Transformationsprozesse: Agile Führung als Erfolgsfaktor

Passende Arbeitshilfen
Einleitung Transformationsprozesse
Agile Führung schafft hingegen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Transformationsprozesse durch selbstagierende Teams flexibel eingeleitet und dezentral gesteuert werden. Eine agile Führung hat dabei sowohl die Anpassungsfähigkeit als auch die innere Stabilität der Organisation zu gewährleisten.
Werte und Prinzipien agiler Führung
Agile Führung basiert auf der Überzeugung, dass sich die Mitarbeitenden stets nach besten Kräften für das Unternehmen einsetzen und schafft die Voraussetzungen, damit diese ihre Fähigkeiten und Talente entfalten können. Dem halten Kritiker entgegen, dass sich nicht alle Mitarbeiter intrinsisch motiviert sind. Exemplarisch wird dabei etwa auf Mitarbeiter am Fliessband, im Einzelhandel oder auf Reinigungskräfte verwiesen. Doch solche Aussagen zeugen lediglich von einem eher negativen Menschenbild.
Menschen sind bereit sich zu engagieren, wenn man den passenden Rahmen vorgibt und sie lässt. Intrinsische Motivation ist nicht nur bei Akademikern oder kreativen Köpfen zu erreichen. Allerdings erfordert sie neben den richtigen Rahmenbedingungen, wie etwa Wertschätzung, sichere und angenehme Arbeitsbedingungen auch soziale Bindungen. Sind diese Hygienefaktoren gewährleistet, dann ist jeder Mitarbeiter intrinsisch motivieren.
Jede Motivation von aussen ist deshalb nur dann langfristig wirksam, wenn sie zur Selbstmotivation führt. Hierzu müssen Kopf, Bauch und Hand zusammenpassen, sprich, die expliziten Ziele („Kopf“) stimmen mit den eigenen, häufig unbewussten Motiven des Mitarbeiters („Bauch“) überein und dieser Mitarbeiter verfügt über die erforderlichen Kompetenzen, Erfahrungen und das Selbstvertrauen („Hand“), um sie zu verwirklichen.
Neue Herausforderungen schaffen
Die agile Führung soll dazu regelmässig neue Herausforderungen schaffen, das Know-how im Unternehmen vernetzen, die Mitarbeiter wertschätzend unterstützen, Erfolgserlebnisse fördern, Transformationsprozesse begleiten und eine positive Fehlerkultur sicherstellen. Extrinsische Anreize wie etwa Bonuszahlungen konditionieren Mitarbeiter darauf, monetär honorierte Ziele zu verfolgen. Dies führt häufig zu dysfunktionalem und manipulativem Verhalten, wie dies etwa bei der Budgetierung zu beobachten ist.
Vermag eine Prämie anfangs noch zu motivieren, wird sie durch die Mitarbeiter schnell eher als selbstverständlich angesehen. Um weiter leistungssteigernd zu wirken, muss sie folglich erhöht werden, bis auch dies irgendwann kaum noch Wirkung zeigt. Bleibt die Belohnung dagegen aus, dann wirkt dies äusserst demotivierend, da ein Verlust beim Menschen wesentlich stärkere Emotionen hervorruft als ein Gewinn.
Betrachten die Mitarbeiter die verfolgten Ziele nicht als sinnvoll, können daran langfristig auch Anreize nichts ändern. Sie werden dann ihr Wissen eher weniger einbringen und mehr zu einem Dienst nach Vorschrift übergehen. Komplexe Führungskontexte erfordern aber insbesondere eigenverantwortliches, flexibles und kreatives Denken und Handeln.
Employee-first-Prinzip
So stehen beim US-amerikanischen Billigflieger Southwest Airlines nicht die Kunden, sondern die Mitarbeiter an erster Stelle. Durch dieses „Employee-first“-Prinzip ist die Identifikation der Beschäftigten mit der „Southwest-Family“, egal ob es sich um Piloten, Flugbegleiter oder Bodenpersonal handelt, ausserordentlich hoch. Dies spiegelt sich letztlich im herzlichen Umgang mit den Kunden als eine der Ursachen für den Erfolg des Unternehmens wider. „Our people are our single greatest strength and most enduring longterm competitive advantage“,so der CEO von Southwest Gary Kelly.
