Aufbewahrungspflicht: Reichen elektronische Kopien von Nebenkostenabrechnungen?

Es besteht ein Bedürfnis in der Praxis, eingehende Rechnungen und sonstige Belege systematisch einzuscannen und elektronisch abzuspeichern, anstatt diese in Papierform abzulegen. Mit einem solchen System soll eine "elektronische Kopie" des Originaldokumentes erstellt werden, die nicht mehr veränderbar ist. Nach der elektronischen Abspeicherung sollen die Originaldokumente vernichtet werden.

16.07.2021 Von: Urban Hulliger
Aufbewahrungspflicht

Einleitung

Art. 257b Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 8 der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG) schreiben im Zusammenhang mit der Regelung von Nebenkosten vor, dass der Vermieter dem Mieter auf Verlangen Einsicht in die "sachdienlichen Originalunterlagen" zu geben hat. Da mit der Einführung des vorerwähnten Systems sämtliche Originalbelege vernichtet werden sollen, stellt sich die Frage, ob dem Vermieter bei der Aufbewahrung von Nebenkostenbelegen Nachteile entstehen können, weil die Originalunterlagen nur noch als "elektronische Kopie" und nicht mehr in der ursprünglichen schriftlichen Form verfügbar sind.

Allgemeines

Weder die mietrechtlichen Bestimmungen über die Nebenkosten (Art. 257a + b OR) noch die Ausführungsvorschriften dazu (Art. 8 VMWG) äussern sich zum Begriff der "Originalunterlagen". Auch Literatur und Rechtsprechung äussern sich dazu, soweit ersichtlich, nicht näher. Es drängt sich daher auf, Vorschriften über die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen sowie weitere gesetzliche Vorschriften heranzuziehen, welche sich direkt oder indirekt mit der Aufbewahrung von Dokumenten befassen. Es sind dies in erster Linie Art. 957 OR (Pflicht zur Führung und Aufbewahrung der Geschäftsbücher) sowie die Geschäftsbücherverordnung vom 24. April 2002 (GeBüV; SR 221.431). Aufschlussreich sind auch die Anforderungen an die "Urkunde" als Beweismittel in der Schweizerischen Zivilprozessordnung.

Vorschrift über die Aufbewahrung von Büchern und Belegen und deren Beweiskraft im Allgemeinen

Pflicht zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gemäss Art. 957 OR und der Geschäftsbücherverordnung (GeBüV)

a) gesetzliche Grundlagen

Art. 957 OR hat folgenden Wortlaut:
"1 Wer verpflichtet ist, seine Firma in das Handelsregister eintragen zu lassen, ist gehalten, diejenigen Bücher ordnungsgemäss zu führen und aufzubewahren, die nach Art und Umfang seines Geschäftes nötig sind, um die Vermögenslage des Geschäftes und die mit dem Geschäftsbetrieb zusammenhängenden Schulden und Forderungsverhältnisse sowie die Ergebnisse der einzelnen Geschäftsjahre festzustellen.
2 Die Bücher, die Buchungsbelege und die Geschäftskorrespondenz können schriftlich, elektronisch oder in vergleichbarer Weise geführt und aufbewahrt werden, soweit dadurch die Übereinstimmung mit den zugrundeliegenden Geschäftsvorfällen gewährleistet ist.
3 Betriebsrechnungen und Bilanz sind schriftlich und unterzeichnet aufzubewahren. Die übrigen Geschäftsbücher, die Buchungsbelege und die Geschäftskorrespondenz können auch elektronisch oder in vergleichbarer Weise aufbewahrt werden, wenn sie jederzeit lesbar gemacht werden können.
4 Elektronisch oder in vergleichbarer Weise aufbewahrte Geschäftsbücher, Buchungsbelege und Geschäftskorrespondenz haben die gleiche Beweiskraft, wie solche, die ohne Hilfsmittel lesbar sind.
5 Der Bundesrat kann die Voraussetzungen näher umschreiben."

