag ein blosses sorgfältiges Tätigwerden verlangt, siehe Bundesgerichtsentscheid unten.

Urteil: 4A_436/2021 Urteil vom 22. März 2022 

Das folgende aktuelle Bundesgerichtsurteil behandelte die wesentlichen Fragen, in Bezug auf Einordnung eines Dienstleistungsvertrages als Auftrag, Werkvertrag oder Gemischten Vertrag, sowie die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit und die Kündigung zur Unzeit. Dabei ging es um einen Vertrag betreffend Shisha (Wasserpfeifen)-Service. Zu beurteilen waren Ansprüche aus einem Vertrag zwischen der B GmbH und der A AG über die Kündigung eines Shisha-Service-Vertrages. Die Dienstleistung der B. GmbH bestand darin, dass sie auf Bestellung der Gäste auf dem Areal der A AG Shishas (Wasserpfeifen) konsumfertig vorbereitete und den Gästen anschliessend durch eigenes Personal servierte. Dazu verarbeitete die B GmbH eigenes Rohmaterial und interpretierte das im Sinne eines Werkvertrages. Die A AG hatte diesen Service 2016 und 2017 in Anspruch genommen und kündigte daraufhin den Vertrag. Die B GmbH akzeptierte das nicht und klagte auf Schadenersatz. Sie war der Ansicht, dass es sich dabei um einen Werkvertrag handelte und die Kündigung zu spät erfolgte. Die Vorinstanz hiess die Klage teilweise gut. Die Angelegenheit kam vor das Bundesgericht.

Das Bundesgericht musste erst einmal beurteilen, um welche Art Vertrag es sich handelte. Ein Problem war, dass kein schriftliches grundlegendes Vertragsdokument existierte – daran sieht man wie wichtig das bei langfristigen Verträgen ist. Das Gericht entschied auf Grund des E-Mailverkehrs, dass ein Vertrag für das Jahr 2018 zustandegekommen sei. 

Das Bundesgericht formulierte zuerst die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Werkvertrag und Auftrag: Ein Werkvertrag liegt vor, wenn sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Leistung einer Vergütung verpflichtet (Art. 363 OR). Typisch für den Werkvertrag ist, dass der Unternehmer nicht nur Arbeit, sondern einen Arbeitserfolg in Form eines Werkes schuldet. Durch die Annahme eines Auftrags hingegen verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen (Art. 394 Abs. 1 OR). Er haftet dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäfts (Art. 398 Abs. 2 OR). Der Beauftragte hat grundsätzlich nicht für den Erfolg seiner Tätigkeit einzustehen.

Die Vorinstanz hatte den Vertrag zwischen der A AG und der B GmbH als Werkvertrag qualifiziert, den Rücktritt entsprechend nach Art. 377 OR beurteilt und der B GmbH 80 Prozent des durch den Shisha-Service entstandenen Umsatzes als Schadenersatz zugesprochen. Das Bundesgericht war damit nicht einverstanden. Wie die A AG zu Recht ausführte, bestanden die Leistungen der B GmbH darin, auf ihrem Areal in enger Zusammenarbeit einen Shisha-Service anzubieten. Die A AG machte zu Recht auch geltend, die Pflicht zur Bereitstellung einer Dienstleistung gegenüber Dritten, deren Anzahl und Konsumverhalten nicht durch die Parteien direkt bestimmt werden könne, sondern von äusseren Umständen abhänge, spreche nicht für einen Werkvertrag. Dass die eigentliche Herstellung der Shisha-Raucherware durch die B GmbH (Vorbereitung der Wasserpfeifen mit Wasser, Alufolie und Tabak sowie anschliessendes Zusammensetzen und Anzünden mittels Kohle) ein "überprüfbarer Arbeitserfolg" bildet, vermochte das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht als Werkvertrag zu qualifizieren. Vielmehr war von einem gemischten Vertrag auszugehen, bei dem auftragsrechtliche Elemente dominieren. Deswegen, so das Bundesgericht, beurteilten sich die Rechtsfolgen des Verzichts der A AG auf die Durchführung des Shisha-Services grundsätzlich nach Art. 404 OR.

