Eigenmietwert: Stolpersteine bei der Abschaffung
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Eigentümer und Mieter gleichzustellen ist unmöglich
Ein zentrales politisches Argument, das vielfach zur Rechtfertigung des Eigenmietwerts herangezogen wird, ist der Versuch, Mieter und Eigentümer steuerlich gleichzubehandeln. Wer in den eigenen vier Wänden wohnt, spart sich die Miete. Durch diese Einsparung bei den Lebenshaltungskosten fliesst vom Vermögen weniger Kapital ab. Diese indirekten Vermögenszugänge, oft auch als Naturaleinkommen bezeichnet, sollen steuerlich ähnlich wie herkömmliches Einkommen behandelt werden. Das tönt plausibel, aber irgendwie eben doch konstruiert. Mehr Licht ins Dunkel bringt ein Blick in die Entstehungsgeschichte. Der Eigenmietwert wurde 1934 zur Gesundung der Bundesfinanzen als Krisenabgabe per Notrecht eingeführt und gut 20 Jahre später ins reguläre Recht übernommen. Die Staatsfinanzen waren zu diesem Zeitpunkt zwar wieder im Lot, die generierten Steuern schienen aber zu hoch, um diese lukrative Einnahmequelle versiegen zu lassen. Der Eigenmietwert ist aus fiskalischer Sicht so konzipiert, dass er steuerlich zum Erwerbseinkommen addiert wird. Das hat zur Folge, dass ein Gutverdiener für das Bewohnen der eigenen vier Wände aufgrund der Steuerprogression ein Vielfaches an Steuern dafür abliefert als jemand mit einem tiefen Einkommen. Zieht man Parallelen zu den Mietern würde das bedeuten, dass ein reicher Mieter staatlich verordnet mehr Miete zahlen müsste als ein weniger reicher Mieter – und zwar für die genau gleiche Immobilie. Das wirkt realitätsfremd. Wäre das oberste Ziel die Gleichstellung von Mietern und Eigentümern, wäre eine Immobiliensteuer, bei der die Immobilie das Steuerobjekt darstellt, die fairere Variante. Früher und heute dürften beim Eigenmietwert somit nicht in erster Linie die Gleichstellung von Mietern und Eigenheimbesitzern im Zentrum stehen, sondern die Steuereinnahmen und die durch die Einkommensprogression erzielte Umverteilung.
Der Eigenmietwert verursacht Bürokratie
Weil niemand, der im Eigenheim wohnt, sich dafür selbst Miete bezahlt, veranschlagt die Steuerbehörde einen fiktiven Betrag, der als Einkommen zu versteuern ist. Dass hierbei viel Ermessensspielraum besteht, liegt auf der Hand. Wie so oft in der Schweiz unterscheiden sich die Berechnungsmethoden der einzelnen Kantone stark voneinander. Weil der steuerliche Föderalismus wuchert, korrigiert der Bund die Eigenmietwerte vieler Kantone nach oben oder unten. Schliesslich sollen zumindest auf Bundesebene alle Steuerzahler so gut wie möglich gleichbehandelt werden. Für Stirnrunzeln sorgt auch, dass der Eigenmietwert nicht selten während vieler Jahren unverändert bleibt, während Marktmieten schwanken. Ein weiteres Indiz für eine gewisse Unfairness: Wird eine Immobilie verkauft, versteuert der neue Eigentümer für die genau gleiche Immobilie unter Umständen massiv mehr Eigenmietwert als der Vorbesitzer. Über Fairness oder Unfairness einer Steuer lässt sich bekanntlich streiten. Eines ist aber klar: Ohne Eigenmietwert würde sich das Ausfüllen der Steuererklärung für Eigenheimbesitzer vereinfachen und der Prüfaufwand der Steuerbehörden sinken – ein schlagkräftiges Argument gegen den Eigenmietwert.
Hohe Privatverschuldung in der Schweiz
So inkonsequent die politische Rechtfertigung des Eigenmietwerts scheint, so konsequent ist die steuerliche Umsetzung in Bezug auf die Gleichstellung zu herkömmlichem Einkommen. Genau gleich wie beim Erwerbseinkommen können heute bei Immobilien Aufwände wie Unterhaltskosten oder Hypothekarzinsen in der Steuererklärung vollständig vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Das stellt steuerliche Anreize dar, Hypotheken nicht zu stark zu amortisieren. Dieser Verschuldungsanreiz ist mitverantwortlich dafür, dass die Privatverschuldung in der Schweiz im weltweiten Vergleich hoch ist. Volkswirtschaftlich betrachtet sind Schulden, sofern sie vom Schuldner gut tragbar sind, aber nicht nur negativ. Gerade mit Hypotheken kann die Kaufkraft einer Privatperson über die Erwerbsphase hinweg betrachtet geglättet werden, so für mehr individuellen Wohlstand sorgen und die Wirtschaft positiv unterstützen. Auch wenn eine hohe Privatverschuldung auf die Finanzstabilität eines Landes einen negativen Einfluss haben kann, was im Falle der Schweiz von der OECD und dem Internationalen Währungsfonds auch schon moniert wurde, dürften die Risiken überschaubar sein. Schliesslich sind die Vergabe- und Amortisationsrichtlinien für Schweizer Hypotheken streng, und der Schweizer Immobilienmarkt hat sich mehrfach als krisensicher erwiesen. Stark treffen würde der Wegfall des Eigenmietwerts aber die Banken. Für die meisten ist das Zinsdifferenzgeschäft die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle. Tiefere Hypotheken reduzieren automatisch die Gewinnaussichten der Finanzindustrie.
