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Zahlungsfähigkeit: Die kontinuierliche Überwachung als Aufgabe des Verwaltungsrats

Die jüngste Revision des Schweizer Aktienrechts, welche am 19. Juni 2020 vom Parlament verabschiedet wurde, verpflichtet den Verwaltungsrat in Art. 725 Abs. 1 OR zur Überwachung die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft.

19.09.2023 Von: Prof. Dr. Thomas Rautenstrauch
Zahlungsfähigkeit

Einleitung

Die Überwachung erfolgt ergänzend zu den Bestimmungen des Art. 716a OR, der dem Verwaltungsrat im Zusammenhang mit dem Finanz- und Rechnungswesen die folgenden unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben zuschreibt:

  1. Verantwortung für die Ausgestaltung des Rechnungswesens

  2. Verantwortung für die Finanzplanung und Finanzkontrolle

  3. Vorbereitung der Generalversammlung

  4. Einreichung eines Gesuchs um Nachlassstundung und

  5. Benachrichtigung des Gerichts im Falle der Überschuldung

Damit rückt der Gesetzgeber die Verantwortung für eine vom Jahresabschluss entkoppelte und somit kontinuierliche Planung und Kontrolle der Zahlungsfähigkeit bzw. der Liquidität des Unternehmens explizit in die Zuständigkeit des Verwaltungsrats. Die Liquiditätsplanung sollte dabei in rollierender Form mindestens den Zeitraum eines Geschäftsjahres umfassen sowie die voraussichtlichen Ein- und Auszahlungen abbilden.

Der prinzipielle Aufbau einer Liquiditätsplanung (Giesen, 2022)

Monat

Januar

Februar

März

Liquide Mittel am Periodenanfang

       

Einzahlungen

       

Einzahlungen aus …

       

Einzahlungen aus …

       

Summe Einzahlungen

       

Auszahlungen

       

Auszahlungen für …

       

Auszahlungen für …

       

Summe Auszahlungen

       

Differenz

       

Sicherheitspuffer

       

Liquide Mittel
am Periodenende

       

offene Kreditlinie

       

Summe Liquide Mittel

       

Zudem wird der Verwaltungsrat durch das revidierte Aktienrecht im Fall einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in die Pflicht genommen, Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit und – soweit erforderlich – weitere Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft zu ergreifen oder in der Generalversammlung solche zu beantragen, soweit sie in seine Zuständigkeit fallen. Er reicht nötigenfalls ein Gesuch um Nachlassstundung ein.

Damit kommt der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit eine Schlüsselrolle im Kontext der Unternehmenssanierung zu, wobei der vorliegende Beitrag die zugehörigen Aufgabenfelder und Anforderungen an die kontinuierliche Überwachung der Zahlungsfähigkeit erläutert.

Begriff und Verständnis der Zahlungsfähigkeit

Zahlungsfähigkeit beschreibt die Eigenschaft einer Unternehmung, jederzeit ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllen zu können. Somit ist Zahlungsfähigkeit eine Zustandsbeschreibung und liegt zu einem bestimmten Zeitpunkt vor oder eben nicht. Es gibt weder eine intensitätsmässige Abstufung der Zahlungsfähigkeit noch eine andere mögliche Differenzierung der Zahlungsfähigkeit.

Eine zeitpunktbezogene Zahlungsfähigkeit bzw. Liquidität ist gegeben, wenn die Unternehmung zahlungsfähig ist und mit ihrem Guthaben an Zahlungsmitteln und/oder freien Kreditlinien die fälligen Zahlungen vornehmen kann.

So verstanden wird Zahlungsfähigkeit durch die folgende Gleichung angegeben:

Zahlungsmittel + freie Kreditlinien > = zwingende Auszahlungen

Für eine zu betrachtende Zeitperiode, für die die Zahlungsfähigkeit überwacht werden soll, gilt entsprechend die folgende Berechnungsvorschrift (ohne Berücksichtigung offener Kreditlinien):

Anfangsbestand an Zahlungsmitteln

+ Einzahlung während der Periode

Zwingende Auszahlungen während der Periode

> = 0

Die oben genannte Berechnung zur Ermittlung der zeitraumbezogenen Zahlungsfähigkeit garantiert nur die Periodenliquidität am Periodenende, jedoch nicht auch zu allen Zeitpunkten während der Periode.

