Verwaltungsratsmandat: Keine automatische Verlängerung des VR-Mandats
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Prozesssachverhalt
Die B. AG war Mehrheitsaktionärin der A. AG. Bei der Gründung der A. AG wurden vier Verwaltungsräte gewählt. Die Statuten sahen offenbar einen Amtsdauer von einem Jahr vor. Die Zusammensetzung des Verwaltungsrates änderte sich an der ao. Generalversammlungen vom 8.11.2017 bzw. 16.04.2019. Nach der Generalversammlung vom 16.04.2019 waren noch zwei Verwaltungsräte im Amt. Im April 2021 wiess die B. AG die A. AG darauf hin, dass die letzte (ao.) Generalversammlung bereits zwei Jahre her und nie eine ordentliche Generalversammlung durchgeführt worden sei.
Nach Querelen verlangte die B. AG im Mai 2021 gerichtlich die Einsetzung eines Sachwalters sowie die Einberufung einer (ao.) Generalversammlung. Das Gericht entsprach dem Gesuch, setzte einen Sachwalter ein und beauftragte ihn mit der Durchführung einer Generalversammlung, namentlich auch zur Wahl des Verwaltungsrates. Das Gericht erkannte auf einen Organisationsmangel, weil es am Organ des Verwaltungsrates fehlte und hielt die Wahl eines Sachwalters mit einschlägigem Auftrag zur Durchführung einer Generalversammlung als zielführende «erforderliche Massnahme» gemäss Art. 731 b OR; anders als die gerichtliche Einberufung der Generalversammlung.
Die A. AG war damit nicht einverstanden und zog vor Bundesgericht.
Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht stellte zunächst fest, dass die Mitglieder des Verwaltungsrates der A. AG bis am 30.06.2020 (sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres 2019) im Amt gewesen seien. Hierzu verwies es auf Art. 699 Abs. 2 OR. Demgemäss muss die ordentliche Generalversammlung alljährlich innerhalb von sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres stattfinden. Die Statuten der A. AG sahen eine Amtsdauer der Mitglieder des Verwaltungsrates von einem Jahr vor und dass sie am Tag und mit dem Ende der nächsten ordentlichen Generalversammlung ende. Da die letzte (ao.) Generalversammlung am 16.04.2019 stattgefunden habe, seien die Mitglieder des Verwaltungsrates für die statuarische Amtszeit bis am 31.12.2019 gewählt worden, folglich habe das Verwaltungsratsmandat noch sechs Monate danach, sprich bis am 30.06.20 angedauert.
Die A. AG bestritt die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass die Beschwerdeführerin entsprechend seit dem 30. Juni 2020 über keinen ordnungsgemäss besetzten Verwaltungsrat verfüge und demnach ein Organisationsmangel vorliegen würde. Vielmehr habe die Amtszeit der Verwaltungsräte nicht eo ipso geendet, sondern sich stillschweigend verlängert.
Das Bundesgericht setzte sich mit den verschiedenen Lehrmeinungen im Zusammenhang mit der Weiterführung eines Verwaltungsratsmandats trotz fehlender Wiederwahl auseinander. Der eine Teil der Lehre nahm bei unterbliebener Wiederwahl des Verwaltungsrates eine stillschweigende Verlängerung des Mandates bis zur nächsten Generalversammlung an, an der Wahlen durchgeführt werden (so auch die A. AG). Ein anderer Teil der Lehre hingegen schloss eine derartige Verlängerung aus. Sie verlangten eine aktive Wiederwahl des Verwaltungsrates durch die Generalversammlung. Erst die einschlägige positive Willensäusserung der Generalversammlung begründet demnach eine gültige Fortsetzung des Mandats.
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Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hielt diesbezüglich fest, dass «die hier zu entscheidende Frage im Sinne desjenigen Teils der Lehre zu beantworten [ist], der bei unterlassener Generalversammlung oder unterbliebener Wahl des Verwaltungsrates die Fortdauer bzw. eine stillschweigende Verlängerung des Verwaltungsratsmandats ausschliesst. Genauso wie eine Statutenbestimmung, die zur Vermeidung einer allfälligen Blockadesituation im Aktionariat eine automatische Wiederwahl der Verwaltungsräte vorsieht, dem unübertragbaren Recht der Generalversammlung, die Mitglieder des Verwaltungsrates zu wählen (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR), widerspricht, genauso würde diese unentziehbare Kompetenz der Generalversammlung unterlaufen, wenn der Verwaltungsrat sein Mandat durch Nichteinberufung der Generalversammlung verlängern könnte. Dies wäre umso stossender, wenn die Wahl nicht bloss vergessen, sondern mit dem Ziel, das Amt zu behalten, verhindert wird».
Entsprechend müsse vorliegend gefordert werden, dass die Generalversammlung das Wahlrecht durch explizite Willenskundgebung wahrnehmen könne. Eine Fortsetzung des Mandates greife demnach nur bei einer positiven Willensäusserung.
Damit kann in solchen Fällen, in denen es an dieser ausdrücklichen Willensäusserung (Wahl) fehlt, ein Organisationsmangel vorliegen, weil die AG ohne (gewählten) Verwaltungsrat dasteht.
Daraus resultierende Problemkreise
Die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften mit nicht wiedergewähltem Verwaltungsrat ist nicht mehr gegeben und Beschlüsse des nicht wiedergewählten Gesamtverwaltungsrates sind nichtig bzw. stellen Nichtbeschlüsse dar. Der nicht wiedergewählte Verwaltungsrat kann auch keine Generalversammlung zur Neuwahl von Verwaltungsräten einberufen, eine solche wäre nichtig. Hier braucht es zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eine Universalversammlung (weil die Universalversammlung für ihre Gültigkeit keiner Einladung durch den Verwaltungsrat bedarf) der Aktionäre oder den Gang zum Gericht. Das Gericht wird diesfalls die Generalversammlung einberufen oder einen Sachwalter einsetzen mit den Auftrag, eine Generalversammlung einzuberufen.
Bei Handlungen des nicht wiedergewählten Verwaltungsrates nach aussen dürfte in der Regel der Gutglaubensschutz in die Richtigkeit des Handelsregisters greifen: Gemäss Art. 936b Abs. 3 OR ist in seinem guten Glauben geschützt, wer sich gutgläubig auf eine eingetragene Tatsache verlassen hat, obwohl sie unrichtig war, wenn dem keine überwiegenden Interessen entgegenstehen.
Die Einberufung der Generalversammlung ist eine unübertragbare Aufgabe des Verwaltungsrats. Er ist für die formelle korrekte, rechtzeitige Einberufung verantwortlich. Beruft er sie nicht oder nicht rechtzeitig ein, kann er sich einer Haftung nach Art. 754 OR ausgesetzt sehen. Nicht wiedergewählte jedoch für die Aktiengesellschaft handelnde Verwaltungsräte können als faktische Organe gelten, welche nach Art. 754 OR verantwortlich sein können.