Rückwirkende Option: Ist eine Korrektur von MWST-relevanten Rechnungen möglich?
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Bundesgerichtsentscheid 2C_853/2021 vom 12. Mai 2022
Im Frühjahr 2022 beurteilte das Bundesgericht einen MWST-Sachverhalt bezüglich nachträglicher Korrektur von Rechnungen, welche die MWST ausgewiesen hatten.
Die steuerpflichtige Gesellschaft stellte im Jahr 2012 Mietrechnungen mit ausgewiesener MWST an die Mieter aus. Nachdem sie den Treuhänder gewechselt hatte, stellte dieser fest, dass die MWST, die den Mietern in Rechnung gestellt wurden, von diesen nicht zurückgefordert werden konnten, da diese grösstenteils nach der Saldosteuersatzmethode abrechneten.
Im Oktober 2015 empfahl ihr der neue Berater, die Rechnungen für die Vermietung zu korrigieren, für dessen Versteuerung sie sich seiner Meinung nach irrtümlich entschieden hatte. Im ersten Halbjahr 2016 reichte die Steuerpflichtige die berichtigten Abrechnungen für die Jahre 2012–2016 bei der ESTV ein. Nach zahlreichen schriftlichen und mündlichen Gesprächen zwischen der Steuerpflichtigen und der ESTV wurden der Steuerpflichtigen schliesslich die fraglichen Mehrwertsteuerbeträge erstattet. Ende 2016 informierte die Steuerpflichtige die betroffenen Mieter über ihre Fehler und stellte ihnen Gutschriften über den ihrer Meinung nach zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuerbetrag auf den Mieten der Jahre 2012–2015 aus.
Anlässlich einer im Jahr 2017 durchgeführten MWST-Kontrolle, die sich auf die Steuerperioden 2012–2016 bezog, stellte die ESTV fest, dass die Steuerpflichtige bestimmte gewerbliche Mieten, auf deren ursprünglichen Rechnungen die MWST ausgewiesen war, nicht deklariert bzw. abgerechnet hatte. Die ESTV setzte sich auf den Standpunkt, dass die Annullierung der Option für die Besteuerung der Mieten nicht über das Jahr hinausgehen darf, in dem die Annullierung stattgefunden hatte. Die für die Jahre 2012–2015 vorgenommenen Korrekturen würden daher zu einer ungerechtfertigten Nichtbesteuerung führen.
Ausgenommene Mieterträge und Möglichkeit der Option
Gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 21 MWSTG ist die Überlassung von Grundstücken und Grundstücksteilen zum Gebrauch oder zur Nutzung von der Steuer ausgenommen. Das Gesetz sieht weiter vor, dass die steuerpflichtige Person – unter Vorbehalt von Ausnahmen, die hier nicht in Betracht kommen – von der Steuer ausgenommene Leistungen der Steuer unterwerfen kann (sog. Option). Die Option wird entweder durch offenen Ausweis der Steuer oder durch Deklaration in der MWST-Abrechnung ausgeübt.
Aus Sicht der leistungserbringenden, optierenden Person stellt sich die Option als doppelrelevante Tatsache dar:
- Die rechtswirksam ausgeübte Option führt einerseits zur Versteuerung der Leistung (Mietertrag).
- Andererseits beseitigt sie den ansonsten gegebenen Ausschluss der Vorsteuerabzugsberechtigung.
Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Steuerpflichtige die MWST auf den Mietrechnungen ausgewiesen und in den Quartalsabrechnungen deklariert hat. Damit wurden alle Voraussetzungen für die Besteuerung von optierbaren Leistungen gültig erfüllt. Jedoch bestritt die Steuerpflichtige, dass sie die Steuer schuldet. Sie sei nämlich berechtigt gewesen, die Rechnungen zu korrigieren, welche die MWST ausgewiesen hätten.
Wie lange darf eine Rechnung noch nachträglich korrigiert werden?
Nach Art. 27 Abs. 4 MWSTG kann die nachträgliche Korrektur einer Rechnung innerhalb des handelsrechtlich Zulässigen durch ein empfangsbedürftiges Dokument erfolgen, das auf die ursprüngliche Rechnung verweist und diese widerruft. Der Wortlaut dieser Bestimmung ist insofern nicht eindeutig, als der Begriff «später» nicht definiert, innerhalb welcher Frist die Berichtigung der Rechnung erfolgen kann.
Jedoch ist festzuhalten, dass die Korrektur einer Rechnung nur in den in Art. 27 Abs. 2 MWSTG vorgesehenen Fällen erfolgen kann, d.h. wenn
- der Steuerpflichtige die Steuer in einer Rechnung ausweist, ohne dazu berechtigt zu sein, oder
- die Rechnung einen zu hohen Steuersatz oder -betrag ausweist.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, denn die Steuerpflichtige hat die MWST auf den fraglichen Rechnungen für die Vermietung klar ausgewiesen und damit von der Besteuerungsoption nach Art. 22 MWSTG ordnungsgemäss Gebrauch gemacht. Somit blieb nur noch die Frage strittig, ob die Steuerpflichtige rückwirkend auf die Option zur Besteuerung der Mieten verzichten konnte.
