Das Rechnungslegungsrecht
Das Rechnungslegungsrecht postuliert in Art. 958 Abs. 3 OR für alle rechnungslegungspflichtigen Unternehmen die Pflicht, dass der Vorsitzende des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans und die innerhalb des Unternehmens für die Rechnungslegung zuständige Person den Geschäftsbericht zu unterzeichnen haben. Es stellt sich in Abhängigkeit von der konkreten Rechtsform sowie je nach Unternehmensgrösse die Frage, wer genau diese Personen sind und ob es sich hierbei zwingend um zwei separate Personen handeln muss.
Wissens- und Willenskundgabe
Mit der Unterschrift bestätigen die unterzeichnenden Personen, dass sie die Unterlagen kennen, für richtig befinden und gutheissen. Es handelt sich um eine Wissens- und Willenskundgabe. Entsprechend kann sich die unterzeichnende Person nicht mehr auf Unkenntnis oder Unrichtigkeit des Inhalts berufen, es sei denn, sie weist nach, dass selbst bei einer angemessenen Sorgfaltspflicht entsprechende Mängel nicht erkennbar waren. Insgesamt soll mit der Unterzeichnung die persönliche Verantwortung für die Richtigkeit des Geschäftsberichts zum Ausdruck gebracht werden.
Gegenstand der Unterzeichnung
Neben dem Geschäftsbericht sind gemäss Botschaft auch Konzernrechnungen und Abschlüsse nach anerkanntem Standard zu unterzeichnen. Ob wie nach bisheriger Rechtskonzeption Erfolgsrechnung und Bilanz sowie Anhang separat oder aber der Geschäftsbericht in seiner Gesamtheit zu unterzeichnen ist, geht nicht direkt aus dem Gesetzestext hervor. In der Praxis wird der Abschlussprüfer für jeden Bestandteil des Geschäftsberichts – bei grösseren Unternehmen zusätzlich für Geldflussrechnung, Lagebericht, Konzernrechnung und Abschluss nach anerkanntem Standard – eine separate Unterschrift oder zumindest ein Visum der unterzeichnungspflichtigen Personen einverlangen.
Hinzu kommt eine unterzeichnete Vollständigkeitserklärung, mit welcher das für die Rechnungslegung verantwortliche Leitungs- oder Verwaltungsorgan erklärt, dass es die Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskünfte gegenüber dem Abschlussprüfer übernimmt. Mit dieser Erklärung sollen auch Vorgänge erfasst werden, die sich nicht in der Jahresrechnung niederschlagen.
Unterzeichnungspflichtige Personen: Vorsitzende des obersten Leitungsund Verwaltungsorgans
In Abhängigkeit von der Rechtsform des Unternehmens ergeben sich als Vorsitzende des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans grundsätzlich die folgenden (meistens im Handelsregister eingetragenen) Personen:
Kommt dem Vorsitzenden des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans gemäss die Einzelzeichnungsberechtigung zu, reicht diese einzelne Unterschrift, um die Unterschrift vonseiten Leitungs- und Verwaltungsorgan zu erfüllen.
Rechtsform des Unternehmens | Vorsitzender des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans |
Einzelunternehmen | Geschäftsinhaber |
Kollektivgesellschaft | sämtliche Kollektivgesellschafter |
Kommanditgesellschaft | sämtliche unbeschränkt haftenden Gesellschafter (sog. Komplementäre) |
Aktiengesellschaft | Verwaltungsratspräsident bzw. das einzelne Verwaltungsratsmitglied (bei einer Einpersonen-AG) |
Kommanditaktiengesellschaft | sämtliche unbeschänkt haftenden Gesellschafter (diese bilden die Verwaltung) |
Gesellschaft mit beschränkter Haftung | Vorsitzender der Geschäftsführung bzw. der einzige Geschäftsführer (bei der Einpersonen-GmbH) |
Genossenschaft | Präsident der Verwaltung bzw. das einzige Mitglied der Verwaltung |
Verein | Präsident des Vorstands bzw. das einzige Mitglied des Vereinsvorstands |
Stiftung | das oberste Stiftungsorgan, in der Regel der Präsident des Stiftungsrats bzw. das einzige Mitglied des Stiftungsrats |
Unterzeichnungspflichtige Personen: für die Rechnungslegung zuständige Person
Wer für die Rechnungslegung innerhalb des Unternehmens zuständig ist, bestimmt sich in der Regel nach dem Organisationsreglement. Prinzipiell wird dies der Chief Financial Officer (CFO) oder der Leiter Rechnungswesen sein.
