Margenbesteuerung: Auswirkungen für die Praxis im teilrevidierten MWSTG

Bereits seit der Einführung der Mehrwertsteuer 1995 gab es die Margenbesteuerung. Damit konnte der Verkäufer bestimmter Waren über die Besteuerung einzig seiner Verkaufsmarge (deshalb der Name Margenbesteuerung) indirekt den Abzug der Vorsteuer nachholen, der von seinem Lieferanten nicht vorgenommen werden konnte, weil dieser subjektiv nicht mehrwertsteuerpflichtig ist (z.B. Privatperson).

18.03.2022 Von: German Boschung, Adrian Wyss
Margenbesteuerung

Historie

Somit zielt die Margenbesteuerung darauf ab, in bestimmten Fällen die Besteuerung des Endkonsums indirekt zu erreichen und damit Fälle einer Taxe Occulte zu vermeiden. 1995 war diese Regelungsabsicht beschränkt auf den Ankauf von mobilen, gebrauchten und individualisierbaren Waren ohne Ausweis der Vorsteuer, die zum Wiederverkauf bestimmt sind (sog. Occasionshandel mit Speziesware).1 Mit der Einführung des totalrevidierten Mehrwertsteuergesetzes im 2010 wurde die erwähnte Margenbesteuerung aufgehoben. Dafür wurde der sog. fiktive Vorsteuerabzug vom Ankauf von landwirtschaftlichen Produkten von subjektiv nicht mehrwertsteuerpflichtigen Urproduzenten ausgedehnt auf den erwähnten Occasionshandel mit Speziesware (keine Gattungsware). Hier kann der mehrwertsteuerpflichtige Wiederverkäufer solcher Waren im Zeitpunkt des Ankaufs der Ware einen echten Vorsteuerabzug vornehmen, jedoch auf der Basis einer fiktiven Vorsteuer. Im Gegenzug hierzu muss er allerdings den gesamten Verkaufserlös versteuern. In der praktischen Abwicklung eröffnete dies insbesondere im internationalen Kunst- und Antiquitätenhandel Möglichkeiten der Steueroptimierung, indem der Abzug der fiktiven Vorsteuer gemacht wurde, obwohl im inländischen Leistungserstellungsprozess der verkauften, gebrauchten Spezieshandelsware gar nie MWST abgeführt wurde (vgl. nachfolgende Ausführungen). Um diesen negativen Effekt des Abzugs der fiktiven Vorsteuer zu korrigieren, wurde im Rahmen des teilrevidierten MWSTG ab dem 1.1.2018 die zwingende Anwendung der Margenbesteuerung für sog. Sammlerstücke wieder eingeführt, wenn bei deren Ankauf keine Vorsteuer abgezogen wurde. Diese besteht nun parallel zum Abzug der fiktiven Vorsteuer, was zu Abgrenzungsproblemen führt. Auch, weil dieser Vorsteuerabzug ab dem 1.1.2018 auf den Ankauf von sämtlicher mobiler Speziesware ohne offene Überwälzung der MWST ausgedehnt wurde. D.h. es spielt für den Abzug der fiktiven Vorsteuer keine Rolle mehr, ob die Ware neu oder gebraucht ist und ob sie Handelsware oder Betriebsmittel beim kaufenden mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmen ist. Unseres Wissens ist dies eine einmalige Konstellation im Vergleich mit den anderen europäischen MWST-Regimes.

Die nachfolgenden Erläuterungen sollen einen Überblick über die Neuerungen vom 1.1.2018 und Hinweise für die Praxis der Unternehmen geben.

1 Vgl. Art. 35 aMWSTG, Stand 1.1.2008

Fiktiver Vorsteuerabzug und Margenbesteuerung: Um was geht es?