Agile Führung bedeutet einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt, welcher die Rollen und die Zusammenarbeit von Führungskräften und Mitarbeiter grundsätzlich verändert. Durch die Potenzialentfaltung jedes Einzelnen sollen die Unternehmensziele über ein kooperatives Miteinander gemeinsam realisiert werden. Durch die Fähigkeit und Bereitschaft zu kooperieren, wird verteiltes Expertenwissen miteinander verknüpft und nutzbar gemacht. Für die anstehenden Aufgaben bilden die Beschäftigten mit den erforderlichen Kompetenzen temporäre, selbstgeführte Teams.
Auf diese Weise können innovative und kreative Lösungen entstehen. Die Teams sind untereinander vernetzt und werden je nach Aufgabenstellung immer wieder neu zusammengesetzt, woraus ein komplexes adaptives Netzwerk, die agile Organisation, entsteht.
Dezentralisierung der Führung
Selbstorganisation führt dann nicht ins Chaos, wenn die agile Führung geeignete Rahmenbedingungen setzt und die Organisation auf eine gemeinsame Vision und den Purpose, den unternehmerischen Sinn als übergeordnetes Ziel ausrichtet. Sie geben dem Unternehmen Orientierung und verdeutlichen den Beschäftigten die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit.
In agilen Organisationen bestimmen die Teams für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich selbst über die Notwendigkeit von Veränderungen und die Verteilung der hierzu erforderlichen Tätigkeiten auf die Teammitglieder. Traditionelle Unternehmen haben lange Planungshorizonte und zeigen ihren Kunden ihre Produkte erst dann, wenn sie ausgereift sind. In agilen Organisationen werden Lösungen rasch in kleinen Schritten ausprobiert und Produktentwürfe sehr früh mit den Kunden diskutiert. Da eine detaillierte Planung in einer VUKA-Welt wenig sinnvoll ist, treten dabei zwangsläufig auch Fehler auf.
Doch diese werden als Chance gesehen, um zu lernen und dadurch zu einer besseren Lösung zu gelangen. Agile Führung fördert eine solche „Win-or-learn“-Fehlerkultur. Die Führungskräfte wissen nicht alles besser, sondern stellen die richtigen Fragen. Sie sollten offen für neue und unorthodoxe Lösungsansätze sein. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Laissez-faire-Führungsstil, bei dem sich die Führungskraft zurücklehnt und das Team einfach machen lässt. Agile
Führung unterstützt vielmehr das Team, räumt Hindernisse beiseite und schafft die Voraussetzungen, damit es erfolgreich arbeiten kann.
Seminar-Empfehlungen
Agile Führung ist wie Gärtnern
Agile Führung lässt sich mit einem Gärtner vergleichen, der dafür sorgt, dass die Pflanzen ideale Wachstumsbedingungen haben. Sie werden regelmässig gegossen, ab und zu gedüngt und von Unkraut befreit. Wachsen müssen die Pflanzen aber von selbst. An ihnen zu ziehen oder sie ständig zu beobachten, bringt daher nichts.
Um die reibungslose Zusammenarbeit vieler Mitarbeiter zu gewährleisten, sind auch in agilen Unternehmen organisatorische Strukturen erforderlich. Während beim traditionellen Management disziplinarische, fachliche und prozessuale Verantwortung meist zusammenfallen, werden diese in agilen Organisationen voneinander getrennt.
Die vertikale Arbeitsteilung in Führungskräfte mit Entscheidungsmacht und ausführende Beschäftigte entfällt. Niemand sollte allein aufgrund seiner Position über höhere Autorität verfügen. Die Funktionen werden nicht bestimmten Mitarbeitern formal zugewiesen, sondern es werden hierfür verschiedene Fach- und Führungsrollen mit klaren Aufgaben gebildet. Die Zuordnung der Rollen auf Personen erfolgt situationsabhängig und wird regelmässig angepasst. Hierarchien bilden sich dabei aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen oder informeller sozialer Strukturen. Eine Person kann mehrere Rollen übernehmen bzw. eine Rolle kann auch durch verschiedene Personen wahrgenommen werden.