Zu erwähnen ist hier zunächst, dass diese Bestimmung mit Inkrafttreten am 1. Juni 2002 revidiert worden ist. Gleichzeitig setzte der Bundesrat die Geschäftsbücherverordnung (GeBüV) in Kraft. Im zweiten Abschnitt der GeBüV sind Grundsätze zur Aufbewahrung der Geschäftsbücher konkretisiert.

Art. 2 Abs. 2 der GeBüV lautet wie folgt:
"1
2 Werden die Geschäftsbücher elektronisch oder auf vergleichbare Weise geführt und aufbewahrt und die Buchungsbelege sowie die Geschäftskorrespondenz elektronisch oder auf vergleichbare Weise erfasst und aufbewahrt, so sind die Grundsätze der ordnungsgemässen Datenverarbeitung einzuhalten.
3 Die Ordnungsmässigkeit der Führung und der Aufbewahrung der Bücher richtet sich nach den allgemein anerkannten Regelwerken und Fachempfehlungen, sofern diese Verordnung oder darauf gestützte Erlasse keine Vorschriften enthalten."

Art. 3 GeBüV befasst sich mit der sogenannten "Integrität" (Echtheit oder Unverfälschbarkeit) der Aufbewahrung. Er lautet wie folgt:
"Die Geschäftsbücher müssen so geführt und aufbewahrt und die Buchungsbelege und die Geschäftskorrespondenz müssen so erfasst und aufbewahrt werden, dass sie nicht geändert werden können, ohne dass sich dies feststellen lässt."

Weiter enthält der 3. Abschnitt der GeBüV Grundsätze für die ordnungsgemässe Aufbewahrung, wobei hier Fragen der allgemeinen Sorgfaltspflicht (geordnete und sorgfältige Aufbewahrung) sowie der jederzeitigen Verfügbarkeit im Vordergrund stehen. Im 4. Abschnitt der GeBüV sind sodann die "Informationsträger" erwähnt, welche als zulässig erachtet werden. Genannt sind in Art. 9 GeBüV insbesondere "Bildträger und unveränderbare Datenträger".

b) Grundsatz: Die "elektronische Kopie" eines Originalbeleges als zulässige Aufbewahrungsform

Wie aus der unter lit. a hiervor angeführten Gesetzesbestimmungen hervorgeht, können nach dem Willen des Gesetzgebers Geschäftsbelege nicht nur "schriftlich", sondern auch "elektronisch oder in vergleichbarer Weise" aufbewahrt werden, soweit dadurch das Prinzip der "Integrität" der einzelnen Belege gewahrt ist. Solange gewährleistet ist, dass die elektronisch oder in vergleichbarer Weise aufbewahrten Unterlagen inhaltlich dem Original entsprechen und nicht verfälscht werden können, genügt auch ein elektronischer Beleg bzw. eine "elektronische Kopie" des Originals den erwähnten Aufbewahrungsvorschriften.

Insoweit ist der Begriff des "Originalbelegs" zu relativieren: Während in Art. 962 Abs. 2 aOR noch explizit davon die Rede war, dass Betriebsrechnung und Bilanz "im Original" aufzubewahren waren, wird der Begriff des "Originals" in der revidierten Fassung von Art. 957 Abs. 3 OR (entspricht Art. 962 aOR) nicht mehr verwendet. Es ist unverkennbar, dass sich der Gesetzgeber mit der Revision der Buchführungs- und Aufbewahrungsvorschriften zum einen den neuen Technologien nicht verschliessen wollte; zum anderen wird mit dem Erlass der GeBüV aber auch zum Ausdruck gebracht, dass es bei der Aufbewahrung von Büchern und Buchungsbelegen primär darum geht, die Authentizität der Dokumente zu wahren und weniger, in welcher Form (physisch oder elektronisch) dies geschehen soll.

c) Ausnahme

Während ein buchführungspflichtiges Unternehmen seine Bücher, Buchungsbelege und Geschäftskorrespondenz grundsätzlich in elektronischer Form führen bzw. aufbewahren kann (Art. 957 Abs. 2 OR), verlangt Art. 957 Abs. 3 OR, dass die Betriebsrechnung und die Bilanz schriftlich und unterzeichnet aufbewahrt werden müssen. Weitere Ausnahmen sind den einschlägigen Gesetzesbestimmungen über die Aufbewahrungspflicht von Geschäftsunterlagen nicht zu entnehmen.