Für (mittlere und grosse) Unternehmen, in welchen sich der Vorsitzende des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans und die für die Rechnungslegung zuständige Person (Leiter Rechnungswesen bzw. zuständiges Geschäftsleitungsmitglied bzw. Buchhalter) unterscheiden, lassen sich diese zwei Unterschriften zweifelsfrei leisten. Anpruchsvoller ergibt sich diese Fragestellung für Unternehmen mit nur einem Gesellschafter und ohne Mitarbeiter sowie für Unternehmen mit externer Buchführung. Ebenso stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die für die Rechnungslegung zuständige Person im Handelsregister eingetragen sein muss.
Die aktuelle wissenschaftliche Literatur zum neuen Rechnungslegungsrecht hat sich bisher noch nicht mit dieser Konstellation befasst. So sind in den beiden Standardwerken zum neuen Buchführungs- und Rechnungslegungsrecht, dem Handbuch der Wirtschaftprüfung (HWP), Band «Buchführung und Rechnungslegung» der Treuhand-Kammer (heute: EXPERTsuisse) sowie im Praxiskommentar «Rechnungslegungsrecht nach Obligationenrecht» von veb.ch hierzu noch keine Lösungsansätze zu finden. Als Konsequenz wurde die Fragestellung, wie Unternehmen mit nur einem bzw. ohne Mitarbeiter sowie mit externer Buchführung die Forderung nach einer zum obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgan ergänzenden Zweitunterschrift von der für die Rechnungslegung zuständigen Person einhalten können, erst in der Praxis aufgegriffen.
Erste Ansätze aus der Praxis geben für diese organisatorischen Fälle die folgenden Empfehlungen ab (vgl. z.B. Q&A Neues Rechnungslegungsrecht der BDO, 2017):
Wirkung der Unterzeichnung
Obwohl der Geschäftsbericht zu unterzeichnen ist, macht die fehlende Unterschrift den Geschäftsbericht nicht ungültig. Die Unterzeichnungspflicht ist keine Gültigkeitsvoraussetzung, sondern eine Ordnungsvorschrift.
Konstellation I: Kleine Unternehmen (Einzelunternehmen, Einpersonen-GmbH, Einpersonen-AG) | Bei kleinen Unternehmen und Organisationen können der Vorsitzende des obersten Verwaltungsorgans und die für die Rechnungslegung zuständige Person ein und dieselbe Person sein, etwa beim Einzelunternehmen. In diesem Fall ist nur eine Unterschrift zu leisten. |
Konstellation II: Fehlender Handelsregistereintrag der für die Rechnungslegung zuständigen Person | Nach Art. 958 Abs. 3 OR ist der Geschäftsbericht neu auch von der für die Rechnungslegung zuständigen Person zu unterzeichnen. Ob diese Person im Handelsregister eingetragen sein muss, ist gemäss dem Wortlaut des Gesetzes nicht relevant. |
Konstellation III: Externer Beauftragter für die Buchführung (z.B. Treuhandunternehmen) | Die für die externe Buchführung zuständige Drittperson (Treuhänder) bzw. der Vertreter eines Leitungs- oder Verwaltungsmandats bei juristischen Personen (Treuhandunternehmen) haben den Geschäftsbericht nicht mit zu unterzeichnen, da es sich gemäss Wortlaut des Gesetzes hier nicht um «die innerhalb des Unternehmens zuständige Person» nach sprachlichem Wortlaut handelt. |
Die Botschaft betont, dass die Unterzeichnung durch die entsprechende Person keine Einschränkung der Verantwortlichkeit bewirkt. Es werden somit grundsätzlich nicht nur die unterzeichnenden Personen verantwortlich, sondern auch die restlichen Mitglieder des Organs, da beispielsweise bei der AG grundsätzlich der gesamte Verwaltungsrat für die Erstellung des Geschäftsberichts zuständig ist (unentziehbare und unübertragbare Aufgabe gemäss Art. 716a Abs. 1 Ziff. 6 OR). Bei der GmbH ist dies grundsätzlich eine Aufgabe der Geschäftsführer (Art. 810 Abs. 2 Ziff. 5 OR).
Aus strafrechtlicher Sicht ist zu betonen, dass der Geschäftsbericht und dessen Bestandteile Urkunden mit erhöhter Glaubwürdigkeit sein können. Die teilweise unterlassene Verbuchung von Einnahmen oder Ausgaben oder die Verbuchung von Vorgängen, die nicht stattgefunden haben, sowie der entsprechende Ausweis im Geschäftsbericht können strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (z.B. Strafbarkeit wegen einer Falschbeurkundung). Die Unterzeichnung des Geschäftsberichts ist hierfür nicht notwendig, auch die Genehmigung durch das zuständige Organ (bei der AG die Generalversammlung) ändert nichts an der potenziellen Strafbarkeit. Strafrechtlich relevantes Verhalten kann indes nur vorliegen, wenn zivilrechtliche Rechnungslegungsnormen verletzt wurden.