Weniger Marktverzerrung ohne Eigenmietwert
Nicht nur bei der Verschuldungsquote, sondern auch in Bezug auf Konsum und Investition werden durch die heutige Regelung Anreize geschaffen. Die Abzugsfähigkeit von Unterhaltskosten bei privat gehaltenen Immobilien macht es interessant, diese in Schuss zu halten. Der durchschnittliche Grenzsteuersatz in der Schweiz beträgt gut 25%. Der Grenzsteuersatz gibt an, wie hoch die Steuereinsparung bei einer Reduktion des steuerbaren Einkommens ausfällt. Wer sich beispielsweise zwischen einem neuen Auto und einer neuen Küche entscheiden muss, wird rational entscheiden und steuerliche Aspekte beim Kaufentscheid mitberücksichtigen. Wenn der Nutzen des Autos und der Küche für den potenziellen Käufer identisch ist, darf bei einem durchschnittlichen Schweizer Steuerzahler die Küche teurer sein als das Auto. Konkret dürfte die Küche beispielsweise CHF 50 000.– kosten, während das Auto weniger als CHF 40 000.– kosten dürfte. Die gut CHF 10 000.– Mehrkosten bei der Küche erhält der Eigenheimbesitzer über die Steuereinsparung indirekt wieder zurück. Gewisse Berufsgruppen wie Bauhandwerker profitieren somit vom Eigenmietwert, weil sie ihren Kunden indirekt durch Steuereinsparungen einen Vorteil bieten können, den beispielsweise Autohändler oder Reisebüros nicht vorweisen können. Weil bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts der steuerliche Anreiz zum Unterhalt von Immobilien wegfällt, dürfte sich der durchschnittliche Bauzustand in der Schweiz dann schleichend verschlechtern. Schneller werden sich die Marktpreise zwischen alten, schlecht unterhaltenen und gut unterhaltenen oder neuen Immobilien anpassen. Künftige, potenzielle Steuerabzüge durch Unterhaltsarbeiten bei alten Immobilien würden nach der Abschaffung des Eigenmietwerts beim Kaufentscheid nicht mehr positiv einfliessen, weshalb diese im Vergleich zu Immobilien ohne aufgestauten Unterhalt an Wert verlieren würden. Wer genau rechnet, merkt, dass dieser Effekt bei einer Immobilie mit einem Kaufpreis von CHF 1 Mio. schnell mehr als CHF 100 000.– ausmachen kann.
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Tourismuskantone profitieren vom Eigenmietwert
Kantone mit einer grossen Anzahl an Ferienimmobilien profitieren heute vom Eigenmietwert. Jede Ferienimmobilie, auch wenn sie unvermietet ist und der Besitzer kein Einkommen im entsprechenden Kanton erzielt, spült schnell einige Tausend Franken in die Staatskasse. Diese Einnahmen würden durch die Abschaffung des Eigenmietwerts wegfallen. Aus diesem Grund will der Ständerat den Eigenmietwert bei Zweitwohnungen bestehen lassen. Dass die Steuereinnahmen in Graubünden, dem Tessin oder im Wallis ohne diesen Kompromiss stark negativ tangiert wären, ist unbestritten. Dieses Argument für eine Sonderlösung bei Zweitwohnungen zieht aber nur bedingt, weil die betroffenen Kantone als Ersatz eine spezielle Vermögenssteuer im Sinne einer Liegenschaftssteuer einführen, oder dort, wo eine solche bereits besteht, ausbauen könnten. Weil eine Liegenschaftssteuer aber kantonal geregelt ist, würde der Steuerwettbewerb in Bezug auf Ferienimmobilien zwischen den Tourismuskantonen spürbar stärker spielen: Kantone mit hoher Liegenschaftssteuer wären für Zweitwohnungsbesitzer weniger interessant als solche ohne. Es liegt auf der Hand, dass es Ferienkantonen lieber ist, wenn eine Steuer auf Zweitwohnungen von einer höheren Instanz, also auf Bundesebene, für alle identisch diktiert wird. Was für ein paar wenige Kantone gut ist, reduziert den in der Schweiz so wichtigen Steuerwettbewerb.