Nach Art. 404 Abs. 1 OR kann ein Auftrag jederzeit widerrufen oder gekündigt werden. Dieses Beendigungsrecht ist zwingend und darf weder vertraglich wegbedungen noch eingeschränkt werden. Es besteht daher auch, wenn ein Auftrag mit einer festen Dauer vereinbart wurde. Es gilt sowohl für reine Auftragsverhältnisse als auch für gemischte Verträge, für welche hinsichtlich der zeitlichen Bindung der Parteien die Bestimmungen des Auftragsrechts als sachgerecht erscheinen, sowie auf atypische Auftragsverhältnisse. Das Bundesgericht hat trotz Kritik der Lehre an dieser Praxis festgehalten. Für die Frage, ob hinsichtlich der zeitlichen Bindung der Parteien die Bestimmungen des Auftragsrechts als sachgerecht erscheinen, wird vor allem darauf abgestellt, ob nach Art des Vertrages ein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien unerlässlich ist und ihm besondere Bedeutung zukommt.

Art. 404 Abs. 2 OR sieht vor, dass die Partei, die den Vertrag zur Unzeit widerruft oder kündigt, der anderen Partei den Schaden zu ersetzen hat, der ihr dadurch entsteht. Damit ein Schadenersatzanspruch besteht, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Es dürfen keine ernsthaften Gründe für die Kündigung vorliegen und der Schadenersatz beanspruchenden Partei muss aufgrund von Dispositionen, die sie zur Erfüllung des Auftrags getroffen hat, ein Schaden entstanden sein, womit das Bundesgericht ebenfalls seine frühere Rechtsprechung bestätigte. Vor allem liegt keine Kündigung des Auftrags zur Unzeit vor, wenn der Beauftragte dem Auftraggeber begründeten Anlass zur Auftragsauflösung gegeben hat.  

Ein Anspruch auf Schadenersatz des Vertragspartners des Kündigenden kommt nur in beschränktem Rahmen infrage. Nach Art. 404 Abs. 2 OR setzt ein solcher Anspruch voraus, dass die Kündigung «zur Unzeit» erfolgte. Sprich: Wenn sie in einem für den Vertragspartnern ungünstigen Moment und ohne sachliche Rechtfertigung erfolgt und dem Vertragspartner dabei besondere Nachteile verursacht. Beschränkt ist aber auch der Umfang des allenfalls zu ersetzenden Schadens. Dieser ist aufgrund von Art. 404 Abs. 2 OR auf den Ersatz dessen limitiert, was der Vertragspartner gehabt hätte, wenn die Kündigung nicht gerade zur Unzeit erfolgt wäre. So kann beispielsweise Ersatz verlangt werden für nutzlos gewordene Aufwendungen, die in Hinblick auf den Auftrag getätigt wurden, oder für Gewinn, auf den der Beauftragte verzichtet hat, um sich dem Auftrag zu widmen. Das Interesse an der Fortdauer des Auftrags wird durch Art. 404 Abs. 2 OR nicht geschützt. 

Kündigung zur Unzeit

Wie bereits dargestellt, kann das jederzeitige Beendigungsrecht nicht wegbedungen werden. Jedoch sieht Art. 404 Abs. 2 OR Schadenersatz für den Fall vor, dass eine Auftragskündigung zur Unzeit erfolgt. Dabei ist die zurücktretende Partei zum Ersatz des der Gegenpartei verursachten Schadens verpflichtet. Eine Kündigung zur Unzeit wird angenommen, wenn die beendigungswillige Partei ohne Grund, d.h. in einem ungünstigen Moment ohne sachliche Rechtfertigung, der anderen Partei besondere Nachteile verursacht.

Kündigung zur Unzeit wegen treuwidrigen Verhaltens: Kündigung zur Unzeit besteht nach Bundesgericht auch, wenn der Auftraggeber den Vertrag in einem Zeitpunkt auflöst, in dem sämtliche Vorbereitungen für den erfolgreichen Abschluss einer Transaktion (z.B. eines Inkassos) geleistet sind, die den Beauftragten zu einem Honorar berechtigt, und nur noch der Abschluss der Transaktion selbst aussteht. Das interpretiert das Bundesgericht regelmässig als treuwidriges Verhalten des Auftraggebers mit dem Zweck, den Honoraranspruch zu vereiteln. Wird die honorarbegründende Transaktion in diesem Fall nach Vertragsbeendigung abgeschlossen, ist der Beauftragte so zu stellen, wie wenn dies noch während der Vertragsdauer geschehen wäre (BGE 4A_523/2018 vom 6. Dezember 2018). 