Wie gezeigt, dienen beide Regelungen im Grundsatz zur Lösung des folgenden Grundproblems: Kauft ein mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen Leistungen von einem ebenfalls mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmen, kann das kaufende Unternehmen die in der Rechnung offen ausgewiesene Vorsteuer in der eigenen Mehrwertsteuerabrechnung als Vorsteuer im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit in Abzug bringen. Gestützt auf dieses theoretische Modell der MWST belastet die Mehrwertsteuer die Leistungserbringung zwischen mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmen somit grundsätzlich nicht. Vollkommen anders präsentiert sich die Situation, wenn ein mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen Leistungen von einer nicht mehrwertsteuerpflichtigen Person oder Organisation ankauft: Hier fällt typischerweise - aber nicht immer - eine verdeckte Mehrwertsteuerbelastung an (sog. taxe occulte). Dies dann, wenn innerhalb der Verkaufs- oder Leistungserstellungskette einer Ware der Verkäufer die Mehrwertsteuer auf den Käufer überwälzt, dieser aber die von ihm so bezahlte Vorsteuer nicht zum Vorsteuerabzug bringen kann, z.B. weil er subjektiv nicht mehrwertsteuerpflichtig ist.

Hier setzt der Abzug der fiktiven Vorsteuer ein.1 Dieser kommt gemäss den gesetzlichen Bestimmungen beim Ankauf von individualisierbarer Ware bzw. Gegenständendurch ein mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen zur Anwendung. Solange der Verkäufer dem mehrwertsteuerpflichtigen Käufer in der Ankaufsrechnung keine MWST offen überwälzt, darf dieser auf seinem Ankaufspreis eine fiktive Vorsteuer einrechnen und diese dann zum Vorsteuerabzug bringen.Dadurch wird die taxe occulte zumindest in der geschilderten Konstellation und auf der jeweiligen Stufe der Leistungserbringung ausgeglichen. Wichtige Grundvoraussetzung für den Abzug der fiktiven Vorsteuer ist allerdings, dass in den vorangehenden Produktions- und Handelsstufen überhaupt je Mehrwertsteuer abgeführt wurde und diese im letzten Schritt durch eine nicht mehrwertsteuerpflichtige Person entsprechend nicht zum Vorsteuerabzug gebracht werden konnte.

Erfolgte die entsprechende Herstellung der Gegenstände jedoch vor Einführung der Mehrwertsteuer (z.B. bei Antiquitäten), ist dies teilweise jedoch nicht der Fall. Aber auch bei Kunstwerken, die direkt vom Künstler gekauft wurden, wurde nie Mehrwertsteuer abgeführt. Dies, weil diese Verkäufe von der Mehrwertsteuer ausgenommen sind.Auch fällt im Rahmen der Einfuhr keine Einfuhrsteuer an.Gleiches gilt übrigens auch für Exponate von Museenoder für Kunstgegenstände, die als Teil des Übersiedlungs- (z.B. Wohnsitzwechsel in die Schweiz), Ausstattungs- oder Erbguts in die Schweiz eingeführt worden sind.7

In diesen Fällen hat der Bund in der Vergangenheit fiktive Vorsteuer an mehrwertsteuerpflichtige Unternehmen über die Anrechnung des Vorsteuerabzugs an die MWST-Schuld zurückvergütet, ohne dass diese Vorsteuer je bezahlt und dem Staat abgeführt wurde. Entsprechend hat dies seit der Einführung des Abzugs der fiktiven Vorsteuer zu einem "Verlust" des Bundes und somit letztendlich zu deren teilweiser Abschaffung geführt.

1 vormals fiktiver Vorsteuerabzug genannt (vgl. Art. 28 Abs. 3 aMWSTG, Stand 1.1.2010)

2 Der Abzug der fiktiven Vorsteuer gilt also nicht beim Ankauf von Gattungswaren oder aktivierbaren Dienstleitungen wie Lizenzen.

3 vgl. Art. 28a Abs. 1 und 2 MWSTG

4 vgl. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 16 MWSTG

5 vgl. Art. 53 Bst. c MWSTG

6 vgl. Art. 53 MWSTG Bst. d MWSTG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 Bst. g Zollgesetz (ZG)

7 vgl. Art. 53 MWSTG Bst. d MWSTG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 Bst. c ZG

Die Margenbesteuerung im Einzelnen

Folglich soll durch die Margenbesteuerung sichergestellt werden, dass beim Wiederverkauf von Sammlerstücken wie Kunstgegenständen oder Antiquitäten ab dem 1.1.2018 durch einen Mehrwertsteuerpflichtigen zwingend nur die Wiederverkaufsmarge der Mehrwertsteuer unterliegt. Hier darf der Abzug der fiktiven Vorsteuer nicht mehr zur Anwendung kommen.[1] Hat der Wiederverkäufer von Sammlerstücken indessen bereits vor dem 1.1.2018 den Abzug der fiktiven Vorsteuer vorgenommen und entrichtet dann später die MWST des Inlandverkaufs auf dem gesamten Verkaufspreis, darf er die Margenbesteuerung nachträglich nicht wieder anwenden, indem er den der Abzug der fiktiven Vorsteuer rückgängig macht.[2]