Vermögende vs. weniger vermögende Haushalte
Schuldzinsen sollen auch nach der Abschaffung des Eigenmietwerts steuerlich abzugsberechtigt sein. Neu soll aber die Höhe der maximal zulässigen Abzüge im Verhältnis zu den Vermögenserträgen begrenzt werden. Diskutiert werden maximale Schuldzinsen in der Höhe zwischen 40 und 70% der Vermögenserträge. Diese Regelung öffnet zwei Problemfelder: Erstens können vor allem reiche Haushalte, die es finanziell gar nicht nötig hätten, Schuldzinsen in der Steuererklärung geltend machen und so ihre Steuern optimieren. Eigenheimbesitzer mit wenig Kapital können die Schuldzinsen nicht abziehen, gleichzeitig fehlt ihnen aber aufgrund des fehlenden Kapitals die Möglichkeit, Schulden zu reduzieren. Zweitens könnte die Regelung, wenn sie den Schuldzinsabzug auf breiter Front zu stark verhindert, Anreize zur Umgehung schaffen. Schuldzinsen könnten in Bereiche verschoben werden, wo sie weiterhin ohne Einschränkungen abzugsfähig sind. Lombardkredite oder Hypotheken auf vermieteten Immobilien könnten eine Ausweichmöglichkeit darstellen. Beide Probleme können gelöst werden, aber nur mit neuen Regelungen und bürokratischen Kontrollen. Eigentlich will man mit der Abschaffung des Eigenmietwerts aber das Gegenteil erreichen.
Einfache Lösungen sind nicht einfach
Wenn man eine Änderung beim Steuersystem politisch durchbringen will, braucht es viel Überzeugungskraft, gute Argumente und vor allem das richtige Momentum. Aktuell schauen wir auf eine Dekade ultratiefer Zinsen zurück, die Eigenmietwerte sind durch die Preisexplosion am Immobilienmarkt hoch. Das hat zur Folge, dass gerade jetzt die Steuereinbussen durch die Abschaffung kein Zuckerschlecken wären. Gegenwind ist nur schon deshalb zu erwarten. Die Herausforderung auf der Zielgeraden wird für die Befürworter der Abschaffung sein, möglichst viele Entscheidungsträger ins Boot zu holen, ohne damit eine Lösung zu kreieren, die inkonsequent und kompliziert daherkommt. Das gleicht aus heutiger Sicht der Quadratur des Kreises und wird einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Zudem werden sich die Finanz- und Handwerkerbranche sowie andere Profiteure des Eigenmietwerts erst noch in Position bringen. Unabhängig davon, welchen Kompromissen sich der National- und Ständerat noch beugen müssen, ist ein Referendum wahrscheinlich, und der Souverän wird das letzte Wort haben.
Kein unmittelbarer Handlungsbedarf bei Immobilienbesitzern
Es dürfte noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen, bis die Abschaffungspläne des Eigenmietwerts in die Realität umgesetzt werden. Zudem lehrt die Vergangenheit, dass komplizierte oder inkonsequente Abstimmungsvorlagen in einer frühen Phase Anklang finden, während sie auf der Zielgeraden, insbesondere in Abstimmungskämpfen, an Zuspruch verlieren. Dieses Schicksal könnte auch die erneuten Abschaffungspläne des Eigenmietwerts erleiden. Aus heutiger Sicht besteht für die meisten Immobilienbesitzer deshalb kein unmittelbarer Handlungsbedarf, auch weil in jedem Fall mit Übergangsfristen zu rechnen ist. Wer ein Eigenheim besitzt, bei dem in den nächsten Jahren grössere Unterhaltsarbeiten anstehen, kann sich überlegen, die Investitionen etwas vorzuziehen. Das macht vor allem dann Sinn, wenn zwecks Bruchs der Steuerprogression auf dem Einkommen eine Staffelung des Unterhalts über mehrere Jahre das Ziel ist. Erhöhen sich die Chancen der Abschaffungsbefürworter, sollte aufgestauter Unterhalt aber frühzeitig beseitigt werden. In den letzten ein bis zwei Jahren vor der effektiven Abschaffung dürften sich Handwerker vor Aufträgen kaum mehr retten können, und die Preise werden stark steigen. Wer eine sanierungsbedürftige Immobilie verkaufen will, sollte mit dem Verkauf nicht mehr allzu lange warten, sobald die Eigenmietwertabschaffung konkreter wird. Die nächsten Debatten im National- und Ständerat sowie ein allfälliger Abstimmungskampf werden zeigen, wohin die Reise beim Eigenmietwert geht. Eine Prognose ist schwierig. Sicher ist nur: Es dauert viel länger als vor sechs Jahren gehofft, und es besteht noch genügend Zeit, sich allenfalls steuertechnisch darauf vorzubereiten.