Earned Value: Kennzahlen-Methode zur Bewertung des Projektfortschrittes

Eine international verbreitete und anerkannte Methode zur Bewertung des Projektfortschrittes mittels Kennzahlen stellt das Earned Value Management (EVM) Verfahren dar. Diese Methode wurde zu Beginn der 60er Jahre von der U.S. Air Force als Ergänzung zu PERT (Program Evaluation and Review Technique – eine ereignisorientierte Netzplantechnik) entwickelt.

10.02.2022 Von: Stefan Hunziker, Prof. Dr. Thomas Rautenstrauch
Earned Value

Mitte der 60er Jahre wurde sie unter dem Namen C/SCSC als Standardverfahren für alle Projekte des Pentagon für verbindlich erklärt. Die Methode ist Bestandteil des Project Management Book of Knowledge (PMBOK), des amerikanischen Standards für Projektmanagement und steht heute für den Mindeststandard bei öffentlichen Projekten in den Vereinigten Staaten.

Grundsätzlich repräsentiert das Earned Value Management eine kennzahlenorientierte Vorgehensweise, um den Fortschritt eines Projekts zu jedem Zeitpunkt messbar und überwachbar zu machen. Die Methode bedient sich im Wesentlichen folgenden Grössen in Bezug auf ein Projekt, die in Relation zu einander gesetzt werden: Abgelaufene Zeit (Zeitpunkt = IST), aufgelaufene Kosten (Plan/Ist-Vergleich) und vollbrachte Arbeit (Plan/Ist-Vergleich).

Voraussetzungen Earned Value Management

Um ein Earned Value Management überhaupt sinnvoll einsetzen zu können, müssen einige organisatorische und instrumentelle Voraussetzungen erfüllt werden. Als Grundvoraussetzung dient ein sorgfältig erstellter Projektstrukturplan. Der PSP beantwortet ausschliesslich die Frage «Was ist in einem Projekt zu tun?» und zerlegt das Projekt in über- und untergeordnete Strukturelemente, wobei die unterste Ebene immer aus so genannten Arbeitspaketen (APs) besteht. Arbeitspakete sind Teilaufgaben des Projekts, die im Projektstrukturplan nicht weiter aufgegliedert sind und idealerweise vollständig einem Projektmitarbeiter oder einer organisatorischen Einheit übertragbar sind. Auf Basis der definierten APs ist nun eine Schätzung der Ressourcen, Kosten und Aufwand pro Kontrollperiode nötig. Darüber hinaus muss ein vernetzter Projektablaufplan erstellt werden, denn eine vollständige Earned Value Methode betrachtet auch den Verlauf der Projektkosten über die Projektlaufzeit.

Die Grundparameter des Earned Value Management

Das Ziel der Earned Value Methode ist eine möglichst objektive Beurteilung der Projektleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt im Projektablauf zu gewähren. Um dies zu erreichen, nimmt die EVM eine integrierte Analyse von verursachten Kosten, vergangener Zeit und verrichteter Arbeit vor.

In einem ersten Schritt müssen folgende Grundparameter zusammengetragen werden. Hierbei muss zwischen der Bestimmung von Planwerten und der Erfassung von Ist-Werten unterschieden werden. Folgende Planwerte müssen eruiert werden:
 

BAC Budgeted cost at Completion
= Plan-Gesamt-Kosten bei Fertigstellung
BCWS Budget cost for Work Scheduled
= Plan-Kosten zum Stichtag; bezeichnet die Plan-Kosten und den geplanten Fertigstellungswert für den Ist-Zustand
%WP Work Performed (Actual/Planned)
=Fertigstellungsgrad zum Stichtag (Ist/Soll)

Zur Beurteilung des Fortschrittes eines Projektes ist die Erfassung des Ist- Zustandes zwingend. Dazu werden die angefallenen Kosten und der Earned Value (EV) wie folgt erhoben:
 

ACWP Actual Cost for Work Performed
= Ist-Kosten zum Stichtag; setzen sich aus den entstandenen Sachkosten und dem angefallenen Arbeitsaufwand zusammen
BCWP Budgeted Cost for Work Performed
= Ist-Fertigstellungswert oder Earned Value, gibt die geplanten Kosten der zum Ist-Zeitpunkt geleisteten Arbeit an. In regelmässigen Abständen wird der fertig gestellte Prozentsatz der Arbeitspakete bestimmt, um den Anteil des Earned Value am Gesamtbudget zu ermitteln.
Earned Value = Planbudget x Fertigstellungsgrad

Mit Hilfe dieser Grundparameter lassen sich nun in einem weiteren Schritt Kennzahlen ermitteln, um den Projektfortschritt überwachen zu können.