Der Widerruf zur Unzeit verpflichtet die vom Vertrag zurücktretende Partei, Schadenersatz zu leisten. Dieser bemisst sich grundsätzlich nach den nutzlos gewordenen Aufwendungen (negatives Vertragsinteresse). Dazu gehören die Kosten des Vertragsabschlusses, infolge Vertragsauflösung unnütz gewordene Dispositionen, etc. Anspruch auf entgangenen Gewinn besteht grundsätzlich nicht, sondern lediglich auf Ausgleich der besonderen Nachteile als Folge des unzeitigen Widerrufs.

Daraus resultiert, dass entgangener Gewinn nur geltend gemacht werden kann, wenn bewiesen wird, dass andere entgeltliche Aufträge abgelehnt worden sind und es keine entsprechenden neuen Aufträge gibt. Dies ist schwierig zu beweisen und deshalb mit grosser Unsicherheit verbunden.

Hingegen kann für den Fall eines Widerrufs zur Unzeit gemäss Art. 404 Abs. 2 OR eine Konventionalstrafe vereinbart werden. Sie hat den Vorteil, dass auch in reduziertem Ausmass entgangener Gewinn geltend gemacht werden kann.

Die Höhe des pauschalisierten Schadenersatzes ist einzelfallabhängig. Dabei ist eine Pauschale, die die Höhe des vollen Honorars erreicht, in der Regel unzulässig. Ein übermässiger Betrag kann vom Gericht nach Art. 163 Abs. 3 OR herabgesetzt werden.

Praxisbeispiel: Kündigung eines Unterrichtsvertrages

Ein Bundesgerichtsentscheid vom 6. Juli 2011 (4A_141/2011) befasste sich mit der Frage, ob der Weiterbildungsanbieter Semesterbeträge zurückerstatten muss, wenn ein Teilnehmer mitten im Semester den Kurs abbricht. Nach Vertrag konnte der Anbieter die Gebühren behalten. Das Bundesgericht hielt an seiner Praxis fest, dass das Recht zur jederzeitigen Beendigung eines Auftrags nach OR Art. 404 zwingend sei und vertraglich weder wegbedungen noch eingeschränkt werden kann. Das gelte nicht nur für reine Auftragsverhältnisse sondern auch für gemischte Verträge, auf die man sachgerecht das Auftragsrecht anwenden kann, also auch für den Unterrichts- bzw. Internatsvertrag. 

Weiter gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt für eine Auflösung zur Unzeit, dass der Beauftragte dazu keinen begründeten Anlass gegeben hat und die Vertragsauflösung für den Beauftragten hinsichtlich des Zeitpunkts und der von ihm getroffenen Dispositionen nachteilig ist. Auch nach einem neueren Urteil gilt eine Auftragskündigung aus einem der Risikosphäre der zurücktretenden Partei zuzuordnenden Grund, wie gesundheitliche Probleme während einer Weiterbildung, nicht als Rechtfertigung für eine Kündigung zu Unzeit. Prinzipiell wird gefordert, dass die nicht zurücktretende Partei der anderen Partei einen Anlass für deren Rücktritt setzt (Bundesgerichtsurteil 4A_275/2019 vom 29. August 2019). Man kann sogar in einem Unterrichtsvertrag vereinbaren, dass gesundheitliche Gründe nicht zum Rücktritt berechtigen.

Fazit

Das jederzeitige Kündigungsrecht im Auftragsverhältnis birgt vor allem aufseiten der Auftragnehmer wegen der dauernden Ausfallgefahr von Aufträgen finanzielle Risiken. Dieses Kündigungsrecht kann auch in gegenseitigem Einvernehmen nicht wegbedungen werden. Tritt der Auftraggeber vom Vertrag zurück, sind lediglich die bisherigen Aufwendungen des Beauftragten zu vergüten. Einzig bei der Kündigung zur Unzeit kann eine Entschädigung geschuldet sein, wobei diese nur für bereits getätigte, nutzlos gewordene Dispositionen zu leisten ist.

Durch vertragliche Verankerung einer Schadenspauschale bei der Kündigung zur Unzeit kann sich der Auftragnehmer jedoch absichern. Insbesondere wird die Chance erhöht, für die eigenen finanziellen Ausfälle vergütet zu werden. Zudem wirkt sie abschreckend im Sinne, dass dem Auftraggeber die finanziellen Risiken einer Kündigung zur Unzeit vor Augen geführt werden.

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