Wenn allfällige freie Kreditlinien einbezogen werden, wären zu den Guthaben an flüssigen Mitteln noch die für unmittelbare Zahlungen verfügbaren (ungenützten) Kreditlinien hinzuzurechnen.

Kategorien und Bestimmungsfaktoren der Liquiditätsprognose

Die folgenden drei Zielkategorien einer Liquiditätsprognose lassen sich unterscheiden:

  • potenzielle Liquidität (betrifft sowohl die Veräusserungsfähigkeit von Vermögenswerten wie auch die Möglichkeit der Beleihbarkeit von Vermögenswerten z.B. durch eine Bank)

  • zukünftige Liquidität (betrifft die Fähigkeit, mittels zukünftiger Erträge in Zukunft Liquidität zu generieren)

  • antizipierte Liquidität (kann durch die Beleihung von zukünftigen Überschüssen einer Unternehmung durch eine Bank realisiert werden)

Um die derzeitige und zukünftige Zahlungsfähigkeit einer Unternehmung zu ermitteln, ist die Prognose zukünftiger Einzahlungen relevant. Hierfür sind die folgenden Daten notwendig:

  • Barverkäufe und sonstige Bareinnahmen

  • Einnahmen aus Kundendarlehen

  • Zinserträge

  • Verkauf von Anlagevermögen

  • Einzahlungen der Anteilseigner

  • Fälligkeitsdatum von Ausgangsrechnungen, sonstigen Verkaufsrechnungen oder für Teilzahlungen aus Kundenprojekten bzw. Projektaufträgen

  • erwartete Zahlungseingangsdaten

  • durchschnittliche Debitorenfrist (diese wird zum Rechnungsdatum addiert, um das voraussichtliche Zahlungseingangsdatum zu ermitteln)

  • zweifelhafte Forderungen (umfassen Forderungsbeträge, die bei der Liquiditätsprognose nicht einzubeziehen sind, weil sie aller Voraussicht nach nicht zufliessen)

Bei begründeten Zweifeln an der Sicherheit der o.g. Einzahlungen sollten entsprechende Korrekturfaktoren einbezogen werden.

Analog zur Einzahlungsseite wird die Auszahlungsseite durch die folgenden Daten prognostizierbar:

  • Zahlungstermine der Eingangsrechnungen und sonstiger Rechnungen in Abhängigkeit von Fälligkeitsdatum bzw. Skontodatum

  • Zahlungstermine von zahlungswirksamen Betriebskosten, wie Löhne und Sozialkosten, Leasning/Miete, Versicherungsbeiträge, Zinsen u.a.

  • Daueraufträge mit geplanten Zahlungsterminen

  • Erfassung ausgelöster Bestellungen bei Lieferanten sowie der zugehörigen Zahlungsbedingungen

  • voraussichtliche Kapitalabflüsse für die Rückzahlung von Darlehen, die Realisierung von Investitionen oder Auszahlungen an Eigentümer

Analyse und Beurteilung der Zahlungsfähigkeit

Eine zahlungsfähige Unternehmung wird auch als liquide beschrieben, weil sie ihren vertraglich vereinbarten, finanziellen Verpflichtungen jederzeit nachkommen kann.

Die kontinuierliche Überwachung der Zahlungsfähigkeit dient zur Sicherstellung der jederzeitigen Liquidität des Unternehmens und somit vor allem dem Gläubigerschutz. Allerdings verfügen Unternehmen, die sich in einer finanziellen Notsituation befinden, häufig über kein adäquates Liquiditätsmanagement, was die Analyse und Beurteilung der Zahlungsfähigkeit erheblich erschwert.