Projektüberwachung und -prognose – ein Zahlenbeispiel

Zur Illustration der Earned Value Methode soll das Arbeitspaket Testen von 20 Software-Programmen im Rahmen eines IT-Projekts untersucht werden. Geplant ist eine Bearbeitungsdauer von vier Wochen bei einem Aufwand von 160 Stunden und Kosten von CHF 16'000 (Pro Stunde CHF 100). Nach Ablauf von drei Wochen werden folgende Ist-Werte ermittelt: 96 Stunden und CHF 9'600 sind verbraucht und 10 von 20 Programmen sind fertig getestet. Auf Grund dieser Ausgangslage lassen sich die Grundparameter berechnen:
 

BAC CHF 16'000 (Gesamte geplante Kosten für das Arbeitspaket)
BCWS CHF 12'000 (Bis zum Stichtag geplante Kosten)
%WP 50% (10 von 20 Programmen sind fertig getestet)
ACWP CHF 9'600 (Bis zum Stichtag verbrauchte Kosten)
BCWP CHF 8'000 (50% von CHF 16'000)

Zur Überwachung können nun Varianzen (absolute Abweichungen) und Indizes (verhältnismässige Abweichungen) wie folgt berechnet werden:

  • Die Cost Variance (CV) stellt eine Unter- oder Überschreitung der geplanten Kosten dar. Ein positiver Wert bedeutet geringere Kosten, ein negativer Wert grössere Kosten als geplant. Die CV sich durch: BCWP – ACWP -> - CHF 1'600.
  • Die Schedule Variance (SV) stellt eine Unter- oder Überschreitung der geplanten Dauer dar. Ein positiver Wert bedeutet ein schnelleres, ein negativer Wert ein langsameres Voranschreiten des Projektes als geplant. Die SV berechnet sich durch: BCWP – BCWS -> - CHF 4'000.
  • Der Cost Performance Index (CPI) misst die Kosteneffizienz von Projekten durch das Verhältnis von Leistung zu Kosten, wobei ein Wert > 100% auf eine gute Leistung, ein Wert > 100% auf eine schlechte Effizienz hinweist. Der CPI berechnet sich wie folgt: BCWP/ACWP*100 -> 83%.
  • Der Schedule Performance Index (SPI) weist die zeitliche Effizienz von Projekten aus. Er berechnet das Verhältnis von bereits geleisteter Arbeit zu der geplanten Arbeit des Ist-Zeitpunktes (BCWP/BCWS*100) -> 67%.

Anhand der Grundparameter lassen sich auch Prognosen über die voraussichtlichen Gesamtkosten und somit auch über die Gesamtkostenabweichung des Arbeitspaketes herleiten.

  • Der Cost Performance Index (CPI) lässt sich für Vorhersagen der zukünftig anfallenden Kosten verwenden. Die Prognose der Gesamtkosten, Estimated Cost at Completion (EAC), ergibt sich aus BAC/CPI*100 -> CHF 19'277.
  • Die Variance at Completion (VAC) steht für die voraussichtliche Gesamtkostenabweichung und berechnet sich aus der Differenz zwischen BAC und EAC -> CHF 3'277.

Fazit

Die Earned Value Methode erfordert als Grundlage eine eindeutige Definition der zu erledigenden Arbeit, der Termine und des Aufwands und ermöglicht so eine objektive und realistische Messung der erledigten Arbeit und stellt eine wahrheitsgetreue Kostensituation dar. Weiter liefert diese Methode eine Basis für grundlegende (Management-)Entscheidungen und stellt einen Ansatz für ein unternehmensweit einheitliches Performance Measurement für Projekte dar. Innerhalb des Multiprojektcontrollings sind Vergleiche zwischen mehreren Projekten möglich. Zwar erlaubt die Earned Value Methode keine Überwachung und Prognose der Qualität und Leistung, aber sie bietet durch eine integrierte Analyse von verstrichener Zeit und angefallenen Kosten Informationen bezüglich der Projektdauer und -kosten. Das Projekt-Endergebnis kann durch frühzeitige Korrekturen positiv beeinflusst werden.

Literaturhinweise: Anbari, Frank T.: The Earned Value Analysis Method: Extensions and Simplifications, 17th World Congress on Project Management; Gartner, Peggy/Wuttke, Thomas: Projektmanagement – A Guide to the Project Management Body of Knowledge; Odermatt, Daniel: Management von IT-Projekten – Earned Value Method, Vorlesungsunterlagen im Wintersemester 2005/2006 von der Universität Bern; Webb, Alan: Using Earned Value – A Project Manager’s Guide.

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