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Bereits in BGE 140 II 495 hat das Bundesgericht die Tragweite von Art. 22 MWSTG (Option für die Versteuerung der von der Steuer ausgenommenen Leistungen) geprüft. Es stellte fest, dass es als unangemessen erachtet wird, wenn rückwirkend für die Besteuerung einer Leistung optiert werden kann. Wer eine Leistung erbringe, die nach Gesetz von der Steuer ausgenommen ist, hat in der an den Kunden ausgestellten Rechnung klar auf die Steuer hinzuweisen, wenn er für die Besteuerung optieren will. Die in Rechnung gestellte MWST musste an die ESTV abgeführt werden, und der Vorsteuerabzug konnte entsprechend vorgenommen werden.
Dank dieses einfachen Systems war es nicht notwendig, die Rückwirkung der Option zu regeln. Im weiteren Verlauf des Urteils wies das Bundesgericht auch darauf hin, dass der Vertreter der ESTV anlässlich der Sitzung der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) vom 27. April 2009 auf die administrativen Schwierigkeiten hingewiesen hatte, die sich dadurch ergäben, dass die Belege bei rückwirkender Option «falsch ausgestellt sind». Umso mehr konnte sich die ESTV dem Antrag anschliessen, wonach man jedes Mal, wenn man eine Leistung mit MWST in Rechnung stelle, auch wenn sie an sich von der Steuer ausgenommen ist, diese versteuern müsse.
Die Grundüberlegung von Kommissionen und Räten bestand darin, dass der offene Ausweis der Steuer zum Zeitpunkt der Rechnungstellung und unmittelbar auf der Debitorenrechnung zum Ausdruck zu bringen ist. Aus dem Gesagten ergibt sich deshalb, dass der Bundesgesetzgeber bereits 2009 das Recht auf rückwirkende Option ausdrücklich ausgeschlossen hat. Aus denselben Gründen gilt dieser Ausschluss auch in umgekehrter Richtung. Mit anderen Worten: Es ist ausgeschlossen, eine zuvor geäusserte Option für die Besteuerung rückwirkend zu widerrufen.
Diese Feststellung hat im Übrigen auch im neuen Art. 39 MWSTV ihren Niederschlag gefunden, der klarstellt, dass es nach Ablauf der in Art. 72 Abs. 1 MWSTG definierten Finalisierungsfrist nicht mehr möglich ist, die Option auszuüben oder auf eine bereits ausgeübte Option zu verzichten. Dies geht auch aus der 2018 veröffentlichten MWST-Info 04 «Steuerobjekt» hervor, wonach die ursprünglich ausgestellte Rechnung vor Ablauf der Finalisierungsfrist korrigiert werden kann (sowohl der Verzicht auf die ausgeübte Option als auch die nachträgliche Ausübung der Option; siehe Ziff. 7.1).
Hinweis: Diese Auslegung sowie der Inhalt der 2018 veröffentlichten MWST-Info – obwohl erst später als in den hier relevanten Zeiträumen publiziert – machen deutlich, was der Gesetzgeber seit dem Inkrafttreten des MWSTG 2009 ausdrücklich wollte und was durch die Prüfung der parlamentarischen Arbeiten in BGE 140 II 495 ans Licht gebracht wurde.
Fazit im vorliegenden Fall
Im besagten Fall hat die Steuerpflichtige ihren Mietern erst Ende 2016 mitgeteilt, dass sie auf die Besteuerung der Vermietungsleistungen verzichtet und ihnen die in Rechnung gestellten Mehrwertsteuerbeträge zurückerstattet. Daraus folgt, dass nur die Korrekturen für das laufende Jahr 2016 berücksichtigt werden konnten, da diese – gestützt auf die Finalisierungsfrist – keine rückwirkende Wirkung hatten. Die Steuerpflichtige durfte die ausgestellten Rechnungen für die Jahre 2012–2015 nicht mehr korrigieren und schuldet weiterhin die auf den Rechnungen ausgewiesene Steuer.
Beachtung und Bedeutung der Finalisierungsfrist
Nach Art. 72 Abs. 1 MWST sind Mängel in den Steuerabrechnungen «spätestens in der Abrechnung über jene Abrechnungsperiode zu korrigieren, in die der 180. Tag seit Ende des betreffenden Geschäftsjahres fällt». Vereinfacht gesagt: Die Finalisierungsfrist für die korrekte MWST-Deklaration eines Geschäftsjahres dauert 240 Tage ab Ablauf des entsprechenden Geschäftsjahres (= 180 Tage plus 60 Tage Einreichefrist). Innerhalb dieser Frist kann bzw. muss die steuerpflichtige Person auch final darüber entscheiden, ob sie eine Option möchte oder nicht. Die entsprechenden formellen Anforderungen sind dann – auch innerhalb dieser Frist – zu erfüllen. Konkrekt sind die Rechnungen korrrekt (mit oder ohne MWST) auszustellen und ist die Deklaration entsprechend wie folgt vorzunehmen:
- von der Steuer ausgenommene Leistungen, für die nicht optiert wird: Ziffern 200 und 230 der MWST-Abrechnung
- optierte Leistungen: Ziffern 200, 205 (rein deklaratorisch) und 299 der MWST-Abrechnung
In diesem Zusammenhang sind zudem die Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug zu prüfen. Zum Vorsteuerabzug berechtigen nur Aufwendungen, die im Rahmen von steuerbaren bzw. optierten Leistungen angefallen sind.