Als Wiederverkäufer gilt, wer im eigenen Namen oder aufgrund eines Kommissionsauftrags Sammlerstücke ein- und wiederverkauft.[3]

Was als Sammlerstück gilt, ist in Art. 48a der Mehrwertsteuerverordnung definiert. Es handelt sich demnach um individualisierbare, mobile Gegenstände. Zu erwähnen ist, dass Motorfahrzeuge, die erstmals vor mehr als 30 Jahren in Verkehr gesetzt wurden, als Sammlerstücke gelten. Werden solche Motorfahrzeuge zwecks Wiederverkaufs angekauft, ist deshalb die Margenbesteuerung zwingend anzuwenden. Gleiches gilt auch bei mobilen Gegenständen, die mehr als 100 Jahre alte sind, denn diese gelten als Antiquitäten und damit ebenfalls als Sammlerstück.

Werden mehrere Sammlerstücke zu einem Gesamtpreis bezogen, so kann die Steuer von der Differenz zwischen dem Gesamtverkaufspreis und dem Gesamtankaufspreis berechnet werden.[4] Allfällige Verluste aus einzelnen Verkäufen eines solchen Gesamtpakets können mit den Gewinnen von anderen daraus verrechnet werden. Die Margenbesteuerung ist jedoch auf sämtlichen Einzelverkäufen des Gesamtpakets anzuwenden.[5]

Bei der Rechnungsstellung des Verkaufs solcher Sammlerstücke darf die Mehrwertsteuer nicht offen ausgewiesen werden. Wird sie trotzdem so ausgewiesen, gilt das normale MWST- und Vorsteuerregime. D.h. die auf der Verkaufsrechnung offen ausgewiesene MWST muss der Verkäufer der Steuerbehörde abführen (keine Margenbesteuerung). Ferner aber ist er nicht zum Abzug der fiktiven Vorsteuer auf dem Einkauf der Wiederverkaufsware berechtigt.[6] Es handelt sich ja um Sammlerstücke, für die exklusiv die Margenbesteuerung angewendet werden darf und diese entsteuert die eingekaufte Ware von der MWST ausschliesslich via der Besteuerung der Verkaufsmarge. Die analoge Rechtsfolge kann sich ergeben, wenn die An- und Verkäufe der Sammlerstücke nicht oder nur unvollständig in der zwingend hierzu zu führenden Bezugs- und Verkaufskontrolle geführt werden.[7]

Wird im Rahmen einer Unternehmensgründung eine (private) Antiquitäten- oder Kunstsammlung durch einen Gesellschafter in die neu (mit)gegründete Gesellschaft eingebracht, um sie dann dort wieder zu verkaufen, muss zwingend die Margenbesteuerung angewendet werden, wenn die neu gegründete Gesellschaft keinen Vorsteuerabzug vornimmt bzw. nehmen kann. Ein fiktiver Vorsteuerabzug ist bei solchen Sammlungen nicht möglich. Aber auch eine Einlageentsteuerung ist wegen dem Wechsel des Steuersubjekts nicht möglich.