Eine Rolle wird neu geschaffen, wenn jemand im Unternehmen einen Bedarf erkennt bzw. aufzeigt, dass etwas nicht so ist, wie es im Sinne des zu erreichenden Ziels sein sollte. Ebenso können Rollen auch wieder abgeschafft werden, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
Konsentbasierte Führung
Führungsarbeit, also Entscheidungen zu treffen, Transformationen zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen, wird in agilen Organisationen nicht hierarchischen Positionen zugewiesen. Anstelle der zentralisierten Führung mit Anweisungen von oben nach dem Push-Prinzip tritt eine konsentbasierte Führung. Bei einem Konsent übernimmt eine Person die Verantwortung für die Entscheidung und Umsetzung. Diese holt im Vorfeld die hierfür erforderlichen Informationen von allen relevanten Beteiligten ein. Bei der Erarbeitung des Konsents können begründbare Einwände eingebracht werden. Beim Konsent spielt die Vielfältigkeit der Perspektiven eine wichtige Rolle und es sollten Entscheidungsverfahren angewendet werden, welche die Einwände minimieren, statt nur die Zustimmung zu maximieren.
Wer wann welche Führungsarbeit übernimmt, hängt davon ab, welche Person über ausreichendes Wissen, Können, Vertrauen und Interesse verfügt. Führungsarbeit und andere Fragestellungen, deren Verantwortung noch offen ist, werden in gemeinsamer Abstimmung von interessierten Mitarbeitern nach dem Pull-Prinzip übernommen. Für vorhersehbare und laufende Führungs- und Entscheidungsbedarfe werden Strukturen, Prozesse und Rollen als feste Kooperationsbeziehungen verankert, damit diese nicht jedes Mal neu ausgehandelt werden müssen. Ihre Besetzung wird kollegial bestimmt und regelmässig angepasst.
Im Gegensatz zu festen Führungshierarchien werden die Verantwortungsbereiche somit von den Beteiligten weiterentwickelt. Delegationstafeln oder in der Umsetzungsvariante des „Delegationspokers“ helfen dabei, das Ausmass der Übertragung von Entscheidungsverantwortung zu bestimmen. Das Spektrum der sieben Delegationsstufen reicht dabei von der reinen Mitteilung der Entscheidung durch die Führungskraft über Erklären, Konsultieren, Vereinbaren, Beraten und Übertragen bis zur vollständigen Entscheidungsdelegation auf den Einzelnen bzw. das Team.
Leitende Führungsrolle in agilen Organisationen
Auch agile Organisationen benötigen eine leitende Führungsrolle mit hierarchischer Sonderstellung. Geschäftsführung oder Vorstand sind als rechtliche Organe für die Handlungen des Unternehmens verantwortlich und vertreten es nach aussen. Agiles Leadership soll durch die Bestimmung des Purpose sowie die Entwicklung von Visionen und Strategien der gesamten Organisation die Richtung weisen und Sinn stiften.
Es soll klarstellen, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. Ist jedoch Gefahr im Verzug, muss die agile Führung als Krisenmanager schnell intervenieren. In Analogie zum Segeln sorgt das agile Leadership dafür, dass alle Boote denselben Hafen ansteuern. Aber wenn ein Sturm aufkommt, muss der Kapitän auf die Brücke. Ansonsten steht es jedem Boot frei, wie es am Ziel ankommt, auch da die Konditionen überall ein wenig anders sind.