Digitale Urkunde" nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung

Der Urkundenbeweis umfasst nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) auch "elektronische Dateien und dergleichen". Nach Massgabe der ZPO kommen elektronische Dateien daher dem Grundsatz nach derselben Beweiskraft zu wie herkömmlichen Datenträgen.

Einsichtsrecht in Belege und die Aufbewahrung

Gesetzliche Grundlagen

Gemäss Art. 257b Abs. 2 OR muss der Vermieter dem Mieter auf Verlangen Einsicht in die Belege geben. Art. 8 Abs. 2 VMWG erwähnt darüber hinaus, dass der Mieter berechtigt ist, die "sachdienlichen Originalunterlagen" einzusehen.

Ratio legis

Sinn der vorerwähnten Bestimmungen ist es, dem Mieter die Möglichkeit zu geben, prüfen zu können, ob die ihm belasteten Kosten für Nebenkosten den tatsächlichen Aufwendungen entsprechen. Das Gegenstück zum Einsichtsrecht des Mieters bildet die Aufbewahrungspflicht des Vermieters, die als solche allerdings nicht direkt aus dem Gesetz bzw. der Verordnung hervorgeht. Art. 8 Abs. 2 VMWG spricht lediglich davon, dass der Vermieter dem Mieter Einsicht in die "sachdienlichen Originalunterlagen" zu gewähren hat. Eine Aufbewahrungspflicht von Originalunterlagen ist darin nicht erwähnt.

Ergebnis

Was für die Aufbewahrungspflicht von buchführungspflichtigen Unternehmen im Allgemeinen gilt, muss zwar nicht zwangsläufig auch Gültigkeit haben für die Aufbewahrung von Belegen im Zusammenhang mit Nebenkostenabrechnungen des Vermieters oder der von diesem beauftragten Liegenschaftsverwaltung. Vor allem dann nicht, wenn private Liegenschaftseigentümer nicht den Bestimmungen der kaufmännischen Buchführung (Art. 957 ff. OR) unterstehen, was stets dann der Fall ist, wenn diese nicht als Firma im Handelsregister eingetragen sind.

Wendet man die in Art. 957 OR über die Aufbewahrung von Belegen bei buchführungspflichtigen Unternehmen gewonnen Erkenntnisse analog auf die Aufbewahrung von Nebenkostenbelegen an, muss es nach der hier vertretenen Auffassung aber genügen, wenn der Vermieter bzw. eine beauftragte Liegenschaftsverwaltung in dessen Namen die Originalunterlagen zu den Nebenkosten in elektronischer Form aufbewahrt. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb die Aufbewahrungspflicht eines Vermieters hier weitergehen und strengeren Anforderungen unterstehen soll als diejenige des buchführungspflichtigen Unternehmens.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn beim elektronischen Abspeichern die Grundsätze der ordnungsgemässen Datenverarbeitung im Sinne von Art. 2 der GeBüV eingehalten worden sind. Mit dieser Vorgehensweise ist sichergestellt, dass die Echtheit und Unverfälschbarkeit der Originalunterlagen auch in elektronischer Form gewährleistet ist. Auch die sogenannte Integrität des Papierbeleges ist bei dieser Form der elektronischen Aufbewahrung gewährleistet. Zu beachten ist hier zudem, dass der elektronischen Datei beweismässig grundsätzlich dieselbe Beweiskraft zukommt wie einem Originalbeleg. Dem streitbaren Mieter, der seine behaupteten Ansprüche auf dem Rechtsweg durchsetzen will, entsteht also auch hier kein Nachteil, falls der Vermieter die Nebenkostenbelege lediglich in elektronischer Form aufbewahrt.

Abschliessend muss lediglich der Vorbehalt angebracht werden, dass die in diesem Beitrag behandelten Fragen, soweit ersichtlich, bisher keinem Gericht zur Beurteilung unterbreitet wurden, weshalb nicht mit aller letzter Sicherheit vorher gesagt werden kann, wie ein Gericht diese Frage entscheiden würde.

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