[1] vgl. Art. 28a Abs. 3 MWSTG

[2] vgl. Art. 115a MWSTG

[3] vgl. Art. 24a Abs. 3 MWSTG

[4] vgl. Art. 24a Abs. 5 MWST

[5] vgl. Art. 48b Abs. 1 MWSTV

[6] vgl. Art. 48c MWSTV

[7] vgl. Art. 48d MWSTV

Die Bedeutung des Abzugs der fiktiven Vorsteuer ab 1.1.2018

Wie erwähnt, war bis Ende 2017 der fiktive Vorsteuerabzug ausschliesslich auf den Wiederverkauf von individualisierbaren, gebrauchten Gegenständen anwendbar (Handel mit gebrauchter Speziesware). Mit der Wiedereinführung der Margenbesteuerung und der damit verbundenen Ausweitung der Anwendungsmöglichkeiten des Abzugs der fiktiven Vorsteuer kann ab dem 1.1.2018 auch auf dem Ankauf von nicht zum Wiederverkauf bestimmten Betriebsmitteln der Abzug der fiktiven Vorsteuer geltend gemacht werden.[1] Entsprechend hat dieses Konzept stark an Bedeutung gewonnen. So kann eine nicht mehrwertsteuerpflichtige Person ihre bisher privat genutzten mobilen Gegenstände als Betriebsmittel oder Handelsware (ausser Sammlerstück) in ihr neu gegründetes Unternehmen einlegen und dort den entsprechenden Abzug der fiktiven Vorsteuer geltend machen. Bezüglich der Rechtsform ist zu beachten, dass bei solchen Einlagen in Einzelunternehmungen kein fiktiver Vorsteuerabzug vorgenommen werden kann. Ein Verkauf an sich selbst ist ja nicht möglich, denn in beiden Fällen ist die natürliche Person das gleiche Rechts- resp. MWST-Subjekt. Hingegen ist hier eine Einlageentsteuerung zum Zeitwert der Vorsteuer möglich. Dies im Gegensatz zur Einlage in eine Personen- oder Kapitalgesellschaft.

[1] vgl. Wortlaut von Art. 28a Abs. 1 Bst. a MWSTG

PRAXISTIPP: Da ab dem 1.1.2018 auch Betriebsmittel zum fiktiven Vorsteuerabzug berechtigen, ist unserer Ansicht zu prüfen, ob dieser innerhalb der Verjährungsfrist nachgeholt werden kann. Diese läuft mindestens bis Ende 2022.

Nach wie vor muss aber mit Hilfe geeigneter Unterlagen (z.B. Rechnung des Leistungserbringers, Gutschrift des Leistungsempfängers, Vertrag der Quittung) nachgewiesen werden können, dass der Anspruch auf den fiktiven Vorsteuerabzug tatsächlich auch besteht (z.B. Art, Gegenstand, Umfang und Zeitpunkt der Lieferung, Name und Adresse des Leistungserbringers sowie -empfängers).

Die Vorgaben der Eidg. Steuerverwaltung hierzu sowie auch zu einer adäquaten Buchführung (insbesondere Prüfspur) sind strikt einzuhalten.[1]

[1] vgl. MWST-Info 09, Vorsteuerabzug, Ziff. 7.3.3 und Ziff. 7.3.8

Fazit

Die Abgrenzung zwischen Margenbesteuerung und fiktivem Vorsteuerabzug sind - obwohl auf den ersten Blick griffig und klar - in der praktischen Umsetzung wohl nicht immer ganz einfach. Insbesondere für Kunst- und Antiquitäts-Gegenstände, die nach der aktuellen Gesetzeslage unter die Margenbesteuerung fallen würden, für welche aber vor dem 1.1.2018 der fiktive Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist und danach beim Inlandverkauf die MWST auf dem gesamten Verkaufspreis entrichtet wurde, kann die Margenbesteuerung nicht mehr angewendet werden. Ferner wird sich zeigen, ob sich die Zweiteilung des Vorsteuer-Regimes bewährt, also einerseits in der Margenbesteuerung für den Wiederverkauf von Sammlerstücken ohne vorgenommenen Vorsteuerabzug beim Ankauf und andererseits der Abzug der fiktiven Vorsteuer beim Ankauf von beweglicher Speziesware, wenn auf der diesbezüglichen Rechnung die Vorsteuer nicht offen ausgewiesen wird. Die Erweiterung des fiktiven Vorsteuerabzuges auf Betriebsmittel führt zu interessanten Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Einlagen vom Privatvermögen von Gesellschaftern ins Vermögen einer von ihnen (mit) gehaltenen Personen- oder Kapitalgesellschaft. Insbesondere bezüglich der Erstellung der Abrechnung für das erste Quartal 2018 wäre zu prüfen, ob allenfalls auf Einlagen in der Vergangenheit jetzt noch der fiktive Vorsteuerabzug im Rahmen der Verjährungsfrist nachgeholt werden könnte (mindestens bis Ende 2022).

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