Die Analyse und Beurteilung der Zahlungsfähigkeit erfolgt in der Praxis regelmässig über eine stichtagsbezogene Ermittlung der Liquidität mittels Kennzahlen. Hierbei wird der Bestand an liquiden bis hin zu liquiditätsnahen Vermögenswerten dem kurzfristigen Fremdkapital (kurzfristige Verbindlichkeiten) gegenübergestellt. Man unterscheidet hierfür drei Liquiditätskennzahlen:

Kennzahl

Berechnung

Kommentierung

Liquiditätsgrad 1 (engl. Cash Ratio)

flüssige Mittel x 100 
/
kurzfist. Fremdkapital

branchenabhängig

Liquiditätsgrad 1 (engl. Quick Ratio)

(Umlaufvermögen - Vorräte) x 100
/
kurzfrist. Fremdkapital

Zielwert: 100%

Liquiditätsgrad 3 (engl. Current Ratio)

Umlaufvermögen x 100
/
kurzfrist. Fremdkapital

Zielwert: 130 bis 150%

Alternativ dazu kann durch eine Gegenüberstellung der Einzahlungs- und Auszahlungsseite die Zahlungsfähigkeit im Rahmen eines Liquiditätsplans ebenfalls vollständig und geordnet ermittelt werden. Hierbei handelt es sich um einen Einnahmen-/Ausgabenplan, in dem alle erwarteten Zu- und Abflüsse an Zahlungsmitteln mindestens über die nächsten drei Monate erfasst werden:

  1. die Kassenbestände und jederzeit verfügbaren Bankguthaben

  2. die fälligen, kurzfristig realisierbaren Forderungen

  3. das nicht betriebsnotwendige, kurzfristig veräusserbare Anlagevermögen

  4. die sicheren Kreditzusagen von Bankinstituten (sogenannte offene Kreditlinie) sowie

  5. die sonstigen zahlungswirksamen Einkünfte bzw. Erträge

Demgegenüber umfasst die Auszahlungsseite insbesondere

  1. nicht gestundete Verbindlichkeiten wie beispielsweise mögliche Zins-/Tilgungsverpflichtungen aus bestehenden Kreditverträgen, einschließlich kapitalersetzender Darlehen (ohne ggf. Rangrücktritt), und

  2. fällig gestellte Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten.

Um eine mögliche Liquiditätslücke (verstanden als: Liquiditätsbedarf > Liquiditätsbestand) aufzuzeigen, gilt es, die Veränderungen der einzelnen Bestandsgrössen im Zeitablauf im Rahmen eines Finanzplans zu modellieren bzw. zu prognostizieren, sodass auf dieser Basis im nächsten Schritt dann die zeitpunktbezogene Prüfung der Zahlungsfähigkeit erfolgen kann.

Fazit

Gerade in Zeiten von Unsicherheit und Risiko, wie sie durch die COVID-Pandemie ausgelöst wurde, ist Klarheit über die Auswirkung und Veränderung von Risikofaktoren auf die resultierende Unternehmensliquidität von hoher Relevanz.

Prognosen und Simulationen der Liquidität können dann dem Verwaltungsrat frühzeitig aufzeigen, ob und wie sich die geplanten Cashflows der Unternehmung voraussichtlich entwickeln werden. Dazu benötigen Unternehmen eine entsprechende Datenbasis, auf der dann die Durchführung von Analysen aufbauen kann, die auch Inputfaktoren aus dem Risikomanagement einbeziehen sollte, wie:

  • Entwicklung der wichtigsten Währungskurse und Materialpreise

  • Entwicklung von variablen Zahlungsverpflichtungen sowie den Zahlungseingängen aus getätigten Investitionen

  • Entwicklung der Kundenzahlungen unter Berücksichtigung von Zahlungsverhalten und -ausfällen der Kunden

  • Entwicklung der eigenen Zahlungen anhand des Managements interner Zahlungsflüsse und der gegenüber Dritten beanspruchten Zahlungskonditionen

Quellen- und Literaturhinweise

Gebhardt, Günther/Mansch, Helmut (Hrsg.): Management und Abbildung von Liquidität und Liquiditätsrisiken, Arbeitskreis Finanzierungsrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft, Heidelberg (SpringerGabler) 2019.

Giesen, K. (2022): Quick Guide – Krisenfrüherkennung im Unternehmen. Wiesbaden (SpringerGabler).

KPMG, Corporate Treasury News, Ausgabe 105, Oktober 2020.

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