Agiles Leadership bestimmt die Rahmenbedingungen, in denen sich die Selbstführung entfalten kann, und beschützt diese gegen störende Einflüsse von innen und aussen. Sie stabilisiert die Organisation durch die Bewahrung gemeinsamer Werte und wacht über die Einhaltung der vereinbarten Regeln. In der Holakratie werden diese in einer sog. Verfassung festgelegt, die klarstellt, wie die Organisation funktioniert. Beim US-amerikanischen Online- Schuhhändler Zappos übernahm etwa Tony Hsieh, Gründer und bis zu seinem Ausscheiden 2020 CEO des Unternehmens, die Rolle des agilen Leaders. Er war es auch, der 2013 den Wechsel zu einer agilen Organisationsstruktur anstiess.
Um die Transformation zu beschleunigen, stellte er zwei Jahre später jeden vor die Wahl: „Adopt Holocracy or Leave!“ Knapp ein Fünftel der Belegschaft verliess daraufhin das Unternehmen, während die von der Transformation überzeugten Beschäftigten den Wandel zur Holakratie vollzogen.
Selbstführung
Die Teams bestimmen selbst, wie sie die ihnen übertragenen Projektaufgaben erledigen und welche Veränderungen sie einleiten. Sie treffen die hierzu erforderlichen operativen Entscheidungen und übernehmen das Projektmanagement. Der Lösung nähern sie sich iterativ, experimentell und lernend an. Die Fähigkeit, sich selbst zu führen, braucht dabei jedes Teammitglied. Hilfreich sind konkrete Rollenbeschreibungen, die festlegen, in welchem Rahmen eine Person eigene Entscheidungen treffen kann.
Ein selbstgeführtes Team verteilt diese Rollen im Sinne einer geteilten Führung auf seine Mitglieder (Shared Leadership). Das Team übernimmt jedoch für sämtliche Entscheidungen gemeinsam die Verantwortung. Um kreative und innovative Lösungen zu erzielen, sollten sich die Kompetenzen und Persönlichkeiten der Teammitglieder ergänzen. Ein funktionsübergreifendes Team aus T-förmigen Experten (Cross functional Team of T-shaped Professionals) verfügt sowohl über breites Fachwissen (Querbalken des T) als auch tiefes individuelles Spezialwissen (Längsbalken des T).
Aufgrund des gemeinsamen Fachwissens ist es in der Lage, sich über die Aufgaben und deren bestmögliche Aufteilung auf die Teammitglieder auszutauschen. Die konkreten Aufgaben werden dann im Team von einem oder mehreren Spezialisten bearbeitet.
Dienende Führung
Der Schwerpunkt der dienenden Führung liegt auf der Stärkung der Teams, damit diese zu Höchstleistungen fähig sind. Dabei handelt es sich in der Regel um eine laterale Führung ohne disziplinarische Kompetenzen (Servant Leadership). Sie liefert Ideen und Feedback als Sparringspartner auf Augenhöhe, der die richtigen Fragen stellt sowie Zusammenhänge und Widersprüche deutlich macht. Agiles Coaching unterstützt die Entwicklung der Teams in Lern- und Veränderungsprozessen.
Darüber hinaus ist es Aufgabe der dienenden Führung, alle Hindernisse für die Arbeit der Teams aus dem Weg zu räumen, wie etwa Konflikte zu klären oder für ausreichende Ressourcen zu sorgen.
Fazit
Selbstgesteuerte Veränderungsprozesse erfordern auf jeder Ebene – vom einzelnen Beschäftigten über das Team bis zur Unternehmensführung – das Erlernen neuer Denk- und Verhaltensweisen. Nicht jeder ist gleich gut in der Lage, mit hoher Komplexität und eigenem Gestaltungsspielraum umzugehen. Viele Mitarbeiter sind in starren Hierarchien aufgewachsen und sind es nicht gewohnt, eigenverantwortlich, experimentell und flexibel zu arbeiten.
Doch ein Unternehmen kann nur so agil sein wie seine Mitarbeiter. Selbstführung lässt sich nicht verordnen oder erzwingen. Die agile Führung sollte konsequent und authentisch vorgelebt werden und die Mitarbeiter dazu einladen und ermutigen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Nur wenn die Mitarbeiter diese Einladung annehmen, können agile Transformationsprozesse gelingen.